Protocol of the Session on January 25, 2006

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es gibt - in der Analyse sind wir uns heute einig nach wie vor reichlich Handlungsbedarf. Die derzeitige Organisation des Föderalismus führt zu zahlreichen Problemen, die auch im Zeichen großer Koalitionen geblieben sind. Es sind grundsätzliche strukturelle Fragen. Die Gesetzgebungskompetenz ist ein Geflecht, das für den normalen Menschen, aber nicht nur für den, nicht durchschaubar ist. Die Unübersichtlichkeit des Gesetzgebungsverfahrens ist auch eine Ursache für die Politikverdrossenheit vieler Menschen. Die Beteiligung des Bundesrates an der Gesetzgebung des Bundes erstreckt sich auf zu viele Bereiche. Die starke institutionelle Verflechtung bewirkt Politikblockaden. In einigen Feldern, besonders in verfahrensrechtlichen Fragen, regelt der Bund zu viel, tangiert die Eigenständigkeit der Länder und verletzt gar das Subsidiaritätsprinzip. In anderen Bereichen mangelt es dem Bund an Handlungsfähigkeit zur Wahrung gleichwertiger Lebensverhältnisse oder zum Beispiel zur Sicherung von Schutzinteressen in Umwelt- und Verbraucherschutz.

Der Föderalismus hat sich zu einem Exekutivföderalismus entwickelt. Die Finanzverflechtungen von Bund, Ländern und Gemeinden sind unübersichtlich und verhindern in ihrer Struktur einen optimalen Einsatz von Steuergeldern und die europäische Willensbildung ist in Deutschland suboptimal. Wenn andere schon entscheiden, diskutiert Deutschland und läuft hinter der eigenen Entscheidung her. Insbesondere, meine Damen und Herren, in der Bildungspolitik ist Handlungsbedarf. Allerdings - da haben wir große Differenzen - sollte Bildungspolitik zunächst eine originäre Landesaufgabe sein. Allerdings leidet gerade der Bildungsbereich vor allem an der gegenseitigen Blockade der Länder in der Kultusministerkonferenz. Da ist die Frau Präsidentin sicherlich gefragt. Wir Grünen verlangen deshalb nach wie vor ein Bundesgrundsatzgesetz. Rahmengesetzgebung ist etwas, was in der al

(Lothar Hay)

ten Koalition schon als obsolet diskutiert worden ist, aber Grundsätze auf bundesrechtlicher Ebene sind notwendig. Ein solches Grundsatzgesetz sollte die gegenseitige Anerkennung der Bildungsabschlüsse regeln und garantieren.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein solches Gesetz wäre ein gutes Beispiel dafür, dass gerade durch ein Grundsatzgesetz die Handlungsfreiheit der Länder hergestellt werden kann.

Meine Damen und Herren, ich möchte aber nicht verhehlen, dass nicht nur in der Grünen-Debatte, sondern auch gesellschaftlich diese Position nicht unumstritten ist. Es wird durchaus ein einheitliches gleichwertiges Schulsystem für alle Kinder in der Bundesrepublik diskutiert. Das ist so nicht unstreitig.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In der Umweltpolitik können wir davon ausgehen, dass sich möglicherweise auf der Basis der Kommissionsvorschläge etwas tut. Die Situation stellt sich etwas anders dar als in der Bildungspolitik. Es gibt hehre Prinzipien, die gerade in der Umweltpolitik im Konkreten oft gern geopfert werden. Deshalb brauchen wir nationale Grundsätze. Aber aus unserer Sicht sollten diese Standards doch, im Gegensatz zur Auffassung der FDP, die Möglichkeit lassen, sozusagen nach oben übertroffen zu werden. Die Länder sollten eigene Regelungen treffen können, die über die Standards hinausgehen. So ist zum Beispiel bei den Umweltabgaben eine originäre Länderzuständigkeit durchaus denkbar.

Ein Thema, wo ich hier von Ihnen, Herr Ministerpräsident, doch eine klare Aussage erwartet hätte, zumal es letztlich unstreitig ist, ist das Thema Küstenschutz. Mir scheint es mittlerweile - ich hoffe sehr, dass es dabei bleibt - unstreitig, dass die Finanzierung des Küstenschutzes eine bundesstaatliche Aufgabe, also eine Gemeinschaftsaufgabe bleiben muss und bleiben sollte. Das ist ein originäres Interesse Schleswig-Holsteins. Selbst Ministerpräsident Koch hat in der letzten Kommission deutlich erklärt, dass er das versteht, zumal er oft auf Sylt ist.

Das öffentliche Dienstrecht ist angesprochen worden. Natürlich ist der größte Teil der Beamten und Beamtinnen und Angestellten im öffentlichen Dienst im Dienste der Länder und Kommunen. Wir meinen so wie die alte Landesregierung und wie es sich jetzt möglicherweise andeutet, dass bundesgesetzliche Grundsätze notwendig sind. Ein 16-faches Beamtenrecht, das über die derzeitigen Regelungen hinausgeht, halten wir für problematisch. Aber,

meine Damen und Herren, ich werde nicht müde, darauf hinzuweisen, dass letztlich der Artikel 33 Absatz 4 GG und insbesondere Absatz 5 zu regeln beziehungsweise zu ändern ist. Die vorgeschlagene Lösung, die herkömmlichen Grundsätze des Berufsbeamtentums weiterzuentwickeln, ist ein alter Vorschlag aus Bayern, der aber Steine statt Brot gibt, weil er nämlich nicht an die Grundsätze herangeht, sondern letztendlich die herkömmlichen Grundsätze fortschreibt. Nach wie vor ist nach unserer Auffassung die Bullsche Reform auf die Tagesordnung zu setzen.

Vordergründig, meine Damen und Herren, bin ich etwas beruhigt, aber leider hat der Herr Ministerpräsident dazu nichts gesagt. Artikel 74 Absatz 1 Ziffer 7, das heißt die Bundeskompetenz zur Gesetzgebung bei der öffentlichen Fürsorge, kommt, soweit ich das in diesem dicken Papier von CDU und SPD habe lesen können, nicht vor. Das heißt im Klartext, möglicherweise gehen Sie mit uns davon aus, dass gleichwertige Lebensverhältnisse, gerade bei der Kinder- und Jugendhilfe, aber auch im Heimrecht weiter bundesrechtlich garantiert werden müssen. Ich hoffe, dass wir da nichts übersehen haben und wäre natürlich dankbar, wenn Sie, Herr Ministerpräsident, dazu ebenso klar und deutlich Stellung nehmen würden, wie Sie eben zum Thema Strafvollzug Ihre Position geäußert haben. Denn wir möchten uns gerade nicht auf das freundliche Lächeln unserer jetzigen Bundesfamilienministerin verlassen, sondern denken, dass schon gerade die Ministerpräsidenten der Länder dazu Stellung nehmen sollen. Ich darf Sie daran erinnern, dass wir in dieser Frage in der letzten Legislaturperiode hier im Landtag parteiübergreifende und fraktionsübergreifende Einigkeit erzielt hatten.

Keine Einigung hatten wir erzielt - darum wäre ich auch hier für eine Äußerung dankbar gewesen - in sicherheitspolitischen und rechtspolitischen Grundsatzfragen. Beispielsweise warnen wir nach wie vor intensiv davor, das föderale System in Fragen der Zuständigkeit des Bundeskriminalamtes anzutasten, eine zentrale Weisungsbefugnis des Bundeskriminalamtes, wie sie immer noch durch die Gegend geistert, halten wir für hochproblematisch. Etwas anderes wäre eine grundsätzliche Zusammenarbeitsreform der Dienste.

Meine Damen und Herren, eine wirkliche Entflechtung zwischen Bund und Ländern - große Koalitionen hin oder her - wird es nur geben, wenn ein sorgfältiges Geben und Nehmen von beiden Seiten garantiert ist. Dazu gehört - ich glaube, Herr Kubicki hat das deutlich gesagt - das Konnexitätsprinzip. Es gehört in das Grundgesetz. Da gibt es

(Anne Lütkes)

kein Vertun und auch da sollte Schleswig-Holstein, vertreten durch die Landesregierung, ein deutliches Wort sagen.

Die Reform der Finanzbeziehungen von Bund, Ländern und Gemeinden ist überfällig. Eine sachgerechte Reduktion und inhaltliche Effektivierung sind angesagt. Die gemeinsame Finanzierung von Aufgaben durch unterschiedliche Ebenen sollte auf die Tatbestände begrenzt werden, bei denen eine Beteiligung des Bundes aufgrund der nationalen Bedeutung oder für die Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse erforderlich ist. Wir sind nach wie vor der Auffassung, dass beispielsweise bei der Finanzierung von Kinderbetreuungsmöglichkeiten der Bund in der Pflicht wäre, er ist es aber grundgesetzlich und tatsächlich gegenwärtig nicht. Also auch hier: Wer bestellt, der bezahlt. Das Konnexitätsprinzip sollte durchschlagend zur Geltung kommen, wenn es erst einmal im Grundgesetz wäre.

Herr Hay hat etwas zur Gemeinschaftsaufgabe im Hochschulbau gesagt. Vielleicht kommt noch eine ergänzende Stellungnahme der Landesregierung, zumal der Katalog, den die große Koalition vorlegt, sehr detailliert Stellung nimmt. Wir sind nach wie vor der Meinung, dass die Finanzierung unserer Hochschulen natürlich grundsätzlich neu geordnet werden muss, es aber nicht allein einem einzelnen Bundesland überlassen werden darf zu entscheiden, ob an einem Standort international wettbewerbsfähige Spitzenleistungen in der Wissenschaft von gesamtgesellschaftlicher Bedeutung sind, entwickelt werden oder verkümmern.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, wir Grünen halten nach wie vor fest am Begriff des Gestaltungsföderalismus. Dieser Begriff erläutert unsere Philosophie. Er grenzt sich ab gegen den Blockadeföderalismus, der von parteipolitischen Interessen bestimmt ist. Er grenzt sich ab gegen den Exekutivföderalismus, für den in der Vergangenheit sich deutlich die Ministerpräsidenten profilieren wollten. Im Moment ist es etwas ruhiger geworden, aber man weiß ja nie, wie es weitergeht.

Der Gestaltungsföderalismus öffnet sich zunächst einer nationalen Stärkung der Landesparlamente, könnte aber auch geeignet sein, eine Internationalisierung der Parlamente herbeizuführen. Dieser Begriff des Gestaltungsföderalismus grenzt sich aber auch ab gegen den Wettbewerbsföderalismus. Wir halten nach wie vor an einer Verfassungsaufgabe zur Garantie der gleichwertigen Lebensverhältnisse in der ganzen Bundesrepublik fest. Ich bin nach wie vor der Auffassung, dass die Festlegung

dieser Verfassungsaufgabe im Grundgesetz angebracht wäre in Ergänzung des Artikels 20 und nicht durch eine von Ihnen möglicherweise aufgeweichte Erforderlichkeitsklausel, wo die gleichwertigen Lebensverhältnisse unter ferner liefen im Grundgesetz erwähnt würden. Ich denke, diese Verfassungsaufgabe ist das Bindende in einem Bundesstaat. Alle Menschen, die gestaltend tätig sind, sollten die Verpflichtung haben, die Gleichwertigkeit der Möglichkeiten, insbesondere der Kinder und Jugendlichen zu garantieren und es nicht dem freien Spiel der Kräfte im Verhältnis der Länder zu überlassen.

Eine solche Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in einem Bundesstaat zu garantieren, der nicht durch kleinstaatliches Fürstentumdenken gehindert wird, der in der Lage ist, den Zentralstaat zurückzugrenzen und der darüber hinaus auch noch grenzüberschreitend handlungsfähig ist und den Ländern an ihren Grenzen die Möglichkeit gibt, mit den Nachbarländern wirklich zusammenzuarbeiten und nicht den Umweg über den Bund nehmen zu müssen, das ist unsere Leitlinie.

Meine Damen und Herren, das hieße aber auch, um es einmal anzusprechen - niemand hat es heute gesagt -, dass eine Gebietsreform durchaus auf der Tagesordnung stände, und zwar nicht nur für Norddeutschland, wo die Debatte geführt wird - Anke Spoorendonk guckt kritisch, aber sie wird geführt -, sondern für die ganze Bundesrepublik. Das heißt auch, dass die Bedeutung des Nationalstaates in einem vereinten Europa zu diskutieren sein wird, wenn es - auch das müssen wir diskutieren - um die Abgabe von Hoheitsrechten an ein neues europäisches Gebilde geht, dass dann vielleicht ein Bundesstaat oder wenigstens ein Staatenbund sein muss.

Das hieße aber auch, mutig die Kommunalfinanzen voranzutreiben; denn eine solche Weiterentwicklung des Staates erfordert starke Kommunen und starke Länder. Da haben wir noch ein ganzes Stück zu laufen. Deshalb bin ich der Auffassung, dass das, was die Bundeskanzlerin gesagt hat, nämlich der Knoten in der Föderalismuskommission sei durchgeschlagen, leider nicht der Fall ist. Er ist festgezurrt. Es ist ein dickes Papier, aber gelöst ist nun leider gar nichts. Insofern warte ich auf weitere Berichte.

Herr Ministerpräsident, ich hoffe, im Ausschuss kann das weiter in einer detaillierten Form besprochen werden. Vielleicht nehmen wir dann das Papier, die Anlage 2 zum Vertrag der großen Koalition, und arbeiten es gemeinsam durch. Dann wissen wir, was die Landesregierung von Schleswig-Hol

(Anne Lütkes)

stein dazu sagt. Heute haben wir es leider nicht erfahren.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe verstanden, dass es bei der Föderalismusreform insbesondere auch um die Rechte des Parlaments geht. Es wäre schön, wenn wir das durch Präsenz ein wenig dokumentieren könnten.

(Beifall bei SPD und FDP)

Nunmehr erteilte ich für die Abgeordneten des SSW das Wort der Vorsitzenden, der Kollegin Anke Spoorendonk.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Landtag nimmt sich heute 90 Minuten Zeit, um über den Stand der Föderalismusreform zu debattieren. Vielleicht hätten wir sagen müssen, in der Kürze liegt die Würze. Aber dennoch denke ich, dass das angemessen ist; denn das Vorhaben, den bundesdeutschen Föderalismus zu reformieren, gehört schließlich zu den zentralen Reformprojekten der neuen Berliner Koalition.

Die Reform kann aber nur gelingen, wenn die Blockaden der bundespolitischen Entscheidungsstrukturen wirklich aufgebrochen werden und die Landesparlamente ihre ursprüngliche Funktion und Macht wiedererlangen. Das wäre dann aber auch eine außerordentliche historische Leistung der großen Koalition unter der Bundeskanzlerin Merkel. Für das Scheitern gilt umgekehrt das Gleiche: Sollte die längst überfällige Reform zu einem Reförmchen verkommen oder doch wieder an parteipolitischen Spielchen scheitern, wäre eine Chance vertan.

Zu den konkret vorliegenden Vorschlägen der großen Koalition, die als Anlage der Koalitionsvereinbarung beigefügt sind, haben wir uns ja bezüglich des Strafvollzuges bereits in der letzten Landtagstagung geäußert. Der SSW hat hier seine Kritik an der vollständigen Verlagerung des Strafvollzuges einschließlich des Vollzugs der Untersuchungshaft auf die Länderebene dargelegt. Wir teilen im Übrigen - das sage ich auch noch einmal - die Haltung der Landesregierung in Bezug auf die Zuständigkeiten bei der Landesbeamtenbesoldung, die nach den Vorstellungen der Koalition in Berlin ganz auf die einzelnen Länder übergehen soll.

So sind wir eigentlich auf einem guten Weg, über die Kompetenzen zu diskutieren. Ich bin davon überzeugt, dass wir dabei bleiben sollten: Wir soll

ten auch die weiteren Vorschläge auf ihre Auswirkungen auf die Länder und ihre Tragfähigkeit hin kritisch überprüfen.

Die Rückführung der Gemeinschaftsaufgaben, die Auflösung der Mischfinanzierung sowie die Reduzierung der Rahmengesetzgebung und damit der zustimmungspflichtigen Gesetze sind grundsätzlich auch aus Sicht des SSW zu begrüßen. Damit würde wirklich vieles klarer werden. Dennoch darf nicht übersehen werden, dass der Bund zum Beispiel im Bereich der Bildung weiterhin einer gesamtgesellschaftlichen Verantwortung nachkommen muss. Es muss also möglich sein, auch künftig Hochschulen und Schulen vonseiten des Bundes finanziell zu unterstützen. Nur der Bund konnte zum Beispiel mit dem Programm für die Ganztagsschulen diesen Bereich bundesweit in Bewegung setzen. Das Gleiche gilt für die Förderung von Forschung und Wissenschaft. Auch hier springt zu kurz, wer nur die reine Lehre vertritt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, gestatten Sie mir vor diesem Hintergrund einen Hinweis auf ein weiteres potenzielles Aufgabenfeld: Der Bund hat sich in lobenswerter Weise in den letzten Jahren zur Unterstützung der nationalen Minderheiten sowie deren Sprachen und Kultur bekannt und die vier anerkannten autochthonen Minderheiten über den Bundeshaushalt gefördert. Auch wenn dieser Aspekt bei der Föderalismusreform sicherlich nicht im Vordergrund steht, so sollte diese - zweifellos gemeinsame - Aufgabe der Länder und des Bundes in diesem Prozess mitbedacht werden. Ich rege daher an, dass sich Schleswig-Holstein gemeinsam mit Sachsen und Brandenburg, also den Bundesländern mit einer sorbischen Minderheit, überlegt, wie diese durchaus in Teilen überregionale Aufgabe Schutz und Förderung der autochthonen Minderheitenkulturen bei der anstehenden Grundgesetzänderung systemkonform berücksichtigt werden könnte.

(Beifall beim SSW und des Abgeordneten Jürgen Weber [SPD])

Die bisher eher zufällige Form der Förderung sollte in eine Vereinbarung zwischen dem Bund und den Ländern auf eine solide und verlässliche Grundlage gestellt werden. Die Minderheitenpolitik ist kein zentrales Thema in der Föderalismusdiskussion, zeigt aber anschaulich, um was es geht: um die zukünftige Verfasstheit Deutschlands.

Nun, liebe Kolleginnen und Kollegen, komme ich vom Detail zum Grundsätzlichen. In Deutschland besteht ein dringender institutioneller Reformbedarf. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben sich sicherlich nicht träumen lassen, dass aus

(Anne Lütkes)

der Doppelzuständigkeit von Bundesrat und Bundestag eine handfeste Blockademöglichkeit erwachsen würde, die von der einen oder anderen Volkspartei je nach Gusto missbraucht wird. Ich meine, dass man durchaus von einer latenten Verfassungskrise sprechen kann, wenn man die Lähmung der Politik der letzten Jahre betrachtet.

Die letzten großen Föderalismusreformen hat übrigens die letzte große Koalition Mitte der 60er-Jahre vorgenommen. Unter anderem wurden Gemeinschaftsaufgaben, lieber Kollege Weber, ins Grundgesetz eingeführt und somit die Mischfinanzierung erheblich ausgeweitet. Auch damals ging man mit den besten Absichten zu Werke. Die gesellschaftliche Entwicklung erforderte zentralere, einheitlichere Lösungen unter Beibehaltung der verfassungsmäßig vorgeschriebenen föderalen Ordnung.

Die unbeabsichtigte Folge ist: Der Anteil der zustimmungspflichtigen Gesetze wuchs stetig an. Mitte der 70er-Jahre kam es durch unterschiedliche parteipolitische Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat zu einem sprunghaften Anwachsen der Anrufungen des Vermittlungsausschusses; über 100 Anrufungen, überwiegend seitens des Bundesrates. Die damalige Regierung Schmidt - so ist die Geschichte des Föderalismus - hat sich in der Regel durch Zugeständnisse an einzelne oder mehrere der unionsgeführten ,,B-Länder" die Zustimmung oder den Kompromiss ,,erkauft". Das ist eine Praxis, die von späteren Regierungen in den 80er-Jahren fortgesetzt wurde. Der Bund setzte sich meistens durch, aber im doppelten Sinne für einen hohen Preis. Einerseits wurden Steuergelder umgelenkt und andererseits wurden die Ergebnisse jenseits der Öffentlichkeit im nichtöffentlichen Vermittlungsausschuss ausgehandelt.

Gleichzeitig geraten die Landesparlamente ins Hintertreffen, weil die Landesvertreter im Bundesrat Mitglieder der jeweiligen Landesregierungen und nicht der Landtage sind.

Zwanzig Jahre lang -, das wissen wir - wurde die Diskussion über die Mängel der bundesdeutschen Ordnung hauptsächlich in akademischen Fachzirkeln geführt. Die zunehmende Krise der öffentlichen Haushalte im Laufe der 80er- und 90er- Jahre, die den Spielraum für teure Kompromisspakete zunehmend einengte, sowie die Deutsche Einheit, die die Zahl der Bundesländer von 11 auf 16 erhöhte, setzte die Reform des Föderalismus ernsthaft auf die politische Tagesordnung.

Auch ich möchte in diesem Zusammenhang an den Föderalismuskonvent der deutschen Landesparlamente im März 2003 in Lübeck erinnern, zu dem ja