Protocol of the Session on December 13, 2002

Wir halten diese Einschätzung der von der Bundesregierung berufenen Experten für zutreffend. Wir verwerfen die Ausflüchte der ausgewiesenen Nichtökonomen Eichel, Clement und Möller. Das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht ist nicht so gestört, dass der Nachtrag durch Artikel 53 der Landesverfassung gerechtfertigt wäre.

Eine kleiner Exkurs zum Verfassungsverständnis unserer Regierung: Die Landesregierung hält das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht in SchleswigHolstein für gestört, weil die Bundesregierung die Störung für das gesamte Bundesgebiet festgestellt hat und weil das Wort „gesamtwirtschaftlich“ in Artikel 53 der Landesverfassung auf das gesamte Bundesgebiet bezogen sei und nicht auf SchleswigHolstein. Hieraus folge eindeutig, dass der SchleswigHolsteinische Landtag eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtes nur nachvollziehen, aber nicht unabhängig vom Bundestag feststellen könne; denn wir haben nicht die rechtliche Kompetenz für haushaltswirksame Entscheidungen in anderen Bundesländern und im Bund.

Wir halten dies für falsch. Selbstverständlich ist es möglich, die gesamtwirtschaftliche Entwicklung in Schleswig-Holstein zu beurteilen und Aussagen zur Störung des schleswig-holsteinischen gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zu machen. Anders könnte auch niemand feststellen, ob eine schwer wiegende Störung der Wirtschafts- und Beschäftigungsentwicklung in Schleswig-Holstein vorliegt. Die Landesverfassung gilt für Schleswig-Holstein und damit auch der Begriff „gesamtwirtschaftlich“ in Artikel 53. Daraus folgt: Wenn der Bundestag feststellt, das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht Deutschlands sei im Sinne von Artikel 115 des Grundgesetzes gestört, kann der Landtag feststellen, dass das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht im Sinne von Artikel 53

(Wolfgang Kubicki)

der Landesverfassung nicht gestört ist, und umgekehrt.

(Vereinzelter Beifall bei der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Landesregierung begründet den Nachtrag weiter mit einer schwer wiegenden Störung der Wirtschafts- und Beschäftigungsentwicklung in Schleswig-Holstein, auch wenn sie das in ihren Antworten auf unsere Fragen zum Nachtrag ausdrücklich verneint. Ich zitiere aus dem Nachtragsentwurf:

„Im Jahre 2002 ist die Wirtschafts- und Beschäftigungsentwicklung des Landes ernsthaft und nachhaltig gestört.“

Die Landesregierung versucht, diese Feststellung mit statistischen Daten für Gesamtdeutschland zu begründen, von denen Schleswig-Holstein sich nicht habe abkoppeln können.

Statistische Daten für Schleswig-Holstein fehlen, gesamtdeutsche Daten reichen aber nicht aus. Der Tatbestand der schwerwiegenden Störung der Wirtschafts- und Beschäftigungsentwicklung in Artikel 53 der Landesverfassung bezieht sich auf das Land. Man muss das - auch in der Kommentierung - nur nachlesen. Folglich muss die konkrete wirtschaftliche Lage des Landes zur Begründung der Störung herangezogen werden.

Ich zitiere die Landesregierung aus dem Umdruck 15/2757:

„Die Landesregierung hat sich bei der Begründung des Nachtragshaushaltes … auf die erste Alternative (Störung des gesamtwirt- schaftlichen Gleichgewichts) bezogen, nachdem auch die Bundesregierung und andere Länder eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts in der Bundesrepublik dargelegt haben. Günstigere Wirtschaftsdaten in Schleswig-Holstein ändern nichts an einer solchen Störung.“

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich fasse zusammen: Erstens. Die Landesregierung stellt fest, dass die Wirtschafts- und Beschäftigungsentwicklung ernsthaft und nachhaltig gestört ist.

Zweitens. Sie stellt fest, dass die wirtschaftliche Lage in Schleswig-Holstein günstiger als im Bundesgebiet ist.

Drittens. Sie stellt fest, dass die ernsthafte und nachhaltige Störung der Wirtschafts- und Beschäftigungsentwicklung in Schleswig-Holstein nicht schwerwiegend im Sinne von Artikel 53 der Landesverfassung ist.

Ich stelle fest: In der Landesregierung geht es wie üblich drunter und drüber. Nicht einmal die eigenen Gesetzentwürfe werden für die Beantwortung der Fragen des Parlaments ordentlich ausgewertet.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, was sagen denn die letzten veröffentlichten Daten?

Erstens. Die Preise sind stabil - in Europa, in Deutschland und in Schleswig-Holstein.

Zweitens. Die Arbeitslosenquote liegt mit 8,8 % knapp einen Prozentpunkt unter dem deutschen Durchschnitt und einen Prozentpunkt über dem westdeutschen Durchschnitt; keine veränderte Tendenz.

Drittens. Das jährliche Wirtschaftswachstum in Schleswig-Holstein betrug im ersten Halbjahr 1,3 %. Es liegt damit nur 0,2 % Prozentpunkte unter dem Trendwachstum von 1,5 %, das die Bundesregierung in Übereinstimmung mit den fünf Weisen bis auf Weiteres für Deutschland annimmt.

Es war das höchste Wirtschaftswachstum aller Bundesländer, 1,7 Prozentpunkte über dem westdeutschen und dem deutschen Durchschnitt mit minus 0,4 Prozentpunkten.

Neuere Daten hat die Landesregierung bisher nicht veröffentlicht. Die Daten sind selbstverständlich nicht zufrieden stellend, aber sie zeigen keine schwer wiegende Störung im Sinne von Artikel 53 der Landesverfassung.

(Beifall bei der FDP)

Gemessen am neuen Trendwachstum für die Finanzplanung hätten wir als Land fast eine konjunkturelle Normallage, bei der es bei verantwortungsbewusster Finanzpolitik eigentlich kein konjunkturbereinigtes Defizit im Landeshaushalt geben dürfte.

Die Landesregierung erklärt mit ihrem Nachtrag, dass sie sich selbst dann nicht mehr an die Kreditobergrenze gebunden fühlt, wenn keine Rezession herrscht. Das widerspricht dem Sinn der Landesverfassung, es passt aber zur Beliebigkeit der Politik von Rot-Grün in diesem Hause, wie sie uns immer wieder vorgeführt wird.

Das Defizit im laufenden Haushalt ist entstanden, weil die Landesregierung wider besseres Wissen reale Ausgaben mit virtuellen Einnahmen finanzieren wollte. Die Einnahmeutopie hat sich nicht verwirklicht und jetzt steht die Landesregierung vor dem Scherbenhaufen ihrer Politik.

Günter Neugebauer, du musst doch der deutschen Öffentlichkeit, der schleswig-holsteinischen Öffentlichkeit, mir und dem Haus einmal erklären, was die

(Wolfgang Kubicki)

Nachfinanzierung der virtuellen Einnahmen - Verkauf von 5 % Landesbankanteilen mit 100 Millionen € Neuverschuldung - mit einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zu tun hat!

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Schon deswegen wäre der Nachtrag verfassungswidrig.

Die Landesregierung will das aber nicht sehen, will das mit abenteuerlichen und widersprüchlichen Ausflüchten überdecken, weil sie sich davor drücken will, den Menschen in Schleswig-Holstein die realen Kosten ihrer Politik vor der Landtagswahl 2005 offen zu legen und weil sie sich davor drücken will, nach 15 Jahren Schlendrian endlich Haushaltskonsolidierung zu betreiben.

Ergebnis: Der Vorschlag der Landesregierung, mit dem Nachtrag die Kreditobergrenze nach Artikel 53 der Landesverfassung zu überschreiten, ist durch wirtschaftliche Daten nicht gerechtfertigt. Damit ist der Entwurf verfassungswidrig.

Die Landesregierung will sich nur Tür und Tor öffnen, um auch zukünftig bei leichten Konjunkturschwächen unbegrenzt Schulden aufnehmen zu können. Wir fordern die Unionsfraktion auf, ja, wir bitten darum, Kollege Kayenburg, sofern Sie sich noch als Opposition verstehen, mit uns gemeinsam in dieser Frage das Bundesverfassungsgericht anzurufen. Wir sind sicher, dass relativ zügig festgestellt werden wird, dass dieser Nachtrag verfassungswidrig ist.

(Lachen des Abgeordneten Günter Neuge- bauer [SPD] - Zuruf des Abgeordneten Rolf Fischer [SPD])

- Herr Fischer, ich gehe davon aus, dass Sie auch einige wenige Juristen in Ihren Reihen haben, die Ihnen einmal erklären, was das Bundesverfassungsgericht bisher judiziert hat. Dann werden Sie sehen, wie schnell das funktioniert.

(Rolf Fischer [SPD]: Ich bin gespannt!)

Wir sind sicher, dass dann die Folgen eintreten werden, die wir skizziert haben.

Das war übrigens beim letzten Mal auch schon so, Herr Fischer, dass Ihnen Ihr Finanzminister gesagt hat: „Alles Paletti!“ und dann hat das Bundesverfassungsgericht relativ zügig gesagt: Schluss mit lustig. Der Immobiliendeal ist als Kreditaufnahme anzusehen; damit war es das.

Ich bin hier also ganz ruhig und relaxed. Die Konsequenzen, die ich beschrieben habe, sind, dass Sie

dann in den Haushalten 2004/2005 das jetzt als verfassungswidrig Festgestellte anders finanzieren müssen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, drittes und letztes Detail! Die erhöhte Kreditaufnahme wäre nach unserer Auffassung nicht geeignet, Störungen im Sinn von Artikel 53 der Landesverfassung zu überwinden oder zu verhindern. Beweis: Im Nachtrag werden kaum zusätzliche Ausgaben beantragt, die Wachstum und/oder Beschäftigung in Schleswig-Holstein kurzfristig stärken würden. Das Bruttoinlandsprodukt Schleswig-Holsteins betrug im Jahre 2001 nominal 63,1 Milliarden €, die zusätzlichen Investitionen im Nachtrag betragen 35 Millionen € oder ein gutes halbes Promille der Wirtschaftsleistung SchleswigHolsteins oder ein statistisch kaum noch messbares Rauschen. Der Rest dient der Deckung unrealistisch überhöhter Haushaltsansätze.

Bisher - leider fehlt der Wirtschaftsminister - vermisse ich eine Auskunft des Wirtschaftsministers unseres Landes, wie er, der ein bisschen von Ökonomie versteht, glaubt, mit diesen Maßnahmen der Regierung die behauptete Störung abweisen, verändern zu wollen. Er drückt sich - so denke ich einmal - aus gutem Grund, weil er rot anlaufen müsste, wenn er uns hier das erzählen müsste, was uns Herr Möller gerade erzählt hat.

Wirtschaft und Beschäftigung werden nicht angekurbelt, was zu beweisen war.

Wir bleiben dabei: Der Nachtrag ist verfassungswidrig. Wir lehnen ihn ab und schlagen vor, den Haushalt 2002 mit einem Defizit abzuschließen, das in den Haushalten 2004/2005 erwirtschaftet werden muss. Das wäre ein ordentlicher Einstieg in eine angemessene Haushaltskonsolidierung, die wir allerdings von dieser Regierung nicht mehr erwarten.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Das Wort hat jetzt Frau Abgeordnete Heinold.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kubicki, eigentlich müsste ich mich erst einmal kurz erholen. Das hat mich ja nahezu erschlagen: 30 Mal das Wort „verfassungswidrig“! Aber nichtsdestotrotz.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: So ist es eben!)

(Monika Heinold)