Protocol of the Session on March 26, 2009

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle sehr herzlich zur Fortsetzung der 41. Tagung. Erkrankt sind die Kollegin Sandra Redmann und der Kollege Thomas Hölck. - Beiden von hier aus gute Besserung!

(Beifall)

Beurlaubt ist Minister Dr. von Boetticher.

Auf der Tribüne begrüßen wir sehr herzlich Schülerinnen und Schüler der Beruflichen Schule Am Schützenpark aus Kiel sowie vom Grone Bildungszentrum Teilnehmer des „Geld-Infoprojekts“. - Seien Sie uns alle sehr herzlich willkommen!

(Beifall)

Meine Damen und Herren, ich rufe die Tagesordnungspunkte 14 und 33 auf:

Gemeinsame Beratung

a) Erste Lesung des Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der inklusiven Bildung

Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/2559

b) Die Verwirklichung eines inklusiven Bildungssystems - Eingliederung von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf in die Regelschulen

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/2560

Ich eröffne die Grundsatzberatung und erteile für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der Frau Abgeordneten Angelika Birk das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Die Zeit“ vom 12. März dieses Jahres berichtet auf Seite 30 über einen jungen Spanier, der mit Down-Syndrom ein Universitätsdiplom erreicht, und resümiert: „Noch wissen wir nicht, wie lernfähig diese Menschen bei guter För

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derung tatsächlich sind. Den Eltern macht das Mut, einer offenen Zukunft entgegenzusehen.“

Sind die Grünen jetzt völlig verrückt geworden? Sollen jetzt alle Menschen mit Behinderung an die Universität? - Nein, darum geht es nicht. Aber es geht genau um diesen Grundsatz, einer offenen Zukunft entgegenzusehen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Offiziell gibt es sie nicht mehr, die Sonderschulen. Tatsächlich wird aber immer noch die Hälfte aller Kinder mit Förderbedarf in die Förderzentren abgeschoben; abgeschoben sage ich, weil sie in vielen Fällen, wenn man genau hinsehen würde, doch ganz andere Fördermöglichkeiten hätten als in einer Gruppe für sich. Unter diesen Kindern sind auch weit überproportional Kinder aus sozial schwachen Familien und aus Migrantenfamilien.

Ende letzten Jahres haben Bundestag und Bundesrat das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderung der Vereinten Nationen ratifiziert. Diese Konvention verpflichtet die Unterzeichnerstaaten dazu, „Menschen mit Behinderung gleichberechtigt mit anderen in der Gemeinschaft, in der sie leben, Zugang zu einem integrativen, hochwertigen und unentgeltlichen Unterricht an Grundschulen und weiterführenden Schulen“ zu ermöglichen. Sie, Frau Erdsiek-Rave, haben das Jahr 2009 zum Jahr der Inklusion erklärt. Sie haben also das Problem erkannt und ziehen Konsequenzen. Aber als Ziel haben Sie lediglich formuliert, den europäischen Integrationsdurchschnitt in zehn Jahren zu erreichen.

(Zuruf von Ministerin Ute Erdsiek-Rave [SPD])

- Ich weiß; das ist einerseits ein ehrgeiziges Ziel, auf der anderen Seite finden wir schon, dass Sie das Thema doch zu sehr in der Unverbindlichkeit lassen.

(Unruhe)

Ein bisschen mehr Ruhe, bitte!

Deswegen haben wir unseren Gesetzentwurf zur Förderung der inklusiven Bildung vorgelegt. Ziel ist es, die internationale Verpflichtung rechtlich umzusetzen und den gemeinsamen Unterricht von behinderten und nicht behinderten Schülern zur Regel werden zu lassen. Unser Entwurf beinhaltet eine

Übergangsphase von drei Jahren. Er tritt also erst im Jahre 2012 verbindlich in Kraft. Diese Zeit wollen wir nutzen, um unter einer breiten Beteiligung von Eltern, Lehrkräften und Behindertenverbänden die Voraussetzungen für dieses ehrgeizige Ziel zu schaffen. Uns ist wichtig, dass nicht den Schulen eine Regelung von oben aufgedrückt wird, sondern dass sich die Schulen auf den Weg machen können und dass sie die Zeit haben, sich vorzubereiten.

Wir möchten auf diese Weise schrittweise erreichen, dass tatsächlich bis zum Jahr 2018 ein großer Teil der heutigen Förderzentren keine Kinder mehr im Förderzentrum unterrichtet, sondern die Lehrkräfte an den allgemeinbildenden Schulen die Kinder unterstützen.

Wir befinden uns in Schleswig-Holstein, wenn wir uns die Nachbarländer ansehen, in einer gar nicht so schlechten Position. Immerhin, an die 50 % der Schülerinnen und Schüler mit sozialpädagogischem Förderbedarf werden schon integrativ beschult. Der Bundesdurchschnitt ist da sehr viel geringer; man redet von 16 %. Trotzdem müssen wir festhalten: Die andere Hälfte der Kinder wird immer noch gesondert beschult. Im europäischen Durchschnitt redet man von 80 %, die integrativ beschult werden, und 20 % - manche sprechen sogar nur noch von 15 % - der förderbedürftigen Kinder in sogenannten Sonderschulen oder extra Förderzentren.

Was sind nun die Voraussetzungen, die so wichtig sind, damit wir dahin kommen? Das Elternrecht muss gestärkt werden. Bisher ist es im Schulgesetz verankert, aber es hat Einschränkungen. Nur dann, wenn die organisatorischen, sächlichen und personellen Möglichkeiten da sind, soll die integrative Beschulung möglich sein. Das ist uns zu eingeschränkt. Viele Eltern laufen wie Bittsteller von Schule zu Schule, um einen Schulplatz für ihr Kind zu finden. Da muss sich etwas ändern. Wir wollen diese Einschränkung streichen.

Frau Erdsiek-Rave, Sie rufen mir gerade zu: Stimmt nicht. Uns ist ein Fall bekannt geworden hier am Ostufer.

(Zuruf: Einer!)

- Nicht nur einer. - Da ist die Unterrichtung an einem Förderzentrum nicht am Ort möglich gewesen. Das Kind muss sehr weit fahren, weil Förderzentren das Kind abgewiesen haben, und die Mutter muss neben dem Kind sitzen, damit es überhaupt zur Schule gehen darf. Wir werden diesem Fall noch nachgehen. Das ist ein Einzelfall, das gebe ich zu, aber solange wir noch solche Zustände an man

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(Angelika Birk)

chen Orten haben, sind wir erst auf dem Weg, aber noch längst nicht am Ziel.

Die Regelschulen müssen also nach unserem Gesetzentwurf dann, wenn die Eltern es wünschen, die Kinder annehmen,

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

wobei Kinder aus dem Schuleinzugsbereich bevorzugt werden.

Dann haben wir gesagt: Ganz wichtig ist als Erstes, wir wollen die Lernzentren, die den Schwerpunkt Sprache und Verhaltensbehinderung haben, als Schulorte auflösen. Warum gerade die? - Weil sich dort überproportional Kinder aus bildungsbenachteiligten Familien befinden. Immer wieder sagen uns die Lehrkräfte - im Übrigen auch die GEW, die dieses Ziel sehr unterstützt -, dass dort ein besonderer Sammelpunkt von Kindern aus sozial schwachen Elternhäusern ist. Es kann nicht angehen, dass wir hier sozusagen ein Förderzentrum für eine Aufgabe missbrauchen, für das es gar nicht da ist,

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

nämlich die soziale Schranke aufrechtzuerhalten.

Wir wollen den Förderzentren mit den Schwerpunkten geistige Entwicklung, körperliche und motorische Entwicklung, Hören, Sehen und autistisches Verhalten und dauerhaft kranken Schülern erst einmal eine Weiterführung ermöglichen; denn wir wissen, dass viele Eltern an diesen Schultypen festhalten. Wir wissen auch, dass es in der Tat bis 2012 nicht möglich ist, an allen Schulen die Voraussetzungen für diese Kinder zu schaffen, insbesondere für schwerstmehrfachbehinderte Kinder. Insofern gehen wir schrittweise vor. Wir fangen dort an, wo der Einstieg einen großen Schub nach vorn bringt und soziale Ungerechtigkeiten auflöst. Wir bewegen uns schrittweise dahin, dass nach und nach alle Förderzentren der Vergangenheit angehören und wir tatsächlich zu einem Zeitalter der Inklusion kommen.

Dahin ist es aber noch ein weiter Weg. Wir brauchen dafür auch die speziellen Qualifikationen der Lehrkräfte. Deshalb brauchen wir natürlich auch weiterhin den Fachbereich Förderpädagogik an unseren Hochschulen. Ich betone das, weil viele gefragt haben, ob wir das abschaffen wollen. Wir wollen das natürlich nicht abschaffen. Alle Lehrkräfte sollen sich aber darüber hinaus in Aus- und Fortbildungen mehr als bisher mit dem Thema der Kinder mit besonderem Förderbedarf befassen; denn häufig werden solche Fördernotwendigkeiten nicht erkannt. Ein Teamteaching gemeinsam mit

der förderpädagogischen Fachkraft ist natürlich nur möglich, wenn sich alle Lehrkräfte mit der Logik dieser Pädagogik auskennen.

Es kann nicht sein, dass Inklusion heißt: Hier der normale Frontalunterricht, wie er manchmal immer noch üblich ist, und dann sitzt dort irgendwo ein kleines Grüppchen von förderbedürftigen Kindern in der Ecke und wird von jemand anderem betreut. Nein, es muss tatsächlich ein gemeinsames und binnendifferenziertes Lernen möglich sein. Das bedeutet, dass die Lehrkräfte natürlich entsprechend vorbereitet sind.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was uns darüber hinaus besonders wichtig ist, ist der sonstige soziale Betreuungsbedarf. Wir haben an vielen Förderzentren Erzieherinnen, Kinderpflegerinnen und so weiter. Diese müssen dann natürlich auch in die Regelschulen integriert werden. Das ist natürlich eine gemeinsame Aufgabe.

Dann kommen wir zu einem ganz empfindlichen Thema, nämlich zum Thema des Geldes. Behindertenverbände, Eltern behinderter Kinder und vor allen Dingen diejenigen, die sich schon seit längerer Zeit in diesem Bereich engagieren, sagen uns nach wie vor, dass der Förderbedarf, der jedem einzelnen Kind an bezahlter Zeit zugestanden wird, in den vergangenen Jahren rapide abgenommen hat. Wir müssen uns im Ausschuss gezielt über Zahlen unterhalten. Eltern aus ganz unterschiedlichen Regionen sagen jedoch übereinstimmend, dass der Förderbedarf abgenommen hat. Fachleute können uns das auch in Stunden vorrechnen.

Das kann es natürlich nicht sein. Es kann nicht sein, dass Integration oder Inklusion eine Spardose wird.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Um glaubwürdig zu sein, brauchen wir genügend Zeit und genügend Fachkräfte, die sich um die Kinder kümmern. Es muss tatsächlich eine Lösung aus einem Guss sein; denn sonst treiben wir gerade die engagiertesten Eltern zurück in eine Zeit, die eigentlich der Vergangenheit angehören sollte, nämlich in die Zeit der Extrabeschulung.

Wir werben für unseren Gesetzentwurf. Wir werben für den begleitenden Antrag, der das, was ich hier dargestellt habe, noch einmal zusammenfasst. Wir hoffen auf eine intensive Anhörung. Wir wissen, dass die Lebenshilfe und diejenigen, die sich seit Langem mit diesem Thema befassen, hinter uns stehen. Einige würden gern noch radikalere Schritte gehen. Die meisten haben aber gesagt, dass unser