Protocol of the Session on July 15, 2009

Für die Fraktion der CDU erteile ich dem Herrn Abgeordneten Peter Lehnert das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Derzeit erfolgt der Untersuchungshaftvollzug noch auf der Grundlage der Untersuchungshaftvollzugsverordnung, einer von den Ländern bundeseinheitlich erlassenen Verwaltungsvorschrift. Aus der

Strafprozessordnung, dem Strafvollzugsgesetz und dem Jugendgerichtsgesetz ergeben sich vereinzelte gesetzliche Regelungen zur Ausgestaltung des Untersuchungshaftvollzugs. Dieser Zustand ist bereits seit langem verbesserungsbedürftig. Der Vollzug der Untersuchungshaft greift in die Grundrechte der Häftlinge ein und steht damit unter dem Vorbehalt des Gesetzes. Im Rahmen der Föderalismusreform ist die Gesetzgebungskompetenz für den Strafvollzug zum 1. September 2006 auf die Länder übergegangen.

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll nun endlich die verfassungsrechtlich erforderliche gesetzliche Grundlage zur Regelung des Untersuchungshaftvollzugs in Schleswig-Holstein geschaffen werden. Der Musterentwurf eines Untersuchungshaftvollzugsgesetzes, erstellt von einer länderübergreifenden Arbeitsgruppe, liegt seit Oktober 2008 vor. Dieser Entwurf diente zwölf Ländern als Grundlage für das Landesgesetzgebungsverfahren. Regelungsinhalt und Gesetzesstruktur werden voraussichtlich von allen Ländern weitgehend übernommen, es sei denn landesspezifische Besonderheiten bedürfen einer abweichenden Regelung. Dieses Verfahren entspricht dem Gesetzgebungsverfahren zum Jugendstrafvollzugsgesetz.

Der Untersuchungshaftvollzug soll eine sichere Unterbringung und ein geordnetes Strafverfahren gewährleisten. Zugleich muss aber berücksichtigt werden, dass für Untersuchungshäftlinge zunächst immer die Unschuldsvermutung gilt. Es sind nicht zuletzt deshalb Regelungen anzustreben, die im Vergleich mit der gegenwärtigen Praxis eine spürbare Verbesserung für die Untersuchungshäftlinge bedeuten. Mit der Schaffung des neuen Gesetzes müssen wir somit bessere Haftbedingungen anstreben, um damit den Anforderungen an einen modernen Untersuchungshaftvollzug gerecht zu werden. Diesem Anliegen entsprechen die Kernbestandteile des Entwurfs, der unter anderem die Einzelunterbringung, Regelungen zum besseren Kontakt mit der Außenwelt sowie optimierte Betätigungsmöglichkeiten während der Untersuchungshaft beinhaltet. Außerdem sollen nach dem Entwurf bedürftige Untersuchungshäftlinge, denen keine Arbeit angeboten werden kann, ein Taschengeld erhalten.

Ferner enthält der Entwurf spezielle Regelungen zum Umgang mit jugendlichen Untersuchungsgefangenen. Diese sind nicht zur Arbeit verpflichtet, jedoch soll ihnen nach dem Entwurf eine Arbeit oder sonstige Beschäftigung angeboten oder bei entsprechender Eignung Gelegenheit zum Erwerb

schulischer und beruflicher Kenntnisse gegeben werden. Dies halte ich für bedeutsam, denn nach meinen Erkenntnissen sind derzeit von 225 Untersuchungsgefangenen 175 ohne Beschäftigung. Lediglich in der JVA Neumünster und der JVA Flensburg bestehen derzeit einige Arbeitsbereiche für Untersuchungshaftgefangene.

Ebenfalls von großer Bedeutung sind die vorgesehenen speziellen Regelungen zur erzieherischen Ausgestaltung im Haftvollzug. Dazu gehören zum Beispiel der Vorrang von Bildung, Besuchen, Freizeit und Sport.

Dass mit diesen Neuregelungen ein gewisser Personalbedarf verbunden ist, liegt auf der Hand. Sachmittel sollten angesichts der finanziellen Gesamtsituation mit Augenmaß aus dem Budget des Justizministeriums bereitgestellt werden. Die Kosten für die notwendigen Baumaßnahmen in der Untersuchungshaft sind bereits durch die Mittel des Investitionsprogramms II abgedeckt.

Lassen Sie mich abschließend sagen: Ich halte es für sehr wichtig, dass wir nun endlich eine verfassungs- und zeitgemäße gesetzliche Grundlage zur Regelung des Untersuchungshaftvollzugs in Schleswig-Holstein schaffen. Insofern sehe ich den weiteren Beratungen des Innen- und Rechtsausschusses zuversichtlich entgegen.

(Beifall bei der CDU)

Für die Fraktion der SPD erteile ich der Frau Abgeordneten Anna Schlosser-Keichel das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der Beratung über ein Untersuchungshaftvollzugsgesetz stehen wir vor einer Aufgabe, die wir lieber in der Hand des Bundesgesetzgebers gesehen hätten. Aber die Zuständigkeitsfrage ist mit der Föderalismusreform abschließend geregelt. Und so begrüßen wir es, dass es immerhin gelungen ist, zwölf der Bundesländer und das Bundesjustizministerium an einen Tisch zu bekommen, um einen gemeinsamen Entwurf zu erarbeiten. Damit geht eine jahrzehntelange Diskussion darüber zu Ende, ob und wie die in verschiedenen Gesetzen und Einzelbestimmungen verstreuten Bestimmungen zum Untersuchungshaftvollzug umfassend gesetzlich zu regeln sind.

Hier liegt uns nun der Entwurf für ein in sich geschlossenes und detailliertes Regelwerk zum Voll

(Peter Lehnert)

zug der Untersuchungshaft in Schleswig-Holstein vor, das nicht nur mehr Rechtssicherheit, sondern auch eine ganze Reihe von konkreten Verbesserungen für die Untersuchungsgefangenen mit sich bringt.

Natürlich geht es bei der Untersuchungshaft in erster Linie darum, ein geordnetes Strafverfahren zu gewährleisten. Aber über allem - es ist bereits genannt worden - steht auch die Unschuldsvermutung. Deshalb gilt unser Anspruch an einen humanen Justizvollzug in besonderem Maße für die Untersuchungshaft.

(Beifall bei der SPD)

So wird in dem Gesetzentwurf das Recht auf Unterbringung in Einzelhafträumen festgeschrieben. Ausnahmen gibt es nur in begründeten Einzelfällen.

Die Besuchszeiten sollen wesentlich ausgedehnt, der Kontakt der Gefangenen zu ihren Angehörigen nicht nur ermöglicht, sondern darüber hinaus durch die JVA aktiv gefördert werden. Außerdem ist die Anstalt verpflichtet, die Untersuchungsgefangenen bei der Lösung ihrer persönlichen, wirtschaftlichen und sozialen Schwierigkeiten zu unterstützen, also Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten. Besondere Bedeutung kommt dabei externen Organisationen, Beratungsstellen und Behörden zu, dies auch, um die Untersuchungshaft möglicherweise zu vermeiden, indem zum Beispiel durch die Vermittlung einer Wohnung Fluchtgefahr als Haftgrund ausgeräumt wird.

Positiv ist auch - das ist bereits genannt worden -, dass für jugendliche Untersuchungsgefangene eigene Regeln gelten, die den Standards entsprechen, die wir im Jugendstrafvollzugsgesetz festgelegt haben. Jugendliche können auch künftig an den vielfältigen Maßnahmen des regulären Jugendvollzugs teilnehmen.

Auch erwachsene Untersuchungsgefangene sollen verstärkt Zugang zur Arbeit und Bildungsmöglichkeiten haben. Das bedeutet allerdings, dass die Trennung zwischen Straf- und Untersuchungsgefangenen nicht in der Unterbringung, aber während der Arbeitszeit erheblich gelockert wird.

Eine weitere wesentliche Verbesserung und eigentlich eine Selbstverständlichkeit ist: Untersuchungsgefangene erhalten künftig das gleiche Arbeitsentgelt wie Strafgefangene, und diejenigen, die keine Beschäftigung haben und deren Sozialhilfeantrag noch nicht beschieden ist, werden künftig einen Anspruch auf Taschengeld haben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Punkt im Gesetzentwurf, der mir etwas Bauchschmerzen bereitet, ist der § 3, in dem die Zuständigkeiten geregelt sind. Danach hat das Gericht anders als heute keine Zuständigkeit mehr für vollzugliche Belange. Heute ordnet der Richter die Maßnahmen an, die eine schwerwiegende Beschränkung von Persönlichkeitsrechten bedeuten, wie zu Beispiel die gemeinsame Unterbringung mit anderen Gefangenen, Beschränkungen beim Postverkehr oder auch Fesselungen. Nun soll diese Entscheidung auf die JVA verlagert werden. Das mag zur Vereinfachung und Beschleunigung von vollzuglichen Entscheidungen führen, wie es in der Begründung zum Gesetz heißt, und auch die Gerichte entlasten; ich weiß, wie die Situation dort ist. Natürlich kann der Gefangene immer noch im Zweifelsfall gegen eine konkrete Entscheidung gerichtlich vorgehen. Dennoch, mein Unbehagen bleibt angesichts dieser, wie ich finde, doch einschneidenden Kompetenzverlagerung. Ich denke, wir werden uns im Ausschuss mit dieser Frage noch näher befassen müssen und dazu sicherlich auch externen Sachverstand hören. Ich will mich da auch gern eines Besseren belehren lassen. Vielleicht lasse ich mich auch zu sehr von meinem Bauchgefühl leiten.

Ich bin insgesamt gespannt auf die Beratungen und die Anhörungen zu diesem Gesetzentwurf im Ausschuss und danke Ihnen für heute für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Für die Fraktion der FDP erteile ich das Wort dem Oppositionsführer und Fraktionsvorsitzenden, Herrn Abgeordneten Wolfgang Kubicki.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man ist versucht zu sagen: Endlich; nicht, weil es nur in Schleswig-Holstein so lange gedauert hätte, dass es eine gesetzliche Grundlage für den Vollzug der Untersuchungshaft gibt. Es war ein bundesweites Problem.

Schon 1971 hatte sich die vom Bundesjustizminister beauftragte Strafvollzugskommission für eine umfassende gesetzliche Regelung des Vollzugs der Untersuchungshaft ausgesprochen. Und entsprechende Forderungen wurden immer wieder von den Fachverbänden, in der Rechtswissenschaft und insbesondere von der Justizministerkonferenz der Länder erhoben. Schließlich greift der Vollzug der

(Anna Schlosser-Keichel)

Untersuchungshaft in Grundrechte der Untersuchungsgefangenen ein und steht damit unter dem Vorbehalt des Gesetzes.

Doch vergeblich: Bislang hat es kein Untersuchungshaftvollzugsgesetz gegeben, sondern nur wenige in der Strafprozessordnung, im Strafvollzugsgesetz und im Jugendgerichtsgesetz enthaltene Einzelbestimmungen. Mit Generalklauseln und auf der Grundlage der Untersuchungshaftvollzugsordnung, einer von den Ländern bundeseinheitlich erlassenen Verwaltungsvorschrift, wurde so die Untersuchungshaft mehr verwaltet als geregelt.

Heute präsentiert uns nun die Landesregierung ihren Entwurf für ein - nach ihren eigenen Worten „in sich geschlossenes“ Untersuchungshaftvollzugsgesetz.

Unter dem ausschließlichen Blickwinkel des Vollzuges ist diese Aussage sicherlich auch ohne Weiteres richtig.

Erfreulich ist in diesem Zusammenhang auch, dass sich Schleswig-Holstein mit insgesamt zwölf Bundesländern so weit zusammengeschlossen hat, dass der Gesetzentwurf zumindest einen gemeinsamen Nenner hat. Die Sorge, dass der U-Haft-Vollzug aufgrund der sogenannten Föderalismusreform von Rechtszersplitterung und der Haushaltslage des Bundeslandes gekennzeichnet sein könnte, ist somit zumindest deutlich kleiner geworden.

Die Probleme sind auch so noch groß genug, angefangen mit der Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern. Denn nunmehr fällt zwar das Recht des Untersuchungshaftvollzuges - sprich, wie die Untersuchungshaft auszugestalten ist - in die Gesetzgebungskompetenz der Länder. Das Untersuchungshaftrecht als solches, das heißt, ob Untersuchungshaft verhängt wird, bleibt indessen als Teil des gerichtlichen Verfahrens in der Gesetzgebungskompetenz des Bundes.

Unklarheiten und Unsicherheiten für die Mitarbeiter im Vollzug und insbesondere für die U-Gefangenen liegen da auf der Hand. Denn die „Restzuständigkeit“ des Bundes birgt die grundsätzliche Problematik, dass es Sachverhalte gibt - beispielsweise die Beschränkung von Besuchen, Telekommunikation oder Briefverkehr -, die sowohl auf der Grundlage des Bundesgesetzes von Richtern angeordnet werden müssen als auch auf der Grundlage des Landesgesetzes von der Anstalt vorgegeben werden können.

Probleme bereiten auch die Regelungen, bei denen mit der Schaffung des Untersuchungshaftvollzugs

gesetzes eine Kompetenzverlagerung von der dritten, justiziellen Gewalt auf die Exekutivgewalt der Anstalt verbunden ist. Bislang war der Richter nach der Generalklausel in § 119 Abs. 6 StPO für schwerwiegende Beschränkungen zuständig. Mit der Neuregelung des Untersuchungshaftvollzugsgesetzes sollen dafür grundsätzlich nun die Justizvollzugsanstalten zuständig sein. Das mag noch in Ordnung sein, soweit die Beschränkung nur zur Umsetzung einer verfahrenssichernden Anordnung, wie es verschiedentlich im Gesetz heißt, ausgeführt wird. Ansonsten sehe ich diese Kompetenzverlagerung eher kritisch.

Lassen Sie mich das am Beispiel des Trennungsgrundsatzes deutlich machen: Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 sind U-Gefangene getrennt von Strafgefangenen untergebracht. Dies ist im Hinblick auf die Unschuldsvermutung und die ganz andere Zielsetzung der Untersuchungshaft nämlich der Verfahrenssicherung oder der Straftatenvermeidung während des laufenden Verfahrens, im Vergleich zur Strafhaft eigentlich eine Selbstverständlichkeit.

Von diesem Grundsatz darf die Justizvollzugsanstalt gleichwohl Ausnahmen machen, beispielsweise aus Gründen der Sicherheit und Ordnung der Anstalt oder wenn eine getrennte Unterbringung wegen der geringen Zahl der Untersuchungsgefangenen nicht machbar ist. Ich halte das - zumindest ohne richterliche Genehmigung - für schwer akzeptabel. Wichtige Entscheidungen in der Untersuchungshaft müssen der richterlichen beziehungsweise staatsanwaltschaftlichen Entscheidung vorbehalten bleiben. Schließlich ist es das ausdrückliche Ziel des Gesetzes, einen an der Unschuldsvermutung ausgerichtetem Vollzug der Untersuchungshaft zu gewährleisten. Für die Rechtsposition des Untersuchungsgefangenen heißt das, dass er als unschuldig gilt und als Unschuldiger zu behandeln ist. Diese Grundsätze müssen im gesamten Gesetzestext konsequent ausgestaltet sein.

Ich bin sicher, Frau Kollegin Schlosser-Keichel, wir werden aufgrund der Beratung im Ausschuss an der einen oder anderen Stelle noch Verbesserungen an dem Gesetzentwurf erreichen können.

(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf der Tribüne begrüßen wir ganz herzlich Damen und Herren des CDU-Ortsverbandes Bornhöved. - Seien Sie uns herzlich willkommen!

(Wolfgang Kubicki)

(Beifall)

Nun tut es mir leid, dass ich die Unterhaltung des Kollegen Matthiessen stören muss.

(Zuruf des Abgeordneten Karl-Martin Hent- schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

- Der Herr Fraktionsvorsitzende von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Karl-Martin Hentschel, übernimmt diesen Redebeitrag.

Ich habe mich entschieden, das doch selber zu machen.

(Heiterkeit)