Protocol of the Session on October 10, 2002

Als enges, flaches und relativ stark strukturiertes Nebenmeer des Atlantischen Ozeans mit ganzjährig stark geschichtetem Meerwasser ist die Ostsee besonders empfindlich gegenüber natürlichen und anthropogenen Einflüssen. 70 Millionen Menschen leben im Einzugsbereich der Ostsee. Die Ostsee hat sich im letzten Jahrhundert von einem oligotrophen Meer mit klarem Wasser zu einem eutrophen Meer gewandelt. Es wird geschätzt, dass der Eintrag an Stickstoff und Phosphor inzwischen etwa das Vier- bis Siebenfache gegenüber dem von vor 100 Jahren beträgt. Der Eintrag des größten Teils der Schadstofffrachten - etwa 40 % - erfolgt über die großen Zuflüsse Newa, Weichsel, Düna und Memel, ein Drittel des Stickstoffs gelangt über die Atmosphäre in die Ostsee.

Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion sind insbesondere in den baltischen Staaten zahlreiche Kläranlagen gebaut worden. Eine lokale Verbesserung der

(Dr. Christel Happach-Kasan)

Wasserqualität im Osten ist spürbar. Das Kaliningrader Gebiet sowie St. Petersburg leiten ihre Abwässer aber weiterhin ungeklärt in die Ostsee. Dies spüren wir auch hier.

Ein großes Problem der Ostsee ist die sehr unregelmäßige Zufuhr von salzreichem Wasser aus der Nordsee. Seit neun Jahren hat es keinen stärkeren Einbruch von Salzwasser mehr gegeben. Der Salzgehalt in der Ostsee geht kontinuierlich zurück. Für die Organismen bedeutet dies zusätzlichen Stress.

Die Ursachen für den niedrigen Sauerstoffgehalt im Tiefenwasser der westlichen Ostsee werden im Bericht der Landesregierung zutreffend erklärt. Sinkt der Sauerstoffgehalt im Tiefenwasser unter 2 mg pro Liter, wie es beispielsweise im September in der westlichen Kieler Bucht, in der Lübecker und Mecklenburger Bucht oder in den Förden zum Teil deutlich der Fall war, wird es für die Bodentiere lebensbedrohlich. Fische können zumeist in Gebiete mit günstigerer Sauerstoffversorgung abwandern.

Über die Sauerstoffsituation der Ostsee kann man sich objektiv auf den Internetseiten des Bundesamtes für Seeschifffahrt und Hydrographie informieren. Dort gibt es extra ein Meeresumwelt-Reportsystem, das einen regelmäßigen Meeresumweltbericht gibt, sowie spezielle Informationen zum Sauerstoffmangel in der westlichen Ostsee oder auch zur Algensituation.

Sauerstoffmangel in der Kieler Bucht ist kein neues Phänomen. Bereits 1913 und 1926 wurde darüber berichtet. Das heißt, dass auch unter der damals herrschenden deutlich geringeren Nährstoffbelastung der Ostsee die speziellen hydrographischen Bedingungen dazu geführt haben, dass der Sauerstoff in den Sommermonaten im Tiefenwasser aufgezehrt wurde.

In der Berichterstattung über den Sauerstoffmangel in der Ostsee wurde viel mit dem Finger nach Dänemark gezeigt. Von einer Verjauchung der Ostsee durch den Nachbarn im Norden zu sprechen, wie eine Tageszeitung dies getan hat, war jedoch zu keiner Zeit gerechtfertigt. Allerdings wünschen wir uns, dass Dänemark dieselben Anstrengungen zur Reinhaltung der Ostsee unternimmt wie wir.

(Beifall im ganzen Haus)

Der Maßnahmenkatalog der Landesregierung setzt ausschließlich bei der Landwirtschaft an. Das ist offensichtlich zum Lieblingsthema grüner Politik geworden. Selbst dem Kollegen von Hielmcrone ist bekannt, dass es weitere Verursacher von Stickstoffeinträgen gibt. Er hat sie hier auch benannt. Vielen

Dank, Herr Kollege, für diese Ergänzung des Berichtes.

(Beifall bei FDP und CDU)

Wir sind uns durchaus einig, dass die Stickstoffausträge aus der landwirtschaftlichen Bewirtschaftung vermindert werden müssen. Das gilt aber für den ökologischen Landbau in gleicher Weise wie für andere Verfahren. Der Ökolandbau ist kein Allheilmittel gegen Stickstoffeinträge. Das ist denjenigen, die sich mit diesem Thema beschäftigt haben, durchaus bewusst.

Im Maßnahmenkatalog wird weiter vergessen, dass gerade die Stickstoffdeposition zu einem Drittel über die Luft erfolgt und Emissionen aus dem Verkehr daran ebenfalls einen bedeutenden Anteil haben. Auf EU-Ebene ist die Beschränkung auf die Landwirtschaftspolitik geradezu grotesk. In Ländern des ehemaligen Ostblocks sind kommunale und industrielle Kläranlagen noch längst nicht Standard. Selbst Estland, das sich besonders angestrengt hat, erreicht nur einen Anschlussgrad von 45 % der Einwohner an Kläranlagen. In allen anderen Ländern ist der Anschlussgrad weitaus geringer. Wir müssen insofern also auch beim Kläranlagenbau in östlichen Ländern ansetzen.

Wünschenswert wäre auch, dass die Bundesregierung die unter Frau Merkel vorbildliche Information über die Situation der Umwelt in Deutschland fortsetzt. Die Umweltdaten 2002 haben im Vergleich zu den Daten zur Umwelt aus dem Jahr 1997 einen deutlich geringeren Informationsgehalt und das Thema Ostsee fehlt völlig.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Den Zwischenrufen von der grünen Seite ist anzumerken, dass Sie sich nicht ordentlich informieren konnten, weil Sie offenkundig die Informationen von Frau Merkel nicht mit berücksichtigt haben, anders als Herr Kollege von Hielmcrone, der es offensichtlich getan hat. Ganz offensichtlich ist eine objektive Information der Öffentlichkeit über den Zustand der Umwelt kein Ziel grüner Umweltpolitik.

(Beifall bei FDP und CDU)

Das Wort hat Frau Abgeordnete Fröhlich.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Frau Happach-Kasan, wo Sie von uns irgendwelche Zwischenrufe gehört haben

(Irene Fröhlich)

wollen, ist mir schleierhaft. Ich habe keinen Zwischenruf gemacht.

(Zuruf der Abgeordneten Dr. Christel Hap- pach-Kasan [FDP])

- Ich habe nichts gehört. Schwamm drüber - ich habe davon nichts bemerkt. Lassen Sie mich jetzt aber meine Rede halten; dann werden wir vielleicht auch ein Stück weiterkommen.

Wir haben uns alle darauf verständigt, vom Patienten Ostsee zu sprechen. Alle haben sich irgendwie mehr oder weniger informiert. Den Bericht haben wir ja erst gestern oder vorgestern - ich weiß es nicht mehr genau - bekommen. Er ist uns jedenfalls erst relativ kurzfristig zugeleitet worden.

Die Schlagzeilen von Anfang September in derselben Ausgabe der „Schleswig-Holsteinischen Zeitung“ - nur zwei Seiten auseinander - sind uns allen noch im Ohr. Dort war zu lesen: „Ein strahlender August rettet die Sommersaison“, „Aufatmen in den Ostseebädern Schleswig-Holsteins: Die Saison ist nun doch nicht ins Wasser gefallen - der Sonne sei Dank“. Später hieß es in derselben Zeitung: „Der Ostsee geht der Atem aus - Es stinkt“.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, solche Schlagzeilen können uns nicht gleichgültig sein und sie sind es auch nicht. Das war auch den vorherigen Reden zu entnehmen. Es ist schon gesagt worden, dass die natürlichen Bedingungen der Ostsee labil sind, dass die Ostsee als eiszeitlicher Stausee vor 12.000 bis 15.000 Jahren entstand und durch einschneidende, geologisch bedingte Veränderungen der Umwelt bereits mehrfach gestorben und wiedergeboren worden ist. Auch dieses Mal wird es so sein. Wir entnehmen dem Bericht des Umweltministers ja auch, dass sich die Ostsee bereits auf dem Weg der Besserung befindet. Dennoch muss man feststellen, dass sich die Situation der Ostsee über Jahre hin ständig verschlechtert. Dabei spielen sicherlich auch die von Ihnen genannten Bedingungen in den drei baltischen Staaten, aber auch in Kaliningrad und in Russland eine Rolle. Diesen Faktor darf man nicht unterschätzen. Man muss ihn richtig gewichten.

Frau Happach-Kasan, ich weise aber natürlich entschieden zurück, wenn gesagt wird, dass sich die Grünen nicht auch um Verkehrspolitik kümmern würden. Wenn wir die Ökosteuer nicht eingeführt hätten, hätten wir nicht einmal jenes kleine Bisschen an Rückgang der Kraftstoffemissionen erreicht. Das trägt dazu bei, den Eintrag von Stickstoffen und sonstigen Schadstoffen in die Luft zu verringern. Das wissen Sie genauso gut wie ich.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Wer das in solchen Debatten beharrlich ausblendet, Frau Happach-Kasan, trägt dazu bei, die ideologische Keule gegen die Grünen zu richten, um den Grünen dann umgekehrt Ideologie vorwerfen zu können. Bei aller Liebe, Frau Happach-Kasan, das ist ein bisschen absurd.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Bei aller Liebe, das dürfen Sie hier nicht jedes Mal machen. Das ist intellektuell nicht redlich. Das ist Ihnen auch nicht angemessen.

Wir haben vom Umweltminister - in Vertretung durch die Justizministerin vorgetragen - dankenswerterweise schon gehört, was er zu tun gedenkt. Ich denke, dass wir im Umweltausschuss mit dem Umweltminister weiter über die einschlägigen Themen diskutieren sollten. Ich bin froh darüber, dass der Umweltminister selber schon das Gespräch mit dem Amt Fünen und der dänischen Seite gesucht hat. Ich glaube auch, dass es richtig ist, von uns aus weiterhin alle Anstrengungen zu unternehmen. Wir haben darüber bereits gestern in der Klärschlammdebatte diskutiert. Auch das müssen wir natürlich mit berücksichtigen. Ich meine, wir können an andere immer nur dann Forderungen stellen - auch das gilt gegenüber den osteuropäischen Ländern -, wenn wir selber als eines der reichsten Länder in Europa mit gutem Beispiel vorangehen. Dass wir trotzdem Haushaltsprobleme haben, steht auf einem anderen Blatt. Ich wünsche mir von der FDP, dass sie, wenn sie solche Dinge benennt, wie sie es hier getan hat, aufhört, ständig von Steuersenkungen zu sprechen.

Wir haben im ökologischen Bereich wirklich erhebliche staatliche Aufgaben zu erfüllen. Wir müssen auf dem Wege über Ökotechnikpfade, über Energieversorgungspfade und andere Pfade dafür sorgen, dass von vornherein weniger Schadstoffe in Wasser, Boden und Luft eingetragen werden. Das ist immer ein ganzheitlicher Prozess. So wurde es auch gestern bei der Nachhaltigkeitsdebatte diskutiert. Deswegen wäre ich froh, wenn vieles von der Energie, die manchmal in solchen Umweltschutzdebatten zu spüren ist, in Wirtschaftsdebatten und in Debatten um die Steuerpolitik hineinkäme und das nicht so getrennt würde. Denn das wird der Problematik überhaupt nicht gerecht.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Harms das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vor etwa einem Monat hat meine Kollegin Spoorendonk im Zusammenhang mit der Hochwasserkatastrophe deutlich gemacht, dass es unbestritten ist, dass der Mensch viele Umweltkatastrophen selbst zu verantworten hat. So macht auch der Bericht der Landesregierung zum Sauerstoffmangel in der Ostsee deutlich, dass das Ausmaß der Situation in der Ostsee neben einer Reihe natürlicher Faktoren besonders auf menschliche Einflüsse zurückzuführen ist. Das gilt insbesondere für die Nährstoff- und Nitrateinträge, die über Wasser und Luft in die Ostsee gelangen. Seit mehreren Wochen können wir in den Medien verfolgen, wie sich die Situation in der Ostsee immer weiter verschlechtert. Der abnehmende Sauerstoffgehalt in weiten Teilen der Ostsee setzt Flora und Fauna erheblich zu und hat stellenweise zu massivem Fischsterben geführt. Auch wenn es jetzt den Anschein hat, dass wir in Schleswig-Holstein noch recht glimpflich davonkommen werden, misst man in Bereichen der dänischen Ostsee den seit 25 Jahren niedrigsten Sauerstoffgehalt. Gerade in den Bereichen um Fünen und in zentralen Bereichen des Øresund ist der Sauerstoffgehalt nahe null.

Niedrige Sauerstoffgehalte in der Ostsee sind aber kein neues Phänomen. Aus älteren geologischen Perioden ist dies bereits bekannt. Das Beunruhigende hieran ist jedoch, dass kritisch niedrige Sauerstoffgehalte besonders in den letzten Jahren deutlich zugenommen haben. Bereits in den 80er-Jahren wurden daher Übereinkommen der Ostseeanrainerstaaten im Rahmen des Helsinki-Übereinkommens getroffen, die eine 50-prozentige Reduzierung von Stickstoff und Phosphor zum Ziel haben. Hier hat besonders eine Forcierung des Kläranlagenbaus in den ehemaligen Ostblockländern zu einer teilweisen sektoralen Verbesserung geführt.

(Beifall beim SSW und der Abgeordneten Dr. Christel Happach-Kasan [FDP])

Jedoch trägt immer noch der Nährstoffeintrag durch die Landwirtschaft maßgeblich zur Verschlechterung in der Ostsee bei. Das meine ich für den gesamten Bereich, nicht nur für uns.

(Claus Ehlers [CDU]: Kannst du das bewei- sen?)

- Das kann ich beweisen. Es geht allerdings auch deutlich aus dem Bericht hervor, lieber Kollege Ehlers. Das kann man auch nachlesen.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Frage ist also: Was müssen wir auf den Weg bringen, um eine Verbesserung der Situation herbeizuführen? Hier geht der Bericht auf eine Reihe von Maßnahmen ein, die Erfolg versprechend sein werden. Der SSW unterstützt die im Bericht genannten Maßnahmen, die eine Weiterentwicklung der ordnungsgemäßen Landwirtschaft im Sinne der guten fachlichen Praxis fordern, ebenso wie die Extensivierung der Bewirtschaftungsform in Gewässerbereichen.

Auch wenn spontane Gegenmaßnahmen jetzt nicht greifen und wir laut Umweltminister Müller zurzeit noch einen Regentanz aufführen können, um die Ostsee zu retten, müssen wir uns endlich klar darüber werden, dass alle Ostseeanrainer etwas umsetzen müssen, um den Zustand zu verbessern. Dabei müssen wir uns selbstverständlich auch an die eigene Nase fassen. Erste Schritte bei uns sind natürlich die Umsetzung von EU-Verordnungen. So ist neben der Novellierung der EU-Düngeverordnung auch und gerade die Umsetzung der EU-Wasserrahmenrichtlinie wichtig. Hiermit wird eine EU-weit einheitliche Grundlage für eine zukunftsfähige und nachhaltige Wasserwirtschaft geschaffen. Alle europäischen Gewässer sollen somit in einen guten ökologischen Zustand versetzt werden, in dem sie naturnah gestaltet und gefährliche Stoffe vom Wasser ferngehalten werden. Wenn wir dabei eine Vorreiterrolle spielen können, sollten wir das auch tun.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Unsere Nachbarn nördlich der Grenze, Frau Kollegin Happach-Kasan, haben bereits früh den Zusammenhang zwischen Wasser, Landwirtschaft und Industrie erkannt und bereits 1987 einen ersten nationalen Wasserschutzplan eingeführt, der heute bereits zu ersten regionalen Erfolgen in den dänischen Gewässern geführt hat. Dort hat man schon etwas getan.

Selbst wenn wir heute bereits Verbesserungen herbeiführen können, kann uns das Problem im Zusammenwirken bestehender Altlasten und natürlicher Faktoren in den nächsten Jahren immer wieder einholen. Darüber müssen wir uns im Klaren sein. Auch wenn der Dezernent für Küstengewässer im schleswig-holsteinischen Landesamt für Natur und Umwelt die Ostsee als ein Stehaufmännchensystem bezeichnet und wenn die Gebiete, die jetzt vielleicht absterben,

(Lars Harms)

im nächsten Frühjahr wieder neu besiedelt werden können, müssen wir unsere Erkenntnisse zum Schutz der Ostsee trotzdem nutzen und müssen schon jetzt handeln. Das, was wir jetzt tun, ist nämlich langfristig angelegt. Daher müssen wir bei all unseren Maßnahmen und vor allem bei der EU-Wasserrahmenrichtlinie langen Atem haben, damit sich am Zustand unserer Gewässer nachhaltig und langfristig etwas verbessert.