Die Bildungsministerin rührt landauf, landab die Werbetrommel für die Gemeinschaftsschule, aber nicht einmal die bestehenden Gesamtschulen können der von der großen Koalition geplanten Umwandlung in diese neue Schattenschulart tatsächlich etwas abgewinnen. Sie wollen das nicht. Das liegt zum einen daran, dass bislang reichlich nebulös geblieben ist, worum es sich bei einer Gemeinschaftsschule etwa in Abgrenzung von einer Gesamtschule konkret handelt, zum anderen ist unklar, nach welchen Personalzuteilungskriterien diese neue Schulart überhaupt ausgestattet werden soll. Ginge es dabei nach der Personalzuteilungspraxis des gegliederten Schulwesens, so wäre die Ausstattung etwa um ein Siebtel schlechter als diejenige, die jetzt die Gesamtschulen haben, und damit wäre natürlich auch klar, warum die Gesamtschulen nicht Gemeinschaftsschulen werden wollen.
heute die Gesamtschulen ausgestattet sind, so entstünde bei Neugründung jeder Gemeinschaftsschule ein zusätzlicher Personalbedarf, für den Frau Erdsiek-Rave tatsächlich über keine Ressourcen verfügt.
Zum letzten Eckpunktepapier der Bildungsministerin, nämlich dem zum Thema Gemeinschaftsschule und zur Abschaffung des Sitzenbleibens, hat die Kollegin Herold, die schulpolitische Sprecherin der CDU-Fraktion, erklärt: Dieses Papier ist in zentralen Punkten nicht konsensfähig. - Wie die Große Koalition diese offenen Widersprüche auflösen will, hat uns auch Frau Kollegin Eisenberg in ihrem Redebeitrag leider nicht erläutert. Wir sind gespannt auf die konkreten Gesetzesvorlagen, die dazu angekündigt sind.
Frau Erdsiek-Rave wird derweil weiter den Spagat betreiben müssen zwischen ihrer Wunschschulform Gemeinschaftsschule und der im Koalitionsvertrag formulierten Zielsetzung, nach der sie auch noch Hüterin des gegliederten Schulwesens sein soll. Letzteres erinnert mich manchmal an die berühmte Geschichte von dem kleinen Mädchen, das mit weit aufgerissenen Augen die Frage stellt: Großmutter, warum hast du so spitze Zähne?
Frau Erdsiek-Rave, wenn Sie die Zahl der Schüler erhöhen wollen, die höhere Schulabschlüsse erreichen, gäbe es dafür in diesem Land ein ganz einfaches Mittel: Geben Sie den berufsbildenden Schulen, wie zum Beispiel den Berufsfachschulen und den Fachgymnasien, in denen Schüler mit Hauptbeziehungsweise Realschulabschluss weitere Bildungsabschlüsse erreichen können, die Aufnahmekapazitäten, die sie tatsächlich brauchen. Heute ist es so, dass Fachgymnasien, die Schüler mit einer Durchschnittsnote von 3,0 aufnehmen könnten, vielfach einen Numerus clausus von 2,5 haben. Das heißt, viele von der formalen Voraussetzung her geeignete Schülerinnen und Schüler können in diesen Schulen nicht aufgenommen werden, können die Fachhochschulreife beziehungsweise das Abitur nicht erreichen, weil die Aufnahmekapazität dieser Schulen im Lande zu gering ist. Das gilt neben den Fachgymnasien auch für die Berufsfachschulen.
Wir haben in der Sitzung des Landtages im Dezember 2005 über das Thema „Regionale Berufsbildungszentren“ ausführlich diskutiert. Ich bin nach der Debatte eigentlich davon ausgegangen, dass die Probleme und Konflikte, die bei diesem Thema anfangs bestanden haben, ausgeräumt worden seien. Sie haben in Ihrem Papier auch den Eindruck erweckt, als werde die Entwicklung dieser neuen Form von berufsbildender Schule nun im Einvernehmen mit der ausbildenden Wirtschaft vorange
trieben. In den letzten Tagen haben uns Briefe der Industrie- und Handelskammern von Herrn Driftmann und Herrn Janssen und Briefe der Handwerkskammer eines anderen belehrt. Offensichtlich besteht in zentralen Fragen überhaupt kein Konsens mit der ausbildenden Wirtschaft, die Sie im Übrigen - wie Sie in Ihrem Papier geschrieben haben auch für die Sachausstattung der Regionalen Berufsbildungszentren gewinnen wollen. Wie das bei der Kritik, die aus dieser Ecke jetzt laut geworden ist, klappen soll, ist mir schleierhaft. Wir werden dieses Thema, obwohl wir den Bericht in der letzten Sitzung des Bildungsausschusses diskutiert haben, im Bildungsausschuss noch einmal erörtern müssen.
Die Schulentwicklungsplanung - auch schon angesprochen - ist ein wichtiges Thema. Die demographische Entwicklung wird vor allem im nächsten Jahrzehnt, wenn auch regional in unterschiedlichem Umfang, Platz schaffen. Diese Entwicklung bietet die Chance, Schulangebote vor Ort in ganz anderer Weise als bisher mit anderen öffentlichen Angeboten zu vernetzen, in diesem Zusammenhang Verbindungen, Vernetzungen und Synergieeffekte zu erreichen.
Schon heute gibt es vereinzelt solche Beispiele, etwa dass Schulträger neben ein Schulgebäude ein städtisches Jugendzentrum setzen oder in ein Schulzentrum eine Filiale der jeweiligen Stadtbücherei hineinsetzen.
Ich nenne einmal aus meiner Arbeit ein Beispiel dafür, wie sinnvoll solche Vernetzungen sind. Es gibt ein Schulzentrum in einer Stadt in Schleswig-Holstein mit drei Schularten. Vier Kilometer entfernt liegt ein Jugendzentrum. Der Leiter des Jugendzentrums wendet sich an die drei Schulen und sagt: Schickt uns doch bitte Jugendliche. Wir haben keine Besucher in unserem Jugendzentrum. - Wenn beide Einrichtungen, die Schulen und das Jugendzentrum, räumlich miteinander verkoppelt werden, nebeneinander bestünden, dann ließe sich beides, auch zum Beispiel zur Ausgestaltung von Ganztagsangeboten an Schulen, ganz anders miteinander vernetzen.
Das gilt natürlich auch für andere Dinge, wie die Stadtbücherei, die Volkshochschule und Erziehungsberatungsstellen. Das ist natürlich Aufgabe der Schulträger.
Aber wenn das Land die Schulentwicklungsplanung mit den Schulträgern in Angriff nimmt und darüber mit den Schulträgern diskutiert, dann ist es eben zu kurz gesprungen, Holger Astrup, wenn die Landesregierung das ausschließlich unter dem Aspekt der Schulen und der Schulstrukturen macht. Dann muss man nämlich vor dem Hintergrund der frei werdenden Räume im nächsten Jahrzehnt auch für die Bildung solcher örtlichen Bildungs- und Kulturzentren sorgen, die, wie gesagt, nicht nur finanzielle Synergieeffekte mit sich brächten, sondern durch die sich über die wechselseitige Mitnutzung das, was wir an Bildungs- und Kulturangeboten vor Ort haben, auch in Zeiten knapper öffentlicher Mittel deutlich verbessern ließe. Deshalb darf man das Thema Schulentwicklungsplanung nicht isoliert unter dem Aspekt der örtlichen Schulangebote oder der Schulstrukturen diskutieren, wie es bislang - jedenfalls nach allen Papieren, die Sie vorgelegt haben - die Landesregierung macht. Das muss man öffnen und man muss auch hier von den Erfahrungen lernen, die die Nachbarstaaten um uns herum, was die Vernetzung solcher öffentlichen Angebote aus dem Bildungs- und Sozialbereich und dem Kulturbereich angeht, in den vergangenen Jahren gesammelt haben.
Ich danke dem Herrn Abgeordneten Dr. Klug. - Das Wort für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat der Herr Abgeordnete Karl-Martin Hentschel.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Bericht ist eine seltsame Mischung. Die SPD darf die Gemeinschaftsschule ins Schulgesetz schreiben, aber noch immer weiß keiner so richtig, was das sein soll, jedenfalls nicht, was die SPD damit vorhat. Außerdem sagen die Bürgermeister und Landräte der CDU, dass sie das nicht beantragen wollen. Die CDU bekommt als Ausgleich dafür eine Oberstufenreform mit Abschaffung des Kurssystems, Zentralabitur und Schulzeitverkürzung.
Anke Spoorendonk und ich streiten für eine konsequente Schulreform. Die SPD erklärt, dass sie das an sich auch wolle und mit der Oberstufenreform auch ihre Probleme habe. Die CDU sagt, sie könne auch nicht so richtig erklären, was das alles solle. Herr Dr. Klug findet das dreigliedrige Schulsystem toll, aber so, wie die Koalition das mache, sei alles Mist.
In den Schulen sitzen die Lehrer und Schülerinnen und Schüler, staunen über das, was da wieder ausgebrütet wird, und haben die Hoffnung auf Besserung längst aufgegeben.
Frau Erdsiek-Rave, Tatsache ist, dass 22,3 % aller deutschen Schülerinnen und Schüler einen normalen Zeitungstext nach Abschluss ihrer Schulzeit nicht lesen und verstehen können. Darauf müssen wir eine Antwort geben.
Das konservative ifo-Institut der Universität München hat alle bekannten internationalen Studien noch einmal ausgearbeitet und dabei untersucht, welche Faktoren dazu führen, dass die Kinder aus sozial schwachen Elternhäusern in Deutschland keine Chancen haben. Wider Erwarten kommen ausgerechnet die konservativen Bayern zu folgendem Ergebnis: Wirklichen Einfluss haben nur zwei Faktoren: das Alter, in dem die Kinder in mehrere Schularten aufgeteilt werden, und die Anzahl der Kinder, die bereits mit drei Jahren in den Kindergarten gehen.
Für Deutschland bedeutet das in der Konsequenz: Am Ende der gemeinsamen Schulzeit in der Grundschule liegt unser Land bei der Bildungsgerechtigkeit international im oberen Mittelfeld. Nach der Grundschule liegen wir im oberen Mittelfeld. Bei den Fünfzehnjährigen erfährt Deutschland einen dramatischen Abbruch und fällt vom oberen Mittelfeld auf den unrühmlichen Spitzenplatz als das ungerechteste Schulsystem weltweit. Bayern liegt trotz seiner hervorragenden Durchschnittswerte auf einem der schlechtesten Plätze bei der Bildungsgerechtigkeit, auch in Deutschland.
Weil immer so auf Bayern gepocht wird, gestatten Sie mir, die Schlusssätze dieser bayerischen Studie zu zitieren:
„Das mehrgliedrige Schulsystem wird oftmals mit angeblichen positiven Niveaueffekten, insbesondere für leistungsstarke Schüler, verteidigt. Die vorliegenden Befunde legen aber nahe, dass eine frühe Selektion der Schüler in verschiedene Schultypen nicht nur
die Chancenungleichheit erhöht, sondern auch das gesamte Leistungsniveau eher senkt als erhöht. Damit ergibt sich in diesem Bereich“
Meine Damen und Herren, was macht diese Landesregierung? Diese Landesregierung stärkt vor allem die Gymnasien. Sie will in den kommenden Jahren im Rahmen der Schulzeitverkürzung zusätzlich vier Stunden Unterricht pro Woche - das sind 15 % mehr - in die Klassen fünf bis neun der Gymnasien stecken.
15 % mehr Unterricht in den Gymnasien! Und was ist mit den Hauptschulen und was ist mit den Realschulen? Da gibt es nicht 15 % mehr Unterricht. Das heißt, wenn die Schüler 15 sind, dann sind die Gymnasiasten mit 15 % mehr Unterricht gestärkt, während an den anderen Schulen das gerade nicht gemacht wird. Das ist hochgradig ungerecht.
Ist das die Stärkung der Hauptschulen, die die CDU immer lauthals versprochen hat? Ich verstehe auch nicht, dass sich die Sozialdemokratie so etwas gefallen lässt.
Meine Damen und Herren, die Vereinigung der bayerischen Wirtschaft ist nicht gerade typisch für eine Unterstützung grüner Politik.
- Das kann sich noch ändern, klar. Die Vereinigung der bayerischen Wirtschaft hat gemeinsam mit der Prognos AG ein Buch herausgegeben, das ich jedem empfehle. Alle Abgeordneten haben es übrigens zugeschickt bekommen: ,,Bildung neu denken! Das Zukunftsprojekt". Das haben Sie in Ihrer Fraktion wahrscheinlich auch. Ich zitiere aus den Empfehlungen der bayerischen Wirtschaft, Seite 148:
,,Der deutsche Sonderweg eines dreigliedrigen Schulsystems lässt sich im Europäisierungsprozess nicht halten. Im globalen Maßstab ist durchaus eine Entwicklung erwartbar, wie sie in Japan mit der Einheitsschule erfolgreich eingeschlagen wurde: Dort erwerben 95 % eines Altersjahrgangs in einer ,,Gesamtschule" eine Hochschulzugangsberechtigung."
,,Begabungsreserven im Bereich der Kinder mit Migrationshintergrund können ebenso wenig durch eine separate Beschulung in der Hauptschule als Restschule aktiviert werden wie die Reserven von hochbegabten Kindern."
Wohlgemerkt, das ist kein grünes Parteiprogramm, sondern Quintessenz einer Studie der bayerischen Wirtschaft, die letztes Jahr an alle dieses Hauses verschickt worden ist.
Meine Damen und Herren, es ist auch kein Zufall, dass ausgerechnet Sachsen und Thüringen in den vergangenen Jahren den größten Schritt nach vorne gemacht haben, obwohl diese Länder mit ihrer hohen Arbeitslosigkeit extrem schlechte Ausgangsbedingungen haben. Sachsen und Thüringen haben keine Hauptschule mehr.
Die Bürgerschaft in Hamburg hat jetzt eine Enquetekommission eingesetzt, wie die Abschaffung der Hauptschule organisiert werden soll. Insofern begrüße ich es, dass nun auch der Bildungsausschuss in Schleswig-Holstein auf Initiative der CDU-Fraktion nach Sachsen fährt und sich das anschaut.
- Ja, ich weiß, Frau Eisenberg, ich komme gern mit. Wir können uns das gern vor Ort anschauen. Wir können ja dann auf der Reise einen gemeinsamen Antrag für eine Enquetekommission in SchleswigHolstein vorbereiten, den wir dann hier im Landtag verabschieden.
Meine Damen und Herren, zu dem Bericht kann noch sehr viel gesagt werden. Dazu fehlt leider die Zeit. Deswegen zum Schluss die Frage: Was für Schulen brauchen wir? Ich glaube, wir brauchen Schulen, in die Kinder gerne gehen, wo sie begeistert werden, selbst zu lernen und ihre Fähigkeiten zu entwickeln, wo ihre unterschiedlichen Fähigkeiten anerkannt und gefördert werden, wo Bildung, Erziehung und ganzheitliche Entwicklung als gleichberechtigt angesehen werden. Wir brauchen Schulen, an denen Eltern und Lehrer sich gegenseitig helfen, anstatt sich als Feinde zu betrachten, und an denen Lehrerinnen und Lehrer mit Freude unterrichten. Wir brauchen Schulen, an denen der Satz gilt, den Reinhard Kahl auf jeder Veranstaltung immer wieder wiederholt: ,,Kein Kind darf beschämt werden."