Meine Damen und Herren! Ich eröffne unsere heutige Sitzung und begrüße Sie alle sehr herzlich. Erkrankt sind Frau Abgeordnete Schlosser-Keichel und Frau Ministerin Dr. Trauernicht. - Ich wünsche den Kolleginnen von dieser Stelle aus gute Besserung.
Beurlaubt sind die Abgeordneten Ingrid Franzen und Klaus Müller. Wegen auswärtiger dienstlicher Verpflichtungen sind ebenfalls beurlaubt Herr Ministerpräsident Carstensen, Frau Ministerin Erdsiek-Rave, die Herren Minister Austermann, Döring und Wiegard sowie zunächst noch Herr Minister Dr. von Boetticher.
Meine Damen und Herren, auf der Tribüne begrüße ich sehr herzlich Schülerinnen und Schüler der Theodor-Mommsen-Schule aus Bad Oldesloe mit ihren Lehrerinnen und Lehrern sowie Teilnehmer eines Kurses der Firma New Start aus Rendsburg. Seien Sie uns alle sehr herzlich willkommen!
Die Regierung ist durch Herrn Minister Dr. Stegner vertreten, aber vielleicht besteht die Chance, dass auch einige Staatssekretäre demnächst noch erscheinen. - Wir treten jetzt in die Tagesordnung ein.
Erste Lesung des Entwurfs eines Gesetzes über die Wahlen in den Gemeinden und Kreisen in Schleswig-Holstein (Gemeinde- und Kreiswahl- gesetz - GKWG)
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist ersichtlich nicht der Fall. Dann eröffne ich die Grundsatzberatung. Das Wort hat Herr Abgeordneter Karl-Martin Hentschel.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf schlagen wir eine umfassende Modernisierung unseres kommunalen Wahlrechts vor. Dabei haben wir nichts Neues erfunden, sondern uns an dem orientiert, was sich anderenorts bereits bewährt hat.
Zunächst zur Einführung des Panaschierens und des Kumulierens. Dieses Wahlverfahren ermöglicht den Bürgerinnen und Bürgern, mehr Einfluss darauf zu nehmen, welche Kandidatin oder welcher Kandidat einer Partei gewählt wird. Zurzeit ist es so, dass ein großer Teil der gewählten Vertreterinnen und Vertreter bereits vor dem Wahlgang feststeht, weil er vorn auf den Listen steht. Die zukünftige Regelung bedeutet, dass Bürgerinnen und Bürger einzelne Kandidaten ankreuzen können und damit die Möglichkeit haben, auch Kandidaten, die weit hinten auf der Liste stehen, quasi nach vorn zu wählen. Die teilweise von Kritikern geäußerte Meinung, dass dieses Verfahren zu kompliziert sei, trifft nicht zu. Die Zahl der ungültigen Stimmen bei diesem Wahlverfahren liegt nach einer wissenschaftlichen Untersuchung nur ganz unwesentlich höher, als wenn man nur Parteien wählen darf.
Unser Vorschlag sieht auch vor, dass - wie im herkömmlichen Verfahren auch - Städte und Gemeinden aus mehreren Wahlbezirken bestehen, sodass die gewählten Vertreterinnen und Vertreter jeweils aus dem Wahlkreis kommen können, den sie vertreten. Mittlerweile wurde dieses Verfahren bereits in elf Bundesländern eingeführt und erfreut sich wachsender Beliebtheit. Bei der letzten Kommunalwahl in Baden-Württemberg haben 90 % aller Wählerinnen und Wähler von den Möglichkeiten der Wahl einzelner Kandidaten, des Kumulierens und Panaschierens, Gebrauch gemacht.
(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Anette Langner [SPD]: Wie ist die Wahlbe- teiligung? - Dr. Heiner Garg [FDP]: Besser als in Schleswig-Holstein, Frau Kollegin!)
Die zweite wesentliche Änderung betrifft die Abschaffung der Fünfprozentklausel. In verfassungsgerichtlichen Entscheidungen wurde in mehreren Bundesländern festgestellt, dass diese Klausel bei Kommunalwahlen eine unnötige Einschränkung der Chancengleichheit bedeutet. Mittlerweile gibt es diese Klausel nur noch in drei von 13 Flächenländern.
Ebenso geboten ist die dritte Neuerung: Die Ablösung des Zuteilungsverfahrens nach d’Hondt durch das Verfahren nach Sainte-Laguë/Schepers. Das bisherige Verfahren hat kleine Parteien und Wählergemeinschaften erheblich benachteiligt. Deshalb wurde das d’Hondt-Verfahren bereits in zehn Bundesländern abgelöst. Auch der Bundeswahlleiter kam in einer Studie 1999 zu dem Fazit, dass das Verfahren Sainte-Laguë/Schepers den anderen Verfahren vorzuziehen ist, da es das Stimmergebnis am besten in die Mandatszahl abbildet.
Zuletzt hat der Landtag Baden-Württemberg Anfang dieses Jahres das d’Hondt-Verfahren durch das Verfahren Sainte-Laguë/Schepers abgelöst.
Die vierte Neuerung betrifft die Einführung von Listenverbindungen. Dies hat insbesondere Bedeutung für kleine Gemeinden, in denen es zurzeit bis zu über 15 % der Stimmen bedarf, bevor eine Liste überhaupt ein erstes Mandat erringt. Bleiben mehrere Listen unter diesem Quorum, dann kann es passieren, dass die Hälfte aller Wählerinnen und Wähler gar nicht im Parlament vertreten ist. Durch die Einführung der Listenverbindungen können Listen verbunden werden. Dann gehen die Stimmen von Parteien und Wählergemeinschaften, die nicht genug Stimmen für das erste Mandat gewonnen haben, nicht verloren, sondern sie können auf eine andere Liste übertragen werden.
Mit der fünften Neuerung schaffen wir eine gesetzliche Grundlage für Blindenschablonen. Damit wird abgesichert, dass sehbehinderte Menschen nicht mehr wie bisher durch eine Vertrauensperson wählen müssen, sondern in Zukunft selbstständig ihre Stimme abgeben können.
Die letzte Neuerung, die wir vorschlagen, habe ich aus dem Kommunalwahlgesetz von Baden-Württemberg abgeschrieben. Dort werden Gemeindevertreterinnen und Gemeindevertreter, die ihr Mandat niederlegen oder Kandidaten und Kandidatinnen die ihr Mandat nicht annehmen, auf die Reserveliste ihrer Partei gesetzt und sind dann der erste Nachrücker oder die erste Nachrückerin.
Das hat besondere Bedeutung in der heutigen Zeit, wo viele Menschen beruflich sehr eingespannt sind, oder auch, wenn Eltern Kinder bekommen und eine Kinderpause wünschen und zeitweise nicht in der Lage sind, sich der intensiven ehrenamtlichen Kommunalpolitik zu widmen. Das führt regelmäßig dazu, dass sich die entsprechenden Vertreter und Vertreterinnen aus dem Kommunalparlament zurückziehen oder gar nicht erst kandidierten, wenn sie das absehen können und sagen: Ich kann mir das
nicht leisten. Das führt zunehmend zu einer Überalterung unserer Kommunalparlamente. Es gibt schon Kommunalparlamente, die fast zur Mehrheit aus Rentnern bestehen. Deswegen glaube ich, dass es sehr sinnvoll ist, es gerade diesen Menschen in der aktiven Lebensphase zu erleichtern, in der Kommunalpolitik mitzumachen. Durch das neue Verfahren können sie eine Pause einlegen, beim Rücktritt eines weiteren Kandidaten wieder in das Kommunalparlament zurückkehren und damit ihre Arbeit fortsetzen.
Damit ist das Argument: „Ich kann nicht die ganzen fünf Jahre garantieren!“, das heute existiert, vom Tisch. Das ist ein wesentlicher Fortschritt, gerade in der heutigen Situation.
Ich bin sehr gespannt, wie die beiden Regierungsfraktionen auf diesen Gesetzesvorschlag reagieren werden. Schalten sie auch diesmal auf stur und lehnen alles ab, weil die Idee nicht von ihnen selbst kommt?
Erklären sie alles für Blödsinn, was ihre Parteikollegen und kolleginnen in anderen Ländern schon längst für sinnvoll erachtet haben,
Ich finde, die Erreichung des Ziels, Kommunalwahlen für die Wählerinnen und Wähler interessanter und attraktiver zu machen, sollte ein gemeinsames Anliegen sein. Dann können wir uns auch sachlich über die Vorteile der einen oder anderen Regelung unterhalten. Ich freue mich auf die Diskussion im Innen- und Rechtsausschuss.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit schöner Regelmäßigkeit erweist sich die Änderung des Kommunalwahlrechts als echter grüner Dauerbrenner, der in jeder Wahlperiode wieder auftaucht.
In den vergangenen Wahlperioden kam das Thema jedoch nicht durch einen Gesetzentwurf wieder auf den Tisch - ich muss sagen, dass ich der Fleißarbeit durchaus meine Hochachtung zolle -, sondern durch entsprechende Initiativen in den rot-grünen Koalitionsverhandlungen. Mit ihren Eckpunkten, nämlich der Abschaffung der Fünfprozenthürde und der Einführung des Kumulierens und Panaschierens, sind die Grünen allerdings stets an ihrem damaligen Koalitionspartner gescheitert.
Trotzdem wurde in der letzten Wahlperiode im Rahmen des Sonderausschusses zur Fortschreibung des kommunalen Verfassungsrechtes auf Initiative der FDP-Fraktion sehr breit über diese Fragen diskutiert. Besonderen Raum nahm dabei die Frage der Abschaffung der Fünfprozenthürde ein. Diese Sperrklausel ist umstritten, seit es sie gibt. Denn sie führt dazu, dass Zählwert und Erfolgswert bei demokratischen Wahlen auseinander fallen. Daher hat sich mit dieser Frage auch wiederholt das Bundesverfassungsgericht befassen müssen. Die daraus entstandene ständige Rechtsprechung ist jedoch eindeutig.
Eine Sperrklausel bedarf einer Rechtfertigung in der Form, dass die politische Handlungsfähigkeit der parlamentarischen Gremien gesichert wird. Im Falle der Kommunen ist dies die Sicherstellung der Handlungsfähigkeit der demokratisch legitimierten kommunalen Vertretungskörperschaften und der Verwaltungen.
Was zur Erreichung dieses Zieles erforderlich ist, kann in einem gewissen Rahmen vom Gesetzgeber entschieden werden. Die Vorschriften des Gemeinde- und Kreiswahlgesetzes wurden vor diesem Hintergrund stets als verfassungskonform eingestuft.
Auf Bundesebene und auf der Landesebene Schleswig-Holsteins wird die Sinnhaftigkeit einer Sperrklausel auch nur von wenigen in Zweifel gezogen. Sie stellt die Handlungsfähigkeit des Parlaments sicher, indem sie vor einer Zersplitterung in Partikularinteressen schützt. Dieses gilt nach meiner Erfahrung sowohl als Kommunal- wie auch als Landes