Protocol of the Session on July 13, 2000

(Martin Kayenburg [CDU]: Seit der letzten!)

werden noch drei Viertel des Materials in Gorleben lagern.

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [F.D.P.])

- Herr Kubicki, in 25.000 Jahren - das ist auch die Zeit zurückgerechnet, zu der der Homo sapiens die Höhlenmalereien schuf

(Lachen bei CDU und F.D.P.)

wird noch immer die Hälfte des Materials in den Behältern im Salzstock ruhen und noch immer - nach 25.000 Jahren - werden die Behälter regelmäßig ausgetauscht und werden die Kühlanlagen durch Roboter

(Karl-Martin Hentschel)

ausgewechselt werden müssen, damit das Material weiter gekühlt wird.

(Klaus Schlie [CDU]: Aber sicher ist, Sie müssen das dann nicht mehr machen! - Kon- rad Nabel [SPD]: Herr Schlie, nach mir die Sintflut, nicht?)

An der Oberfläche werden immer noch Menschen die Sachen mit Monitoren beobachten müssen, soweit es dann noch Menschen gibt.

Der Energieberater des US-Präsidenten Nixon sagte einmal, für diese Aufgabe müsste man einen Orden gründen - der Vorschlag war ernst gemeint -, eine Art nuklearer Priesterschaft; denn bis heute hätten nur religiöse Orden eine Jahrtausende währende Stabilität gezeigt.

Wenn wir noch weiter schauen, dann werden nach 500.000 Jahren - das entspricht dem Zeitalter, zu dem die Vormenschen lebten - noch 95 g vorhanden sein, also genug, um Hamburg 95-mal auszulöschen.

Vielleicht kann dann die ferne Rasse, die dann auf unserem Planeten heimisch sein wird, dieses Kapitel ad acta legen, das Abenteuer einer einzigen Generation in der Menschheitsgeschichte! Und darüber wagen Sie zu lachen. Pfui!

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW - Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [F.D.P.])

Ich jedenfalls bin entsetzt über die Kurzsichtigkeit und die Technikgläubigkeit, die zu diesem Kapitel der Menschheitsgeschichte geführt hat. Künftige Generationen werden über uns nur noch mit Entsetzen den Kopf schütteln.

Ich bin aber auch sehr froh, dass es gelungen ist, dass Deutschland als erstes Nutzerland aus dieser Technologie aussteigt, und ich bin sicher, dass wir einen Weg beschritten haben, dem alle anderen Staaten in den kommenden Jahren nach und nach folgen werden.

(Reinhard Sager [CDU]: Das glauben aber nur Sie!)

Meine Damen und Herren, der von der Bundesregierung mit den vier größten Energiekonzernen ausgehandelte Konsens schafft die Grundlage, auf der Schleswig-Holstein in den kommenden Jahren Politik machen kann und muss.

(Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: Wie denn?)

Ich bin sicher, dass keine Regierung wieder ein neues Gesetz für den Wiedereinstieg in die Atomenergie beschließen wird, weil sie dafür nämlich keine Mehrheiten findet.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Die Rahmenbedingungen der künftigen Energiepolitik sind gesteckt durch die Liberalisierung des Energiemarktes, durch die Ökosteuer, durch das Energieeinspeisungsgesetz, das bereits jetzt einen Boom in regenerative Energien ausgelöst hat, durch das KraftWärme-Kopplungsgesetz, das wir in den nächsten Jahren bekommen werden, und durch die neue Energiesparverordnung, die für das nächste Jahr geplant ist.

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [F.D.P.])

In dieser Situation erwarten wir von der Landesregierung, dass sie sich auf die veränderten Rahmenbedingungen einstellt und Planungen vorlegt, wie die Situation für das Land genutzt werden kann.

In diesem Zusammenhang stellen Sie eine Reihe von berechtigten Fragen, auf die ich eingehen möchte.

(Reinhard Sager [CDU]: Das soll Herr Möl- ler machen!)

Die erste Frage: Führt der Atomausstieg zu mehr CO2-Immissionen? Das ist eine Frage, die Herr Kubicki angesprochen hat. Ich beziehe mich hier auf eine Untersuchung, die die Universität Flensburg im April diesen Jahres vorgelegt hat. Ihre Antwort auf die erste Frage lautet: Nein, er führt nicht zu mehr CO2Immissionen. Im Gegenteil, hochgerechnet auf einen Zeitraum von 25 Jahren wird die Zahl der CO2Immissionen eher abnehmen, da der Ausstieg aus der Atomenergie zu einer schnelleren Zunahme der KraftWärme-Koppelung und zu einer beschleunigten Einführung regenerativer Energien führen wird.

Zweitens: Führt der Ausstieg zu höheren Stromkosten? - Nein - das ist ein erstaunliches Ergebnis, das hat auch mich erstaunt -, im Gegenteil, hochgerechnet auf einen Zeitraum vom 25 Jahren - so die Universität Flensburg - führt der Atomausstieg zu einer beschleunigten Einführung preiswerter Gaskraftwerke als Übergangsstrategie und sogar zu einer volkswirtschaftlichen Einsparung von 80 Milliarden DM bis 2025.

Drittens: Führt der Atomausstieg zu einem Verlust von Arbeitsplätzen? - Nein, der Atomausstieg führt im Gegenteil zu einer Zunahme von 25.000 Arbeitsplätzen im Vergleich zu einer Fortsetzung der Nutzung der Atomenergie. In Schleswig-Holstein sind diese positiven Auswirkungen sogar erheblich stärker. Schon jetzt beschäftigt die Windkraftbranche in

(Karl-Martin Hentschel)

Schleswig-Holstein doppelt so viele Menschen wie die Atomkraftwerke. Im Jahre 2010 werden in der Windkraftbranche Schleswig-Holsteins mehr Menschen arbeiten als auf den Werften.

Trotzdem werden die Arbeitsplätze nicht automatisch dort entstehen, wo sie verloren gehen. Deshalb muss die Landesregierung eine Strategie entwickeln, wie den lokalen Auswirkungen gegengesteuert werden kann. Wir erwarten, dass sie diese Aufgabe wahrnimmt.

Das größte Problem, vor das uns die Atomwirtschaft in den kommenden Jahren stellen wird, ist die Abwicklung der restlichen Atomtransporte und der Bau von Zwischenlagern. Ich sage Ihnen in diesem Zusammenhang gern: Ich hätte mir einen schnelleren Ausstieg gewünscht; ich hätte mir einen Ausstieg gewünscht, ohne dass es zu weiteren Atomtransporten hätte kommen müssen. Aber ich stehe auch zu den notwendigen Maßnahmen, die daraus folgen.

(Klaus Schlie [CDU]: Sehr gut!)

Und ich traue einem rot-grün geführten Atomministerium eher zu, die Sicherheit bei der Abwicklung der Atomenergieanlagen und der Transporte zu gewährleisten, als jedem anderen.

(Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] - Zurufe von CDU und F.D.P.: Wir nicht!)

- Herr Kubicki, ich möchte Ihnen noch etwas sagen: Ohne den Widerstand der Anti-AKW-Bewegung und ohne die heftige Kritik von Tausenden von Wissenschaftlern in diesem Land an der Atomindustrie

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [F.D.P.])

hätten wir heute nicht so sichere Atomkraftwerke, wie wir sie haben.

(Vereinzelter Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD und Beifall des Abge- ordneten Lars Harms [SSW] - Widerspruch bei CDU und F.D.P.)

Und Sie können auch sicher sein, dass diese Regierung verantwortungsvoll mit den Informationen über Transporte für abgebrannte Brennelemente umgehen wird.

Herr Sager, deshalb zu Ihrem Antrag: Mich hat die implizite Warnung vor Protesten in Punkt 4 Ihres Antrages doch sehr erstaunt. War es nicht Ihre Partei, die dafür verantwortlich ist, dass Schleswig-Holstein wie kein anderes Land der Erde mit Atomkraftwerken bestückt ist?

(Konrad Nabel [SPD]: So ist es!)

War es nicht ein von Ihnen gestellter Ministerpräsident, der in diesem Land den Bau der Atomkraftwerke gegen Proteste von Hunderttausenden Menschen durchsetzen ließ?

(Reinhard Sager [CDU]: Das war die Regie- rung Schmidt!)

War es nicht eine CDU-Regierung, die Tausende von Menschen verprügeln, mit Tränengas besprühen, verhaften und einsperren ließ,

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW - Widerspruch bei der CDU)

um eine gefährliche Technologie in diesem Land durchzusetzen?

(Klaus Schlie [CDU]: Aber erst, nachdem sie Pflastersteine geschmissen haben! - Martin Kayenburg [CDU]: Herr Hentschel, nehmen Sie sofort Ihre Verleumdung zurück, das ist eine Unverschämtheit! - Weitere Zurufe - Glocke des Präsidenten)

Herr Sager, angesichts dieser Geschichte -

(Zurufe von der CDU - Glocke des Präsiden- ten)