Protocol of the Session on November 9, 2005

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Das SGB II ist auch ein Leistungsgesetz, das für viele Arbeitsuchende Vorteile bietet. Es bezieht Menschen in die Förderung ein, die bisher nicht berücksichtigt worden sind. Zu ihnen zählen Partnerinnen und Partner in den Bedarfsgemeinschaften, denen nun auch Fallmanagement und Eingliederungsmaßnahmen zustehen.

(Beifall des Abgeordneten Klaus Müller [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Und zu ihnen zählen die Arbeit suchenden Jugendlichen, die von den verbesserten Betreuungsmaßnahmen der Arbeitsgemeinschaften und Optionskommunen profitieren. Wir, die SPD-Fraktion, haben uns vor kurzem in Nordfriesland informiert. Wir können nur sagen: Dieser Optionskreis ist vorbildlich aufgestellt, gerade was die Arbeit suchenden Jugendlichen betrifft.

(Beifall im ganzen Haus)

Lassen Sie mich an dieser Stelle ein Wort zum Thema Bedarfsgemeinschaften und „ab 25 Jahren“ sagen. Hier ist ein Gesetz von den Menschen nach dessen Bedingungen ganz legal genutzt worden. Wer das als einen Missbrauch darstellt, sollte sich mit den gesetzlichen Grundlagen beschäftigen.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, FDP und SSW)

Ein weiterer Punkt. Ich habe gelernt, dass die Volljährigkeit bei 18 Jahren beginnt, die volle Geschäftsfähigkeit auch. Ich kann mir nicht vorstellen, mit einem Riesenaufwand zu überprüfen, warum es nicht mehr zumutbar ist, dass jemand, der 24 Jahre alt ist - ich habe mit 21 geheiratet -, nicht mehr bei seinen Eltern wohnen darf. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht

eine Diskussion bekommen, wo Menschen unter 25 Jahren, die arbeitslos sind und deren beide Eltern arbeitslos sind, das heißt, wo drei Personen nicht über die Möglichkeit verfügen, am Arbeitsleben teilzunehmen, in eine bestimmte Richtung abgestempelt werden. Ich halte das für einen vollkommen falschen Weg. Das ist aus meiner Sicht nicht der Weg, den Sozialdemokraten bei der Veränderung der Gesellschaft gehen wollen. Wir wollen diese Menschen achten und ihnen helfen, am Arbeitsleben teilzunehmen, ob im ersten oder im zweiten Arbeitsmarkt. Das heißt, das Förderung und Fordern muss im Vordergrund stehen.

(Beifall bei SPD und SSW sowie vereinzelt bei der CDU)

Die Absicht des scheidenden Wirtschaftsministers, den Kommunen die zugesagten Ausgleichsleistungen nicht mehr zu geben, ist aus Sicht meiner Fraktion unverständlich. Ich sagte schon: Die Bundesregierung muss sich den Vorwurf gefallen lassen, sie hätte die Daten der Kommunen prüfen sollen. Dann hätten wir diese Zahlen schon lange nachrechnen können. Wir erwarten, dass jetzt umgehend ein seriöses Revisionsverfahren in Gang gesetzt wird, unter Beteiligung von Bund, Ländern und Kommunen.

Die Ziele der Gesetze für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt haben für uns nach wie vor Gültigkeit. Unsere Devise lautet: fördern und fordern. Wir wollen die Kommunen entlasten, damit mehr Kinderbetreuungsmöglichkeiten geschaffen werden. Wir wollen, dass die Menschen in Arbeit kommen, nach Möglichkeit auf dem ersten Arbeitsmarkt, wo nötig, aber auch auf dem zweiten Arbeitsmarkt. Der Staat kann das Problem der Massenarbeitslosigkeit nicht alleine lösen. Die zukunftsfähigen Arbeitsplätze in Deutschland werden von Unternehmen geschaffen. Wir müssen mit aller Kraft an der Verbesserung der Rahmenbedingungen arbeiten.

Um unsere Zukunftsfähigkeit zu sichern, müssen wir uns zuallererst um die Bildung und die soziale Sicherheit der Kinder kümmern. Hier wird die Basis für die Weiterentwicklung unserer Gesellschaft gelegt. Dazu sind mutige Entscheidungen nötig. Ich verweise nochmals auf das, was ich in Richtung Berlin gesagt habe. Ich hoffe, dass ich am 14. dieses Monats durch Karlsruhe nicht eines Besseren belehrt werde.

(Beifall bei SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Das Wort für die FDP-Fraktion erteile ich dem Herrn Abgeordneten Dr. Heiner Garg.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Lieber Kollege Hay, bei allem Respekt vor der sehr selbstkritischen Darstellung der Vorgänge in den letzten Monaten, auch des parlamentarischen Verfahrens in Berlin: Ich möchte nur ganz bescheiden darauf hinweisen, es gab zwei Anträge der FDP-Fraktion hier im Landtag, wo ich fast händeringend um Zustimmung gebeten habe, die so genannte Hartz-IVGesetzgebung weiter zu verschieben. Beide Anträge wurden bedauerlicherweise auch von Ihrer Fraktion abgelehnt. Ich glaube, wir hätten gut daran getan, dieses Gesetz nicht so hopplahopp in Kraft treten zu lassen, wie es passiert ist.

(Beifall bei der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, von Anfang an hat aus genau diesem Grund die Hartz-IV-Reform an zu vielen hausgemachten Unbekannten und Unwägbarkeiten gelitten. Bekannt war, die Kommunen sollten eine konkrete Entlastung von 2,5 Milliarden € erhalten, indem sich der Bund in Höhe von 29,1 % an den Kosten für Unterkunft und Heizung beteiligt. Fest stand auch die Erwartung des Bundeswirtschaftsministers, durch die Zusammenlegung viele Milliarden Euro einsparen zu wollen. Aus veranschlagten 15 Milliarden € wurden im Laufe der Umsetzung plötzlich 26 Milliarden €. Liebe Kolleginnen und Kollegen, da muss man dann schon die Frage Richtung Berlin stellen: Sollen auf einmal die Kommunen dafür verantwortlich sein, dass die Umsetzung von Hartz IV rund 11 Milliarden € mehr kostet, als ursprünglich angenommen? Warum wurde ein Gesetzentwurf vom Bundeskabinett verabschiedet, der rückwirkend die Zusagen des Bundes, sich an den Leistungen der Kommunen für Unterkunft und Heizung zu beteiligen, wieder einkassiert? Haben die Kommunen tatsächlich die Entlastung in Höhe von 2,5 Milliarden € vom Bund erhalten? Das ist auch eine spannende Frage, über die man sich zunächst einmal informieren muss, nämlich ob das Geld tatsächlich geflossen ist. Oder wird hier den Kommunen eine Entlastung durch den Bund unterstellt, die bislang gar nicht eingetreten ist?

Es war immer offen, wie sich die veränderte Zahl der Anspruchsberechtigten auf die Kreise und kreisfreien Städte hinsichtlich der versprochenen tatsächlichen Entlastung von 2,5 Milliarden € konkret auswirken würde. Es gab kein Konzept, wie die zur Berechnung der Unterkunftskosten notwendigen Daten gesammelt, verarbeitet und weitergegeben werden können, sodass die tatsächlich entstandenen Kosten mit dem Bund hätten abgerechnet werden können. Die damalige rot-grüne Landesregierung hatte keine Aussage

darüber getroffen, inwieweit eine Delegationsmöglichkeit auf die kreisangehörigen Städte, Ämter und Gemeinden für die aus dem Bundessozialhilfegesetz in das Nachfolgegesetz, das SGB XII, übergegangenen Sozialhilfeausgaben besteht. Erst jetzt, Ende 2005, wird im Zuge der Haushaltsberatungen ein solcher Gesetzentwurf durch die neue Landesregierung vorgelegt.

Da wundert es dann nicht, dass die Kommunen aufgrund ihrer eigenen Berechnungen ganz andere Zahlen vorlegen als der Bundeswirtschaftsminister. Aufgrund der so genannten Kommunaldatenerhebung entstünde den 323 Landkreisen und 116 kreisfreien Städten ein Finanzbedarf, der um 4,07 Milliarden € höher ist, als vom Bundeswirtschaftsministerium geschätzt. Anstatt den Zuschuss zu den kommunalen Ausgaben für Miete und Heizung für ALG-IIEmpfänger zurückzufordern, hätte der Bund nach den Berechnungen noch rund 870 Millionen € draufzulegen.

Die Diskussion über die Kostenentwicklung wurde dann bedauerlicherweise - das haben alle Kolleginnen und Kollegen hier vor mir festgestellt - durch den Bundeswirtschaftsminister selbst auf einem Niveau geführt, das der Situation vieler ALG-II-Empfänger schlicht unangemessen ist. So wird in einem Report des Bundeswirtschaftsministeriums dargelegt, dass gut ein Fünftel der insgesamt 4,9 Millionen gemeldeten ALG-II-Empfänger sich „parasitär verhalten und das System missbrauchen würden. Letztlich seien so genannte Abzocker schuld an der Kostenexplosion.“ Ich will ganz deutlich sagen, ich freue mich nicht nur über die klaren Worte des Kollegen Barsch, sondern auch über die klaren Worte des Arbeitsministers Döring, der in diesem Zusammenhang deutliche Worte an seinen Bundeskollegen gerichtet hat und diesen Report schlicht als dürftig und peinlich bezeichnet hat.

(Beifall bei der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Menschen haben erkennen müssen, dass unter der Losung „Fördern und Fordern“ zwar viel gefordert, aber das eigentliche Ziel, Arbeitslose wieder in das Berufsleben zu integrieren, schlicht nicht erreicht wurde. Anstatt den Betroffenen aufzuzeigen, wo und wie gefördert wird, wurde ihnen nicht nur die Perspektive genommen, sondern auch der Wille, sich diesen gestellten Anforderungen konkret zu stellen. Es ist ja wesentlich einfacher, diesen vorzuwerfen, Faulenzer oder Schwarzarbeiter zu sein, die man nur mit der richtigen Mischung aus Strafandrohung und Betreuung zur Arbeit tragen muss, statt sie von der Richtigkeit dieser Reform zu überzeugen. Dann darf man

(Dr. Heiner Garg)

sich nicht wundern, wenn sich die so Bezeichneten gegen diese offensichtliche Arroganz zur Wehr setzen und die gesetzlichen Regelungen nicht nur genauer ansehen, sondern auch genauer ausloten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, niemand darf den Betroffenen zum Vorwurf machen, dass von den Möglichkeiten, die der Gesetzgeber selbst geschaffen hat, dann auch Gebrauch gemacht wird.

(Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und beim SSW)

Für die Kostenexplosion beim so genannten ALG II gibt es eine Reihe von schwerwiegenden Gründen, bei denen übrigens der so genannte Missbrauch keine Rolle spielt. Auch erklärt die bewusst angesetzte niedrige Schätzung der Bedarfsgemeinschaften, wobei die Kommunen vor der niedrigen Schätzung immer gewarnt haben, die gewaltigen Mehrausgaben nur zum Teil. Weitere Faktoren, wie zum Beispiel die breit gefasste Definition der Erwerbsfähigkeit, macht 90 bis 95 % der ehemaligen Sozialhilfeempfänger zu ALG-II-Empfängern. Gerechnet hatte man lediglich mit 85 %. Weil diese Menschen weniger Vermögen angegeben haben, als im Bundeswirtschaftsministerium gedacht, fiel eine große Gruppe nicht, wie gedacht, aus der Statistik. Darüber hinaus wurden viele Leistungsempfänger durch die Anhebung der Bedürftigkeitsgrenze neu ins System aufgenommen, die zuvor nichts bekamen, statt diese Zahl zu reduzieren. Gleichzeitig wurde die Unterhaltspflicht im Gesetz so geändert, dass es jetzt auch für Jugendliche möglich ist, sich eine eigene Unterkunft zu leisten, ohne dass der Staat auf das Einkommen der Eltern zurückgreifen kann.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn man jungen Arbeitslosen den Auszug aus dem Elternhaus durch die geschaffenen Regelungen ermöglicht, darf man sie nicht hinterher dafür beschimpfen, dass sie genau von diesen Regelungen auch Gebrauch machen. Man darf sich dann allerdings auch nicht über die entstandenen Kosten wundern. Man muss, wenn man das so nicht will, einen neuen politischen Willen formulieren.

Es ist gut, dass wir uns fraktionsübergreifend im Revisionsverfahren übereinstimmend dagegen aussprechen, dass der Bund versucht, sich aus seiner Verantwortung zu stehlen, und dass wir das als SchleswigHolsteinischer Landtag nicht zulassen werden. Darüber hinaus wollen wir in einem Bericht wissen, welche Zahlendifferenzen es zwischen Kommunen und Bund gibt und wie sich die Kosten entwickeln, auch im Hinblick auf die steigenden Energiekosten, die einen immer größeren Anteil an den Gesamtkosten ausmachen.

Die gesetzlich für Oktober diesen Jahres festgelegten Revisionsverhandlungen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden wurden kurzfristig auf die Zeit nach den Koalitionsverhandlungen auf Bundesebene vertagt. Das Land geht von einer Entlastung von rund 70 Millionen € aus. Wie die Differenz gegenüber den Zahlen des Bundes in Höhe von 20 Millionen € entstanden ist, wird sich hoffentlich auch entsprechend aufklären lassen. In seiner Stellungnahme vom 23. August 2004 gegenüber den kommunalen Landesverbänden hat der damalige Finanzminister Stegner bekräftigt, dass es nach der Umsetzung der Reformgesetze keiner Seite schlechter gehen dürfe und die Landesregierung eine faire Lösung auch zwischen den Kommunen anstrebe. Wir erwarten und sind eigentlich ganz frohgemut, wenn ich die Vorrednerinnen und Vorredner hier höre, dass dieser Anspruch gegenüber den Kommunen auch erfüllt wird. Aufgrund der vielen Unwägbarkeiten sind wir auf ein entsprechendes Ergebnis gespannt.

(Beifall bei FDP, CDU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Garg.

Vor der nächsten Worterteilung, liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich Besucher auf der Tribüne begrüßen. Wir begrüßen Vertreter und Mitglieder des Bundeswehrverbandes Kiel-Nord/Kronshagen sowie Mitglieder des Landfrauenvereins Bordesholm und Umgebung. - Herzlich willkommen!

(Beifall)

Das Wort für den SSW erteile ich Herrn Abgeordneten Lars Harms.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der glücklicherweise scheidende Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement hat die so genannten Hartz-Gesetze als die größte Sozialreform der Bundesrepublik Deutschland bezeichnet. Nach den vielen, leider überwiegend negativen Erfahrungen mit dem Hartz-IV-Gesetz ist man geneigt zu sagen, es scheint sich um das größte politische Fiasko der abgewählten rot-grünen Bundesregierung zu handeln. Dieses Fiasko ist nicht nur im politischen oder moralischen Bereich anzusiedeln, nein, auch aus ökonomischer Sicht ist Hartz IV völlig gescheitert. Wie kann man es anders bewerten, wenn die Bundesregierung noch bei der Aufstellung des Haushalts 2005 mit cirka 14,6 Milliarden € Ausgaben gerechnet hat und sich jetzt am Ende des Jahres nach einem Jahr die

(Lars Harms)

Ausgaben auf vermutlich fast 26 Milliarden € belaufen werden? Durch diese Fakten erweist sich die Bilanz von Hartz IV ein Jahr nach der Einführung als katastrophal.

Mit der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, die der SSW im Prinzip auch heute noch befürwortet, sollten laut Bundesregierung drei Ziele erreicht werden. Zum einen sollte die Arbeitslosigkeit und hier insbesondere die Langzeitarbeitslosigkeit durch eine Vermittlung aus einer Hand markant gesenkt werden. Das Ergebnis der Hartz-IV-Maßnahmen zur Senkung der Arbeitslosigkeit ist aber bisher nach Ansicht aller Experten gleich Null. Das liegt natürlich vor allem daran, dass auch das zweite Ziel von Hartz IV, nämlich der Bürokratieabbau und die Vereinfachung der Arbeitsvermittlung ebenfalls bisher nicht im Entferntesten erreicht wurden. So hat zum Beispiel die Einführung des Optionsmodells für Kommunen zum Aufbau von Parallelbürokratien, zu Zuständigkeitsschwierigkeiten zwischen Kommunen und Arbeitsagentur beigetragen.

Dies hat gerade bei der Vermittlung von Jugendlichen in diesem Jahr zu Problemen geführt. Auch das Ausfüllen des 16-seitigen Antrages für die Bezieher von Arbeitslosengeld II und die Kontrolle der Anträge hat natürlich zu mehr und nicht zu weniger Bürokratie geführt. Statt die Landzeitarbeitslosen verstärkt zu vermitteln, ist man zurzeit bei der Arbeitsagentur schon froh, wenn man das ALG II korrekt auszahlen kann. Das liegt natürlich nicht an den Beschäftigten der Arbeitsagentur, sondern vielmehr daran, dass Hartz IV viel zu schnell und unüberlegt eingeführt worden ist. Viele Vorredner haben dies schon gesagt.

Auch das dritte Ziel von Hartz IV, nämlich massive Kosteneinsparungen für den Staat wurde - wie ich bereits ausgeführt habe - überhaupt nicht erreicht. Selbst wenn man den Anstieg der Arbeitslosigkeit mit berücksichtigt, so hat Hartz IV insgesamt zu viel mehr Kosten als vorgesehen geführt. Das liegt vor allem am Anstieg der so genannten Bedarfsgemeinschaften. Statt wie geplant 2,53 Millionen bekommen bisher 3,71 Millionen Bedarfsgemeinschaften Leistungen nach Hartz IV. Auch die Anzahl der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen liegt mit circa 5 Millionen weit über den geschätzten 3,45 Millionen Menschen. Vor dem Hintergrund dieser völligen Fehleinschätzung der Bundesregierung muss man die öffentlichen Äußerungen von Wolfgang Clement über den angeblichen Missbrauch von Hartz IV werten. Ich finde es recht beschämend, wenn ein so erfahrener Politiker sein eigenes Versagen mit massiven Angriffen auf sozial Schwache kaschieren will.

Ich glaube, es ist hinreichend deutlich geworden, was auch meine Vorredner gesagt haben, insbesondere der Kollege Baasch in seiner Pressemitteilung. Kein ernsthafter Experte oder Politiker hält die angebliche Missbrauchsquote von 20 %, die nach einer Telefonumfrage der Bundesagentur für Arbeit ermittelt wurde, für richtig. Alle, die etwas davon verstehen - auch unsere Leute vor Ort - haben mir versichert, dass die Missbrauchsquote höchstens bei einem bis zwei Prozent liegt. Das ist im Sozialbereich leider völlig üblich.

Richtig ist also vielmehr, dass wir vor dem Paradoxon stehen, dass ein Gesetz, das wegen seiner sozialen Kälte und für seinen Sozialabbau in der Öffentlichkeit massiv kritisiert worden ist, scheinbar zu Hunderttausenden neuen Bedürftigen und damit zu Mehrkosten geführt hat. Es handelt sich aber eindeutig noch um einen Webfehler des gemeinsam von SPD und CDU getragenen Gesetzes und nicht um einen Missbrauch durch die Bedürftigen. Sie nutzen nur die Möglichkeiten, die ihnen der Staat geschaffen hat.

Angesichts der Horrorzahlen bei den Hartz-IVKosten setzte die alte Bundesregierung in dieser Sache noch einen fulminanten Schlusspunkt. Die Bundesregierung beschloss, die im Jahr 2005 gewährten Bundesmittel zur Beteiligung an den Unterkunftskosten der Kommunen nach dem Hartz-IV-Gesetz in Höhe von 29,1 % zurückfordern und ab dem Haushaltsjahr 2006 nicht mehr zu gewähren. Damit bricht der Bund einmal mehr sein Versprechen, dass die Kommunen durch Hartz IV finanziell mit circa 2,5 Milliarden € entlastet werden sollten. urch den damit verbundenen Einnahmeausfall von 29,1 % - das heißt also in Höhe von circa 3 Milliarden € - entstehen den betroffenen Kommunen weitere zusätzliche finanzielle Belastungen, die dazu führen werden, dass die kommunalpolitischen Handlungsmöglichkeiten praktisch nicht mehr gegeben sein werden.

Der neue Bundestag und der Bundesrat sollen diesem Gesetzentwurf der alten Bundesregierung noch zustimmen, bevor er in Kraft tritt. Der SSW begrüßt daher, dass sich alle Fraktionen des Landtags in dieser Frage auf einen gemeinsamen Antrag einigen konnten. Der Bund muss sich auch in den kommenden Jahren angemessen an der Kostenpflicht für die Unterkunftskosten nach SGB II beteiligen und von der Rückforderung bereits gezahlter Mittel für 2005 absehen.

Natürlich ist es in diesem Zusammenhang entscheidend, dass endlich eine seriöse Klärung der tatsächlichen Be- und Entlastungen aufseiten der Kommunen errechnet wird. Das ist bisher nicht geschehen. Ich habe noch von keiner Kommune gehört, dass sie

(Lars Harms)

durch die Hartz-IV-Reform finanziell entlastet worden wäre. Vielmehr habe ich nur das Gegenteil gehört: Hartz IV führt zu höheren Kosten, und zwar auch für die Kommunen.

Wir begrüßen auch, dass die Landesregierung bis zur 10. Tagung einen Bericht über den aktuellen Stand des Revisionsverfahrens von Hartz IV geben soll. Die entscheidende Frage ist ja, wie Hartz IV jetzt geändert werden soll. Was man bisher aus den Koalitionsverhandlungen zu diesem Thema hört, lässt aus Sicht des SSW nichts Gutes erahnen. Jetzt wollen Union und SPD anscheinend das Arbeitslosengeld für Jugendliche unter 25 Jahren massiv einschränken. Künftig sollen wieder die Eltern für den Unterhalt ihrer Sprösslinge aufkommen, wenn diese arbeitslos sind, und zwar selbst dann, wenn diese über 18 Jahre alt und schon lange von zu Hause ausgezogen sind. Dazu gibt es Stimmen, die bei der Anrechnung von Vermögen eine noch restriktivere Handhabung als bisher wollen. Die bisherigen Handhabung ist schon schlimm genug.

Dabei spricht keiner der Großkoalitionäre mehr davon, dass den älteren Arbeitslosen, also denen, die seit Jahrzehnten in die Arbeitslosenkasse eingezahlt haben, das Arbeitslosengeld I länger als ein Jahr gezahlt werden soll. Gerade das war einer der wichtigsten Kritikpunkte bei der Debatte über Hartz IV und einer der Punkte, die wir hier im Hause angesprochen haben. Aus Sicht des SSW ist dies aber weiterhin der entscheidende Punkt bei einer Revision von Hartz IV. Wir müssen breiten Bevölkerungsschichten die Angst vor Hartz IV nehmen. Das geht nur, indem wir für langjährige und ältere Beitragszahler mehr Sicherheit schaffen und sie nicht abbauen.