Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir setzen die unterbrochene Sitzung fort. Ich begrüße Sie alle wieder herzlich nach der Mittagspause und rufe die Tagesordnungspunkte 22 und 26 auf:
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache und erteile für die CDU-Fraktion der Frau Abgeordneten Sylvia Eisenberg das Wort.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachdem das „Jahr der beruflichen Bildung“ mit einer Vielzahl von Veranstaltungen abgeschlossen wurde, gilt es jetzt, ein Resümee zu ziehen, das auch durch eine Vielzahl von Gesprächen und Informationsbesuchen der CDU-Landtagsfraktion an beruflichen Schulen entstanden ist.
Es gibt immer noch etwas zu verbessern. Das System der beruflichen Bildung ist kein statisches, sondern ein offenes, transparentes und durchlässiges System, das immer auch für gesellschaftliche und wirtschaftliche Veränderungen offen ist. Allerdings ist es abhängig von der Bundes- und Landesgesetzgebung, von den Anforderungen des Arbeitsmarktes und der Betriebe und zunehmend auch von europäischen Regelungen wie dem „Qualifikationsrahmen“.
Auf die europäische Dimension will ich aufgrund der Kürze meiner Redezeit jetzt nicht eingehen. Die Erläuterungen dazu finden Sie in einer Pressemitteilung der CDU-Landtagsfraktion.
Meine Damen und Herren, wir wollen, dass die berufliche Ausbildung wieder so offen gestaltet wird, dass ein einmal gewählter Weg nicht in eine Sackgasse führt. Was nützt es dem zum Speiseeisverkäufer Ausgebildeten oder dem zum Zweiradmechaniker Ausgebildeten, wenn er kein Speiseeis mehr verkaufen kann beziehungsweise plötzlich ein Fahrzeug mit vier Rädern reparieren soll?
Deshalb ist eine solide Grundausbildung in einem Berufsfeld notwendig, um später noch andere Wege einschlagen zu können.
Die CDU-Landtagsfraktion fordert die Tarifparteien, aber auch die Bundesregierung als Verordnungsgeber auf, die Ausbildungsberufe so zu ordnen, dass die Ausbildung in einem einmal gewählten Beruf nicht zur Einbahnstraße für den Auszubildenden wird.
Wir befinden uns damit in großer Übereinstimmung mit den Ergebnissen des Innovationskreises berufliche Bildung auf Bundesebene, der seine Stellungnahmen im letzten Jahr veröffentlicht hat und der auch mit unseren Forderungen nach einer Ausweitung der zweijährigen Ausbildungsgänge für geringer qualifizierte Auszubildende übereinstimmt.
Unabhängig von den Bemühungen der Landesregierung, jedem Schüler eine Berufseinstiegsbefähigung zukommen zu lassem, die wir sehr begrüßen, halten wir es für wünschenswert, dass sich die re
gionalen Akteure, also Ministerien, Arbeitsverwaltung und Unternehmen, an einen Tisch setzen, um gemeinsam Konzepte zu entwickeln, die darauf abzielen, mehr Jugendliche auf einen Ausbildungsplatz vorzubereiten und diesen auch zur Verfügung zu stellen. Das Land Schleswig-Holstein stellte nach Berechnungen der Bertelsmann-Stiftung den beruflichen Schulen rund 80 Millionen € für die Integration dieser Jugendlichen zur Verfügung, weitere 13 Millionen € wurden für andere Förderprogramme ausgegeben, ganz abgesehen von dem personellen Einsatz der Ausbildungsakquisiteure der Wirtschaft, denen an dieser Stelle unser besonderer Dank gilt.
Für diesen Bereich steht also eine Unmenge Geld zur Verfügung, das nur sinnvoll eingesetzt werden kann, wenn alle Akteure an einem Strang ziehen.
Besondere Probleme stellen in diesem Rahmen auch die Jugendlichen dar, die nach Beendigung ihrer Schulzeit keinen Ausbildungsplatz bekommen und bis November - wie man sagt - auf der Straße herumgammeln, bevor sie in ausbildungsvorbereitende Maßnahmen aufgenommen werden können. Hier muss dringend Abhilfe geschaffen werden.
Last, but not least: Ohne Lehrer ist keine duale Ausbildung möglich. Nicht nur in der Elektro- und Metalltechnik gibt es kaum noch Berufsschullehrer. Auch im Bereich der Agrarwirtschaft, der Gastronomie, im Pflegebereich, aber auch im Bereich der Sozialpädagogik mangelt es zunehmend an Berufsschullehrern. Die Absolventenzahlen der Universität Flensburg gehen besonders im Metallund Elektrobereich zurzeit gegen null, obwohl ein Ersatzbedarf von 40 bis 50 Lehrerinnen und Lehrern für die ausscheidenden Lehrkräfte besteht. Deshalb muss auf Quer- und Seiteneinsteiger gesetzt werden.
Für diesen Beruf müssen Anreize geschaffen werden. Die wenigen, die bei uns studieren und deren Ausbildung in Schule und Hochschule das Land Schleswig-Holstein und den Steuerzahler viel Geld gekostet hat, dürfen nicht auch noch durch schnelleren Zugriff und mit besseren und erleichterten Einstellungsbedingungen von anderen Bundesländern abgeworben werden. Vorschläge hierzu finden Sie in unserem Antrag. Für weitere Vorschläge sind wir immer offen.
Zu prüfen ist auch, ob nicht die Kapazitätsverordnung von 2004 gerade im Hinblick auf Berufsschullehrer in Mangelfächern überprüft werden
müsste. Wenn es keine Laufbahnbewerber zum Beispiel für den Elektro- und Metallbereich, für den Agrarbereich, aber auch für die anderen Berufszweige gibt, nützt es den Berufsschulen - selbst bei hervorragender Bewertung - wenig, wenn sie mit Laufbahnbewerbern aus anderen Fachrichtungen oder mit Haupt- und Realschullehrern versorgt werden. Gerade bei Berufsschullehrern ist die Fachlichkeit von besonderer Bedeutung.
Bei allen grundsätzlichen Bedenken auch laufbahnrechtlicher Art ist eine flexiblere Handhabung der Kapazitätsverordnung bis hin zu einer möglichen zeitlich befristeten Aussetzung notwendig.
Bayern und Baden-Württemberg machen uns das vor. Warum hält Schleswig-Holstein an den starren Regelungen fest? Meine Damen und Herren, wir dürfen uns nicht ins Abseits manövrieren lassen.
Es gibt viel zu tun. Packen wir es an! Sollte dieser Antrag die Zustimmung des Landtages finden, erwarten wir zu Beginn des nächsten Jahres einen Bericht über die umgesetzten Maßnahmen.
Ihren Antrag, Herr Hentschel, werden wir ablehnen, nicht nur weil er fast wörtlich eine Wiederholung Ihres Antrags vom Februar 2008 - Drucksache 16/1869 - darstellt, sondern auch, weil sich an unseren Argumenten, nachzulesen im Parlamentsprotokoll vom Februar 2008, nichts geändert hat. Die Mehrheit des Landtages hat damals bereits - auch mit den Stimmen der FDP - Ihren Antrag abgelehnt.
Bevor ich ein weiteres Mal das Wort erteile, möchte ich Sie bitten, gemeinsam mit dem Präsidium Besucherinnen und Besucher auf der Tribüne zu begrüßen: Mitglieder der Senioren-Union aus dem Kreis Herzogtum Lauenburg sowie Mitglieder des SPD-Ortsvereins Heikendorf. - Herzlich willkommen!
Für die zweite antragstellende Fraktion erhält der Herr Fraktionsvorsitzende von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Karl-Martin Hentschel, das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Meine Kollegin von der CDU hat richtig bemerkt, dass der Antrag zwar überarbeitet ist, aber ansonsten dem entspricht, was wir vor einem Jahr vorgelegt haben. Es hat sich aber bei den Argumenten für diesen Antrag mittlerweile einiges getan. Deswegen haben wir ihn noch einmal eingebracht, auch aufgrund der Debatte im Herbst.
Was hat sich seitdem getan? - Einerseits hat die Hamburger Illustrierte „Stern“ in der dritten Ausgabe dieses Jahres nachgewiesen, dass die Behauptung, alle Jugendlichen bekämen eine Ausbildungsstelle, nicht zutrifft. Davon waren Sie letztes Jahr noch ausgegangen, das ist auch im Herbst letzten Jahres noch behauptet worden. Auch damals habe ich schon darauf hingewiesen, dass das nicht stimmt. In der Stellungnahme der Bundesagentur zu den Zahlen des „Stern“ werden die Zahlen bestätigt, lediglich die Schlussfolgerung, die Bundesagentur hätte die Zahlen frisiert, sei falsch. Man hätte die Wahrheit schon immer erkennen können, dass nicht alle Jugendlichen eine Ausbildungsstelle bekommen, wenn man die Statistik richtig gelesen hätte - so die Pressestelle der Bundesagentur.
Wohl wahr, denn schon der zweite Nationale Bildungsbericht 2008 von Ministerin Schavan - das ist die zweite Neuigkeit, mit der wir Sie konfrontieren - legte offen, dass über ein Drittel aller Jugendlichen im sogenannten Übergangssystem landen. In diesem System befanden sich 2007 über 500.000 Jugendliche, und das kostete den Staat über 3,4 Milliarden € - 3,4 Milliarden €! Viele Jugendliche landen dabei in Maßnahmen der Bundesagentur, oder sie absolvieren eine Berufsfachklasse, landen im Berufsvorbereitungsjahr oder - wenn all das nicht zutrifft - landen in den sogenannten BEK, das sind die sogenannten Berufseingangsklassen, früher nannte man sie die Arbeitslosenklassen. Da sind sie dann einen Tag in der Woche, und ansonsten hängen sie zu Hause rum.
Es gibt auch weiterhin zahlreiche Jugendliche, die nirgends landen. Denn meistens wird nicht einmal kontrolliert, ob sie der Schulpflicht überhaupt genügen. Nur der Kreis Schleswig tut das. Manche von ihnen machen Hilfsarbeiten in Kleinbetrieben, oder sie arbeiten für 400 € an der Kasse im Supermarkt. Manche liegen zu Hause auf dem Sofa und tauchen erst mit 20 oder 21 Jahren bei der Arbeitsagentur auf, wenn sie aus dem Hotel Mama rausgeschmissen werden. Und Mädchen - aber auch Jungs
15 % der Jugendlichen bekommen zurzeit keine Ausbildungsstelle - das steht alles im Bericht der Bundesministerin Schavan, das sind nicht meine Zahlen, das steht alles im Nationalen Bildungsbericht vom letzten Jahr -, bei den ausländischen Jugendlichen bekommen mittlerweile fast 75 % keine Ausbildungsstelle - Bundesbildungsbericht! Diese Jugendlichen haben später kaum eine Chance, jemals einen qualifizierten Job zu bekommen. Der Bericht von Ministerin Schavan benennt deshalb den Abbau von Umwegen beim Übergang von den Schulen in die Ausbildung als eine der zentralen Herausforderungen für die Bildungspolitik der kommenden Jahre.
Das ist der Grund dafür, dass wir den Antrag erneut gestellt haben, weil wir genau diese Frage im letzten Jahr aufgegriffen haben. Das ist jetzt noch aktueller, deshalb haben wir sie erneut aufgegriffen. Ich dränge darauf und bitte die Große Koalition auch darum, sich zu überlegen, ob wir mit diesem Antrag nicht doch noch in die Ausschussberatung gehen sollten, denn ich halte es für dringend notwendig, dass wir uns einmal mit diesen Zahlen und auch mit den möglichen Konsequenzen beschäftigen.
Auch in Schleswig-Holstein ist die Situation nicht besser als im Bundesbereich. Nach dem Bildungsbericht von Ministerin Schavan landeten in Schleswig-Holstein sogar 42,8 % aller Jugendlichen - das sind über 11.000 Jugendliche jährlich - im Übergangssystem. Lediglich 42,7 % - also weniger - bekamen einen Ausbildungsplatz nach Schulabgang in der hoch gelobten dualen Ausbildung. Und das traf nicht nur Hauptschüler. Von den im letzten Herbst unversorgten Schulabgängern hatten nach dem Bericht des Ministeriums - unseres eigenen Ministeriums - 40 % einen Realschulabschluss und 11 % sogar eine Fachhochschulreife oder Hochschulreife. Und auch diese bekamen keinen Ausbildungsplatz in Schleswig-Holstein. Und trotzdem wurde von Ministerium, IHK und Bundesagentur im letzten Herbst noch lauthals verkündet, alle Jugendlichen seien untergebracht. Das ist eine unentschuldbare Falschmeldung - die Betroffenen müssen sich da verhöhnt vorgekommen sein.