Eine Verweigerungshaltung wäre in dieser Sache auch kontraproduktiv. Denn es gibt internationale Verpflichtungen, die eine Reform unabdingbar machen. Hierauf wurde bereits vonseiten der britischen EU-Präsidentschaft hingewiesen. Es wurde mitgeteilt, dass eine Reform notwendig sei, um der EU bei den Welthandelsgesprächen im Dezember einen besseren Stand zu geben.
Darüber hinaus ist ein wesentlicher Bestandteil des Reformprozesses die Schaffung von Übergangsregelungen, die für die Länder Afrikas, der Karibik und des Pazifiks annehmbar sind und ihnen wirksam helfen, sich auf die Reform einzustellen.
Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass die Zuckermarktordnung der EU eine Privilegierung der europäischen Zuckerrübenanbauer mit sich gebracht hat. In der EU wurde über Jahrzehnte hinweg ein
Preis für Zucker gezahlt, der weit jenseits des Weltmarktpreises lag. So sind die Preise circa dreimal höher als das Weltmarktniveau. Dass dies eine erhöhte Zuckerrübenproduktion mit sich gebracht hat, ist eine logische Konsequenz der EU-Agrarförderpolitik. Diese Überproduktion hat erhebliche Nachteile für die Märkte der Entwicklungsländer gebracht.
Hiermit nun aufzuräumen und die Preise für Zucker zu senken, ist eine Fortführung der EU-Agrarreform. Die Frage ist jedoch, in welchem Umfang und mit welcher Härte dies geschieht.
Der Deutsche Bauernverband hat eine Preissenkung um 39 % kritisiert und darauf hingewiesen, dass eine derartige Preissenkung den Erzeugern in der EU keine kostendeckenden Erlöse gewährleiste. Ebenso wurde kritisiert, dass die von der Kommission vorgeschlagene Reform vorgezogen werde, also eine Verkürzung der bestehenden Zuckermarktordnung darstelle.
Derartige Befürchtungen und die Kritik vonseiten der Landwirtschaft müssen ernst genommen werden. Daher sind wir der Auffassung, dass eine Zuckermarktreform nur durchgeführt werden darf, wenn sie über einen längeren Zeitraum durchgeführt wird. Die betroffenen Landwirte und die nachgelagerten Bereiche im Zuckersektor müssen entsprechende Planungssicherheiten haben. Das heißt, es ist nachvollziehbar und nicht von der Hand zu weisen, dass die Entwicklungsländer die gleichen Chancen an unserem Zuckermarkt haben müssen wie unsere Landwirte, wenn sie die gleichen qualitativen, ökologischen und sozialen Standards erfüllen.
Diese Konkurrenz wird auf jeden Fall zu einem massiven Preisverfall in Europa führen, weil langfristig das Subventionsniveau nicht gehalten werden kann. Dieser Anpassungsprozess muss aber in Stufen vor sich gehen, damit sich die Betroffenen darauf einstellen können. Diese Erkenntnis ist bitter, aber sie wird sich nicht abwehren lassen.
Unser politisches Ziel muss aber darin bestehen: Wenn wir Waren und Zucker von außerhalb der EU importieren, dann müssen wir dieses an qualitative, ökologische und soziale Standards koppeln. Dies wäre auch mit der europäischen Politik vereinbar und für dieses Ziel muss sich die gesamte Politik - gerade auf EU-Ebene - einsetzen. Ein Festhalten an den alten Strukturen hilft hier in keinem Fall weiter.
desverfassung das Wort. Damit erhalten alle Fraktionen nach § 58 Abs. 1 unserer Geschäftsordnung noch einmal die Hälfte der festgesetzten Redezeit.
Meine Damen und Herren, ich habe die Ausführungen mit Interesse gehört. Sie werden mir gestatten, dass ich mich gemeldet habe, weil ich mich einige Jahre lang gerade mit der Zuckermarktordnung beschäftigt habe. Ich wäre sehr dankbar, wenn die Auswirkungen der Änderung der Zuckermarktordnung jedem, und zwar überall, klar wären.
Ich will nicht darüber reden, was jetzt bei uns passiert. Dass wir an Wettbewerbsfähigkeit bei der Zuckerproduktion verlieren werden, darüber will ich nicht reden. Aber an der Argumentation dahin gehend, Herr Kollege Hentschel und auch Lars Harms, dass wir Nachteile für die Entwicklungsländer heraufbeschwören, wenn wir die Zuckermarktordnung beibehalten, will ich etwas korrigieren.
Ich glaube, Folgendes ist unbestritten: Die Öffnung der Märkte hat für die Entwicklungsländer etwas mit Armutsbekämpfung zu tun. Eine gute Regierung und die Öffnung der Märkte sind die Voraussetzungen. Es gibt zwei Länder, bei denen dieses nicht der Fall ist: Das sind die Philippinen und das ist Brasilien, weil die Strukturen der Landwirtschaft in diesen Ländern völlig anders sind.
Ich halte die Änderungen der Europäischen Union bei der Zuckermarktpolitik für einen riesigen Fehler; das will ich hier ganz deutlich sagen.
Die Änderungen werden Folgendes bewirken: Sie werden gerade in Brasilien nicht einen einzigen der armen Zuckerbauern reicher machen.
Die Reichen in Brasilien werden vielmehr reicher werden. Die sitzen nämlich schon gar nicht mehr in Brasilien und die Armen, die dort arbeiten, bleiben genauso arm, wie sie es sind.
Lieber Lars Harms, nun zu Ihrer Aussage, wir sollten den Anspruch erfüllen, dort ökologische und qualitative
Wenn wir beide uns entschlössen, auszusteigen, und nach Brasilien gingen, dann würde uns die dortige Regierung einige tausend Hektar zur Verfügung stel
len, die gerodet würden, um Zuckerrohr anzubauen. Dies würde aber unter der Auflage geschehen, dass wir dieses Zuckerrohr zu exportieren hätten.
Zu meinen, nur aus dem Zucker aus der Europäischen Union Kraftstoffe herstellen zu können, ist doch absurd. Denn es würde der Zucker aus Brasilien auch hier zu Billigpreisen auf den Markt kommen, um Kraftstoff zu produzieren oder - wie es schon gemacht wird - 1 Million t Zuckeräquivalent als Bioalkohol zu importieren.
Als ich seinerzeit Agrarausschussvorsitzender im Deutschen Bundestag war, saßen aus diesem Grund die Sprecher der AKP-Länder und die Sprecher der Least Developed Countries in meinem Büro. Sie haben uns herzlichst und dringend gebeten, nicht an der Zuckermarktordnung zu rühren. Denn sie haben eine Quotierung. Sie exportieren den Zucker zu den Preisen, die wir hier haben. Mit dem Mehrerlös, den sie auf den europäischen Märkten erzielen, sind sie in ihren Ländern in der Lage, ihren Wohlstand zu vermehren und ihre Entwicklung zu finanzieren. Dieser Mehrerlös ist nämlich wesentlich höher als das, was wir ihnen an Entwicklungshilfe geben.
Insofern bitte ich, auch diese Punkte zu berücksichtigen und nicht einfach zu meinen, Liberalisierung in diesem Bereich sorge dafür, den Entwicklungsländern - zu den Least Developed Countries sagen wir immer: „Everything but arms“ - etwas Gutes zu tun. Schließlich würden wir diesen Ländern gleichzeitig die Möglichkeit abschneiden, ihren Zucker zu guten Preisen in die Europäische Union zu bringen. Ich halte das für einen großen Fehler. Ich hielte es für nicht verantwortbar, wenn ich das hier nicht noch einmal sagen würde.
Danke schön. - Es gibt das Angebot, nach § 58 Abs. 1 zu sprechen. Das ist keine Verpflichtung. Ich sehe, dass die Fraktionen dieses Angebot nicht wahrnehmen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Ministerpräsident, mit dem, was Sie gesagt haben, kommen wir in eine entwicklungspolitische Debatte; das ist völlig klar. Diese werden wir hier nicht ausführlich führen können.
Richtig ist, dass die Auswirkungen von Marktöffnung in den einzelnen Ländern sehr unterschiedlich sind. Richtig ist aber auch, dass die These, dass es dann, wenn wir die Globalisierung zurückfahren und die Märkte abschotten, den Menschen in den armen Ländern besser geht, nur noch von sehr wenigen Menschen getragen wird. Das Gegenteil ist der Fall. Dass in den armen Ländern die Entwicklung ganz entscheidend von der Existenz eines Mittelstandes und von einer vernünftigen Einkommensverteilung abhängt und dass Brasilien im Unterschied zu den asiatischen Staaten, die einen starken Mittelstand haben und deswegen auch gute Entwicklungschancen haben, weltweit das Land ist, das die größten Einkommensunterschiede und die größte Polarisierung zwischen Reichtum und Armut und Besitz und Nichtbesitz aufweist und dass dies eines der größten Entwicklungsprobleme von Brasilien ist, ist ebenfalls richtig.
Daraus nun Konsequenzen für die Marktordnung und auch für die Zuckermarktordnung zu ziehen, ist meiner Ansicht nach nicht zulässig. Die Konsequenz daraus kann man gerade in der politischen Entwicklung in Brasilien erleben. In Brasilien muss es zu einer sozialen Revolution, einer Verteilung des Bodens kommen, so wie es in Asien, beispielsweise in Thailand und in Südkorea, die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Entwicklung war. Diese Bodenreform muss es auch in Brasilien geben, damit Brasilien überhaupt die Chance hat, sich endlich dynamisch zu entwickeln, und nicht in der Situation festklemmt, in der es steckt.
Das andere Problem der AKP-Staaten, das sie angesprochen haben, ist ebenfalls richtig. Deswegen ist es auch in der EU Konsens, dass es weiterhin Importkorridore für die AKP-Staaten gibt. Ich finde es richtig, dass sie beibehalten werden. Das ist eine notwendige Begleitmaßnahme dieser Entwicklung; sonst würden sie tatsächlich zu den Leittragen dieser Veränderungsprozesse.
Wie immer, wenn man die Dinge sehr konkret betrachtet, kommt man zu sehr komplizierten Debatten. Das ist nicht immer ganz einfach. Trotzdem glaube ich an das Grundprinzip, dass die Öffnung der Märkte letztlich auch den armen Ländern nützt, weil sie sich nur dann, wenn sie etwas in die Industriestaa
ten verkaufen, entwickeln können. Entwicklungshilfe allein reicht da nicht aus. Dieses Grundprinzip gilt. Konkret betrachtet ist das Ganze sehr viel komplizierter. Man muss bei der Festlegung der Rahmenbedingungen sehr genau darauf achten, wie sie wirken, damit man keine Fehler macht, die möglicherweise das Gegenteil dessen bewirken, was man bewirken möchte.
Nach § 56 Abs. 4 oder § 58 Abs. 1 - das können Sie sich aussuchen, Herr Kollege Harms - erteile ich Ihnen jetzt das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte natürlich erklären, warum ich gesagt habe: Wir müssen uns daran orientieren, ökologische und vor allen Dingen auch soziale Standards zu berücksichtigen, wenn wir etwas importieren. Herr Ministerpräsident, Sie haben ja Recht, wenn Sie sagen, in Brasilien ist die Lage für die Menschen nicht gerade prickelnd, was die soziale Schieflage in diesem Land angeht. Nun befördern wir noch den Unterschied zwischen Arm und Reich.
Mit der gleichen Begründung könnte ich sagen: Lasst uns auf keinen Fall Kohlesubventionen streichen, weil die Lage der chinesischen Arbeiter in den Kohleminen nicht gerade prickelnd ist. Wir importieren aber schon jetzt Kohle aus Ländern, in denen die Lage für die Menschen nicht gut ist. Mit der Begründung könnte ich so ziemlich jede Handelsbeziehung zu vielen Ländern streichen. Damit komme ich nicht weiter.
Ich muss mir überlegen, und zwar auf europäischer Ebene - das ist in der Tat nicht unsere Aufgabe -, wie ich erreiche, dass in den Ländern die normalen Standards - man wird nicht auf Anhieb unsere Standards durchsetzen können - gelten. Das erreiche ich nur dadurch, indem ich hier Regeln schaffe, mit denen klar wird: Ich handele nur mit euch, wenn ihr diese Standards erfüllt. Genau das meine ich.
Natürlich braucht es dafür in irgendeiner Art und Weise auch für unsere Landwirtschaft Übergangsregelungen. Wir werden es ohne eine solche Regelung nicht schaffen, uns in bestimmten Bereichen abzuschotten und anderen in bestimmten Bereichen entgegenzukommen. Das ist in meinen Augen auch inkonsequent und nicht transparent genug.
Wenn wir tatsächlich mit allen Handel betreiben wollen, dann müssen wir dies zu allgemein gültigen Bedingungen machen, dann müssen wir die Bedingungen hier festlegen. Dazu sagt der Politiker Lars Harms: Soziale und ökologische Bedingungen sind dabei wichtig. Gewisse Standards geben wir vor. Ob man das mit Zertifikaten oder mit anderen Mitteln macht, ist egal. Wer diese Bedingungen erfüllt, darf mit uns handeln. Wer sie nicht erfüllt, darf nicht mit uns handeln.
Das haben wir auch unter der alten Landesregierung zumindest für uns selber in Bezug auf die Holzwirtschaft gemacht, und zwar bewusst. Es ist der richtige Weg, wenn wir selber die sozialen Standards vorgeben, nach denen wir einkaufen wollen. Nur so bekommen wir das Problem langfristig und in allen Bereichen, nicht nur beim Zucker, gelöst.