Protocol of the Session on January 26, 2006

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Hans-Jörn Arp und erteile für die SPD-Fraktion dem Herrn Abgeordneten Olaf Schulze das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich vorweg sagen: Die SPD-Landtagsfraktion nimmt die Bedenken der Arbeitgeber und Gewerkschaften ernst und unterstützt die Proteste der Gewerkschaften am 11. Februar in Berlin.

(Beifall bei der SPD)

Stichwort „Berlin“: Berlin ist nicht nur Austragungsort des Endspiels der WM, sondern auch des DFB-Pokals. Natürlich unterstützen wir alle gemeinsam den letzten verbliebenen norddeutschen Club, dass er in Berlin gewinnt.

(Beifall)

Nachdem der Schleswig-Holsteinische Landtag das Thema EU-Dienstleistungsrichtlinie bereits in der letzten Legislaturperiode behandelt hat, bekräftigen wir heute den Beschluss von damals noch einmal ausdrücklich. Leider sind in der bereits überarbeiteten Richtlinie, die nun von der EU-Kommission vorgeschlagen wurde, wieder die Bedenken nicht hinreichend aufgegriffen worden; Lars Harms hat es schon gesagt.

Wir Sozialdemokraten stehen zum EU-Binnenmarkt, genau wie wir für eine enge Zusammenarbeit innerhalb der EU eintreten. Die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie das Lohnniveau sind in den EU-Ländern leider noch sehr unterschiedlich. Damit kann man auf unterschiedliche Weise umgehen. Man kann sich an den niedrigsten Werten orientieren. Dann steht man selbst zwar besser dar, riskiert aber, das bereits Erreichte zu verlieren. Oder man orientiert sich an den Besten. Dadurch entsteht Wettbewerb und alle wachsen gemeinsam. So ist es auch mit dem EU-Binnenmarkt und der Dienstleistungsrichtlinie.

Wir dürfen es nicht zulassen, die Idee eines gemeinsamen europäischen Sozialstaatsmodells einer reinen Freihandelszone zu opfern.

(Beifall bei der SPD)

(Hans-Jörn Arp)

Dienstleistungen werden in Zukunft innerhalb des EU-Binnenmarktes eine immer größere Rolle spielen. Daher ist es richtig und wichtig, die Chancen zu nutzen und die Rahmenbedingungen für einen freien Handel zu ermöglichen. Wir dürfen allerdings die berechtigten Bedenken zum Herkunftslandprinzip nicht beiseite wischen. Was bedeutet das Herkunftslandprinzip? Es geht dabei nicht um eine Harmonisierung der bestehenden Gesetze der einzelnen Länder. Die Richtlinie baut auf einem völlig neuen Konzept auf. Dabei kommt es nur noch auf die formale Registrierung des Unternehmens in einem EU-Land an, nicht auf das tatsächliche Betätigungsland. Dadurch würde das Herkunftslandprinzip praktisch bedeuten, dass die Unternehmen sich künftig aussuchen können, welchem der 25 verschiedenen Rechtssysteme der Mitgliedstaaten sie sich offiziell unterwerfen wollen.

Meine Damen und Herren, mit Bürokratieabbau das haben wir eben schon gehört - hat dies wenig zu tun, da Behörden die Rechtsgrundlagen des Herkunftslandes prüfen müssen.

(Beifall bei der SPD)

Dies dürfte bei 25 unterschiedlichen und konkurrierenden Arbeitsrechtsund Sozialsystemen eher schwer werden. Gerade bei gesetzlich geregelten Arbeitsbedingungen wie Arbeitssicherheit, Arbeitszeitgesetz, Gesundheitsschutz oder Mutterschutz darf nicht das geringste Niveau zum Standard werden.

(Beifall bei der SPD)

Der Geltungsbereich der Richtlinie erfasst nicht nur Dienstleistungsunternehmen, sondern auch Produktionsunternehmen, soweit sie selbst Dienstleistungen erbringen oder über Leiharbeit einkaufen. Das heißt, große Teile des produzierenden Gewerbes, der Landwirtschaft und weiteren Branchen können durch Outsourcing in Dienstleistungen verwandelt werden. Dies kann man in der Fleischverarbeitung schon heute sehen. Lassen Sie uns gemeinsam den Versuch, die in der Güterproduktion übliche Verlagerung in Billiglohnländer auf die Dienstleistungsbranche zu übertragen, verhindern.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, hören wir auf die Menschen und nehmen wir ihre Ängste ernst. Wir brauchen eine EU-Verfassung, in der gemeinsame und hohe soziale Standards gelten.

(Lars Harms [SSW]: So ist es!)

Die Proteste gegen Liberalisierung der Hafendienste haben die berechtigten Ängste der Bürger ver

deutlicht und es war richtig, das Gesetz so nicht zu beschließen.

(Beifall bei der SPD)

Lars Harms hat das auch schon so ausgeführt.

Das Herkunftslandprinzip lehnen wir ab und erwarten, dass wir eine sozial ausgewogene Dienstleistungsrichtlinie zur Abstimmung vorgelegt bekommen.

(Beifall bei der SPD)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Olaf Schulze und erteile für die FDP-Fraktion dem Herrn Abgeordneten Dr. Heiner Garg das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Arp, wenn ich Sie richtig verstanden habe, dann haben Sie in Ihrem Debattenbeitrag gerade die Anschlussverwendung des Staatssekretärs Klaus Schlie vorgeschlagen. Das heißt, wenn er ausgedient hat, soll er nach Brüssel. Habe ich Sie da richtig verstanden?

(Zuruf des Abgeordneten Hans-Jörn Arp [CDU])

- Das wäre in der Tat eine.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der gemeinsame Markt der Mitgliedstaaten der Europäischen Union sorgt dafür, dass es vielen Menschen besser geht. Das kann man an dieser Stelle auch einmal deutlich sagen. Genauso deutlich, wie man nicht verschweigen darf, dass es einige gibt, denen es schlechter geht. Aber der Nutzen der Begünstigten ist größer als die Kosten der Benachteiligten. Deswegen ist es richtig, wenn der europäische Binnenmarkt ausgeweitet und vertieft wird. Denn aus unserer Sicht wird es mit einer Ausweitung noch mehr Menschen besser gehen. Gleichzeitig sollten Benachteiligte angemessen entschädigt werden. Wir alle sollten bei allen Erweiterungen und Vertiefungen des Binnenmarktes von Anfang an darauf achten, dass möglichst wenig Menschen benachteiligt werden. Deswegen ist es richtig, wenn die Bestimmungen des Binnenmarktes vom Warenverkehr angemessen auf den Dienstleistungsverkehr übertragen werden, und zwar nicht unbesehen angewendet, sondern angemessen übertragen. Genau darüber reden wir heute.

Waren und Dienstleistungen haben unterschiedliche Eigenschaften. Wegen einiger dieser Unterschiede ist es sinnvoll, Waren anders zu behandeln als

(Olaf Schulze)

Dienstleistungen. Wir wollen erreichen, dass Dienstleistungen in der Europäischen Union grenzübergreifend einfacher erbracht werden können ich denke, da gibt es keinen Widerspruch -, dabei höchstmögliche Rechtssicherheit herrscht, gleichzeitig der geringstmögliche Verwaltungsaufwand verursacht wird und der Dienstleistungswettbewerb dort seine Schranken findet, wo er mehr schaden als nutzen würde.

(Beifall bei der FDP)

Deshalb halten wir den bisher von der EU-Kommission vorgeschlagenen Umfang des Herkunftslandprinzips für zu groß und den Genehmigungsvorbehalt der Europäischen Union für nationales Recht für falsch. Darum werden wir dem gemeinsamen Antrag selbstverständlich zustimmen, aber wohl wissend, lieber Kollege Harms, dass der Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz des Europäischen Parlamentes in seinem 405-seitigen Bericht - es reicht, wenn man die Zusammenfassung liest - vom 15. Dezember 2005 eine Beschlussempfehlung vorgelegt hat, die den meisten der von uns allen hier formulierten Bedenken bereits Rechnung trägt.

Außerdem hat der gemeinsame Antrag, den wir heute noch einmal beschließen, den Vorteil, dass wir damit auf die Drucksache verweisen, die der Landtag in der letzten Wahlperiode zu diesem Thema tatsächlich einstimmig beschlossen hat. Lieber Kollege Harms, das war nicht der SSW-Antrag, sondern das war die Bericht- und Beschlussempfehlung des Wirtschaftsausschusses, Drucksache 15/ 3941, vom 27. Januar 2005, einstimmig, auch mit den Stimmen der Kollegin und des Kollegen des SSW, am 28. Januar 2005 beschlossen.

(Beifall bei der FDP)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Dr. Heiner Garg und erteile für die Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN dem Herrn Abgeordneten Klaus Müller das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind mit der Debatte, obwohl sie zum zweiten Mal stattfindet, gut in der Zeit, weil das Europäische Parlament für Mitte Februar plant, die erste Lesung des Richtlinienentwurfs abzuschließen. Der Landtag und der Wirtschaftsausschuss haben schon im Januar letzten Jahres die Ablehnung des damaligen und nach wie vor aktuellen EU-Entwurfes be

schlossen. Dies werden wir heute im Landtag einstimmig bestätigen, weil uns die gemeinsame Sorge bewegt vor einer Annahme einer im Wesentlichen unveränderten Richtlinie.

Die Beschäftigungschancen eines einheitlichen EUBinnenmarktes für Dienstleistungen sollten wir allerdings positiv bewerten. Wir wollen sie ja nutzen, allerdings ohne gleichzeitig nationale Standards zu gefährden. Deshalb muss das Herkunftslandprinzip so gefasst werden, dass es allein bei dem Marktzugang zur Anwendung kommt. Bei grenzüberschreitenden Dienstleistungen muss zwischen dem Zugang zu den Märkten der Mitgliedstaaten und der konkreten Ausübung einer Dienstleistung unterschieden werden. Als zentrales Prinzip muss gelten: Für den Zugang gelten die Regeln des Herkunftslandes, aber für die Ausübung diejenigen des Ziellandes.

Meine Damen und Herren, die Dienstleistungsrichtlinie darf dem Ziel einer Angleichung von Sozial-, Umwelt- und Verbraucherschutzstandards auf hohem Niveau nicht zuwiderlaufen. Die Regelungen müssen derart ausgestaltet werden, dass ein Dumping nach unten zwischen den Mitgliedstaaten vermieden wird. Die berechtigten Schutzbelange, die durch den Richtlinienentwurf unter anderem bei Ökologie und Verbraucherschutz infrage gestellt werden, müssen gewahrt bleiben. Es ist gut, wenn das der gesamte Landtag so sieht.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die in einem Mitgliedstaat erbrachten Dienstleistungen müssen die dortigen gesetzlichen Verbraucher- und Umweltschutzvorschriften erfüllen und den Interessen von Verbrauchern auf Transparenz, Information und Vergleichbarkeit der Dienstleistungsmärkte gerecht werden. Einer aktiven Verbraucherpolitik und dem Verbrauchervertrauen muss bei der Herstellung eines gemeinsamen Binnenmarktes für Dienstleistungen eine hohe Bedeutung zukommen. Der Anwendungsbereich der Richtlinie muss strikt auf kommerzielle Dienstleistungen begrenzt werden. Die Mitgliedstaaten müssen die Möglichkeit haben, Leistungen der Daseinsvorsorge in eigener Verantwortung zu regeln und Ausgleichszahlungen für die Übernahme von Gemeinwohlverpflichtungen zu leisten.

Die Dienstleistungsrichtlinie sollten weder Entgelte, Arbeitsrecht und Arbeitsschutz des Ziellandes, einschließlich der nationalen Tarifvereinbarungen, noch die Anwendung der Entsenderichtlinie beeinträchtigen. Solange das deutsche ArbeitnehmerEntsendegesetz nicht für alle Branchen gilt, muss sichergestellt sein, dass bei grenzüberschreitender

(Dr. Heiner Garg)

Leiharbeit diejenigen Bestimmungen Anwendung finden, die für die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen des Ziellandes gelten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, um die Einhaltung von arbeitsrechtlichen Bestimmungen und die Bekämpfung von Schwarzarbeit in der Praxis gewährleisten zu können, muss eben ein Mindestmaß nationaler Überwachungs- und Kontrollmöglichkeiten in den Staaten der Erbringung einer Dienstleistung gewährleistet sein und dies ohne bürokratischen Aufwand, der in der Tat nicht zu bewältigen wäre.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, warum ist diese Richtlinie aus Brüssel von besonderer Brisanz? Weil anders als in der bisherigen Binnenmarktpolitik die Europäische Kommission mit ihrem Richtlinienvorschlag nicht mehr den Weg geht, in einzelnen Dienstleistungsbereichen eine weitgehende Harmonisierung des materiellen Rechts in den Mitgliedstaaten zu erreichen, um anschließend eine branchenbezogene Richtlinie zu erlassen, sondern die Dienstleistungsrichtlinie in ihrer gegenwärtigen Form soll stattdessen einen sehr breiten Rechtsrahmen mit einer entsprechend großen Bandbreite unterschiedlicher Dienstleistungen bilden, unabhängig vom jeweiligen Stand der Rechtsharmonisierung in diesem Bereich. Betroffen wären grundsätzlich alle gegen Entgelt erbrachten Dienstleistungen. Darum ist es richtig, ein breites Bündnis für eine sozial- und umweltverträgliche Fassung des Herkunftslandprinzips zu schließen.

Ich will aber bei aller Harmonie noch ein bisschen Wasser in den gemeinsamen Wein gießen. Die Einigkeit ist in Schleswig-Holstein zwar vorhanden, in Berlin jedoch noch nicht. Wenn man sich anschaut, dass der Bundesvorsitzende der SPD, Herr Platzeck, zwar zu öffentlichen Demonstrationen gegen das Vorhaben aufruft, gleichzeitig jedoch der Wirtschaftsminister Glos mit seinem Staatssekretär Herrn Wuermeling jemanden berufen hat, der noch vor kurzem in Brüssel heftig für die alte Fassung der Dienstleistungsrichtlinie getrommelt hat, muss man deutlich sagen, dass hier in der Bundesregierung noch viel auszudiskutieren ist. Es ist traurig, wenn es in einem Bericht des Bundeswirtschaftsministerium an den Ausschuss für Verbraucherschutz im Deutschen Bundestag heißt: „Die Positionsbestimmung der Bundesregierung wird weiter fortgesetzt.“ Das ist eine freundliche Umschreibung dafür, dass sich in Berlin die Bundesregierung bei weitem noch nicht so einig ist, wie wir uns das hoffentlich sind. Ich wünsche mir, dass sich die große Koalition in Berlin hier eine Scheibe von der Positi

on des Schleswig-Holsteinischen Landtages abschneidet.