Protocol of the Session on September 14, 2006

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die heutige Sitzung und begrüße Sie alle sehr herzlich zumindest die, die hier sind. Ich hoffe, dass wir im Laufe der nächsten fünf Minuten etwas vollzähliger werden.

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, teile ich Ihnen mit, dass die Frau Abgeordnete Sandra Redmann erkrankt ist. - Wir wünschen unserer Kollegin von dieser Stelle gute Besserung.

(Beifall)

Beurlaubt sind Frau Abgeordnete Susanne Herold und Herr Abgeordneter Rolf Fischer. Wegen auswärtiger dienstlicher Verpflichtungen ist Frau Ministerin Erdsiek-Rave beurlaubt. Noch ist sie allerdings hier.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf der Besuchertribüne begrüße ich sehr herzlich Mitglieder des CDU-Ortsverbandes Erfte sowie des Nordfriesischen Vereins Husum und der Fortbildungsakademie der Wirtschaft, Kiel. - Herzlich willkommen!

(Beifall)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist mir eine Freude, Herrn Jürgen Koppelin auf der Tribüne zu begrüßen, der heute Geburtstag hat. - Herzlichen Glückwunsch!

(Beifall - Unruhe)

- Herr Koppelin, Sie sehen, wie groß die Freude über Ihren Geburtstag ist.

Ich begrüße auch die ehemaligen Kollegen und Abgeordneten des Schleswig-Holsteinischen Landtags, Claus Hopp und Joachim Behm. - Herzlich willkommen!

(Beifall)

Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf:

Regierungserklärung zur aktuellen Situation der inneren Sicherheit in Schleswig-Holstein und der Bundesrepublik

(Unruhe)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn etwas mehr Ruhe eintreten könnte.

Ich erteile das Wort für die Regierungserklärung zur aktuellen Situation der inneren Sicherheit in

Schleswig-Holstein und der Bundesrepublik dem Innenminister, Herrn Dr. Ralf Stegner.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete! Die Vereinzelungsschleusen, die Sie heute wieder auf dem Weg in den Landtag durchquert haben, sind auch eine Konsequenz der Anschläge vom 11. September 2001, deren Opfer wir anlässlich des fünften Jahrestages in dieser Woche gedacht haben. Diese Tat markiert eine neue und bis dato unvorstellbare Dimension des islamistischen Terrorismus. Wir müssen seitdem mit Terroranschlägen, die vorher und nachher durchaus in anderen Teilen der Welt stattfanden und stattfinden, überall - auch in unserem Land - rechnen und haben deshalb auch Konsequenzen gezogen.

Die glücklicherweise fehlgeschlagenen Bombenanschläge am 31. Juli 2006 auf Regionalzüge in Koblenz und Dortmund kennzeichnen einen weiteren Wendepunkt, der es rechtfertigt, dieses Thema zu einem Gegenstand der Parlamentsdebatte im Schleswig-Holsteinischen Landtag zu machen.

Anders als 2001 in den USA oder bei den Terroranschlägen von London oder Madrid ist Deutschland nicht mehr nur Logistik- oder Rückzugsort, sondern auch Tatort. Deutschland ist Teil des weltweiten Gefahrenraumes. Das war immer klar, aber diese fast schon banale Aussage ist nun bedrohlich konkret geworden.

Der Präsident des Bundeskriminalamtes, Ziercke, sieht die Spitze der akuten Gefährdungssituation mit den Fahndungs- und Ermittlungserfolgen zwar gekappt, hält die generell verschärfte Gefährdungslage in Deutschland aber nach wie vor für angespannt.

Wegen der Ermittlungshoheit von Generalbundesanwaltschaft und Bundeskriminalamt bitte ich um Verständnis dafür, dass ich die Geschehnisse nur kurz darstellen werde und auf Einzelheiten aus den hierzu anhängenden Ermittlungsverfahren nicht näher eingehen kann. Soweit es möglich war, habe ich die Kolleginnen und Kollegen des Innen- und Rechtsausschusses in nicht öffentlicher Sitzung informiert, und ich werde morgen mit den Mitgliedern der Parlamentarischen Kontrollkommission sprechen. Vieles ist Ihnen natürlich auch aus der öffentlichen Berichterstattung bekannt.

Was ist passiert? - Nach dem Hinweis eines libanesischen Sicherheitsdienstes, der am 18. August 2006 in den Abendstunden über das Bundeskriminalamt das Landeskriminalamt Schles

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wig-Holstein erreichte, ist es dem Landeskriminalamt in kürzester Zeit gelungen, eine Person zu ermitteln, von der zunächst nur Namensfragmente und ein persönlicher Bezug nach Kiel bekannt waren. Da weitere Informationen auf ein akutes Fluchtvorhaben hinwiesen, wurden sofort operative Maßnahmen der Polizei eingeleitet, die schließlich zur Festnahme eines der beiden Tatverdächtigen am frühen Morgen des 19. August 2006 auf dem Kieler Hauptbahnhof führten. Der zweite Tatverdächtige hat sich später im Libanon den dortigen Behörden gestellt. Schließlich wurde am 25. August 2006 in Konstanz ein syrischer Student festgenommen, der den in Kiel festgesetzten Libanesen bei den Tatvorbereitungen unterstützt haben soll.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, bei diesem überaus erfolgreichen Einsatz in Kiel wurden binnen Stundenfrist insgesamt über 300 Angehörige von Bundespolizei, Bundeskriminalamt, des hiesigen Amtes für Katastrophenschutz und der federführenden Landespolizei zusammen eingesetzt. Der Einsatz wurde von der Deutschen Bahn AG kooperativ unterstützt. Die maßgebliche Rolle der schleswig-holsteinischen Landespolizei am Einsatzerfolg wurde von der Generalbundesanwältin und vom Präsidenten des Bundeskriminalamtes mehrmals öffentlich betont und gelobt. Angedeutete Vorwürfe, die sich gegen unseren Verfassungsschutz richten, werden von den verantwortlichen Stellen und dem Kollegen Schäuble ausdrücklich nicht geteilt. Wir alle sollten an dieser Stelle allen Beteiligten für ihre hochprofessionelle Arbeit unseren Dank aussprechen.

(Beifall)

Neben der reibungslosen Zusammenarbeit hat dieser Einsatz in sehr eindrucksvoller Weise auch die Notwendigkeit der engen internationalen Zusammenarbeit untermauert. Dies gilt für SchleswigHolstein insbesondere für die Zusammenarbeit mit unseren Nachbarn im Ostseeraum. In diesem Zusammenhang bedauere ich, dass ich eine geplante Reise ins Baltikum zur Unterzeichnung entsprechender Abkommen aufgrund der Ereignisse kurzfristig absagen musste. Ich werde das im Mai 2007 nachholen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben nach den Anschlägen in den USA auch in Schleswig-Holstein neue Sicherheitspakete auf den Weg gebracht. Für den polizeilichen Aufgabenvollzug sind zusätzlich 115 neue Stellen geschaffen worden. Andere, die Stellen abgebaut haben, rufen jetzt nach der Bundeswehr zur Erledigung von polizeilichen Aufgaben. Das ist ebenso falsch wie der

Weg, Amateurpolizisten mit solchen Aufgaben zu betrauen.

(Beifall bei SPD, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Die Bürgerinnen und Bürger erwarten allerdings zu Recht von der Politik, dass wir alles tun, was möglich und nötig ist, um die innere Sicherheit zu gewährleisten. Lassen Sie mich anlässlich der neuen Lage in Deutschland die vorgesehenen und bereits umgesetzten Maßnahmen bewerten.

Erstens. Wir hatten durch eine befristete gesetzliche Regelung eine Beteiligung an einer bundesweiten Rasterfahndung ermöglicht. Der Kieler Tatverdächtige wäre nach den Kriterien von damals in einem solchen Raster aufgefallen. Die aktuellen Ereignisse in Deutschland bestätigen daher, dass die Entfristung richtig war und Schleswig-Holstein hier keinen Sonderweg unter den 16 Ländern einnimmt, der geradezu wie eine Einladung an sogenannte Schläfer gewertet werden müsste.

Sofern die Strafverfolgungsbehörden bei den aktuellen Ermittlungen geeignete Kriterien zu Tage fördern, könnte eine neue bundesweite Rasterfahndung sinnvoll sein. Dabei geht es um die unterschiedlichen Möglichkeiten, wonach der Erfolg einer Rasterfahndung heißt, dass entweder jemand nach monatelanger Fahndung gefunden wird; dass sich durch die Diskussion darüber entsprechende Akteure aus Deutschland absetzen - was auch kein Schaden wäre -, oder dass sich durch die Bewegung aufgrund der Maßnahmen wie bei der letzten erfolgreichen groß angelegten Videobildfahndung Erkenntnisse für Polizei und Dienste ergeben.

Gerade weil wir nichts über die Menschen wissen und unauffällige Personen weder überwachen können noch wollen, aber herausfinden wollen, ob es Strukturen gibt oder nicht - die Frage nach einer Terrorzelle in Kiel wurde ja mehrmals öffentlich gestellt -, könnte eine Rasterfahndung, die den strengen Kriterien des Bundesverfassungsgerichts entspricht, sinnvoll und allemal besser sein als der ständige Ruf nach neuen und schärferen Gesetzen.

Zweitens. Auch die Zusammenarbeit der betroffenen Behörden in Schleswig-Holstein wurde intensiviert. Vertreter von Behörden der Justiz sowie von Verfassungsschutz und Polizei tauschen sich in einer fest vereinbarten Regelmäßigkeit aus. Die Ausländerbehörden sind nach Maßgabe eines Kriterienkatalogs verpflichtet, in bestimmten Fällen vor Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltsgenehmigung eine Sicherheitsanfrage bei den Behörden durchzuführen. Die Zusammenarbeit hat sich sehr positiv entwickelt.

Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 38. Sitzung - Donnerstag, 14. September 2006 2663

(Minister Dr. Ralf Stegner)

Drittens. Auch bei Einbürgerungen haben sicherheitsrelevante Standards ein deutlich stärkeres Gewicht bekommen. Im Einbürgerungsverfahren ist die Regelanfrage beim Verfassungsschutz erst angewendet und schließlich im Zuwanderungsgesetz verankert worden. Die vom Bundesrat beschlossenen bundeseinheitlichen Einbürgerungsstandards sehen Verschärfungen im Bereich der Sicherheitsüberprüfung vor und werden die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verbessern.

Viertens. Mitarbeiter des Landeskriminalamts und der Verfassungsschutzabteilung konnten durch eine frühzeitige Entsendung in das beim BKA neu eingerichtete gemeinsame Terrorabwehrzentrum in Berlin eng in die Informationsflüsse der gesamten deutschen Sicherheitsarchitektur eingebunden werden. Dies hat die Zusammenarbeit erleichtert.

Fünftens. In Anlehnung an Initiativen auf Bundesebene prüfen Landespolizei und Verfassungsschutz konkrete Projekte zur Initiierung vertrauensbildender Maßnahmen zwischen muslimischen Institutionen und den Sicherheitsbehörden.

Sechstens. Schleswig-Holstein hat als eines der ersten Bundesländer die internationalen Standards der Hafenanlagensicherheit erfüllt. Für insgesamt 78 Hafenanlagen sind von der Behörde für Anlagensicherheit beim Landespolizeiamt Risiko- und Anfälligkeitsanalysen vorgenommen worden, auf deren Grundlage die Hafenanlagenbetreiber Gefahrenabwehrpläne entwickelt haben. Alle Abwehrpläne sind inzwischen behördlich zertifiziert worden. Absolute Sicherheit kann es auch hier nicht geben. Aber unverständlich ist mir vor diesem Hintergrund schon, dass einige Medien den fälschlichen Eindruck erwecken, dass unsere Seehäfen völlig ungeschützt seien.

Siebtens. Nach den Anschlägen im Juli des vergangenen Jahres in London hat die Landespolizei eine spezielle Sensibilisierungskampagne für die Betreiber des öffentlichen Personennahverkehrs in Schleswig-Holstein durchgeführt. Die Luftsicherheit an den Flughäfen in Schleswig-Holstein wurde im Zusammenwirken mit der Bundespolizei intensiviert. Ich habe mir das vor wenigen Tagen in Lübeck angesehen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie sehen, dass wir eine ganze Reihe von Maßnahmen umgesetzt haben. Sie haben sich als sinnvoll erwiesen. Dennoch konnten all diese Maßnahmen den konkreten Attentatsversuch, der ja in Teilen womöglich direkt vor unserer Haustür vorbereitet wurde, nicht rechtzeitig verhindern. Wir haben auch einfach Glück gehabt.

Wie hoch die Gefährdungslage auch immer ist und wie gut der Instrumentenkasten unserer Sicherheitsbehörden auch bestückt sein mag, wir können und wollen nicht alles wissen, wir können und wollen nicht jeden immer überwachen.

(Beifall bei SPD und FDP)

Klar ist auch, dass sich mancher, der jetzt behauptet, man hätte alles Mögliche hören oder wissen müssen, vielleicht besser an die zuständigen Stellen hätte wenden sollen. Wir leben schließlich in einer Demokratie.

Die Tatverdächtigen sind nach allem, was wir jetzt wissen, im Gegensatz zu den Attentätern der Anschläge von London im Juli 2005 keine Angehörigen sogenannter Home grown Networks. Es sind keine in Deutschland aufgewachsenen Personen der zweiten beziehungsweise folgender Einwanderergenerationen. Vielmehr hielten sie sich erst kurze Zeit in Deutschland auf und sind womöglich erst hier radikalisiert worden, sodass es für deutsche Behörden schwer war, auf die gefährliche Radikalisierung der Terrorverdächtigen aufmerksam zu werden. Die Teilnahme von bislang Unbekannten an einer völlig friedlichen Demonstration in Kiel ist ungeachtet von Bildern des Fernsehens kein solcher verwertbarer Hinweis.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Sehr richtig!)

Im Gegenteil, solange den Sicherheitsbehörden keine konkreten Hinweise vorliegen - solche wurden ja leider nicht gemeldet -, können und werden wir gegen diese Menschen nicht exekutiv oder operativ vorgehen.

Nicht der Islam als Religion, sondern lediglich der Islamismus als politische und gesellschaftliche Ideologie wird durch den Verfassungsschutz beobachtet.