Protocol of the Session on February 20, 2003

In diesem Zusammenhang haben die Gewerkschaften die Kröte Leiharbeit geschluckt, aber nur um den Preis, dass der Kündigungsschutz nicht angetastet wird. Da ist es natürlich fatal, wenn der Bundeswirtschaftsminister mit seiner Forderung nach einer Lockerung des Kündigungsschutzes den Kompromiss mit den Gewerkschaften aufkündigt.

(Lars Harms [SSW]: So ist es!)

Darüber hinaus ist es mehr als fragwürdig, ob die jetzt auch von der FDP geforderte Initiative, den Kündigungsschutz bei Betrieben und Verwaltungen statt von jetzt fünf erst ab 20 Beschäftigten in Kraft treten zu lassen, auch nur einen neuen Arbeitsplatz bringen wird.

Wir plädieren also dafür, erst einmal abzuwarten, wie das Hartz-Konzept wirkt. Man kann nicht schon zwei Monate nach dem In-Kraft-Treten alles wieder infrage stellen.

(Zurufe)

Die Bundesregierung muss ihre eigene Politik ernst nehmen, bevor wieder neue, überzogene Forderungen gestellt werden.

Ein Wort noch zur Situation bei unseren nördlichen Nachbarn! Es ist richtig, dass der Kündigungsschutz in Dänemark bei weitem nicht so umfassend ist wie in der Bundesrepublik.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Auf nach Däne- mark!)

Die Unternehmen können dort relativ schnell ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern kündigen. Diese Kündigungsschutzregelung ist geschichtlich gewachsen und durch einen Kompromiss zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften etabliert worden. Dieses System wird aber insbesondere mit einem sehr großzügigen Arbeitslosengeld - bis zu 90 % des letzten

(Silke Hinrichsen)

Nettolohnes - und einer aktiven Arbeitsmarktpolitik, die die Menschen schnell wieder in Arbeit bringt, begleitet.

Deshalb kann man jetzt nicht einfach nur einen Teil des Systems herausnehmen und sagen: In Skandinavien zum Beispiel kann man Leute einfacher auf die Straße setzen. Es gehört dazu, dass man die soziale Abfederung bei Arbeitslosigkeit viel besser und effektiver organisiert, sodass man finanziell besser abgesichert ist, wenn man entlassen wird.

(Joachim Wagner [CDU]: Wie lange denn?)

Herr Dr. Garg, wir können uns gern über Ihr Angebot zum Kündigungsschutz unterhalten. Aber wir sollten uns dann auch mit den Folgen beschäftigen, das heißt, wir sollten uns über die Höhe des Arbeitslosengeldes unterhalten, die Diskussion, die im Moment läuft, berücksichtigen, das Arbeitslosengeld sozusagen kürzer auszuzahlen, und gleich über Sozialhilfe zu sprechen. Das gehört bei dieser Diskussion dazu.

Darüber hinaus gehört die Frage bei dieser Diskussion auch dazu, welcher Lohn in Deutschland überhaupt gezahlt wird. In Dänemark gibt es solche niedrigen Löhne, wie es sie zum Teil in Deutschland gibt, überhaupt nicht.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie vereinzelt bei der SPD - Zurufe)

Das gehört alles mit in die Diskussion. Dann können wir uns auch gern über eine Lockerung des Kündigungsschutzes unterhalten. Wir sind gern bereit, diese Diskussion im Ausschuss weiter zu führen. Ich bitte darum, den Antrag federführend dem Sozialausschuss zu überweisen.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie vereinzelt bei der SPD)

Zu einem Kurzbeitrag nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung erteile ich Herrn Abgeordneten Dr. Garg das Wort.

Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Liebe Kollegin Hinrichsen, mein Problem ist nicht, dass ich mich mit Ihnen nicht gern unterhalte; wir können uns auch noch die nächsten zehn Jahre über irgendetwas unterhalten. Ich bin es leid,

(Silke Hinrichsen [SSW]: Ich auch!)

ich bin es wirklich leid zuzugucken, wie die Arbeitslosigkeit jedes Jahr steigt und wir neue Diskussionszirkel bilden und wir noch einmal ein Jahr darüber reden und wir das Ganze global, galaktisch sehen.

(Beifall bei FDP und CDU)

Wenn Sie weiter in Ihren Debattierclubs darüber reden wollen und nichts machen wollen, ist das in Ordnung, dann tun Sie das. Es liegt ein konkreter Vorschlag vor. Wenn Sie sagen, da müsse mehr geschehen, da müsse man etwas zusammenfassen, habe ich überhaupt nichts dagegen.

(Zuruf der Abgeordneten Silke Hinrichsen [SSW])

Aber machen Sie es doch endlich, verdammt noch einmal! Machen Sie es doch! Wir haben fast 4,7 Millionen Arbeitslose!

(Beifall bei FDP und CDU)

Und wenn dann der Kollege Wolfgang Baasch zu meiner Überschrift „Arbeitslose genießen keinen Kündigungsschutz“ sagt, das sei so einfach und billig dahergeschrieben - das trifft den Kern, lieber Kollege Baasch! Wer eigentlich außer dem Antragsteller und dem Oppositionsführer - bei Frau Birk habe ich es vermisst, bei Wolfgang Baasch habe ich es vermisst und bei Frau Hinrichsen insbesondere, Sie klagen über zu niedrige Löhne in Deutschland -

(Zuruf der Abgeordneten Silke Hinrichsen [SSW])

hat über die 4,7 Millionen Menschen gesprochen, die gern Arbeit hätten, aber genau durch die bestehenden Regulierungen ausgeschlossen werden? Darüber lohnt es sich zu diskutieren.

(Beifall bei FDP und CDU)

Für mich bleibt jedenfalls die sozialste Maßnahme ein Arbeitsplatz,

(Zuruf der Abgeordneten Silke Hinrichsen [SSW])

dass jemand für Geld arbeiten kann und dass er nicht in die Arbeitslosigkeit, in die sozialstaatlich abgesicherte Arbeitslosigkeit abgeschoben wird. Da können Sie sich noch so aufregen.

(Zuruf der Abgeordneten Silke Hinrichsen [SSW])

- Man wird sich ja wohl angesichts der katastrophalen Lage am Arbeitsmarkt noch aufregen dürfen!

(Beifall bei FDP und CDU)

(Dr. Heiner Garg)

Gestatten Sie mir einen letzten Satz zu Ihrer Ministerpräsidentin. Ich habe das Angebot ganz ruhig, besonnen und auch nicht scharf formuliert. Aber mir kommt langsam wirklich die Galle hoch: Wenn Frau Simonis - offensichtlich ist das ja so, weil Sie in Ihrem Beitrag genau das Gegenteil erzählt und auch für das Gegenteil plädiert haben - wirklich nur noch bei jeder Gruppe auftritt und genau das erzählt, wovon sie glaubt, dass es diese Gruppe gern hört, aber dafür nie irgendeine Unterstützung bekommt, ist es noch nicht einmal das Papier wert, auf dem diese Aussage der Ministerpräsidentin gedruckt wird. Das kann sie sich an den Hut stecken!

(Beifall bei FDP und CDU)

Das Wort zu einem weiteren Kurzbeitrag nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung erteile ich Herrn Abgeordneten Baasch.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es wird auch nicht besser, wenn man es hier jedes Mal operettenhaft aufzieht, Heiner.

(Beifall bei SPD und SSW)

Ob es dir leid ist oder nicht - entweder arbeiten wir miteinander oder wir lassen es sein.

(Lars Harms [SSW]: Lassen es sein!)

Ich will versuchen, dir einmal deutlich zu machen, dass diese Diskussion auch andere Ansätze haben kann. Ich möchte an dieser Stelle erstens einmal den Arbeitsrechtler Wolfgang Däubler zitieren, der sagt: Umgekehrt kommt es eher darauf an, bei den Arbeitgebern ein Interesse zu wecken, dass sie möglichst wenig kündigen, weil es nämlich vernünftig ist, mit seinen Beschäftigten auch eine Struktur zu haben, die dafür sorgt, dass sie sich wohl fühlen und dass man damit den Betrieb vernünftig gestaltet.

(Beifall bei SPD und SSW - Glocke der Prä- sidentin)

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Bei drei Minuten Redezeit ist das immer schwierig, weil ich mir noch ein paar andere Punkte angekreuzt habe.

Zweitens. In Amerika gibt es ein anderes System. Wer den Versicherungsfall Arbeitslosigkeit als Unternehmen auslöst, muss damit rechnen, dass er bei der Steuer anders behandelt wird.

(Beifall des Abgeordneten Andreas Beran [SPD])