Aber, Herr Carstensen, nächstes Jahr sind Landtagswahlen. Vor der letzten Wahl lief die CDU im Wahlkampf herum und fantasierte von Stellenabbau von 5.000 Stellen. Hätten Sie die große Verwaltungsreform gemacht, hätten Sie eine Kommunalreform gemacht, dann wäre das eine Größenordnung, die in zehn Jahren vielleicht realistisch gewesen wäre. Leider ist nichts davon passiert. Wenn jetzt die Vorgaben der Föderalismuskommission erfüllt werden sollen, dann geht es um Einsparungen, die mindestens doppelt so hoch sein müssen. Ich frage Sie: Warum haben Sie den Punkt 4 gestrichen? Wollen Sie den Menschen im Land nicht ehrlich sagen, was Sie vorhaben?
Wir erwarten jetzt, dass ein Konzept vorgelegt wird, in dem die Landesregierung sagt, wie sie mit der Schuldenbremse umzugehen gedenkt, welche Einsparungen sie vorzunehmen hat und in welchen Bereichen sie die Einsparungen treffen will, und wir erwarten, dass sie das Konzept jetzt vorlegt und nicht erst nach der Wahl.
Wir erwarten - das bieten wir Ihnen auch an, Herr Carstensen -, dass Sie bereit sind, offen mit der Op
position über die Probleme des Landes und über die Möglichkeiten zu reden. In den letzten drei Monaten haben Sie uns von allen Informationen abgeschnitten und dann im Überfall jetzt eine Entscheidung zur Bank getroffen, die dieses Land möglicherweise Jahre bis Jahrzehnte belasten wird.
Die Resolution macht deutlich, dass auch die Regierungsfraktionen nicht mehr bereit sind, Ihre Vogel-Strauß-Politik weiter mitzumachen. Ich fordere Sie auf: Stimmen Sie dem Punkt 4 zu! Legen Sie ein Konzept vor! Wir werden darüber eine Einzelabstimmung machen. Mit der Androhung von Rücktritten und Neuwahlen werden Sie keine Probleme mehr lösen, Herr Ministerpräsident.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der erste Absatz unseres gemeinsamen Antrags mit den Grünen sagt es, und ich wiederhole es gern für den SSW: Wir begrüßen das Ziel der Föderalismuskommission, eine verbindliche Schuldenbremse einzuführen. Wenn wir nicht auf Kosten kommender Generationen leben wollen, dann müssen wir mit aller Kraft ausgeglichene Haushalte anstreben. Daran gibt es keinen Zweifel.
Allerdings dürfte der Antrag auch hinreichend klar zum Ausdruck bringen, dass wir nicht mit der Schuldenbremse leben können, die am vorletzten Freitag von der Föderalismuskommission beschlossen wurde. Sie erfüllt in keiner Weise die Forderungen, die von den Vertretern der Landtage erhoben wurden, nämlich dass annähernd ausgeglichene Landeshaushalte die Voraussetzung für neue Schuldenregeln sind und dass die bestehenden Altschulden der Länder berücksichtigt werden müssen. In dieser Zeit, in der die öffentlichen Haushalte durch Konjunkturprogramme, Bankenrettung und steigende Arbeitslosigkeit bis an alle Grenzen strapaziert werden, würde eine solche Schuldenbremse eine fatale Wirkung entfalten.
Die Erfahrungen der vergangenen Jahre haben gezeigt, dass vor allem der Abbau der Arbeitslosigkeit und damit die Erhöhung der Steuereinnahmen dem Staat den Überschuss beschert hat, um Altschulden abzubauen und sich ausgeglichenen Haushalten an
Insofern könnte das Timing der Föderalismuskommission schlechter kaum sein; denn wir treten zu Recht gleichzeitig auf das Gaspedal, wenn es darum geht, durch das schuldenfinanzierte Konjunkturpaket die Folgen der weltweiten Finanzkrise für die Realwirtschaft und den Arbeitsmarkt abzumildern. Die starre Schuldenbremse macht also zum jetzigen Zeitpunkt eigentlich gar keinen Sinn. Sie ist in meinen Augen nur eine Art Ablasshandel für konservative und liberale Politiker, die das Gefühl haben, mit der Zustimmung zu einem Konjunkturprogramm eine große Sünde zu begehen. Jeder weiß aber, dass man ins Schleudern kommt, wenn man bei voller Fahrt gleichzeitig auf Bremse und Gas tritt. Aber genau dies, liebe Kolleginnen und Kollegen, wird passieren.
Für Schleswig-Holstein bedeutet die beschlossene Schuldenbremse konkret, dass wir das strukturelle Defizit im Haushalt von 600 Millionen € jährlich ausgleichen müssen und dafür vom Bund neun Jahre lang jeweils 80 Millionen € bekommen. Übrig bleiben also 520 Millionen € pro Jahr, die das Land selbst einsparen muss.
Allein daran lässt sich schon erkennen, dass diese Schuldenregelung das Land langsam erdrosseln würde. Der Zusammenfall mit der Krise der HSH Nordbank macht die Wirkung dieser Schuldenbremse für Schleswig-Holstein aber geradezu tödlich. Das Land hat eine Schlinge um den Hals. Am einen Ende des Seils zieht die Föderalismuskommission und am anderen Ende der Vorstand der HSH Nordbank. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist die Situation, in der wir gerade stehen.
Deshalb ist es auch unbegreiflich, dass sich der Ministerpräsident in der Föderalismuskommission dem Schicksal ergeben hat.
Es hat mich maßlos enttäuscht, dass sich Peter Harry Carstensen bei der entscheidenden Sitzung der Föderalismuskommission für Schleswig-Holstein der Stimme enthielt. Es gab eine Zeit, in der unser Ministerpräsident mit vorbildlichen Konzepten ausgestattet nach Berlin gefahren ist, eine Zeit, in der auch bei der Landesregierung die Erkenntnis vorherrschte, dass nur eine solide Reduzierung der bestehenden Schulden die Probleme löst. Der damali
ge Vorschlag der Landesregierung, die Altschulden über 50 Jahre durch einen gemeinsamen Fonds der Länder mit einem Teil der Mehrwertsteuereinnahmen zu tilgen, war richtig. Umso unverständlicher ist es, dass Peter Harry Carstensen jetzt, da es zum Schwur kommt, resigniert die Hände in den Schoß legt.
Die jetzt beschlossene Schuldenbremse ist wahlweise angekündigter politischer Selbstmord oder Selbstbetrug.
Entweder erfüllt Schleswig-Holstein die Einsparforderung - und dann bleibt vom Land nur ein Torso übrig -, oder wir erfüllen die Kriterien nicht, aber dann bekommen wir die 80 Millionen € Bundeszuschuss zum Schuldenabbau auch nicht zu sehen.
Insofern ist die Begründung des Ministerpräsidenten für seine Enthaltung in der Föderalismuskommission abwegig, dass das Land gar kein Geld vom Bund bekäme, wenn er dagegen gestimmt hätte; denn Schleswig-Holstein hat durch diese Schuldenbremse rein gar nichts zu gewinnen.
Ich unterstelle aber einmal, dass sich der Ministerpräsident in der Föderalismuskommission der Stimme enthalten hat, weil er daran glaubt, über eine halbe Milliarde € jährlich aus dem Landeshaushalt herausschneiden zu können. Deshalb sagen wir: Na, dann mal Butter bei die Fische, Herr Ministerpräsident! Sagen Sie uns und den Schleswig-Holsteinern jetzt deutlich, wo dieses Geld eingespart werden soll!
Durch neue Einnahmen wird es nicht kommen. Deshalb muss jetzt klar benannt werden, woher die Landesregierung in den kommenden neun Jahren jährlich 520 Millionen € holen will.
Es ist ja nun einmal nicht so, dass die Schulden dadurch entstanden sind, dass wir zu viele Lehrer oder Polizisten haben oder Deutschland ein soziales Schlaraffenland ist. Man darf bei der aktuellen Diskussion über Staatsschulden und Schuldenbremsen nicht aus den Augen verlieren, dass der weitaus größte Teil der Schulden immer noch eine Folge der deutschen Einheit ist. Auch politische Fehlentscheidungen wie die rot-grünen Steuerreformen der 90er-Jahre, die jährlich über 50 Milliarden € Mindereinnahmen zur Folge hatten, haben unsere Verschuldung erhöht.
Vor diesem Hintergrund lautet die wirklich spannende Frage: Woher kommt die halbe Milliarde? Diese Frage ist übrigens nicht nur an den Ministerpräsidenten gerichtet, sondern auch an die SPD: Wenn die Landesregierung im Bundesrat der Schuldenbremse zustimmt und mit sozialdemokratischen Stimmen das Grundgesetz geändert wird, dann übernimmt auch die SPD-Schleswig-Holstein die Verantwortung für diese Kamikaze-Politik und muss ebenso klar benennen, wer im Land in Zukunft auf eine halbe Milliarde € verzichten soll.
Um es vorwegzunehmen: Ich glaube nicht, dass die Antworten irgendjemanden zufriedenstellen werden. Am Ende bleibt im Interesse Schleswig-Holsteins nur eine Option: Die Landesregierung muss sich eines Besseren besinnen und im Bundesrat gegen die Schuldenbremse stimmen. Außerdem muss die Landesregierung den Landtag unterstützen, wenn es um eine Verfassungsklage gegen eine bundesweite Schuldenbremse im Grundgesetz geht. Kein Bundesland kann hinnehmen, dass es durch eine Verfassungsänderung quasi entmündigt wird. Das Budgetrecht ist das Königsrecht des Landtags und darf nur vom Landtag selbst beschnitten werden. Deshalb muss eine neue Schuldenregel für Schleswig-Holstein auch in der Landesverfassung verankert sein und darf nicht von oben durch das Grundgesetz diktiert werden. Wenn Schleswig-Holstein die Entscheidung der Föderalismuskommission akzeptiert, dann geben wir unseren politischen Gestaltungsspielraum auf und entmachten uns selbst. Deshalb kann der Landtag gar nicht anders handeln, als beim Bundesverfassungsgericht gegen die Schuldenbremse zu klagen - sehr gern mit, aber notfalls auch ohne die Landesregierung.
Wir müssen alles tun, um zu verhindern, dass eine Regelung beschlossen wird, der kein realistisches Entschuldungskonzept zugrunde liegt und die so unserem Land massiv schaden wird.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dies gilt umso mehr, als die Schuldenbremse im Grundgesetz und möglicherweise auch in der Landesverfassung verankert werden soll. Beide lassen sich nur mit einer Zweidrittelmehrheit ändern, die für die jetzigen Großen Koalitionen leicht zu organisieren ist. Sollte aber nachher die Erkenntnis wachsen, dass das
Ganze ein Fehler war, dann ist eine Hürde errichtet, die spätere Mehrheiten kaum überwinden können. Am Ende kann eine solche Schuldenregelung die jungen Generationen noch mehr belasten als die Schulden selbst. Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch dies ist Grund genug, hier und jetzt Stopp zu sagen. Ich bitte um Zustimmung zu unserem gemeinsamen Antrag mit den Grünen.
Für die Fraktion der CDU hat der Fraktionsvorsitzende, Herr Abgeordneter Dr. Johann Wadephul, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Aschermittwoch und eine Hentschel-Rede, das ist schon Kater pur. Das haben wir heute Morgen wieder einmal erlebt, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Bei der Rede meines Kollegen Hentschel habe ich einen konstruktiven Vorschlag für die Zukunft vermisst, übrigens auch bei Ihrer Rede, Frau Kollegin Spoorendonk. Es hilft nichts, dass wir uns in Sonntagsreden dazu bekennen, Schulden abbauen zu wollen oder keine neuen Schulden machen zu wollen. Wir müssen konkret darüber reden, wie dies gelingen soll.
Dazu gehört, dass, wenn wir die Vergangenheit miteinander betrachten, wir wissen müssen, dass auf Bundesebene und in den Bundesländern Fehler gemacht worden sind. Seit Mitte der 60er-Jahre sind in allen Haushalten des Bundes und der Länder jedes Jahr mehr Schulden gemacht worden. Ich habe das hier mehrfach gesagt. Ich sage das auch ganz offen. Es gab eine Sentenz in Ihrer Rede, Herr Kollege Hentschel, die ein bisschen von Selbstkritik geprägt war. Das würde Ihnen für die Zukunft guttun.
Da haben auch CDU-Verantwortliche mitgemacht. Wir haben mittlerweile in öffentlichen Diskussionen den Sport gehabt zu sagen, wir senken die Nettoneuverschuldung, und wir haben bei den Bürgerinnen und Bürgern den Eindruck erweckt, das sei eine ganz tolle Leistung. Dass es in der Subtanz im
mer noch bedeutet, dass man im kommenden Jahr den Bürgerinnen und Bürgern mehr Schulden auf die Schultern lädt, ist dabei semantisch etwas unter den Tisch gefallen, und das wird jetzt offenbar. Deswegen müssen wir darüber reden, was wir machen können. Da sollte jeder sagen - auch hier in der Debatte -, was er will.