Die Behauptung, solche Anlagen seien hundertprozentig sicher, ist eine fromme Glaubensanmaßung, Herr Carstensen. Früher hätte man das als Gotteslästerung bezeichnet. Als eifriger Wallfahrer sollten Sie wissen, wovon ich rede.
Doch zurück zu Vattenfall! Im anschließenden Bericht verschweigt Vattenfall zunächst alle Bedienungsfehler des Personals und behauptet wahrheitswidrig, der Reaktorkern sei von dem Unfall gar nicht betroffen gewesen, obwohl das Wasser im Reaktorkern um 2 m gesunken ist. Mehrere Anträge von Vattenfall, Krümmel in den nächsten Tagen wieder anzufahren, mussten von der Ministerin persönlich gestoppt werden.
Brunsbüttel wird wieder hochgefahren, produziert innerhalb von drei Wochen mindestens vier neue Störfälle und geht dann wieder vom Netz. Unter anderem bestand wieder einmal Explosionsgefahr, weil sich Wasserstoff gebildet hatte.
Und dann eine weitere unglaubliche Feststellung bei der Überprüfung der Reaktoren: Bei den folgenden Untersuchungen wird bei beiden Reaktoren festgestellt, dass sowohl in Krümmel als auch in Brunsbüttel doch falsche Dübel eingebaut waren. Übrigens war die Firma, die das geprüft hat, dieselbe Firma, die das in Hessen geprüft hat und anschließend in Hessen den Vertrag gekündigt bekommen hat. In Schleswig-Holstein wurde sie weiterbeschäftigt.
Meine Damen und Herren, erneut wird die Zuverlässigkeit von Vattenfall infrage gestellt. Wieder musste leitendendes Personal gehen, diesmal sogar der Konzernchef von Europa. Ministerpräsident Carstensen forderte „absolute Offenheit“. Dann erklärte er aber, jüngste Erklärungen ließen hoffen, dass Vattenfall - man höre! - Fehler eingesehen ha
Seither standen dann beide Meiler still. Doch auch während des Stillstands kam das Atomkraftwerk Krümmel nicht aus der Presse. Juli 2007: Leckage im Turbinenbereich. Februar 2008: Schwelbrand in der Lüftungsanlage. August 2008: Ausfall von vier Pumpen des Nebenkühlwassersystems und Ausfall eines Notstromdiesel. März 2009: Automatische Abschaltung eines Notstromtransformators.
Was dann nach dem Wiederanfahren am 19. Juni passierte, hat uns die Regierung gerade berichtet. Das will ich nicht wiederholen.
Es geht um die Gesundheit und Sicherheit von Millionen Menschen. Es ist Zeit festzustellen, dass Vattenfall nicht zuverlässig ist. Die ehemalige Ministerin hatte erklärt, dass sie das jetzt prüfen will. Bravo! Aber unser Ministerpräsident hat erneut erklärt, er gebe Vattenfall wieder eine Chance. Dann würde er aber persönlich dafür sorgen, dass Krümmel für immer abgeschaltet werde. So habe ich es in der Zeitung gelesen, Herr Ministerpräsident. Im Klartext: Unser gutmütiger Ministerpräsident hat wieder einmal die Zuverlässigkeit von Vattenfall bescheinigt, bevor sie überhaupt geprüft wurde. Das klingt markig, ist aber ein Persilschein.
Der markige Satz ist aber noch in anderer Hinsicht erstaunlich, sagte uns doch die Ministerin regelmäßig - das hat der neue Minister auch gesagt -, dass eine endgültige Stilllegung aufgrund des laxen Atomgesetzes nicht möglich ist.
Weiß also der Ministerpräsident mehr, oder hat er nur Sprüche in die Luft geblasen, die keinerlei rechtliche Grundlage haben?
Nun komme ich zur zweiten Frage: Sind die Reaktoren Krümmel und Brunsbüttel noch sicher zu betreiben? Dazu zwei Aussagen: Der frühere Konstruktionsleiter des Atomkraftwerks Forsmark, Lars
Olov Höglund, erklärte nach dem Transformatorbrand in Krümmel 2007, dass seit mehr als 20 Jahren nicht mehr genügend in die Atomkraftwerke investiert worden sei. Der Reaktorexperte des Ökoinstituts, Michael Sailer, sagte: Die Anlagen seien aufgrund der aus Sicherheitsgründen durchgeführten technischen Änderungen von den Reaktormannschaften schwieriger zu überblicken. Da die erste Generation der Betriebscrews oft aus Altersgründen bereits ausgeschieden sei, fehlten zunehmend Kenntnisse aus der Zeit der Inbetriebnahme.
Die häufigen Unfälle sind also nicht Zufall. Ursache der Unfälle, von denen wir reden, sind die Veralterung der Anlagen, Materialien, die im Laufe der Zeit spröde werden, und immer neue Änderungen und Reparaturen, die die Anlagen immer undurchschaubarer und schwerer zu bedienen machen. Die Folge sind Materialschäden und Bedienungsfehler. Bei einer Notabschaltung, also einer Vollbremsung, die den Reaktor maximal unter Stress setzt, passiert dann Folgendes: Es treten jedes Mal reihenweise Folgestörungen auf, es kommt aufgrund der Hektik zu Bedienungsfehlern, und in der Folge entstehen dann regelmäßig kritische Situationen.
Egal, was man von der Atomkraft hält: Diese Anlagen sind nicht mehr sicher kontrollierbar, diese Anlagen dürfen nicht wiederanfahren, sondern müssen vom Netz.
Damit komme ich zu der dritten Frage, und zwar an die Landesregierung: Was ist zu tun? - Ich fordere Ministerium und Vattenfall auf, alle Fakten auf den Tisch zu legen. Vorletzte Woche wurde groß verkündet, nun würden neue Transformatoren bestellt. Nach meinen Informationen sind die Trafos schon im letzten Jahr ausgeschrieben worden und längst bestellt worden. Wieder einmal werden wir von Vattenfall an der Nase herumgeführt.
Auch die Geschichte mit dem fehlenden Einbau der Messgeräte für Teilentladungen der Trafos ist mysteriös. Wieso wurde das nicht kontrolliert, obwohl die Messungen mit solchen Geräten vor zwei Jahren ergeben haben, dass die Trafos an der Grenze der Funktionsfähigkeit waren? Deswegen fordere ich: Alle Fakten müssen auf den Tisch!
Zweitens. Das Ministerium muss unverzüglich das Verfahren einleiten, um die Zuverlässigkeit des Betreibers zu überprüfen. Wir haben in unserem Antrag - Sie haben es falsch zitiert - extra gesagt, es
sollen alle rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft werden. So steht es im Antrag. Wir haben nicht gesagt, es soll willkürlich abgeschaltet werden, unrechtmäßig, sondern wir haben gesagt, die rechtlichen Möglichkeiten sollen ausgeschöpft werden angesichts der ganzen Ereignisse, die eingetreten sind, die uns als Parlament zweifeln lassen, dass die Sicherheit noch gegeben ist, um diesen Reaktor abzuschalten. Ich halte das rechtlich für einen absolut zulässigen Antrag.
(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ein Persilschein von Carstensen nach dem Motto, Vattenfall bekommt noch eine Chance, ist nach Jahren von Pannen und Pleiten nicht mehr zu ver- treten. Meine Damen und Herren, Atomkraftwerke müs- sen nach dem Atomgesetz und dem Kalkar-Urteil stets dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik entsprechen. Deswegen hatte Minister Trittin 2003 den Auftrag gegeben, das noch aus den 80er-Jahren stammende Regelwerk grundlegend zu überarbeiten. Das Ergebnis liegt jetzt vor und heißt jetzt „Revision D“. Nach Atomgesetz gilt dieser Wissensstand unverzüglich. Dass Umweltminister Gabriel jetzt eine eineinhalbjährige freiwillige Pro- bephase mit den Ländern vereinbart hat, ist unseres Erachtens rechtswidrig. (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Angesichts dieses eklatanten Versagens sind Gabriels Forderungen nach Übernahme der Atomaufsicht durch den Bund und seine Kraftmeierei, er würde Krümmel persönlich stilllegen, purer Populismus.
Deswegen fordere ich drittens, dass das Ministerium unverzüglich eine grundlegende Sicherheitsüberprüfung beider Reaktoren auf Grundlage der Revision D anfordert und - viertens - dass auf Grundlage der Ergebnisse der beiden Ereignisse die rechtlichen Möglichkeiten geprüft werden, um das Atomkraftwerk Krümmel endgültig stillzulegen. Dabei ist auch zu prüfen, ob das Atomgesetz verfassungswidrig ist. Die Regierung - Sie, Herr Minister - ist verpflichtet, Schaden vom deutschen Volke abzuwenden. Daran darf Sie auch ein laxes und betreiberfreundliches Atomgesetz nicht hindern.
Meine Damen und Herren, ein GAU in Krümmel nach dem Muster von Tschernobyl würde große Teile von Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Hamburg unbewohnbar machen. Ein solcher Unfall
ist schon im Normalbetrieb nicht auszuschließen. Hinzu kommt, keiner dieser Reaktoren ist gegen Terrorangriffe gesichert, und das, obwohl ein Gericht entschieden hat, dass Terrorangriffe nach dem 11. September nicht mehr als vernachlässigbares Risiko gelten dürfen. Eine solche Technologie darf nicht länger akzeptiert werden. Je schneller uns der Ausstieg gelingt, desto besser!
Meine Damen und Herren, das Atomgesetz ist kein Tabu. Der Atomkonsens war lediglich ein Kompromiss. Seit Monaten fordern nun die Stromkonzerne eine Verlängerung der Laufzeiten. Was sind das für Kaufleute, was sind das für Geschäftsleute, die einen Vertrag schließen und sich anschließend nicht mehr darum scheren? Ich stelle dagegen fest: Das Wachstum der erneuerbaren Energien ist in den letzten Jahren schneller gewesen, als für den Atomkonsens erforderlich, und zwar auch ohne Kohlekraftwerke. Wir brauchen die Atomkraft von Jahr zu Jahr immer weniger. Im Gegenteil, der Unfall hat durch die Ereignisse, die in Hamburg passiert sind, deutlich gemacht, dass solche Großkraftwerke immer mehr zu einem Problem für die Stabilität unserer Netze werden. Deshalb ist eine Verlängerung der Laufzeiten unverantwortlich.
Wenn sich die Betreiber nicht mehr an den Vertrag gebunden fühlen, dann fühlen wir uns auch nicht mehr daran gebunden. Das sage ich hier ganz deutlich. Hier hat Gabriel recht. Wir sollten jetzt die Genehmigung der alten Reaktoren einziehen, weil sie nicht mehr sicher sind. Eine Übertragung von Laufzeiten auf neue Reaktoren sollte dann nur noch in dem Maße erfolgen, wie es für den Übergang erforderlich ist. Je schneller die Atomkraftwerke abgeschaltet sind, desto besser!
Meine Damen und Herren, wir beantragen Abstimmung in der Sache, und zwar Einzelabstimmung über alle vier Punkte.
Ich danke dem Herrn Abgeordneten Karl-Martin Hentschel und erteile das Wort für die CDU-Fraktion dem Herrn Abgeordneten Manfred Ritzek.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Minister, der jetzt zuständig ist für die Atomaufsicht, hat im Detail berichtet, welche Maßnahmen ergriffen werden müssen. Herr Hentschel, Sie haben durchaus umfassend alle technischen Probleme aufgezählt - die kann sich ja keiner hier im Hohen Haus merken -, die vor zwei Jahren und davor auch in anderen Kraftwerken entstanden sind und die jetzt aktuell wieder in Krümmel entstanden sind. Ich denke, wir müssen der Atomaufsicht eine Bewertung überlassen, wie schwerwiegend die ganzen Ereignisse, die hier eingetreten sind, sind. Insofern möchte ich und kann ich auch gar nicht auf die weiteren Details so sehr eingehen, sondern ich möchte Krümmel und die Kernkraft in einen größeren Zusammenhang bringen, und zwar in den Zusammenhang eines Energiemixes. Das Thema haben wir ja des Öfteren hier im Hohen Haus besprochen, und es wird sicherlich auch in Zukunft noch besprochen werden. Ich will dabei aber Krümmel nicht ausschließen.
Meine Damen und Herren, vor fast genau zwei Jahren kam es bereits zu einer Pannenserie im Kernkraftwerk Krümmel. Noch schlimmer als die Pannen - das haben wir alle hier im Landtag gesagt war der Dilettantismus, mit dem der Betreiber Vattenfall - ich sage mal - das Pannenmanagement an den Tag legte. Allerdings - das wissen wir auch alle - wurden die damaligen meldepflichtigen Ereignisse auf der achtstufigen INES-Skala der Kategorie null zugewiesen. Das heißt, Nullereignisse, die keine Gefahr für Menschen innerhalb der Anlage, für Menschen außerhalb der Anlage und für die Umwelt bedeuteten. Allerdings wurde das Vertrauen durch die Ereignisse vor zwei Jahren und jetzt aktuell schwer erschüttert.
Im wirtschaftlichen Bereich zeigt sich das durch eine Kündigung von 250.000 Stromlieferverträgen. Aber das ist eigentlich nur der kleinste Teil bei solch wichtigen Ereignissen. Wichtiger ist, dass das Vertrauen schwer beschädigt worden ist.
Zwei Jahre hatte Vattenfall in Krümmel jetzt modernisiert, und dennoch erfährt die Serie Pleiten, Pech und Pannen ihre Fortsetzung. Der ausgelöste politische Schaden ist sehr groß. Ich sage das auch ganz bewusst, weil - es ist ja auch von Ihnen gesagt worden, Herr Hentschel - die CDU für die Fortsetzung der Kernenergie als Übergangstechnologie weiterhin votiert, allerdings - das möchte ich hier
anfügen - unter einer einzigen Voraussetzung, der absoluten Verantwortung für die Menschen in den Gebieten.
Ich möchte aber sagen, dass die jetzige aktuelle Situation in Krümmel nicht einzelne politische Parteien wieder dazu animieren sollte, alte ideologische Konzepte aufzuwärmen und Angst zu schüren. Dazu eignen sich diese Ereignisse nicht. Das wäre unverantwortlich.