Protocol of the Session on March 22, 2006

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug und erteile für die SPD-Fraktion dem Herrn Abgeordneten Rolf Fischer das Wort. Gleichzeitig bedanke ich mich für die kooperative Flexibilität bei der Worterteilung.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Das Präsidium legt die Worterteilung fest!)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zu Beginn schlagwortartig drei Gründe nennen, aus denen wir für eine Verankerung des Minderheitenschutzes im Grundgesetz sind.

Erstens. Es gibt seit 1999 eine neue europapolitische Qualität. Die nationalen Regierungen sind aufgefordert zu agieren.

Zweitens. Wir glauben, dass deutlich gemacht werden muss, dass die Frage des Schutzes und der Förderung von nationalen Minderheiten und Volksgruppen eben nicht nur eine Aufgabe der Landesparlamente ist, sondern eine nationale Aufgabe ist, eine Aufgabe der Bundesrepublik an sich. Das sind ja nicht die Minderheiten aus SchleswigHolstein, sondern das sind die Minderheiten der Bundesrepublik.

(Anke Spoorendonk [SSW]: Genau!)

Drittens. Deswegen ist es nötig, die - wenn ich das so nennen darf - Verfassungslücke zwischen den europäischen Standards und den Landesverfassungen auch auf Bundesebene zu schließen. Das würde dafür sprechen, einen solchen Artikel - im Übrigen nach schleswig-holsteinischem Vorbild - in das Grundgesetz aufzunehmen. Es gibt im Moment eine neue Dynamik. Frau Spoorendonk hat darauf hingewiesen.

Ich will gleich sagen, dass ich die Debatte über das Kultur-Staatsziel im Zusammenhang mit Minderheitenfragen für ausgesprochen problematisch halte. Ich glaube auch nicht, dass das unsere Zielrichtung ist. Wir haben immer gesagt, Minderheitenund Volksgruppenpolitik ist keine Kulturpolitik, sondern ist eine Querschnittsaufgabe. Dort sind eine ganze Reihe von Feldern berührt, die über die Kultur, auch über die Kulturhoheit der Länder, hinausgehen. Insofern bin ich froh, dass die Signale in diese Richtung auf rot stehen.

Lassen Sie mich vier Punkte nennen, warum ich glaube, dass die Dynamit, die wir im Augenblick spüren, auch in politisches Handeln umgesetzt werden soll.

Der erste Punkt: Anders als in der Vergangenheit, in den 90er-Jahren, haben wir heute in Berlin und auf Bundesebene ein minderheitenpolitisches Netzwerk. Ich verweise darauf, dass wir einen Minderheitenbeauftragten haben, dass wir Gremien in Berlin beim Bundestag haben, dass wir dort die Vertretung der Minderheiten haben, die dort agieren können. Das ist anders als noch vor zehn Jahren. Dort standen wir als Delegation aus Schleswig-Holstein, die fast als etwas exotisch betrachtet wurde, relativ allein. Heute ist deutlich, dass das eine Aufgabe ist, die in Berlin sehr gut von den Minderheiten wahrgenommen wird. Dem können wir uns anschließen.

Der zweite Punkt: Es ist nicht mehr umstritten, dass Minderheitenpolitik eine Aufgabe der Bundesre

(Dr. Ekkehard Klug)

publik insgesamt ist. Denn Dänen, Friesen, Sorben, deutsche Sinti und Roma - ich betone noch einmal: nur um die geht es - sind eben nicht nur schleswigholsteinische Minderheiten, sondern Minderheiten der Bundesrepublik. Wenn das so ist, müssen Schutz und Förderung auch im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verankert sein. Das ist nicht nur folgerichtig und politisch konsequent, sondern das ist vor allen Dingen ein Zeichen demokratischer Qualität.

Drittens: Anders als in der Vergangenheit liegen heute umfassende juristische Stellungnahmen und Bewertungen vor, die unsere Forderung stützen. Auch das war früher nicht so. Insofern können wir die Diskussion über die Abgrenzung - und darum geht es - von Kollektiv- und Individualrechten sehr offensiv führen. Die Debatte wird also leichter.

Viertens: Anders als in der Vergangenheit sind Minderheitenrechte und Schutzaspekte nicht nur in den entsprechenden Rahmenabkommen und Erklärungen auf europäischer Ebene beschlossen. Sie sind noch nicht so, wie wir es uns vorstellen, aber zumindest sind sie ansatzweise im vorliegenden Entwurf zur Europäischen Verfassung erwähnt. Da müssen wir noch nacharbeiten, aber allein diese Erwähnung macht deutlich, dass wir diese „Verfassungslücke“ angehen und das Grundgesetz um diesen Punkt ergänzt werden muss.

Ich denke, dass die Minderheiten und Volksgruppen in Schleswig-Holstein, aber auch in der Bundesrepublik insgesamt einen Anspruch darauf haben, dass sich die Initiatoren dieser gesamten Debatte, die wir schon seit langer Zeit führen, nämlich der Schleswig-Holsteinische Landtag und seine Abgeordneten, zielorientiert und glaubwürdig mit dieser Frage befassen. Wie wir das machen, ist uns überlassen; das werden wir sehen.

Letztlich gilt, dass die Verankerung des Minderheitenschutzes im Grundgesetz für uns ein Lackmustest für die Glaubwürdigkeit unserer Minderheitenpolitik in Schleswig-Holstein ist. Wir wollen uns also dafür einsetzen, wir wollen dafür werben und wir wollen darüber diskutieren.

Folgendes will ich abschließend sagen: Da auch die Minderheiten den ersten auf das Staatsziel Kultur gerichteten Antrag gestützt haben, glaube ich, dass es gut ist, die Debatte noch einmal zu vertiefen und auch mit den Minderheiten darüber zu sprechen, was das bedeuten würde. Es geht also nicht darum, nur hier im Landtag im Ausschuss zu diskutieren, sondern auch darum, mit den Minderheiten und Volksgruppen selbst zu sprechen; das halte ich für einen ganz wichtigen Punkt. Deswegen können wir

auf der Grundlage des neuen Antrages - im Kern ist es der von allen Fraktionen gestützte alte Antrag diese Debatte führen. Wir schlagen vor, die Diskussion zuerst im Ausschuss - das ist richtig - und dann auch öffentlich zu führen.

(Beifall bei der SPD)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Rolf Fischer und erteile für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der Frau Fraktionsvorsitzenden Anne Lütkes das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der hier von Rolf Fischer und auch von dem jetzt aktuellen Antrag zitierte Antrag, aber auch Beschluss des Landtages aus dem Jahre 1993 ist eindeutig und in seiner Klarheit zu beschließen.

Wir sind und waren der Auffassung, dass der Schutz und die Bewahrung der Rechte und Identität von Minderheiten Grundsatz unserer Politik, Grundsatz der Politik dieses Landes, aber auch Grundsatz der Bundesrepublik Deutschland sein müssen.

(Beifall des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

Sie haben unter Wahrung der Menschenrechte und ohne antidemokratisch zu sein ihre Sprache, ihre Kultur und ihre Identität zu wahren und das muss ihr Recht sein. Denn es ist ein Menschenrecht.

Das Gesellschaftsbild geht von der individuellen Entfaltung möglichst unterschiedlichster Lebensformen und Lebensverläufe aus. Das gilt für alle Menschen. Das gilt insbesondere aber auch - um es noch einmal zu betonen - für nationale Minderheiten. Insofern ist die Befreiung von der 5-%-Klausel hier in Schleswig-Holstein eine konsequente und nach wie vor vorbildliche Einrichtung für ganz Europa und - das darf ich nebenbei bemerken - unbedingt beizubehalten.

Wir Grünen haben uns auf der Bundesebene immer sowohl für die Einrichtung des Minderheitensekretariats als auch für die Einsetzung des Arbeitskreises für Minderheitenfragen beim Deutschen Bundestag eingesetzt und in der neuen Legislaturperiode intensiv für dessen Erhalt sowie für die dauerhafte Einrichtung eines Minderheitenbeauftragten bei der Bundesregierung gekämpft. Das empfinde ich jenseits der Debatte um Staatsziele von hoher Bedeutung.

(Rolf Fischer)

Die Minderheiten, die in Ihrem und auch im alten Beschluss erwähnt sind, sind zum Teil hier in Schleswig-Holstein ansässig, allerdings sind sie nur zum Teil in unserer Landesverfassung geschützt. Wir setzen uns gemeinsam zum Teil seit langem dafür ein, dass auch die Sinti und Roma in unserer Landesverfassung ausdrücklich erwähnt werden.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, FDP und SSW)

Insofern wird sich gleich beim nächsten Tagesordnungspunkt der Kreis dieser Debatte schließen. Denn wir kommen noch einmal auf die Landesverfassung zurück.

Meine Damen und Herren, ich möchte es noch einmal betonen: Neben der wichtigen des Minderheitenschutzes in das Grundgesetz dürfen wir ein anderes zwar nicht gleichrangiges, aber wichtiges Ziel nicht aus den Augen verlieren, nämlich die wirksame Förderung der Minderheitenkulturen und das bedeutet beispielsweise auf Haushaltsebene die Schaffung eines Bundestitels.

(Beifall beim SSW)

Minderheitenförderung darf nicht ein Vehikel bei der Vergabe von Haushaltsresten sein, sondern muss als eigenes haushaltsrechtlich relevantes Ziel anerkannt sein und das würde durch eine Änderung des Grundgesetzes sicherlich gefördert, muss aber gerade jetzt im Rahmen der Debatte über die Föderalismusreform immer wieder auf die Tagesordnung gesetzt werden.

Wenn die große Koalition in Berlin beispielsweise Kultur- und Bildungsgesetzgebungskompetenz in die ausschließliche Gesetzgebung der Länder verlagern will, darf sie nicht vergessen, dass die angemessene Förderung der nationalen Minderheiten und ihrer Einrichtungen gerade im Lichte der internationalen Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland und gerade im Lichte des europäischen Rechtes notwendigerweise mit wachsenden Ausgaben und Lasten verbunden sind, die die Länder dann treffen und ein Minderheitenschutz nach Kassenlage darf nicht das Ergebnis des Föderalismus sein.

(Beifall beim SSW)

Vor dem Hintergrund der Annalen dieses Hauses bin ich mir sicher, dass eine große Übereinstimmung hier erreichbar sein sollte. Der alte Antrag wurde von vielen Abgeordneten unterschrieben. Einer dieser Abgeordneten sitzt heute noch unter uns. Herr Dr. Klug hat damals für seine Fraktion den Antrag unterschrieben. Andere Abgeordnete haben hier kompetente Nachfolger. Wir waren damals

nicht dabei, aber wir sind gerne bereit, diesen Antrag heute gemeinsam mit Ihnen zu beschließen. Denn ich halte es für überfällig, diese Aufgabe im Grundgesetz sehr deutlich zu formulieren.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, FDP und SSW)

Ich danke der Frau Abgeordneten Lütkes und begrüße auf der Tribüne Mitglieder des SPD-Ortsvereins Wahlstedt. - Seien Sie uns herzlich willkommen!

(Beifall)

Für die Landesregierung erteile ich dem Ministerpräsidenten Peter Harry Carstensen das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es war ja nicht ganz einfach, der Abfolge von geänderten und nicht geänderten und neuen Anträgen zu folgen. Deswegen gestatten Sie mir auch, dass ich etwas zur Kulturpolitik sage.

Die Bundesrepublik Deutschland ist ein Kulturstaat und das hat sich gerade in den Zeiten der deutschen Teilung gezeigt. Die Kultur hat die Nationen verbunden, als Mauer und Stacheldraht die Menschen trennten. Unsere Kulturlandschaft ist reich und vielfältig. In Schleswig-Holstein kommt hinzu, dass die Minderheiten kulturell bereichernd wirken und ein wichtiger Ausdruck unserer kulturellen Vielfalt sind. Dies kommt auch in unserer Verfassung zum Ausdruck. Gerade im deutsch-dänischen Grenzland sind die Minderheiten zu wichtigen Brückenbauern diesseits und jenseits der Grenze geworden und die Arbeit, die dort geleistet wird, hat meinen Respekt und meine Anerkennung.

Meine Damen und Herren, die Attraktivität der bundesdeutschen Kulturlandschaft ist ganz wesentlich den Anstrengungen der Länder und der Kommunen zu verdanken. Von den rund 8,4 Milliarden € Kulturausgaben im Jahre 2003 trugen die Länder allein 3,6 Milliarden € und die Gemeinden 3,7 Milliarden €. Mehr muss nicht gesagt werden, um die Verantwortung zu beschreiben, die die Länder für Kunst und Kultur, für die kollektive Identität der Gesellschaft, für das kulturelle Erbe, für kulturelle Bildung und für künstlerische Kreativität übernehmen.

Dies geschieht seit Gründung der Bundesrepublik ohne Verankerung eines Staatsziels Kultur im Grundgesetz. Und doch schützt das Grundgesetz in Art. 5 Abs. 3 die Freiheit der Kunst in einem weit

(Anne Lütkes)

verstandenen Maße und Sinne. Die meisten Länderverfassungen verankern ausdrücklich Förderung und Schutz von Kultur. Auch in unserer Landesverfassung spiegelt sich das wider.

Jetzt erleben wir in der Enquetekommission „Kultur in Deutschland“ des Bundestages, in den Kulturteilen der Zeitungen, im Deutschen Kulturrat, bei den politischen Stiftungen und bei den Kulturverbänden, bei Publizisten und in den Akademien eine Debatte darüber, ob wir die Kultur zum Staatsziel erheben sollen.

Ich habe großes Verständnis für die Debatte, die im Moment läuft. Es ist gut und wichtig, dass wir in der Öffentlichkeit, in den Parlamenten, unter den Experten in der Kulturpolitik und in der Kulturszene breit darüber diskutieren. Denn ein zusätzliches Staatsziel im Grundgesetz muss ernsthaft und intensiv überlegt und besprochen werden. Ich bin deshalb sehr froh darüber, dass auch in der 16. Legislaturperiode die Enquetekommission „Kultur in Deutschland“ des Deutschen Bundestages ihre Arbeit fortsetzt und genau dies auch diskutiert.

Ich bin der Meinung, dass die Kultur ein hohes Gut ist, und deshalb sollten wir uns die Zeit nehmen, die Arbeit der Enquetekommission bis zum Abschluss zu begleiten. Aber bewerten sollten wir die Ergebnisse erst dann, wenn im Jahre 2007 der Abschlussbericht vorliegt. Erst dann können wir im Zusammenhang diskutieren und sehen, ob eine Staatszielbestimmung Kultur ein hilfreiches Instrument sein kann oder bloßen Appellcharakter haben würde. Ich bin deshalb der Meinung, dass es jetzt zu früh ist, darüber zu entscheiden. Über eines müssen wir uns klar sein, Kultur kann und darf man nicht verordnen. Eine Gesellschaft muss Kultur leben und erleben.