Protocol of the Session on February 19, 2003

(Beifall bei der CDU)

Wir sind doch mit Ihnen einer Auffassung darin, dass wir an keiner Stelle die Grenzziehung zwischen polizeilichen Aufgaben und Aufgaben der Bundeswehr im Grundsatz aufgeben wollen. Niemand möchte gerade diese Landesregierung aus ihrer Verantwortung entlassen, mehr für eine gute und richtige Ausbildung der Landespolizei zu tun. Sie haben den Digitalfunk angesprochen. Das ist ja alles richtig und gut. Aber auch mit dem besten Digitalfunk der Welt wer

(Dr. Johann Wadephul)

den wir mit neuen Bedrohungslagen durch Terroristen nicht fertig. Das ist das Problem.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Welche haben Sie denn?)

- Die haben wir doch erlebt. Das kann man sich doch ganz ruhig und sachlich überlegen. Wenn wir uns ansehen, in welcher Situation und aus welcher historischen Verantwortung heraus die Verfassungsväter und Mütter unseres Grundgesetzes bestimmte Formulierungen getroffen haben, ist doch eines klar: Sie hatten damals ein Ereignis wie den 11. September in Amerika oder wie wir es zu Beginn des Jahres in Frankfurt erlebt haben, nicht im Blick. Wir müssen auf eine völlig neue Bedrohungslage eingehen.

(Beifall des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

Uns hilft, sehr verehrter Herr Kollege Behm als ehemaliger Kompaniechef, Artikel 87 a Grundgesetz überhaupt nicht weiter. Dafür brauchen wir eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag. Wollen Sie in so einer Situation etwa erst den Bundestag zusammentreten lassen, um eine Zweidrittelmehrheit zu erreichen und um dann einen Flieger abzufangen? Das ist doch völliger Irrsinn. Das geht überhaupt gar nicht.

(Beifall bei der CDU)

Schließlich möchte ich dazu noch einmal unterstreichen: Das was Sie, Herr Abgeordneter Kubicki, gesagt haben, nämlich dass man nach einer sieben- oder achtmonatigen Ausbildung junge Rekruten mit Waffen zur Bewachung von Objekten in Deutschland einsetzen wolle, ist die Realität. Das geschieht in nahezu jeder Kaserne in Deutschland.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: In der Kaserne!)

Ich selber und Ihr Kollege Behm haben viele Soldaten ausgebildet, die wir in einem ganz bestimmten Bereich zur Wachausbildung mit scharfer Munition einsetzen. Sie sind gut ausgebildet. Sie sind übrigens in aller Regel besser ausgebildet als die von Ihnen genannten Wachpolizisten, von denen Sie gerade gesprochen haben, Herr Abgeordneter Kubicki.

(Beifall bei der CDU)

Ihr Wortbeitrag, Herr Abgeordneter Kubicki, von der „Militarisierung der Gesellschaft“ den ich mir aufgeschrieben habe, stößt mir auf. Wir sollten aufpassen, dass wir bei aller Diskussion über das, was an Grundgesetzänderungen notwendig und richtig ist, die Bundeswehr nicht in eine Schmuddelecke hineindrängen. Wir sollten an der Stelle klar zur Bundeswehr stehen, zu ihren Aufgaben und zu ihren Soldatinnen und Soldaten.

(Beifall bei der CDU)

Die Liste der Wortmeldungen für Kurzbeiträge wird immer länger, sodass ich zunächst Herrn Minister Buß das Wort erteile.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vielen Dank, dass ich auch einmal etwas sagen darf. Ich darf Ihnen allen sagen, Bedrohungslagen begegnet man nicht mit Aufgeregtheit, sondern mit Ruhe und Besonnenheit.

(Beifall bei der SPD)

Der erkennbare Zusammenhang zwischen innerer und äußerer Sicherheit bei der Bekämpfung des weltweiten Terrorismus darf nicht zu einer Verschiebung von Zuständigkeiten und Kompetenzen führen. Wir wollen in Deutschland keine Militarisierung unserer inneren Sicherheit.

(Holger Astrup [SPD]: Sehr gut! - Beifall bei SPD und SSW)

Das System der Trennung militärischer und polizeilicher Gewalt muss erhalten bleiben. Deswegen bin ich dagegen, das Grundgesetz zu ändern und die Befugnisse der Streitkräfte zu erweitern. Herr Wagner, das sage ich Ihnen als ehemaliger Bataillonskommandeur.

(Heiterkeit)

Überlegungen, die Bundeswehr nicht nur zum Schutz militärischer, sondern auch ziviler Objekte mit in Betracht zu ziehen, ist zu Recht eine Absage erteilt worden.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Sehr gut!)

Niemand hat nach den Ereignissen vom 11. September in wirklich ernst zu nehmender Form den Einsatz der Bundeswehr zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit in Deutschland gefordert und schon gar nicht überzeugend begründen können. Hektische und undifferenzierte Forderungen, dem Einsatz der Bundeswehr für den zivilen Objektschutz über eine Änderung des Grundgesetzes den Weg zu ebnen, wurden rasch als dramatische Überzeichnung der Bedrohungslage entlarvt und zunächst nicht mehr weiterverfolgt. Sie sind jetzt allerdings erneut zu hören.

Wir brauchen in den Ländern in nur einigen wenigen Fällen nach der heute zulässigen Rechtslage die Amtshilfeleistung der Bundeswehr, wenn die Polizei

(Minister Klaus Buß)

en nicht über die zur Gefahrenabwehr erforderlichen Mittel verfügen. Die Voraussetzungen und die Durchführung der Amtshilfe müssen, so weit klare Regelungen fehlen, durch Bundesgesetz eindeutig geregelt werden. Der Fall des verwirrten Piloten, der Anfang diesen Jahres drohte, sich mit einem Motorsegler in ein Frankfurter Hochhaus zu stürzen, zeigt, dass geklärt werden muss, wie in einer solchen Gefahrenlage vorzugehen ist und vor allen Dingen, wer den Vollzug übernimmt. Die Beurteilung der Gefahrenlage muss nach meiner festen Überzeugung Aufgabe der Polizei bleiben, die den Vollzug im Wege der Amtshilfe auf die Bundeswehr übertragen kann. Die Durchführung der Amtshilfe durch die Bundeswehr muss aber klar und unmissverständlich bundesgesetzlich geregelt werden. Einer Änderung des Grundgesetzes bedarf es dazu nicht.

(Beifall bei SPD, SSW und der Abgeordne- ten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Zu einem Kurzbeitrag nach § 58 Abs. 2 der Geschäftsordnung erteile ich Frau Abgeordneter Hinrichsen das Wort.

Herr Minister, vielen herzlichen Dank für Ihre Worte. Trotzdem fühle ich mich bemüht, zu diesem Thema noch einmal hier zu reden. Herr Abgeordneter Wagner hat vorhin Ausführungen gemacht, die mich doch etwas erschreckt haben.

Änderungen des Grundgesetzes halte ich für große Überlegungen wert. Man sollte allerdings nicht je nach Lage das Grundgesetz ändern. Es ist die Grundlage dieses Staates.

(Roswitha Strauß [CDU]: Das hat er über- haupt nicht gesagt!)

Sobald man anfängt, an dieser Grundlage ständig Änderungen vorzunehmen, besteht die Gefahr, dass diese Grundlage ausgehöhlt wird, sodass das, wofür wir heute alle stehen, für niemanden mehr Geltung hat.

(Beifall beim SSW)

Darüber hinaus weise ich daraufhin, dass nach Artikel 35 Grundgesetz - ein Blick in den Gesetzestext hilft manchmal, auch interessierten Laien - innerhalb der einzelnen Behörden des Bundes und der Länder Amtshilfe geleistet werden kann. Der Artikel ist 1968 beziehungsweise 1956 für den Fall der Katastrophen

hilfe geändert worden, sodass die Bundeswehr tatsächlich, aber nur in den Ausnahmefällen, die ausdrücklich im Grundgesetz genannt worden sind, eingesetzt werden darf. In diesem Zusammenhang weise ich ausdrücklich auf Artikel 35 Abs. 2 Grundgesetz hin:

„Zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung kann ein Land in Fällen von besonderer Bedeutung Kräfte und Einrichtungen des Bundesgrenzschutzes zur Unterstützung seiner Polizei anfordern…“.

Es steht nicht drin, dass dazu die Bundeswehr direkt herangezogen werden kann.

Ich darf auch darauf hinweisen, dass es schon Regierungen in der Bundesrepublik gab, die zum Beispiel die Wahrnehmung von Grundrechten durch Bürgerinnen und Bürger als Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung eingeordnet haben. Damit hätten Sie gleichzeitig einen Bundeswehreinsatz fordern können. Das halte ich für absolut falsch.

(Beifall bei SSW, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort zu einem weiteren Kurzbeitrag nach § 58 Abs. 2 der Geschäftsordnung hat Frau Abgeordnete Fröhlich.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Herren Kollegen! Ich möchte einmal den Versuch unternehmen und das Risiko eingehen, Ihnen aus meiner Sicht zu spiegeln, was ich hier gerade erlebt habe. Ich möchte Sie fragen, ob Sie glauben, dass das im Sinne der Sache angemessen ist.

Ich hatte den Eindruck - wenn Sie gestatten, mir als Zivilistin und Frau das zu sagen, die nie gedient hat -, dass plötzlich das Bekenntnis, wer Kommandeur, wer Leutnant oder was weiß ich beim Militär gewesen ist, bei anderen geradezu einen Reflex auslöste, sich ebenfalls hierhin zu stellen und zu sagen: Bataillonskommandeur, sonst wie Kommandeur, Kapitänleutnant.

(Unruhe)

Das verwundert mich. Ich kenne uns so nicht. Ich kenne uns als ein ziviles Parlament, in dem es auf diese Qualitäten überhaupt nicht ankommt.

(Beifall der Abgeordneten Ursula Kähler [SPD])

(Irene Fröhlich)

Ich finde auch, dass der Anlass überhaupt nicht gerechtfertigt ist, hier eine solche Show abzuziehen. Wir behandeln lediglich einen Antrag, der die Regierung bittet, im Bundesrat etwas zu tun. Vom Minister wussten wir vorher, dass er das wahrscheinlich in unserem Sinne entscheiden wird. Es macht also keinen Sinn, sich hier weiter dermaßen militärisch zu schmücken und darzustellen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW - Martin Kayenburg [CDU]: Sagen Sie doch einmal, was Sie gegen die Bundeswehr haben!)

Nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung hat Frau Abgeordnete Spoorendonk das Wort.