Protocol of the Session on May 3, 2006

(Dr. Heiner Garg)

che Integrationsmaßnahmen sind für die nach Schleswig-Holstein ziehenden Migrantengruppen die passenden?

Natürlich ist es möglich, Migrationsforschung einfach nur als Forschung abzutun. Vor dem Hintergrund der knappen öffentlichen Ressourcen sowie der zentralen Frage, wie wir in der Integrationspolitik überhaupt weiterkommen, geht aber kein Weg daran vorbei, konkreter zu werden. Das bisherige Integrationskonzept des Landes gibt aus Sicht des SSW ja schon einige Fragestellungen vor. Erst wenn wir genauer darüber informiert sind, mit welchen Gruppen von Migranten wir es in den kommenden Jahren zu tun haben werden, wird es, lieber Herr Kollege Weber, möglich sein, maßgeschneiderte Angebote zum Beispiel in Richtung Sprachförderung, Gesundheitsförderung und berufliche Qualifizierung vorzuhalten.

Zu den entscheidenden Fragen werden auch in den kommenden Jahren die Fragestellungen gehören, die mit der Integration von Migrantinnen und Migranten in den Arbeitsmarkt zu tun haben. Zum einen geht es dabei um die Stellung der Migrantinnen und Migranten und ihrer Nachkommen auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Zum anderen nimmt die Migrationsforschung, übergeordnet betrachtet, insgesamt die Auswirkungen von Arbeitsmigration auf Arbeitsmärkte und Lohnstrukturen der so genannten Zielländer in den Blick.

Dass mit Forschungsergebnissen, gerade wenn es um das Spannungsfeld von Migranten und Arbeitsmarkt geht, auch Ängste und Schreckensbilder abgebaut werden können, zeigen die Diskussionen, die über das Zuwanderungsgesetz geführt wurden. Mithilfe der Migrationsforschung lässt sich unter anderem belegen, dass der Einfluss von Migrantinnen und Migranten auf Arbeitsmärkte und Lohnstrukturen in der politischen Auseinandersetzung oftmals überschätzt wird. Andererseits belegt diese Forschung aber auch, dass der Verbesserung der Bildungs- und Ausbildungssituation eine zentrale Rolle in jedem integrationspolitischen Konzept zukommt. Das ist Dreh- und Angelpunkt eines jeden Konzepts. Für den SSW heißt dies im Umkehrschluss, alle Migrantinnen und Migranten als das anzusehen, was sie sind: nicht Gäste in unserem Land, sondern Neubürger. Unter diesem Gesichtspunkt wird, wie ich denke, im Ausschuss noch viel zu tun und zu fragen sein.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Ich danke der Frau Abgeordneten Spoorendonk. Für die Landesregierung erteile ich Herrn Innenminister Dr. Stegner das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe Ihnen genau zugehört. Bei allem Respekt - ich akzeptiere Kritik an unserer Arbeit wirklich immer - muss ich Ihnen aber Folgendes sagen. Wir sind keine Universität und wir sind auch kein Forschungsinstitut. Unsere Regierung arbeitet in der Tat auf der Basis der neuesten Erkenntnisse. Wir haben hoch qualifizierte Mitarbeiter. Ein Beleg dafür ist übrigens, dass sie ständig auf irgendwelchen Kongressen oder sonstwo nachgefragt werden. Ein weiterer Beleg ist, dass das Integrationskonzept, von dem ich mir wünsche, dass wir darüber in den Ausschüssen diskutieren, das einzige Integrationskonzept ist, das in der Bundesrepublik von irgendeiner Landesregierung vorgelegt wurde.

Fragen hinsichtlich dessen, welches Material es in unseren Bücherschränken gibt und auf welchen Kongressen wir gerade gewesen sind - und damit über das hinausgehend, was wir Ihnen in Bezug auf das angeboten haben, was es an Instituten gibt -, können, wie ich mir vorstellen kann, wichtige Fragen sein. Angesichts der Kapazitäten, die wir haben, dachte ich aber eigentlich, dass die Debatte zu den beiden Tagesordnungspunkten vorher gezeigt hätte, dass wir über die Inhalte reden wollen. Diese sind auch gar nicht sehr kritisiert worden.

Bei aller Neigung, dass wir Forschungsarbeiten vorlegen sollten, bleibt zu sagen: Wir haben nicht besonders viel Kapazitäten. Wir versuchen uns mit dem, was wir haben, immer am aktuellsten Stand zu orientieren. Die Fragen müssen beantwortet werden. Deswegen muss ich ehrlich sagen, dass ich mit Ihrer Kritik nicht sehr viel anfangen kann, auch wenn ich Ihnen bezüglich Ihres Berichtsantrages damit eine Enttäuschung bereite. Ich wünschte mir sehr, dass wir über die Inhalte reden. Wenn Sie in dieser Hinsicht Defizite sehen, werden wir an Verbesserungen arbeiten. Sie sollten uns aber nicht so sehr danach fragen, wie wir jeweils zu den Erkenntnissen gekommen sind. Es ist sehr mühselig, das jeweils darzulegen. Ich glaube, es ist spannender, sich mit dem Inhalt der Politik auseinander zu setzen.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU)

(Anke Spoorendonk)

Ich danke Herrn Minister Stegner. - Zu einem Dreiminutenbeitrag erteile ich der Frau Abgeordneten Anne Lütkes das Wort.

Frau Präsidentin! Herr Innenminister, nur eine kurze Bemerkung. Es ging mir wahrlich nicht darum, zu erfahren, welche Bücherschränke mit welchem Inhalt im Innenministerium möglicherweise verstauben. Das mag dahingestellt sein. Mich interessiert hinsichtlich der Fortschreibung des Integrationskonzeptes - Ihre Eckpunkte in allen Ehren; sie sind sicher der Diskussion wert - aber Folgendes: In der Debatte kommt es auch auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse über das Zusammenleben an. Ich will nur ein Beispiel nennen, nämlich das der häuslichen Gewalt und des häuslichen Zusammenlebens. Welche wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Gestaltung der Alltäglichkeit in Muslimhaushalten haben Sie denn, wenn Sie über Integration reden? Welche Erkenntnisse haben Sie denn, wenn es um die Praxis im Familienalltag geht? Welche Erkenntnisse haben wir denn über das alltägliche Verhältnis zwischen Scharia einerseits und - groß geschrieben - Menschenrechten beziehungsweise - klein geschrieben - bürgerlichen Familienrechten in der Bundesrepublik Deutschland andererseits? Diese Fragestellung halte ich für eine inhaltliche Herausforderung für die Landesregierung. Ich lasse mir nicht sagen, dass wir hier, um ein Wort aus dem Plenum aufzugreifen, Beschäftigungstherapie für die Landesregierung betreiben. Dazu habe ich nun wahrlich keine Lust. Daran habe ich wahrlich kein Interesse. Ich habe in der Tat Besseres zu tun.

Es geht um Inhalte und um Erkenntnisse. Wissenschaftliche Erkenntnisse im wohlverstandenen Sinne können helfen und sind kein Selbstzweck.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zu einem weiteren Dreiminutenbeitrag erteile ich Herrn Abgeordneten Jürgen Weber das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kollegin Lütkes, es war, finde ich, sehr hilfreich, dass Sie mit Ihrem Wortbeitrag noch einmal deutlich gemacht haben, was ich bei meinem Zwischenruf unterstellt habe. Sie möchten eine Auflistung aller Forschungsergebnisse zu allen möglichen Themenbereichen haben. Sie

haben ein Beispiel genannt. Der Herr Minister oder das Innenministerium hätte sich die Antwort auf die Frage, auf welche Forschungsergebnisse man sich bei der Konzipierung der Arbeit beruft, viel einfacher machen können und auch viel kürzer antworten können, als es getan wurde. Der Innenminister hätte sich hinstellen und sagen können: auf alle.

Es wäre sehr leichtfertig, Forschungsergebnisse nicht zur Kenntnis nehmen zu wollen. Natürlich werden alle Forschungsergebnisse zur Kenntnis genommen, wenn man über die Frage nachdenkt, welche Politik daraus entwickelt werden soll. Wenn Sie allerdings der Auffassung sind, dass man aus der Vielfalt dessen, was wissenschaftlich in verschiedenen Bereichen erarbeitet wird, den einen oder anderen Satz herausziehen und sagen kann, dieser oder jener Satz ist für uns relevant oder auch weniger relevant, und wenn Sie das mit Ihrem Antrag vorhatten, bleibe ich dabei und sage, dass dies in der Tat Beschäftigungstherapie für das Ministerium gewesen wäre.

Da ich Ihnen dies aber nicht unterstelle, sage ich ganz einfach: Es ist hilfreich und sinnvoll, sich mit den Ergebnissen der Umsetzung zu befassen und nicht zu erwarten, dass hier ein umfassendes Bild in Bezug auf alle Forschungsergebnisse vermittelt wird. Bei einem solchen Ansatz könnten Sie sich im Übrigen auch keinesfalls auf die nationale Forschung beschränken. Sie müssten dies vielmehr zumindest auf die europäische Forschung zu Migrationsfragen ausweiten, denn in diesem Bereich werden Kenntnisse erarbeitet, die auch für uns hilfreich sein können. Insofern ist meines Erachtens auf unpräzise Fragen eines Antrages eine präzisere Antwort des Ministeriums nicht zu erwarten. Wir sind auf jeden Fall mit der Antwort im Kern zufrieden.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Weber. - Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung.

Es ist beantragt worden, den Bericht der Landesregierung Drucksache 16/719 dem Innenund Rechtsausschuss zur abschließenden Beratung zu überweisen. Wer so beschließen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Es ist so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 8 auf:

Aufhebung der Pflicht zur äußeren Differenzierung in der neuen Vereinbarung der Kultusministerkonferenz (KMK) zum Sekundarbereich I

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/708

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.

Ich eröffne die Aussprache und erteile Herrn Abgeordneten Karl-Martin Hentschel das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn ich den Koalitionsvertrag in Schleswig-Holstein richtig gelesen habe, dann ist es so, dass ein neuer Schultyp eingeführt werden soll. Dieser Schultyp heißt Gemeinschaftsschule. Wenn ich die Ministerin richtig verstanden habe, sollen Kinder mit unterschiedlicher Schulempfehlung bis zur 10. Klasse gemeinsam unterrichtet werden können. Die äußerliche Differenzierung in Klassen und Kurse soll womöglich durch eine innere Differenzierung ersetzt werden - so, wie es in den meisten Ländern der Welt der Fall ist.

Dieses Vorhaben unterstützt meine Fraktion außerordentlich. Denn alle wissenschaftlichen Studien der letzten Jahre sind sich in dem einen Punkt einig: Die frühe Trennung der Kinder führt dazu, dass der Erfolg der Kinder überwiegend vom sozialen Status der Eltern abhängt, nicht aber von ihren Fähigkeiten.

Nach dem Ende der Grundschulzeit sind die Auswirkungen der sozialen Herkunft auf die Schulleistungen noch im internationalen Mittelfeld. Mit 15 Jahren ist Deutschland beim Thema Chancengleichheit auf dem letzten Platz aller OECD-Staaten hinter Brasilien, Mexiko und den USA.

(Zuruf von der CDU: Woher wissen Sie das?)

Wir kommen jetzt dazu, was in der Kultusministerkonferenz stattfindet. Diese unsinnige Trennung und die Vorschrift, dass auch in Gesamtschulen Kurse mit unterschiedlichem Niveau stattfinden müssen, ist zurzeit in einer Vereinbarung der Kultusministerkonferenz in mindestens vier Fächern vorgeschrieben, schrittweise beginnend ab dem 7. Schuljahr. Ausnahmen sind nur in Modellversuchen möglich.

Wenn in Schleswig-Holstein eine Schule das erfolgreiche finnische Modell nachahmen will - dafür haben sich mehrere beworben -, darf sie das nicht.

Wenn diese Schule das macht, riskiert sie, dass die Abschlüsse in anderen Bundesländern anerkannt werden.

(Zuruf: Nicht anerkannt werden!)

- Sie riskiert, dass sie anerkannt werden.

(Zuruf: Nicht anerkannt werden!)

- Dass sie nicht anerkannt werden! Richtig. Gut, dass Sie aufgepasst haben. - Danke. Deshalb tritt meine Fraktion dafür ein, dass die KMK-Vereinbarung geändert wird.

Nun komme ich zu den Ereignissen vom 16./17. März. Am 16./17. März hat der Schulausschuss der Kultusministerkonferenz in Bonn zu diesem Thema getagt. Dabei lagen zu dem umstrittenen Thema zwei Varianten vor. Die Variante 1 sagt: In Zukunft brauchen keine Kurse mit unterschiedlichem Leistungsniveau zu existieren, in Zukunft kann die innere Differenzierung stattfinden. Die Variante 2 sagt: Es bleibt wie bisher, es muss eine äußere Differenzierung vorhanden sein.

Interessant ist, wie sich die einzelnen Bundesländer dazu verhalten haben. Ich hätte erwartet, dass sich Schleswig-Holstein klar für die erste Variante entscheidet und endlich die Voraussetzungen dafür schafft, dass Gemeinschaftsschulen möglich sind. Tatsächlich haben sich für die erste Variante klar nur die SPD-geführten Länder Bremen, RheinlandPfalz, Mecklenburg-Vorpommern und erstaunlicherweise die beiden unionsgeführten Länder Bayern und Hamburg ausgesprochen. Bayern ist also bereit, eine innere Differenzierung einzuführen. Bei der Probeabstimmung haben sich Hessen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen als die Hardliner des gegliederten Schulsystems aufgeführt.

Nun fragen Sie mich sicherlich, wie sich Schleswig-Holstein aufgeführt hat. Schleswig-Holstein der Ministerialrat, der Schleswig-Holstein vertreten hat - hat nach dem Protokoll, das mir vorliegt, bei den getrennten Probeabstimmungen über die beiden Varianten mit Ja gestimmt. Das bedeutet, der Vertreter hat auch für die Variante gestimmt, die die Gemeinschaftsschule unmöglich macht.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Das ist genial!)

Wenn sich diese Variante durchsetzt, kann Schleswig-Holstein die Gemeinschaftsschule knicken.

Wir haben den vorliegenden Antrag gestellt, damit wir Klarheit bekommen, was die Regierungsfraktionen hier eigentlich wollen. Sie müssen die Frage beantworten: Gilt der Koalitionsvertrag in dieser Frage in Schleswig-Holstein oder gilt er nicht? Ist Schleswig-Holstein für die Variante 1 oder für die

(Vizepräsidentin Frauke Tengler)

Variante 2? Die Entscheidung ist einfach. Wer an dieser Stelle für den Koalitionsvertrag der großen Koalition ist, stimmt unserem Antrag zu. Wer dagegen ist, braucht dem nicht zuzustimmen.

Da die abschließende Entscheidung im Juli stattfindet und die nächste Bildungsausschusssitzung ausfällt, weil wir im Mai mit dem Bildungsausschuss eine Reise nach Dresden unternehmen, um eine Gemeinschaftsschule zu besuchen, die dort auf Intention der SPD eingerichtet worden ist, muss die Entscheidung heute fallen. Bereits im Juni entscheidet die Kultusministerkonferenz. Also: Entscheiden Sie sich, meine Damen und Herren von der großen Koalition!

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)