Protocol of the Session on May 6, 2009

(Beifall)

Dass die EU 2009 vor einer Vielzahl von neuen Herausforderungen steht, wirkt vor dem Hintergrund des gescheiterten Ratifizierungsprozesses des Lissabon-Vertrages, der Finanzmarktkrise und der anstehenden Wahlen zum Europäischen Parlament fast wie ein Understatement. Für uns steht fest, dass wir es dabei mit mehr als einem Berg von konkreten Problemen zu tun haben. Seit dem Scheitern des EU-Vertragswerkes nach den Volksabstimmungen in den Niederlanden und Frankreich - lange ist es

(Karl-Martin Hentschel)

her - befindet sich die Europäische Union aus Sicht des SSW in einer Dauerkrise. Daher ist es nicht nur wichtig zu fragen, wie wir aus dieser Krise herauskommen, sondern auch, welche konkreten Schritte zur Bewältigung dieser Probleme angesagt sind.

Die Zusage der irischen Regierung, dass Irland noch in diesem Jahr, vor Auslauf der Amtszeit der jetzigen EU-Kommission, dem Vertrag von Lissabon nach einer neuen Volksabstimmung zustimmen wird, wurde mit Zusagen erkauft, die den Iren in einer Reihe von politischen Fragen entgegenkommen, so zum Beispiel in der Steuer- und Abtreibungspolitik, zwei Themen, die in einem europäischen Kontext nicht unumstritten sind. Hinzu kommt - wie der Bericht anmerkt -, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass es auch noch Forderungen anderer Mitgliedstaaten geben wird.

Es wäre dennoch ein Trugschluss zu sagen, die Menschen in den Ländern der Europäischen Union könnten die Komplexität solcher Verträge nicht überblicken, und schon aus dem Grund sollte man von Volksabstimmungen absehen. Der SSW tritt weiterhin dafür ein, dass zu wichtigen Änderungen der EU-Verträge die Bürgerinnen und Bürger der europäischen Länder zu befragen sind.

(Beifall beim SSW und des Abgeordneten Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Denn schlimmer noch als eine Volksabstimmung zu verlieren sollte es für eine Regierung sein, wenn sich der Eindruck verfestigt, dass wichtige EU-Entscheidungen über die Köpfe der Wählerinnen und Wähler hinweg beschlossen werden. Das höhlt die Akzeptanz der EU vor Ort noch viel mehr aus. Das soll heißen: Die Entscheidungsträger sowohl in Brüssel wie auch in den europäischen Hauptstädten müssen endlich versuchen, den Dialog mit ihren Bürgerinnen und Bürgern ernst zu nehmen, wenn die europäische Zusammenarbeit aus ihrer Dauerkrise herauskommen soll. Das ist die richtige Antwort auf die Frage, wie wir die Wahlbeteiligung bei der Europawahl steigern können.

Leider hat sich die tschechische EU-Ratspräsidentschaft bisher mehr mit sich selbst als mit den Problemen der Europäischen Union beschäftigt. Ob die Einführung einer Triopräsidentschaft - gemeint sind konkret Frankreich, Tschechien und Schweden, weil ab Juli die EU-Präsidentschaft auf Schweden übergeht - die Arbeit der EU-Ratspräsidentschaft qualitativ verbessert hat, muss sich noch zeigen. Vorerst deutet vieles darauf hin, dass das Europäi

sche Parlament besser als die Kommission das dadurch entstandene Vakuum hat ausfüllen können.

Fest steht meines Erachtens allerdings auch, dass wir mit der Reform der europäischen Institutionen keinen Schritt weitergekommen sind. Unsere Position ist vor diesem Hintergrund noch stets, dass es bei diesem notwendigen Reformprozess nicht in erster Linie um die Lösung technokratischer Fragen gehen darf. Das entscheidende Manko der bisherigen EU-Politik, die mangelnde Bürgernähe, bliebe dann nämlich bestehen.

Wir wünschen uns als SSW mit anderen Worten, dass das Subsidiaritätsprinzip konsequent umgesetzt wird und noch mehr Entscheidungen so nah wie möglich am Bürger dezentral verankert werden. Denn nur vor Ort können die Bürgerinnen und Bürger von der Notwendigkeit europäischer Zusammenarbeit überzeugt werden. Umso bedauerlicher ist es aus Sicht des SSW, dass der Lissabon-Vertrag nur wenig mehr Klarheit in der Frage bringt, wofür in Zukunft die EU verantwortlich ist und wofür die nationalen Parlamente oder die regionale Ebene die Verantwortung tragen.

Wir teilen die Auffassung der Landesregierung, dass sich das Spannungsverhältnis zwischen den nationalen Interessen der Mitgliedstaaten und den gemeinschaftlichen Interessen der Europäischen Union durch die Finanzmarktkrise zugespitzt hat. Das beim EU-Gipfel im Dezember letzten Jahres beschlossene Konjunkturpaket stellt somit eher den geringsten gemeinsamen Nenner dar, als dass wir es mit konjunkturpolitischen Maßnahmen aus einem Guss zu tun haben. „Unter Berücksichtigung ihrer unterschiedlichen Lage können die Mitgliedstaaten wählen unter einer Bandbreite von gezielten öffentlichen Ausgaben und Steuermaßnahmen, um einen kurzfristigen Stimulus zu liefern“, erklärten die Finanzminister der EU bei der Verabschiedung des Pakets. Das macht deutlich, wie das Konjunkturpaket zusammengeschnürt worden ist.

Für die Verkünder der reinen EU-Lehre hätte EUKommissionschef Barroso in dieser Situation alles daransetzen müssen, den europäischen Laden zusammenzuhalten und auf Einhaltung des gemeinsamen Regelwerkes zu pochen. Er hätte daran erinnern müssen, dass Stabilitätspakt und Wettbewerbsrecht den wirtschaftlichen Erfolg Europas jahrzehntelang gesichert haben, und namentlich benennen müssen, welche Staaten sich Konjunkturprogramme leisten können und welche nicht, dass sich traditionelle Haushaltssünder wie zum Beispiel Italien und Griechenland zurückzuhalten haben.

(Anke Spoorendonk)

Wer so argumentiert, vergisst aber, dass die Europäische Union - wie ich vorhin sagte - von ihrer Akzeptanz bei den Menschen vor Ort lebt. Daher ist es mehr als ein ärgerlicher Webfehler in der Konstruktion der EU, dass sie als Wirtschaftsunion gedacht ist. Wir brauchen die Stärkung der sozialen Dimension in der europäischen Zusammenarbeit, um die EU zukunftsfähig gestalten zu können.

(Beifall beim SSW und des Abgeordneten Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Daher ist es gut, dass wir am Freitag mit der Großen Anfrage der SPD zum Thema soziales Europa die Gelegenheit haben, genau diesen Punkt zu vertiefen. Dabei gilt es auch klarzustellen, dass es nicht darauf ankommt, der Europäischen Union einen sozialen Touch zu geben. Die EU muss von ihrem Selbstverständnis her sozial sein. Nur so werden wir erreichen, dass sich auch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes ändert. Um es ganz deutlich zu sagen: Wenn der EuGH im Namen des freien Binnenmarktes das niedersächsische Tariftreuegesetz kippt oder das Aktionsrecht schwedischer Gewerkschaften einschränkt, dann schafft das vor Ort kein Vertrauen in die Brüsseler Politik,

(Beifall beim SSW und des Abgeordneten Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

ein Vertrauen, das die EU angesichts der Wirtschaftskrise mehr als alles andere nötig hat. Es ist vor diesem Hintergrund daher auch besonders bedauerlich, dass der von der tschechischen Ratspräsidentschaft für Anfang Mai geplante Sozialgipfel abgesagt worden ist, ohne dass man sich bisher auf eine Ersatzveranstaltung hat einigen können.

Der SSW begrüßt, dass sich die Landesregierung kritisch mit dem Ansatz der EU-Kommission auseinandersetzt, die sogenannte Methode der offenen Koordinierung voranzutreiben. Denn gemeint ist damit eine Vergemeinschaftung weiterer Politikbereiche, die bisher in der Kompetenz der Mitgliedstaaten lagen, zum Beispiel die Bildungs- und Kulturpolitik. Auch wenn es viele gute Argumente für eine bessere Abstimmung zwischen den EU-Staaten für die Bereiche des lebenslangen Lernens und der beruflichen Bildung gibt, so sind hier in erster Linie die Mitgliedstaaten gefragt. Wir wollen keine schleichende Harmonisierung weiterer Gesellschaftsbereiche, möchte ich hervorheben.

Es ist daher auch nur folgerichtig, wenn im Bericht mehrfach zum Ausdruck gebracht wird, dass sich

Maßnahmen und Planungen der EU-Kommission verstärkt auf mehrere Politikbereiche beziehen und daher eine ressortübergreifende Zusammenarbeit innerhalb der Landesregierung voraussetzen. Wir als SSW erwarten, dass genau dies geschieht; denn anders wird es auch nicht möglich sein, frühzeitig auf den EU-Entscheidungsprozess einwirken zu können. Wir begrüßen es mit anderen Worten, dass sich das Europaministerium in Fragen der Subsidiaritätskontrolle auch als Dienstleister für den Landtag sieht. Das haben die bisherigen Testläufe gezeigt, und das ist, denke ich, genau der richtige Weg.

Zu den landespolitischen Schwerpunkten in der Europapolitik der nächsten Jahre - wir haben es bereits gehört, wir konnten es auch im Bericht nachlesen - gehören weiterhin die integrierte europäische Meerespolitik und die Profilierung Schleswig-Holsteins als maritime Modellregion. Wir haben dem Bericht auch entnehmen können, dass sich Europaminister Döring in unserem Sinne dafür einsetzt und dass er es gut tut.

All das will ich aus Zeitgründen nicht vertiefen. Das können wir im Europaausschuss nochmals aufgreifen. Ich habe die Hoffnung, dass wir mit der anstehenden schwedischen EU-Ratspräsidentschaft auch in Sachen Ostseeaktionsplan einen entscheidenden Schritt weiterkommen werden.

Liebe Frau Abgeordnete, jetzt ist auch der Prinzenbonus weg.

Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. - Ich möchte wiederholen, was ich bei jeder Rede sage: Es kommt nicht nur darauf an, die Ostseepolitik, die Europapolitik der Landesregierung zu überlassen.

Formulieren Sie Ihren letzten Satz!

Ich komme zum Schluss. - Wir als Landesparlament sind gefragt, auch diese Aufgaben mitzugestalten. Das sind unsere politischen Kernaufgaben, das wird von uns erwartet.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Anke Spoorendonk)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe damit die Beratung.

Es ist beantragt worden, den Bericht der Landesregierung, Drucksache 16/2616, dem Europaausschuss zur abschließenden Beratung zu überweisen. Wer so beschließen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? Es ist so beschlossen worden.

Ich schließe die Sitzung, unterbreche die Tagung, wünsche Ihnen einen guten Abend und freue mich, Sie morgen wiederzusehen.

Die Sitzung ist geschlossen.

Schluss: 18:03 Uhr

Herausgegeben vom Präsidenten des Schleswig-Holsteinischen Landtags - Stenographischer Dienst und Ausschussdienst