Protocol of the Session on September 14, 2006

Nicht der Islam als Religion, sondern lediglich der Islamismus als politische und gesellschaftliche Ideologie wird durch den Verfassungsschutz beobachtet.

(Beifall bei SPD, FDP und vereinzelt bei der CDU)

Dies geschieht nach bestem Wissen und Gewissen und mit aller Konsequenz im Rahmen dessen, was nötig und möglich ist. Eingriffe in Grundrechte aufgrund eines Generalverdachts gegen eine Nation oder Religion wird es unter meiner Verantwortung auch in Zukunft nicht geben.

(Beifall bei SPD, FDP und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Das Grundgesetz sowie die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts setzen unmissverständliche Grenzen für staatliche Eingriffe. Daran ändert auch keine Richterschelte etwas, die in Einzelfällen von manchen Kollegen gern vorgenommen

(Minister Dr. Ralf Stegner)

wird. Ich möchte hier sehr deutlich sagen: Weder das Grundgesetz noch Karlsruhe hindert uns am Kampf gegen den Terrorismus, die Verfassung setzt den Rahmen für unser Tun.

(Beifall bei SPD und FDP)

Durch die jüngsten Ereignisse ist Schleswig-Holstein ganz unmittelbar betroffen. Die Konsequenzen sind selbstverständlich bundesweit zu ziehen.

Die Innenministersonderkonferenz konnte sich deswegen vor zehn Tagen auf drei gemeinsame Vorhaben einigen, die dem entsprachen, was ich für die Landesregierung zuvor eingefordert hatte. Für die Anti-Terror-Datei haben wir jetzt endlich eine Lösung gefunden, die das Gebot der Trennung von Polizei und Verfassungsschutz, den nachrichtendienstlichen Quellenschutz und die Begrenzung der Zugriffsmöglichkeiten auf sensible Daten sicherstellt. Ich teile da die Kritik des Herrn Datenschutzbeauftragten ausdrücklich nicht.

Zugleich können Sicherheitsbehörden und Nachrichtendienste in Deutschland in besonders eiligen Fällen, zum Beispiel bei unmittelbar drohenden Terroranschlägen, jederzeit relevante Daten und Informationen gegenseitig verfügbar machen und so wesentlich effektiver Personen- und Sachzusammenhänge in Bezug auf den internationalen Terrorismus erkennen. Das wird dokumentiert und man muss sich dafür im Nachhinein rechtfertigen.

Die Innenminister wollen zum Zweiten die Videoüberwachung stärker als bisher nutzen. So richtig es ist, dass wir die Anschlagsversuche nicht verhindern konnten, so haben doch die Instrumentarien entscheidend zur Festnahme beigetragen und damit womöglich auch präventiv gewirkt, nämlich weitere Versuche verhindert. So hat die Öffentlichkeitsfahndung mit dem ausgestrahlten Videomaterial schließlich zur Festnahme des Terrorverdächtigen in Kiel geführt. Die Innenminister wollen daher eine gezielte Beobachtung von Gefahrenschwerpunkten erreichen. Im Bereich von Bahnhöfen, Flughäfen und Häfen soll die Videoüberwachung durch die Polizei stärker genutzt werden. An solchen Orten wird nun wirklich nicht die Privatsphäre von Bürgern angegriffen.

Eine flächendeckende Videoüberwachung bleibt orwellianischer Wahnsinn und insofern ausgeschlossen.

(Beifall bei SPD, FDP und vereinzelt bei der CDU)

Trotz der launigen Bemerkung des Herrn Kollegen Wadephul weiß auch der Rendsburger Bürgermeister, Herr Breitner, als ehemaliger Polizeibeamter

sehr wohl, was Gefahrenabwehr ist. Er wird sich exakt in dem Rahmen bewegen, den unser Polizeirecht zulässt.

Aufgrund eines dritten Beschlusses der IMK sollen die zuständigen Arbeitskreise der Konferenz prüfen, in welchem Umfang im Ausländerrecht Problempunkte für die Gefahrenabwehr liegen und inwieweit wir es gegebenenfalls verbessern müssen. Schwerpunkte dieser Prüfung sollen insbesondere die Visaerteilung, finanzielle Aufenthaltsgarantien sowie Verfahren der Sicherheitsgespräche sein.

Angesichts des Wetteiferns im Vorwege um die markigsten Vorschläge verlief die IMK übrigens in einer weitgehend sachlichen Atmosphäre. Unsinnige Forderungen wie der Einsatz der Bundeswehr für polizeiliche Aufgaben im Innern, der flächendeckende Einsatz schwerbewaffneter Railmarshals im Schienenverkehr oder gar elektronische Fußfesseln für Menschen aus sogenannten Schurkenstaaten waren nicht Gegenstand der Debatte und werden auch nicht beschlossen.

(Beifall bei SPD und FDP)

Die aktuelle Gefährdungslage in Deutschland zwingt uns zum Handeln. Vieles von dem, was wir jetzt zu tun haben, lässt sich auf der Grundlage der bestehenden Gesetze erreichen. Vieles, aber wohl nicht alles lässt sich mit vorhandenem Personal schaffen. Wo wir den Sicherheitsbehörden weitere Befugnisse einräumen müssen, tun wir es mit Augenmaß sowie auf Bundesebene mit der Antiterrordatei in Schleswig-Holstein im Zuge der Novellierung des Polizeirechts und des Landesverwaltungsgesetzes.

Ob es insbesondere im Zusammenhang mit der Antiterrordatei im Lagezentrum zu einem weiteren Stellenbedarf kommt, wird in kurzer Zeit erkennbar sein. Dafür werde ich dem Parlament entsprechende Vorschläge machen. Kürzungen, wie sie der Rechnungshof vorgeschlagen hat, sind nun allerdings wirklich nicht möglich, meine sehr verehrten Damen und Herren.

Im Augenblick dominieren die Sicherheitsbehörden fast zwangsläufig alle Überlegungen zur Gefahrenabwehr. Das wird aber nicht reichen. Wer öffentliche Sicherheit will, muss für inneren Frieden, gesellschaftlichen Ausgleich und soziale Gerechtigkeit sorgen.

(Beifall bei SPD und FDP)

Wir müssen uns für eine Politik einsetzen, die dazu beiträgt, den Grundlagen des Terrorismus und seiner Sympathisanten den Boden zu entziehen, und zwar durch eine engagierte Entwicklungspolitik

(Minister Dr. Ralf Stegner)

und Außenpolitik, die internationale Krisenherde entschärfen helfen. Durch intensive internationale, wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit und durch eine vernünftige Integrationspolitik in Europa und in Deutschland muss das geschehen.

(Beifall bei SPD und FDP)

Schleswig-Holstein hat hierzu Leitlinien entwickelt, die in großen Teilen in die im Juli vom Bundesrat gefasste Entschließung zur Integration und Einbürgerung eingeflossen sind und deren Tenor mit den auf dem Integrationsgipfel beschlossenen Maßnahmen übereinstimmt.

Im Zentrum steht das Bild der Zweibahnstraße. Migrantinnen und Migranten müssen sich aktiv zur Demokratie und zu einer modernen Gesellschaft als gemeinsamer Grundlage des Miteinanders bekennen. Das Grundgesetz ist auch für Migranten verbindliche Grundlage des Lebens in der Bundesrepublik Deutschland.

(Beifall bei SPD, FDP und vereinzelt bei der CDU)

Dazu gehören neben der Glaubens- und Religionsfreiheit und der Gleichberechtigung von Männern und Frauen auch die Meinungs- und die Pressefreiheit. Wer Attentate mit dem sogenannten Karikaturenstreit legitimieren möchte, stellt sich außerhalb des Grundgesetzes. Unser Rechtsstaat gewährleistet Religionsfreiheit, setzt aber Extremisten deutliche Grenzen. Wer bei uns Freiräume für eine Binnengesellschaft nach islamistischem Politikverständnis schaffen will, will wesentliche Rechte der freiheitlich-demokratischen Grundordnung außer Kraft setzen. Dagegen werden wir uns konsequent zur Wehr setzen.

(Beifall bei SPD, CDU, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

So wie die Integrationspolitik nicht schwärmerisch und ohne Problembewusstsein betrieben werden sollte, gilt aber auch: Die Zweibahnstraße verlangt auch von uns Offenheit und aktives Handeln sowie den Verzicht auf billige Stammtischparolen.

(Beifall bei SPD und FDP)

Bildungs- und Innenministerium haben im letzten Jahr einen Dialog mit Vertreterinnen und Vertretern der türkischen Verbände und Vereine begonnen. Der Herr Ministerpräsident und ich haben im März 2006 mit Vertretern türkischer und islamischer Vereine sehr offen und konstruktiv gesprochen.

Nächsten Montag wollen der Landessportverband, die Sozialministerin und der Innenminister auf ei

nem Kongress zu Integration und Partizipation der Frage nachgehen, wie junge Migrantinnen und Migranten verstärkt zur Übernahme von Aufgaben in Vereinen und Verbänden motiviert werden können. Es geht auch um die Frage, was Organisationen tun können, um für junge Migrantinnen und Migranten attraktiver zu werden. In Deutschland wird mit dem bundesweiten Integrationsprogramm erstmals ein umfassendes strategisches Konzept im Sinne einer ganzheitlichen Integrationsförderung unter Einbeziehung der zentralen Akteure angestrebt. Ich bin sicher, dass wir damit auch die innere Sicherheit stärken. Zur Integrationspolitik gehört übrigens auch, den Ewiggestrigen, die mit ihren hirnlosen Ausländer-raus-Plakaten unser schönes Nachbarland Mecklenburg-Vorpommern zupflastern oder in Berlin die Wahlhelfer demokratischer Parteien überfallen, die Stirn zu bieten. Gesicht zu zeigen und demokratische Parteien zu wählen, ist auch hier die beste Antwort einer wehrhaften Demokratie.

(Beifall)

Wir alle sind froh, dass die Attentate auf die Regionalbahnen gescheitert sind, wobei wir - ehrlich gesagt - auch Glück hatten. Das gilt im Übrigen auch für den Einsatz in Kiel. So etwas kann auch schief gehen. Wir wissen, dass es keine absolute Sicherheit geben kann. Gleichwohl können wir uns in unserem Land sehr sicher fühlen. Das ist nicht zuletzt deshalb so, weil wir hochprofessionell arbeitende Polizisten und andere Sicherheitsbehörden haben. Deutschland ist immer noch eines der sichersten Länder der Welt. Die schleswig-holsteinische Landesregierung nimmt die Bedrohung der inneren Sicherheit durch den internationalen Terrorismus sehr ernst. Sie tritt für Verbesserungen ein, die die schleswig-holsteinischen Sicherheitsbehörden in die Lage versetzen, in enger Kooperation mit den Behörden des Bundes und der anderen Länder einen hochwertigen Beitrag zur Stärkung der inneren Sicherheit zu leisten, ohne die Rechte der Bürgerinnen und Bürger unverhältnismäßig einzuschränken. Die Regierung wird ihre ausgewogene Integrationspolitik fortsetzen, die einen wesentlichen Baustein des ganzheitlichen Präventionsansatzes bildet und somit hilft, dem Phänomen des internationalen Terrorismus langfristig den Nährboden zu entziehen. Es geht immer um das Spannungsfeld zwischen Freiheit und Sicherheit. Wir werden die Freiheit nicht dadurch sichern, dass wir sie beseitigen. Damit hätte der Terrorismus seine Ziele erreicht.

(Beifall bei SPD und FDP)

(Minister Dr. Ralf Stegner)

Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss: Willy Brandt hat in seinen Erinnerungen geschrieben: Wo die Freiheit nicht beizeiten verteidigt wird, ist sie nur mit dem Preis schrecklich großer Opfer zurückzugewinnen. Hierin liegt die Lehre des Jahrhunderts. Die anfangs angesprochenen Sicherheitsschleusen, durch die Sie gekommen sind, lassen sich situationsbedingt öffnen, sodass unnötige Wartezeiten verhindert werden. Dieser pragmatische Umgang mit Sicherheitsmaßnahmen sollte uns ein Vorbild dafür sein, wie wir auf terroristische Bedrohungen reagieren können, sodass wir nicht zulassen, dass die Angst den gesunden Menschenverstand ausschaltet. Wir alle sind aufgefordert, aufmerksam zu sein, ohne zu Denunzianten zu werden. Wir müssen offen, jedoch ohne falsch verstandene Toleranz sein. Wir müssen achtsam sein, ohne in Panik zu verfallen. Entschlossenheit und Besonnenheit schließen sich nicht aus. Das bleibt die Leitlinie dieser Landesregierung.

(Beifall)

Ich danke dem Herrn Minister für diese Erklärung. - Für die Opposition erteile ich dem Oppositionsführer, Herrn Abgeordneten Wolfgang Kubicki, das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrter Herr Innenminister, Ihre Regierungserklärung war wirklich erstaunlich. Vieles von dem, was Sie zum Thema Integration und Migration gesagt haben, kann ich so unterschreiben.

(Beifall bei der FDP)

Ebenso kann ich mich Ihren Ausführungen über die gelungene Zusammenarbeit der Behörden und über den hervorragenden Einsatz der ermittelnden Sicherheitsbehörden infolge der Attentatsversuche in Koblenz und Dortmund mit der Festnahme in Kiel vollständig anschließen. Darüber hinaus bin ich mit Ihnen einig darüber, dass wir ein Bundesverfassungsgericht haben, welches seine Arbeit hervorragend erledigt und immer denjenigen in den Arm fällt, die im Übereifer Überwachungsgesetze verabschieden, die den Boden der Verfassung verlassen. Schließlich habe ich Ihre Ausführungen über diejenigen, die den abwegigen Einsatz von Fußfesseln für sogenannte Hassprediger oder den Einsatz der Bundeswehr im Inneren fordern, mehr als wohlwollend registriert; das werden Sie verstehen. Es scheint fast so, als habe sich der Hardliner Stegner vom Saulus zum Paulus gewandelt. Ich kann Ihnen

auch im Namen meiner Fraktion eines versichern: Wenn Sie Ihre Rede zum Maßstab Ihrer künftigen Politik nehmen, dann können Sie mit der Unterstützung meiner Fraktion rechnen.

(Beifall bei der FDP)

Lassen Sie mich noch eines hinzufügen: Sie haben zutreffend gesagt, dass uns weder das Grundgesetz noch Karlsruhe am Kampf gegen den Terrorismus hindern. Auch die FDP, die in einigen Punkten mit Ihnen inhaltlich nicht einer Meinung ist, wird die Sicherheitsbehörden im Kampf gegen die Terroristen unterstützen.

Natürlich gibt es auch Aussagen in Ihrer Regierungserklärung, die nicht meine ungeteilte Zustimmung finden. Wen wundert dies? Es mag sein, dass der in Kiel festgenommene Attentäter aufgrund seiner Religionszugehörigkeit von der Rasterfahndung erfasst worden wäre. Seine Daten wären aber schnell wieder gelöscht worden, weil er sich bis zu seinem Attentatsversuch friedlich verhalten hat. Die Rasterfahndung hätte also auch hier den potenziellen Attentäter nicht ermitteln können. Die Attentatsversuche geschahen ja während der laufenden gesetzgeberischen Möglichkeiten der Rasterfahndung. Deshalb komme ich auch in der Frage der Notwendigkeit einer Entfristung der Rasterfahndung zu einer anderen Beurteilung als Sie. Die Entfristung hätte Ende 2005 auslaufen können. Das aber ist Schnee von gestern.