Protocol of the Session on November 13, 2003

Ich bitte Sie, dem Antrag der SPD zuzustimmen. Den Antrag der CDU werden wir natürlich ablehnen.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Graf Kerssenbrock.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist wirklich sehr erfreulich, dass wir über Energiewirtschaftspolitik reden wollen. Ich empfinde es bei der Sozialdemokratie schon einmal als Fortschritt, dass

(Dr. Trutz Graf Kerssenbrock)

sie überhaupt begreift, dass Energiepolitik auch Wirtschaftspolitik ist.

(Beifall bei CDU und FDP - Lachen bei der SPD)

Sie müssen begreifen, meine Damen und Herren, dass Energiepolitik eine erhebliche volkswirtschaftliche Relevanz auch für Beschäftigung und Wachstum hat.

(Beifall bei CDU und FDP)

Ideologie, Luftschlösser abseits jeglicher volkswirtschaftlicher Vernunft - davon haben wir bei dem Kollegen Malerius wieder eine Kostprobe bekommen - taugen einfach nicht für dieses wichtige Politikfeld.

(Beifall bei der CDU)

Ich habe immer noch ein bisschen Hoffnung, Herr Minister, dass durch den Wechsel der Zuständigkeit für die Energiepolitik in der Landesregierung ein Stückchen mehr Vernunft erkennbar wird. Noch ist sie aber nicht erkennbar. Vielleicht hören wir von Ihnen dazu heute ein bisschen mehr; das würde mich freuen. Aber was haben Sie bisher getan? Bisher haben Sie Abgaben erhöht, haben dirigistische Eingriffe vorgenommen, Ökosteuer, Grundwasserabgabe, Oberflächenwasserentnahmeabgabe, EEG, KraftWärme-Kopplung, überall haben Sie Gift für Wachstum und Beschäftigung in diesem Land gestreut.

(Beifall bei CDU und FDP)

Den Zusammenhang zwischen Ihrer Energiepolitik und der wirtschaftlichen Lage dieses Landes haben Sie bisher nicht begriffen.

„Kumpel Gerhard“das ist Ihr Bundeskanzler, er wurde gestern von der „FAZ“ so tituliert, hat nun ein besonderes Herz für Windenergie und Klimaschutz bewiesen: 17 Milliarden € will er für die Steinkohle in den nächsten Jahren locker machen. Sie haben es offensichtlich. Wessen Geld ist das eigentlich? Das ist Steuerzahlergeld. Dazu kommen 1,4 Milliarden € auf der Stromrechnung des Stromverbrauchers für die Windenergieeinspeisung. Das ist die volkswirtschaftliche Realität, die Sie dem Volk vorsetzen und mit der wir uns auseinander zu setzen haben.

(Beifall bei CDU und FDP)

Über die Klimaschutzziele von Kyoto habe ich bei Herrn Malerius nichts gehört. Diese Ziele sind bei Fortsetzung Ihrer Energiepolitik objektiv nicht erreichbar. Nach Abschaltung der Kernkraftwerke müssen 150 bis 170 Millionen Tonnen CO2 vermieden werden, die bisher die Kernkraftwerke nicht ausstoßen. Mit regenerativen Energien, Herr Malerius, werden Sie das nicht schaffen. Die Windenergie erspart

nach optimistischen Schätzungen allenfalls 10 Millionen Tonnen von benötigten 150 bis 170 Millionen Tonnen. Meine Damen und Herren, in welchem Land leben Sie eigentlich? Was verkaufen Sie der Bevölkerung hier eigentlich?

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Luft!)

Schon hieraus wird deutlich: Diese Energiepolitik verdient den Namen Politik jedenfalls nicht. Es ist eine Mogelpackung. Wenn Sie denn Ihre Klimaschutzziele sehen, regieren Sie planlos, ziellos, ineffektiv, nach vermeintlicher Stimmungs- oder auch Kassenlage, je nachdem, wie es gerade gefällt. Aber Ihre Ziele und die Ziele, die uns allen am Herzen liegen müssten, werden Sie nicht erreichen.

Nun hat es Kanzlergespräche gegeben, bei denen Herr Trittin gelegentlich am Katzentisch dabei sein durfte -,

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Das reicht nicht!)

und die haben ergeben, dass der gesamte Kraftwerkspark in Deutschland erneuert werden muss: 40.000 bis 50.000 MW für etwa 50 Milliarden €. Das ist kein Pappenstiel, über das wir hier reden. Da kommen Sie mit noch so viel Repowering nicht hin. Weder Wind- noch Solar- noch Biomasseenergie, geschweige denn Brennstoffzellen oder Kernfusion werden auch nur ansatzweise in der Lage sein, den Energiebedarf einer Gesellschaft, die Arbeitsplätze mit preiswerter Energie nachfragt, zu decken.

Für Herrn Kollegen Matthiessen ausdrücklich zum Mitschreiben: Wir sind nicht per se gegen Windenergie, sondern wir sind gegen eine übermäßige, zu wenig degressive, zu lang anhaltende Förderung - zudem an falschen Standorten - und gegen eine Verspargelung unserer schönen Landschaft in SchleswigHolstein.

(Beifall bei CDU und FDP)

Alle Fachleute sagen es: Der Energiebedarf in der Welt wird steigen. Er wird auch in unserem Land immer noch steigen. Das werden auch fromme grüne Wünsche nicht ändern können. Doch auch Sie selbst reden über eine allenfalls von Ihnen angestrebte Nennleistung von Windenergien von weiteren 12.000 MW, das heißt eine effektive Jahresleistung von 5.000 bis 6.000 MW. Auch da sieht man, welche Luftschlösser Sie bauen und der Bevölkerung als Politik verkaufen wollen. Das hat mit Politik überhaupt nichts zu tun. Das ist Traumtänzerei.

Ob Sie es wollen oder nicht: Ihr energiepolitischer Offenbarungseid steht bevor, wenn Sie zugeben müssen, dass Ihre Energiepolitik Arbeitsplätze unmittel

(Dr. Trutz Graf Kerssenbrock)

bar in der Kernenergiewirtschaft und in der Forschung und mittelbar durch zu hohe Preise durch dirigistische Eingriffe, die auf den Stromverbraucher umgelegt werden, kostet und Sie den Ersatzbedarf entweder trotzdem nur durch Kernkraft oder nur durch andere Ressourcen verbrauchende fossile Energieträger decken können - mit entsprechenden klimaschädlichen Folgen. Das wird Ihr energiepolitischer Offenbarungseid werden.

Was ist passiert, seit Sie die energiepolitische Verantwortung in diesem Land tragen? Sie haben einseitig auf Windenergie gesetzt,

(Dr. Ulf von Hielmcrone [SPD]: Gott sei Dank!)

die nicht grundlastfähig ist. Sie haben einen klimafreundlichen, grundlastfähigen, abgeschriebenen Energieträger sozusagen einfach abgeschaltet. Auch das hat mit Politik wenig zu tun,

(Dr. Ulf von Hielmcrone [SPD]: Welchen denn?)

sondern mehr mit der Umsetzung einer gewaltigen volkswirtschaftlichen Fehlallokation von gegenwärtig jährlich mindestens 1,4 Milliarden €, die Sie Subventionierung zu nennen sorgfältig vermeiden, auch wenn es faktisch, volkswirtschaftlich natürlich eine Subventionierung ist.

Wir wollen eine vorausschauende, sichere, wirtschaftliche, klimafreundliche Energiepolitik. Wir wollen auch einen vernünftigen Energiemix. Das Wort habe ich von Herrn Malerius zum ersten Mal gehört. Ich freue mich darüber. Das wäre ein vernünftiger Anknüpfungspunkt. Herr Clement spricht auch darüber. Nach dem Kohlekompromiss von gestern habe ich - offen gestanden - gewisse Sorgen, ob das wirklich so gemeint ist.

Bei Ihnen hier im Land war bisher von einem angestrebten energiepolitischen Mix nichts zu spüren. Ihre Resultate sehen auch anders aus. Der Kraftwerkspark ist veraltet. Es gibt einen gewaltigen Investitionsstau. Ein nennenswerter Beitrag zum Klimaschutz ist nicht in Sicht. Sie leben mit Ihren Zahlen von den Früchten des Abschaltens der alten Dreckschleudern in der DDR. Deutschland als energiewissenschaftlicher Forschungsstandort blutet aus, besonders plastisch an der Kernenergie nachvollziehbar.

(Konrad Nabel [SPD]: So ein Quatsch!)

„Frankfurter Rundschau“ vom 5. November 2003, Herr Kollege Nabel: Nach dem Willen von SPD und Grünen sollen deutsche Stromkonzerne nicht am Bau des ERP-Reaktors in Frankreich beteiligt werden

dürfen, obwohl sie das begehrte Know-how haben. - Das müssen Sie den deutschen Arbeitnehmern, die um ihre Arbeitsplätze bangen, erst einmal erklären.

(Beifall bei CDU und FDP)

Ist es eigentlich sozial, durch administrativ verordneten Stopp von Forschung der Welt, insbesondere der dritten Welt Ergebnisse von Forschungen und Knowhow vorzuenthalten, das hier mühsam erworben worden ist? Sollen andere besonders in der Sicherheitstechnologie erst einmal irreparable Fehler machen? Genau das ist die Folge Ihrer Politik.

Die Zahl der Arbeitsplätze in der Energiebranche - zurzeit sind das 315.000 - wird weniger. Wir reden immerhin über 4.000 Arbeitsplätze in der Windenergiebranche. Aber das wiegt doch den Verlust nicht auf. Die Kostenbelastung der Wirtschaft steigt, besonders in der stromintensiven Wirtschaft, durch EEG-, durch Ökosteuer, durch KWK-Gesetz und Ähnliches. 53,9 Milliarden € gesamtstaatliche Belastung der Energiebereitstellung, das sind die Zahlen, über die wir hier zu reden haben. Inzwischen ist trotz der ursprünglichen Reduzierung aufgrund der Liberalisierung der Strommärkte in Europa der Strompreis wieder auf alte Höhen geklettert. Durch Ihre Politik wird er weiterklettern. Das sind ernsthafte Wettbewerbsnachteile. Herr Clement hat nicht ohne Grund für stromintensive Unternehmen mit Herrn Trittin Sonderlösungen ausgehandelt, die immer noch nicht ausreichen werden, die Wettbewerbsnachteile zu beseitigen. Sie müssen sich mit dieser volkswirtschaftlichen Realität endlich einmal auseinander setzen.

(Beifall bei CDU und FDP)

Deutschland ist an den unmöglichsten Standorten mit Windenergieanlagen zugepflastert, obwohl die Netze dafür nicht ausreichend vorbereitet sind und für die zusätzliche grundlastfähige Kraftwerke gebaut werden müssen,

(Dr. Ulf von Hielmcrone [SPD]: Das stimmt nicht!)

die sonst gar nicht gebraucht würden.

(Dr. Ulf von Hielmcrone [SPD]: Das ist doch gar nicht wahr!)

Darüber müssen wir auch einmal reden.

Wir reden für das Jahr 2002 bundesweit von effektiv 3 % Anteil an der Gesamtstromerzeugung dieser Republik durch die Windenergie. Bei einem europäischen Netz ist jede Zahl über einen landesweiten Versorgungsgrad - dieses Märchen wird auch von

(Dr. Trutz Graf Kerssenbrock)

Ihnen, Herr Minister Rohwer, immer noch so aufrechterhalten - reine Selbsttäuschung oder Volksverdummung. Ich sage das ganz deutlich. Sie können doch nicht bei einem europäischen Netz von einem Selbstversorgungsgrad von Schleswig-Holstein reden. Wovon reden Sie?