Protocol of the Session on January 25, 2006

Ich erteile der Ministerin für Bildung und Frauen, Frau Ute Erdsiek-Rave, das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am vergangenen Freitag brachte das ZDF in seinem „Mittagsmagazin“ - vielleicht haben Sie es selbst gesehen - einen Beitrag über die Schule in Schafflund. Mit Lernplanarbeit, Wochenplänen für die Kinder, Binnendifferenzierung und lebendigem Schulleben ist diese Schule ein Beispiel von vielen dafür, wie Schule gelingen kann. Unser Schulsystem ist von Vielfalt geprägt und das meine ich auch im kulturellen Sinne. Wir haben eben zusammen mit dem Landtagspräsidenten und Abgeordneten das Niederdeutschsiegel an acht Schulen verliehen. Auch das ist ein schönes Beispiel für die kulturelle Vielfalt.

Die Möglichkeiten der Schülerinnen und Schüler, überall im Land die dänische Sprache in freiwilligen Angeboten zu erlernen, zeigt unsere besondere Stärke im Umgang mit Minderheiten. Dies wollen wir erhalten und mit vertretbarem Ressourceneinsatz verstärken. Wir wollen auch die Möglichkeit, Friesisch zu lernen, erhalten und erproben derzeit in einem Projekt auf Sylt sogar die Ausweitung über die Grundschulzeit hinaus. Es bleibt abzuwarten, in welchem Umfang sich Eltern und Kinder dort für das Friesischlernen entscheiden. Wir werden das beobachten; dazu wird der Kollege Lars Harms mit seinen Kleinen Anfragen sicherlich immer wieder beitragen. Wir werden das evaluieren und daraus Schlussfolgerungen ziehen.

Meine Damen und Herren, vieles an den Schulen und in unserem Schulsystem steht auch nach den PISA-Diskussionen nicht infrage. Wie jeder von uns aus seiner eigenen Lebenserfahrung weiß, verkehrt sich Gutes leicht ins Gegenteil oder es kehrt zumindest Routine und manchmal auch Erlahmen ein, wenn man nicht dranbleibt und nicht kontinuierlich hinschaut. Wo man Schwächen entdeckt, muss man nachjustieren und Weichen neu stellen. Man muss also das tun, was wir im Koalitionsvertrag als Weiterentwicklung bezeichnet haben. Eben dieser Verpflichtung zur dauernden Anpassung stel

(Vizepräsidentin Ingrid Franzen)

len wir uns mit der geplanten Schulgesetznovelle, deren Eckpunkte der vorgelegte Bericht beschreibt.

Es ist unabdingbar - und ich bin dankbar dafür -, dass wir inzwischen durch die internationalen Vergleichsuntersuchungen, durch die nationalen Berichte, durch die geplanten deutschlandweiten und landesbezogenen Vergleiche regelmäßig klare Hinweise darauf erhalten, wo Schwachstellen liegen, und damit die Chance haben, zielgenau auch dort Veränderungen vorzunehmen.

Über die Zielperspektive gibt es trotz mancher Unstimmigkeit im Einzelnen breiten Konsens. Wir alle wollen die Qualität unserer Bildungsangebote erhalten und steigern. Wir wollen mehr Bildungsgerechtigkeit schaffen, weniger Kinder scheitern lassen, mehr Kindern die Chance auf höhere Abschlüsse ermöglichen und wir wollen die Weiterentwicklung unseres Schulwesens bedarfsgerecht gestalten, das heißt ein möglichst wohnortnahes Schulangebot an allgemein bildenden Schulen sichern und die Zukunftssicherheit der beruflichen Bildung gewährleisten. Wir wollen und müssen natürlich ökonomisch - ich könnte auch „sparsam“ sagen - mit den Ressourcen umgehen, die wir haben.

Auf diese Herausforderungen sind die Veränderungen, die wir planen, meiner Meinung nach richtige Antworten. Aber rechtliche Regelungen sind immer nur das eine. Es ist wichtig, die Menschen, die Handelnden im Bildungswesen zu gewinnen und mitzunehmen. Wir werden deshalb insbesondere die Lehrkräfte dabei unterstützen, dass konsequentes Fördern und Fordern Grundlage des Handelns sind.

Man könnte es vielleicht so zusammenfassen: Klare Förderorientierung auf der einen Seite, klare Leistungsund Qualitätsanforderungen und deren Überprüfung auf der anderen Seite. Das ist die Grundphilosophie.

Förderorientierung, das heißt die verstärkte Nutzung von Lernplänen, ist ein Instrument, das sich mehr und mehr bewährt. Förderorientierung beinhaltet die Verpflichtung der Schulen zur Erarbeitung eines eigenen Förderkonzepts und Förderorientierung soll durch gezielte Lehrerfortbildung und mithilfe von zusätzlichen Ressourcen aus dem Förderfonds stattfinden.

Meine Damen und Herren, in allen Schularten und Schulklassen sind die Fähigkeiten, Begabungen und Leistungen unterschiedlich verteilt. Es gibt mehr Leistungsüberschneidungen auch zwischen den Schularten, als wir das etwa vor PISA geglaubt haben.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Kein Lehrer hat eine wirklich homogene Gruppe vor sich und darf sich deshalb auch nicht an einem fiktiven Mittelwert oder möglicherweise am unteren Wert - seltener wohl am oberen Wert - orientieren, bei dem dann sowohl die Schwachen als auch die Starken zu kurz kämen.

Das heißt, ein individualisierender Blick auf die Lernfortschritte wird deutlich mehr Kinder zu besseren Leistungen führen und hilft, Misserfolge und Sitzenbleiben zu vermeiden. Das ist übrigens eines der großen Themen, die sich die KMK vorgenommen hat. Sie will die Förderorientierung stärken und darüber mit den Lehrerverbänden und den Elternverbänden bundesweit zu gemeinsamen Leitvorstellungen und Leitlinien kommen.

Von dieser Einsicht getragen, sollen auch da in Schleswig-Holstein, wo Schulträger und Schulen dies wollen, neue Formen längeren gemeinsamen Lernens ermöglicht werden. Es wird aber keine von oben eingerichtete Gemeinschaftsschule geben. Wo sich die Beteiligten vor Ort auf diesen Weg verständigen wollen und etwa angesichts sinkender Schülerzahlen und wachsender Ansprüche ihr Schulangebot so gestalten wollen, können sie mit unserer Unterstützung rechnen.

(Beifall bei der SPD)

Die Schulträger sollen künftig insgesamt stärker an der Gestaltung der örtlichen und regionalen Bildungslandschaft und der Profilbildung der Schulen mitwirken können. Die demographische Entwicklung zwingt Kommunen überall im Land, die Schulentwicklungsplanung aktiv in Angriff zu nehmen und mehr als bisher mit ihren jeweiligen Nachbarn abzustimmen; das ist auch bildungsökonomisch dringend notwendig. Wir müssen uns eingestehen, dass die derzeitige Kleinteiligkeit der Schulträgerlandschaft in Schleswig-Holstein die notwendige übergreifende Sichtweise erschwert und sie deshalb in ein System von Nahbereichsschulverbänden überführt werden soll.

Alles ist darauf ausgerichtet, das Schulangebot bedarfsgerecht weiterzuentwickeln und in Zukunft möglichst auch im ländlichen Raum die Bildungsabschlüsse wohnortnah anzubieten, soweit dies das betone ich - bildungsökonimisch vertretbar ist.

Meine Damen und Herren, wir wollen, dass im Bildungswesen für junge Menschen Leitern gebaut und keine Türen zugeschlagen werden. Wir möchten, dass die Durchlässigkeit verbessert wird, und wir wollen mehr Kindern unabhängig von ihrer so

(Ministerin Ute Erdsiek-Rave)

zialen Herkunft mehr und bessere Chancen eröffnen.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Schon seit 18 Jahren!)

Vor allem deshalb muss an allen Schulen und an allen Schularten ein Perspektivwechsel vollzogen werden; sozusagen von der Fahndung nach Fehlern und Defiziten hin zur Schatzsuche. Dabei geht es keineswegs um eine Neuauflage von irgendwelchen alten sozialromantischen Ideen oder gar um eine Absage an den Leistungsgedanken. Es gilt immer, gleichzeitig das Niveau der Leistungen zu halten und zu stärken, die Vergleichbarkeit und Orientierung an Standards zu stärken und die Anforderungen, die an Schulen und an jeden einzelnen jungen Menschen gestellt werden, noch besser zu erfüllen.

Ich will in aller Kürze sagen: Die Struktur der gymnasialen Oberstufe macht dies deutlich. Individuelle Stärken und Begabungen der Schüler sollen eben nicht in einer Fülle von Wahl- und Abwahlmöglichkeiten ihren Ausdruck finden, sondern innerhalb des Profils, das die Schulen entwickeln, gefördert werden und so eine breitere Allgemeinbildung und eine bessere Grundbildung in den Kernfächern ermöglichen. So wird es übrigens seitens der Wirtschaft und der Hochschulen immer wieder gefordert. Das bloße Festhalten an schon lange nicht mehr Bewährtem führt nicht weiter.

(Beifall bei der SPD)

Wir können es auch nicht einfach hinnehmen, dass unsere Schulabgänger im internationalen Vergleich zu alt sind. Deshalb werden wir den gymnasialen Bildungsgang auf acht Jahre verkürzen. Die Reduzierung des Sitzenbleibens muss übrigens auch in diesem Kontext gesehen werden. Wir gehen auch hier nicht sorgsam mit der Lebenszeit junger Menschen um.

(Beifall bei der SPD)

Um eine bessere Vergleichbarkeit der Leistungen zu gewährleisten, werden wir die Durchführung von Vergleichsarbeiten ausweiten. Künftig wird es nicht nur am Ende der dritten Jahrgangsstufe in den Fächern Deutsch und Mathematik, sondern auch in den Klassen sechs und acht Vergleichsarbeiten geben. Wir werden schrittweise für alle Schulabschlüsse zentrale Prüfungen einführen. Schülerinnen und Schüler, die zurzeit die elfte Klasse besuchen, werden dabei die ersten sein. Sie werden sich in diesem Jahr darauf vorbereiten können. Auch der mittlere Schulabschluss und der Hauptschulabschluss werden künftig nur in Verbindung mit einer Prüfung mit zentralen Teilen erworben werden kön

nen. Wir wollen also die Qualität und die Vergleichbarkeit der Abschlüsse sichern und gleichzeitig mehr Schülerinnen und Schüler zu höheren Abschlüssen führen. Dass das geht, und zwar nicht zulasten der Qualität, zeigen beispielsweise Länder, die im Süden erheblich höhere Abiturientenquoten als wir haben, und zwar bei mindestens gleicher Qualität.

Die Sicherung und die Steigerung der Qualität sind auch unser Motiv bei der Weiterentwicklung der Beruflichen Schulen zu Regionalen Berufsbildungszentren. Als rechtlich und wirtschaftlich agierende Einrichtungen wird es ihnen noch besser gelingen, bedarfsgerechte und hochwertige Qualifizierungsangebote zu realisieren, wobei natürlich die Erfüllung des staatlichen Bildungsauftrags Kernauftrag der Beruflichen Schulen bleiben wird. Dies gilt es, immer wieder zu betonen.

Ich fasse zusammen: Nicht der eine oder der andere, sondern beide Aspekte - die Förderorientierung stärken und die Qualität sichern - bilden den roten Faden der geplanten Maßnahmen zur Weiterentwicklung unserer Schulen. Dies alles ist nicht über Nacht zu bewerkstelligen und umzusetzen. Ich verhehle auch nicht, dass es in manchen Fragen noch Klärungsbedarf gibt und dass auch zwischen den Koalitionspartnern noch Kompromisse gefunden werden müssen. Über die Grundlinie, die ich dargestellt habe, sind wir uns jedoch einig. Wir sind uns auch insgesamt einig in dem Bemühen um mehr Bildungsqualität und um Verbesserung der Lebenschancen für unsere Kinder und die jungen Menschen in Schleswig-Holstein.

(Beifall bei SPD und CDU)

Ich danke der Frau Ministerin für den Bericht und eröffne die Aussprache. - Für die CDU-Fraktion erteile ich Frau Abgeordneter Sylvia Eisenberg das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nichts ist so interessant wie das Thema Schule -

(Es ertönen Signaltöne aus den Lautspre- chern - Unruhe)

- Frau Landtagspräsidentin, könnten Sie einmal sagen, was hier los ist? - Gut, ich versuche es noch einmal. Jeder war einmal in der Schule, jeder hat Erfahrungen aus der Schulzeit - mal gute und mal schlechte. Alle sprechen nach TIMSS und nach PI

(Ministerin Ute Erdsiek-Rave)

SA von notwendigen Reformen, aber abgesehen von den Experten weiß keiner genau, was und wie.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Also alle!)

Hochfliegende Träume werden zusätzlich noch durch die enge Finanzdecke begrenzt. Insgesamt ist das also nicht einfach.

Will man Schule von Grund auf reformieren, was sich die große Koalition zum Ziel gesetzt hat, so muss man im Primar- und im Elementarbereich beginnen. Dabei darf man den Sekundarbereich natürlich nicht vergessen. Man muss auch auf die Berufsbildung und auf das Studium selbst achten. In allen Schulbereichen geht es für die CDU - und selbstverständlich auch für den Koalitionspartner um die Verbesserung der Qualität der schulischen Bildung insgesamt, um Transparenz und Vergleichbarkeit der schulischen Abschlüsse, um Durchlässigkeit innerhalb des bestehenden Systems bei Wahrung der Qualität der Ausbildung, um die Ausschöpfung der Begabungsreserven durch Förderung der schwachen und Forderung der leistungsstarken Schülerinnen und Schüler. Das wollen wir als CDU und hier sind wir uns mit der SPD einig.

Die Eckwerte für eine Neufassung des Schulgesetzes liegen vor. Damit haben die Landesregierung und das Bildungsministerium erste inhaltliche Vorstellungen öffentlich gemacht, die breit diskutiert werden. Der vorliegende Bericht fasst diese Eckwerte noch einmal zusammen. Es wird Aufgabe des Landtages sein, die Schulgesetznovelle zu beschließen und dafür zu sorgen, dass unsere Kinder und Jugendlichen, aber auch unsere Enkelkinder von den Maßnahmen profitieren, die im Schulgesetz verankert werden.

(Zurufe)

- Ein paar haben wir hier schon. Herr Dr. Klug, dieser Aufgabe sollten wir uns auch hier im Landtag bewusst sein. Das gilt natürlich auch für die Oppositionsparteien. Wir sollten das parteipolitisch Wünschenswerte auf das faktisch Machbare und Sinnvolle zum Wohle unserer Kinder reduzieren. Dass bei dieser Ausgangslage Kompromisse geschlossen werden und auch geschlossen werden müssen, ist klar. Es müssen selbstverständlich auch Kompromisse zwischen den Koalitionsparteien geschlossen werden. Plakative Schlagworte hinsichtlich der prozentualen Durchsetzung parteipolitischer Ansätze sind bei der Kompromissfindung nicht gerade hilfreich, Herr Dr. Klug. Das sollen diese Schlagworte ja auch nicht sein. Sie sollen einen Koalitionsstreit heraufbeschwören. Herr Dr. Klug, das haben wir in der Opposition lange ge

nug versucht; genützt hat es unseren Schülerinnen und Schülern nicht.

In den letzten Landtagssitzungen haben wir ausgiebig über die Reform der Oberstufe des Gymnasiums debattiert. Wir haben ebenfalls über die Weiterentwicklung der Beruflichen Schulen diskutiert. Ich will hier ausdrücklich hervorheben: Die CDU steht hinter beiden Reformansätzen. Die Weiterentwicklung der Oberstufe in Richtung Profiloberstufe, der vermehrte Unterricht im Klassenverband bei Erhalt einer wenn auch eingeschränkten Wahlfreiheit und die schrittweise Einführung der landesweit einheitlichen Abiturprüfung sind Reformen, die zu einem Zuwachs an Allgemeinbildung und damit zu verbesserter Studierfähigkeit führen. Sie gewährleisten auch eine stärkere Vergleichbarkeit der Leistungen und eine erhöhte Transparenz der Aufgabenstellungen. Damit schließt Schleswig-Holstein endlich zu der bundeseinheitlichen Entwicklung auf. Das ist gut so.

Auch die Verkürzung der gymnasialen Schulzeit auf zwölf Jahre ist unser Wunsch. Allerdings führt der vorgesehene Einstieg im Schuljahr 08/09 dazu, dass der erste verkürzte Abiturjahrgang erst im Schuljahr 2016 Abitur machen wird. Eine frühere Einführung würde die CDU begrüßen. Da das aber zusätzliche personelle Ressourcen erfordert, geht unsere Bitte an den Finanzminister, die frühere Einführung des achtjährigen Gymnasiums zumindest zu prüfen und wenn möglich unter finanziellen Gesichtspunkten hinzubekommen. Leider ist er zurzeit nicht anwesend.

Der Koalitionsvertrag sieht eine Weiterentwicklung des gegliederten Schulsystems vor. Darüber hinaus kann es ein Nebeneinander von Schulen des gegliederten Schulsystems und von Gemeinschaftsschulen geben. Die Wahlfreiheit der Eltern muss erhalten werden. Gesamtschulen sollen sich - so steht es im Koalitionsvertrag - schrittweise zu Gemeinschaftsschulen entwickeln.

Die Weiterentwicklung des gegliederten Schulsystems bedeutet für die CDU-Fraktion, Begabungen und Begabungspotenziale durch mehr Durchlässigkeit - vor allem nach oben - auszuschöpfen, Wiederholungen und Rückstufungen durch eine echte Orientierung in den Klassen fünf und sechs möglichst zu vermeiden durch den Einsatz von Fördermaßnahmen für leistungsschwache und leistungsstarke Schüler im Rahmen des Förderfonds und durch Erweiterung der Bestimmungen für Nachprüfungen. Ein Versetzen auf Probe wäre ebenfalls denkbar, aber ein Durchreichen durch die Klassen 7 bis 9 fällt uns in erheblichem Maße schwer. Das will ich hier durchaus noch einmal sagen.

(Sylvia Eisenberg)