Protocol of the Session on May 9, 2003

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir treten wieder in die Tagung ein. Ich wünsche allen einen guten Morgen. Auf der Tribüne darf ich zunächst Schülerinnen und Schüler sowie Lehrerinnen und Lehrer des Trave-Gymnasiums in Lübeck begrüßen. Wie es sich gehört, sitzt die Bildung in der ersten Reihe. - Herzlich willkommen im SchleswigHolsteinischen Landtag!

(Beifall)

Ich darf bekannt geben: Erkrankt ist die Frau Abgeordnete Sandra Redmann und beurlaubt ist Herr Abgeordneter Klaus Klinckhamer.

Nun habe ich eine besondere Freude. Wir haben, wenn ich so sagen darf, zwei Geburtstagskinder unter uns: Frau Abgeordnete Astrid Höfs und Frau Abgeordnete Anna Schlosser-Keichel haben heute Geburtstag. Herzlichen Glückwunsch! Alles Gute für Ihr neues Lebensjahr!

(Beifall)

Nunmehr treten wir wieder in die Tagesordnung ein.

(Unruhe)

- Es ist guter Brauch in diesem Haus, dass man die Sitzplätze nicht nur als solche erkennt, sondern auch benutzt.

(Heiterkeit)

Ich rufe Tagesordnungspunkt 29 auf:

1. Parlamentarischer Untersuchungsausschuss der 15. Wahlperiode

Landtagsbeschluss vom 15. November 2000 Drucksache 15/500

Schlussbericht des Untersuchungsausschusses Drucksache 15/2559

Zunächst erteile ich dem Vorsitzenden des Untersuchungsausschusses, dem Kollegen Holger Astrup, das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Landtag hat in seiner 15. Sitzung am 15. November 2000 mit den Stimmen von CDU, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei Enthaltung der Fraktion der SPD und der Abgeordneten des SSW einen Untersuchungsausschuss eingesetzt, den 1. Parlamentarischen Untersuchungsausschuss der

15. Wahlperiode. Mit diesem Beschluss folgte der Landtag einem Antrag von 31 Abgeordneten der Fraktion der CDU und sieben Abgeordneten der FDP. Die Aufgabe des Ausschusses bestand in der - ich zitiere - „Klärung der Umstände und Hintergründe der Information des Ministers für Wirtschaft, Technologie und Verkehr über ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft gegen den Staatssekretär im Ministerium für Wirtschaft, Technologie und Verkehr und weitere Beschuldigte und über die Umstände und Hintergründe der Weitergabe dieser Informationen durch den Minister“.

Der Untersuchungsausschuss trat am 28. November 2000 zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen und hat in dem Zeitraum vom 28. November 2000 bis zum 25. März 2003 28 Sitzungen durchgeführt, von denen acht der öffentlichen Beweisaufnahme und 20 der nicht öffentlichen Beratung dienten. Zwei der nicht öffentlichen Sitzungen wurden ganz oder teilweise als „VS-vertraulich“ eingestuft.

In seiner Sitzung am 4. Dezember 2000 stellte der Untersuchungsausschuss für Minister Dr. Rohwer einstimmig den Status eines Betroffenen fest. Im Verlaufe der Untersuchung hörte der Untersuchungsausschuss 19 Auskunftspersonen als Zeugen.

Die rechtliche Grundlage - das brauche ich Ihnen nicht zu erzählen, meine Damen und Herren - sind Artikel 18 der Landesverfassung und unser Untersuchungsausschussgesetz. Ich sage aber gleich zu Beginn, dass es bei der Anwendung eben dieses Gesetzes eine Reihe von Problemen gegeben hat, unter anderem ein für uns gewichtiges Problem, das uns heute auch im 2. parlamentarischen Untersuchungsausschuss beschäftigt, nämlich Schwierigkeiten bei der Anwendung der das Untersuchungsausschussverfahren regelnden Vorschriften insbesondere im Bereich der Aktenanforderung. Denn die Landesregierung ihrerseits hat auf der Grundlage des Artikels 23 der Landesverfassung einem Herausgabeverlangen mehrfach widersprochen. Wir haben dann sehr kurzfristig festgestellt, dass wir im Gegensatz zum Wissenschaftlichen Dienst nicht der Ansicht waren, dass das Bundesverfassungsgericht das zuständige Gericht sei, und haben im Untersuchungsausschuss einstimmig erklärt, dass das zuständige Amtsgericht, in diesem Fall das Amtsgericht Kiel, nach § 13 Abs. 4 des Untersuchungsausschussgesetzes das für uns zuständige sei. Ich musste daher als Vorsitzender im Zuge unserer Untersuchung etwa im März des vorvergangenen Jahres beim Amtsgericht Kiel einen Antrag auf Anordnung der Beschlagnahme von Unterlagen einreichen, deren Herausgabe die Regierung aus ihrer

(Holger Astrup)

Sicht verweigern musste, aus unserer Sicht verweigert hat.

Mit Blick auf das öffentliche Interesse - damals jedenfalls - an einer Klärung des Sachverhaltes wurde dann zwischen dem Untersuchungsausschuss und der Landesregierung eine Vereinbarung geschlossen, ohne Anerkennung der Rechtspflicht, und die Landesregierung hat sich, um Zeitverzug zu vermeiden, freundlicherweise bereit erklärt, die eigentlich nicht herauszugebenden Akten doch zur Verfügung zu stellen. Ich stelle hier fest: Nachdem der Untersuchungsausschuss die in dieser Vereinbarung aufgeführten Materialien in VS-vertraulicher Sitzung eingesehen hatte, hat der Ausschuss dann mit Schreiben vom 22. Februar 2002 gegenüber dem Amtsgericht den Antrag auf Beschlagnahme zurückgenommen.

Ich komme zu den Untersuchungsergebnissen. Es war unter anderem zu klären, durch wen, wann, auf welchem Wege, personell und faktisch, in welchem Umfang, in welcher Form und mit welchem Hintergrund der Minister für Wirtschaft, Technologie und Verkehr Kenntnisse über ein Ermittlungsverfahren gegen den Staatssekretär im Ministerium für Wirtschaft, Technologie und Verkehr und weitere Beschuldigte erlangte und welche Mitglieder, Dienststellen beziehungsweise Mitarbeiter der Landesregierung oder welche weiteren Personen an diesem Informationsvorgang beteiligt waren.

Im Ergebnis lässt sich feststellen, dass die unmittelbare Übermittlung der Erkenntnisse aus dem Ermittlungsverfahren gegen den ehemaligen Staatssekretär Uwe Mantik und weitere Beschuldigte durch den leitenden Oberstaatsanwalt der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Lübeck erfolgte, und zwar in Ausführung der durch die BeStra angeordneten Berichtspflichten. Die Art der Übermittlung und der Umfang der berichteten Erkenntnisse und der bevorstehenden Ermittlungsschritte erfolgten genau nach den Vorgaben dieser Anordnung. Ein Fehlverhalten der an diesem Vorgang beteiligten Personen ist daher im Ergebnis zu verneinen.

Die zweite Frage war, ob das Justizministerium seinerseits und die Staatskanzlei - ich sage es jetzt einmal untechnisch - ordentlich mit allen Unterlagen umgegangen sind. Auch hierzu sind Feststellungen getroffen worden. Aufgrund der gesamten Vorgehensweise konnten Mitarbeiter der Staatskanzlei keine Kenntnis von dem Bericht nehmen, die Mitarbeiter nämlich, die diesen Bericht nicht hätten sehen dürfen. Der Umgang mit diesem Bericht trägt dessen vertraulichen und sensiblen Inhalten Rechnung. Auch die Entscheidung der Ministerin Lütkes, den Bericht Ministerpräsidentin Simonis auszuhändigen, ist nicht

zu beanstanden. Die Ministerin war gemäß § 3 Abs. 1 der Geschäftsordnung der Landesregierung berechtigt, der Ministerpräsidentin den BeStra-Vermerk zu übergeben.

Ich komme jetzt zu einem Punkt, bei dem die beiden Vorsitzenden - der verehrte Kollege Geißler und ich - nicht zu einer gemeinsamen Auffassung gelangen konnten. Ich lese deshalb wörtlich die vier Absätze des Berichts vor, die der Kollege Geißler nicht teilen kann. Das kann und will ich uns nicht ersparen:

„Die Ministerpräsidentin ist gemäß § 4 Abs. 1 des Landesbeamtengesetzes die Oberste Dienstbehörde der Staatssekretäre. Darüber hinaus unterliegen die einzelnen Ministerinnen und Minister gemäß § 3 Abs. 1 der Geschäftsordnung der Landesregierung Schleswig-Holstein der Verpflichtung, die Ministerpräsidentin aus ihrem Geschäftsbereich über alle Maßnahmen, die für die Bestimmung der Richtlinien der Regierungspolitik und die Leitung der Geschäfte der Landesregierung von Bedeutung sind, laufend zu unterrichten.“

Dieser Absatz wird mit seinen Formulierungen vom stellvertretenden Vorsitzenden nicht geteilt.

„Vor diesem Hintergrund war die Unterrichtung der Ministerpräsidentin über den BeStra-Vermerk durch die Ministerin für Justiz, Frauen, Jugend und Familie am Rande der Landtagssitzung … nicht nur rechtlich unbedenklich, sondern vielmehr aufgrund der umfassenden Berichtspflicht im Hinblick auf die Geschäftsführung der Landregierung rechtlich geboten. Dies beinhaltet auch die Verpflichtung zur vollständigen Weitergabe der Information an die Ministerpräsidentin, sodass hiervon auch die angekündigten Ermittlungsmaßnahmen erfasst waren. Die Ministerin für Justiz, Frauen, Jugend und Familie war somit verpflichtet, der Ministerpräsidentin sämtliche Umstände, die Gegenstand des BeStra-Vermerkes waren, mitzuteilen.“

Auch dieser Absatz wird von meinem Kollegen, dem stellvertretenden Vorsitzenden, nicht geteilt.

„Im Ergebnis ist daher festzustellen, dass durch die Weitergabe des BeStra-Vermerkes an die Ministerpräsidentin keine rechtswidrigen oder in anderer Weise vorwerfbaren Handlungen begangen wurden.“

Auch diese Stellungnahme wird von meinem Kollegen nicht geteilt. Abschließend:

(Holger Astrup)

„Im Hinblick auf Nummer 6 des Untersuchungsauftrags ist darauf hinzuweisen, dass sich die umfassende Berichtspflicht der Staatsanwaltschaft an das Justizministerium im Sinne von Nummer 5 Abs. 1 BeStra im vorliegenden Fall durch die Verpflichtung zur umfassenden Information der Ministerpräsidentin fortgesetzt hat, sodass diese rechtlichen Vorgaben letztlich ursächlich dafür waren, dass die umfassenden Erkenntnisse der Ermittlungsbehörden und die für den 11.05. geplanten Ermittlungsmaßnahmen über die Staatsanwaltschaft Lübeck hinaus bekannt wurden.“

Auch diese Feststellung wird von meinem Kollegen nicht geteilt. Im nächsten Komplex hat sich der Untersuchungsausschuss mit der Behandlung des BeStra-Berichtes durch die Ministerpräsidentin selbst, die Staatskanzlei und die Information von Wirtschaftsminister Dr. Rohwer beschäftigt. Hier ergab sich ein Problem, das vorher möglicherweise nicht von allen gesehen wurde, denn gemäß § 44 Abs. 1 der Landesdisziplinarordnung veranlasst der Dienstvorgesetzte eines Beamten - in diesem Falle Minister Dr. Rohwer - die zur Aufklärung des Sachverhalts erforderlichen Ermittlungen, wenn Tatsachen bekannt geworden sind, die den Verdacht eines Dienstvergehens rechtfertigen. Der Dienstvorgesetzte des ehemaligen Staatssekretärs Uwe Mantik war eben jener Wirtschaftsminister, der auch heute im Plenum sitzt. Ihm oblag also die Einleitung des Vorermittlungsverfahrens.

Nun komme ich zu dem Problem: Ohne Kenntnisnahme des BeStra-Berichts hätte der Minister die entsprechenden Entscheidungen nach beamtenrechtlichen Vorgaben ohne ausreichende Sachverhaltskenntnis treffen müssen. Dadurch wäre die Gefahr von ermessensfehlerhaften Handlungen begründet gewesen, sodass hier die Entscheidung der Ministerpräsidentin zur Weitergabe des Vermerks an den Minister nicht nur sachgerecht, sondern rechtlich geboten war.

Es ist ebenfalls nicht zu beanstanden, dass die Ministerpräsidentin sich zur Erfüllung ihrer Aufgaben im Zusammenhang mit der dienstrechtlichen Prüfung der Angelegenheit Mantik ihrer Mitarbeiter bedient hat. Es stand ihr frei, die dienstrechtliche Überprüfung selbst vorzunehmen oder durch Minister Rohwer als unmittelbaren Vorgesetzten des ehemaligen Staatssekretärs vornehmen zu lassen.

Zudem musste sie die Anweisung Minister Rohwer nicht persönlich erteilen. Sie konnte dies auch an ihren Büroleiter, Dr. Büchmann, delegieren. Gleiches

gilt für die zu treffende Entscheidung, ob Minister Rohwer für die dienstrechtliche Prüfung der Bericht vollständig oder nur auszugsweise oder überhaupt nicht zur Verfügung gestellt werden sollte. Im Ergebnis ist jedenfalls somit nicht zu beanstanden, dass die Ministerpräsidentin ihrem Büroleiter Dr. Büchmann - sowie Minister Dr. Rohwer - eine Kopie des Berichts überlassen hat.

Nach Auffassung meines stellvertretenden Vorsitzenden, des Kollegen Geißler, ist jedoch zu beanstanden, dass die Ministerpräsidentin nicht sichergestellt hat, dass Mantik der Bericht nicht ausgehändigt wird. Wenn die Ministerpräsidentin andere mit der dienstrechtlichen Prüfung beauftragt und für die Prüfung einen vertraulichen staatsanwaltschaftlichen Vermerk zur Verfügung stellt, dann muss sie ihre Mitarbeiter entsprechend instruieren und beaufsichtigen. Wenn die Ministerpräsidentin Dr. Büchmann und Herrn Minister Rohwer ordnungsgemäß informiert und beaufsichtigt hätte, dann hätte Staatssekretär Mantik den Vermerk nicht erhalten. - Soweit die Auffassung meines Kollegen Herrn Geißler. Diese Bewertung des stellvertretenden Vorsitzenden wiederum wird von mir nicht geteilt.

Eine letzte Bemerkung von mir zur Beweiswürdigung, denn die Fraktionen werden ihre Sicht der Dinge gleich bekannt geben: Ein ausgesprochen wichtiger Punkt war dann das Auffinden jenes BeStraVermerkes im Dienstzimmer des früheren Staatssekretärs Mantik und die Reaktionen der Staatsanwaltschaft, des Ministeriums sowie des Generalstaatsanwalts. Auf das Auffinden des BeStra-Vermerkes bei der Durchsuchung durch den Leitenden Oberstaatsanwalt Heinrich Wille in Lübeck ist sehr verärgert reagiert worden. So musste er reagieren, weil er nach damaligem Kenntnisstand Auswirkungen auf das Verfahren nicht ausschließen konnte und

„Vergleichbares während seiner 25-jährigen staatsanwaltschaftlichen Tätigkeit noch nicht erlebt hatte.“

Der Leitende Oberstaatsanwalt unterrichtete das Justizministerium und den Generalstaatsanwalt über den Fund. Das Auffinden des BeStra-Berichts löste beim Staatssekretär, dem damaligen Staatssekretär Wulf Jöhnk, Befremden aus. Auch der Generalstaatsanwalt war, als er am 14.06.2000 von dem Auffinden erfuhr, „entsetzt“. Allerdings ging der Generalstaatsanwalt davon aus, dass sich Dr. Rohwer weder strafbar gemacht noch rechtswidrig verhalten habe, zumal die Beurteilung der Situation für ihn, der nicht Volljurist sei, schwierig gewesen sei. Außerdem habe der damalige Staatssekretär Mantik aus der Berichtsübergabe keinerlei Vorteile für sein Ermittlungsverfahren

(Holger Astrup)

gezogen beziehungsweise ziehen können. Dessen ungeachtet, so die Wertung des Generalstaatsanwalts, habe Dr. Rohwer durch die Berichtsübergabe gegen das Prinzip der Gewaltenteilung oder - wie Herr Rex wörtlich sagte - „gegen die politische Kultur verstoßen“.

Für den Leitenden Oberstaatsanwalt gab es im Übrigen nicht den geringsten Zweifel, dass die Ministerpräsidentin den Bericht bekommen durfte und dass auch dem ehemaligen Staatssekretär im Rahmen disziplinarischer Vorbelehrungen Mitteilung zu machen gewesen wäre. Allerdings hätte es eine Rechtsgrundlage für die Aushändigung des Berichts an Mantik wiederum nicht gegeben. Allerdings sei auch hier sicherheitshalber ergänzt: Es sei - so der Oberstaatsanwalt - von vornherein seine Einschätzung gewesen, dass sich Dr. Rohwer nicht strafbar gemacht habe. Nach Auffassung des Oberstaatsanwalts ist die Weiterleitung des Berichts durch Minister Dr. Rohwer allerdings ohne gesetzliche Grundlage und daher unzulässig und rechtswidrig erfolgt.

Ich komme zum Schluss: Der Datenschützer, Herr Dr. Bäumler, der in dem Zusammenhang auch konsultiert wurde, kommt zu einer anderen Auffassung. Er sagt in seinem Antwortschreiben vom 05.07.2000:

„Die Auskunftserteilung an den ehemaligen Staatssekretär Mantik - auch in der Form der Übergabe einer Kopie des BeStra-Berichts - ist datenschutzrechtlich nicht zu beanstanden.“

Mantik habe - so seine Auffassung - sogar einen Anspruch auf Übergabe der Kopie gehabt.

Sie sehen, das ist eine schwierige Rechtsmaterie, aus der der 1. Parlamentarische Untersuchungsausschuss folgende Empfehlung gibt,