Protocol of the Session on October 9, 2002

Ich lasse jetzt alternativ in der Sache abstimmen. Wer dem Antrag der Fraktionen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Drucksache 15/1941, zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer dem Antrag der CDU-Fraktion, Drucksache 15/2088, zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Dem Antrag der Fraktionen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Drucksache 15/1941, wurde mit den Stimmen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW zugestimmt. Damit ist dieser Antrag angenommen.

Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 2 auf:

Zweite Lesung des Entwurfs eines Gesetzes zur Unterbringung von besonders rückfallgefährdeten hochgefährlichen Straftätern

Gesetzentwurf der Fraktion der CDU Drucksache 15/1667

Bericht und Beschlussempfehlung des Innen- und Rechtsausschusses Drucksache 15/2102

Ich erteile dem Berichterstatter des Innen- und Rechtsausschusses, Herrn Abgeordneten Eichstädt, das Wort.

Frau Präsidentin! Ich berichte Ihnen gern über die Beratung und Beschlussempfehlung des Innen- und Rechtsausschusses. Der Ausschuss hat den ihm durch Plenarbeschluss vom 20. März 2002 überwiesenen Gesetzentwurf zur Unterbringung von besonders rückfallgefährdeten hochgefährlichen Straftätern in zwei Sitzungen, zuletzt am 4. September 2002, beraten.

Mit den Stimmen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen der CDU bei Enthaltung der FDP empfiehlt der Ausschuss dem Landtag, den Gesetzentwurf abzulehnen.

Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Gibt es Wortmeldungen zum Bericht? - Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache. Herr Abgeordneter Geißler hat das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Noch in der ersten Lesung über den heute zur Abstimmung stehenden Gesetzentwurf hatte ich nach einem durchaus bemerkenswerten Beitrag des Kollegen Puls die Hoffnung, dass dieses Gesetz - ähnlich wie auch im Bayerischen Landtag - mit großer Mehrheit hier beschlossen wird, damit eine hoch bedenkliche Sicherheitslücke im Schutz vor hochgefährlichen Straftätern geschlossen werden kann. Aber im Innen- und Rechtsausschuss ist das eingetreten, was manche bereits prognostiziert hatten. Die Sozialdemokraten sind rückwärts aus dem Geschirr gegangen, obwohl es in anderen Bundesländern längst eine rechtspolitische Debatte gibt, die auch von Sozialdemokraten geführt wird. Diese Debatte zeigt, es wurde erkannt, dass wir hier handeln müssen, wenn wir nicht tatenlos zusehen wollen, dass weiterhin Gefährdungen für die Bevölkerung ausgehen, die nicht akzeptabel sind.

(Beifall bei der CDU)

Ich kann an Sie nur noch einmal appellieren, auch vor dem Hintergrund aktueller Ereignisse Ihre Haltung zu überdenken, gerade nach einem besonders abscheulichen Verbrechen in unserem Bundesland. Die Debatte darüber müsste doch auch Sie erreicht haben. Sie müsste doch wissen, dass es in der Bevölkerung eine Erwartungshaltung gibt, dass nicht nur geredet wird und die Politik markige Sprüche klopft, sondern dass auch gehandelt wird. Dazu haben Sie heute die Chance.

(Beifall bei der CDU)

Die Argumente, die von Ihnen in den letzten Monaten geäußert worden sind, ziehen nicht. Der Bundesgesetzgeber hat eben nicht zwischenzeitlich die von allen erkannte Sicherheitslücke geschlossen. Die so genannte Vorbehaltsregelung - beschlossen von RotGrün im Deutschen Bundestag - wird erst in einigen Jahren wirksam werden. Sie erfasst nur diejenigen Personen, die nach In-Kraft-Treten des Gesetzes von einem Strafgericht verurteilt werden und bei denen dann die Möglichkeit der nachträglichen Anordnung der Sicherheitsverwahrung besteht. Sie erfasst nicht die vor dem In-Kraft-Treten des Gesetzes verurteilten Straftäter und sie wird in Zukunft auch nicht diejenigen erfassen, bei denen sich die Gefährlichkeit nicht bereits zum Zeitpunkt der Verurteilung, sondern erst

(Thorsten Geißler)

während der Verbüßung der Straftat erweist. Das ist zu kurz gesprungen. Das erfasst einen bestimmten Personenkreis nicht, der hochgefährlich ist und vor dem die Bevölkerung wirksam geschützt werden muss. Das ist nur mit unserem Gesetzentwurf zu erzielen.

(Beifall bei der CDU)

Im Gegensatz zu Baden-Württemberg und Bayern sind den Richtern in Schleswig-Holstein bei solchen Personen gegenwärtig die Hände gebunden. Das wollen wir ändern. Ich kann nur darauf verweisen, dass es der FDP angehörende Justizminister von BadenWürttemberg, Ulrich Goll, war, der Initiator eines entsprechenden Gesetzes in seinem Bundesland vor über einem Jahr war und der vor wenigen Tagen erklärt hat:

„Deutschland entlässt jährlich deutlich mehr als zehn potentielle Wiederholungstäter in die Freiheit, weil den Richtern die Hände gebunden sind, auch wenn die objektive Wiederholungsgefahr bei den Sexualstraftätern erkennbar ist.“

Meine Damen und Herren, Herr Goll hat Recht und Sie haben die Chance, das für unser Bundesland zu ändern. Diesen Weg sollten Sie mit uns gemeinsam gehen.

(Beifall bei der CDU)

Ich kann nur darauf aufmerksam machen, dass auch der Generalstaatsanwalt unseres Landes auf eine bedenkliche Sicherheitslücke aufmerksam gemacht hat und sie schließen will. Aber der Weg über die Bundesgesetzgebung wird zeitaufwendig sein. Ich hege auch nicht den Optimismus, dass es in Berlin möglich sein wird, mit Rot-Grün eine tragfähige Lösung zu erzielen und das Problem nachhaltig zu lösen. Da sind wir schon selbst gefordert. Wir haben heute die Möglichkeit zu handeln und nicht auf ein anderes Parlament, das seine Hausaufgaben wahrscheinlich bei den jetzigen Mehrheitsverhältnissen nie lösen wird, zu warten.

Natürlich wird das Thema in Berlin behandelt werden. CDU/CSU und FDP werden gemeinsam einen Gesetzentwurf einbringen - -

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Woher wissen Sie das?)

- Das ist angekündigt worden, Herr Kollege. Wir lesen auch die Pressemitteilungen der FDPBundestagsfraktion. Ich gebe Ihnen gern die Äußerung von Herrn Goll. Ich gebe Ihnen auch gern die Äußerung Ihrer Bundestagsfraktion.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Der gehöre ich an!)

Einen solchen Gesetzentwurf wird es geben. Wir können die Protokolle über die Debatten gern einmal nachlesen. Da gibt es sehr bemerkenswerte Beiträge Ihres rechtspolitischen Sprechers im Deutschen Bundestag, Herr Kubicki, der das Problem erkannt hat und von dem ich der festen Überzeugung bin, dass er den richtigen Weg gehen wird. Rot-Grün aber wird die dafür erforderliche Mehrheit nicht zur Verfügung stellen.

Deshalb müssen wir handeln, meine Damen und Herren. Ich kann nur sagen: Sie müsse sich sehr gut überlegen, wie Sie heute abstimmen werden. Ich verweise noch einmal darauf, dass auch der Deutsche Richterbund vor wenigen Tagen am 4. Oktober auf die Sicherheitslücke aufmerksam gemacht hat. Er hat nachdrücklich gefordert, einen Diskurs darüber zu führen, wie sie geschlossen werden kann. Er hat erklärt:

„Bereits vor Einführung der so genannten Vorbehaltslösung, nach der Gerichte bei besonders gefährlichen Tätern deren Gefährdungspotenzial überprüfen und gegebenenfalls im Urteil die Anordnung von Sicherungsverwahrung vorbehalten können, hat der Deutsche Richterbund auf eine Sicherheitslücke hingewiesen.“

Er macht deutlich, dass das, was Sie in Berlin beschlossen haben, das Problem überhaupt nicht löst und dass diese Sicherheitslücke weiter bestehen wird. Wörtlich sagt Geert Mackenroth - ich kann ihm darin nur zustimmen -:

„Natürlich haben auch die Beschuldigten in den letzten grausamen Mordfällen bis zum Abschluss des Strafverfahrens als unschuldig zu gelten. Tickende Zeitbomben dürfen gleichwohl nicht sehenden Auges auch nicht nach Verbüßung ihrer Strafe entlassen werden.“

Das genau ist richtig, meine Damen und Herren. Das können wir heute für die Zukunft unterbinden. Diesen Weg müssen wir gemeinsam gehen.

(Beifall bei der CDU)

Frau Justizministerin, es greift zu kurz, wenn Sie die Führungsaufsicht verschärfen wollen. Hochgefährliche Straftäter müssen nicht besser beobachtet werden; Sie haben gar nicht das Personal, um sie beobachten zu lassen. Sie dürfen gar nicht erst entlassen werden.

(Thorsten Geißler)

Nur so kann man das Problem lösen. Alles andere ist Augenwischerei.

(Beifall bei der CDU)

Ich bin der festen Überzeugung, dass nicht wenige in Ihren Reihen erkennen, dass wir die besseren Argumente haben, dass Sie erkennen, dass es erforderlich ist, den Gesetzentwurf zu beschließen. Denn Sie wissen, dass die Menschen in Ihren Wahlkreisen das von Ihnen erwarten. Wenn Sie trotzdem, weil es offenbar immer noch ein nicht vorstellbarer Vorgang ist, dass ein Gesetzentwurf der Opposition angenommen wird, das heute ablehnen, dann tragen Sie die Verantwortung dafür. Dann werden wir Sie gegebenenfalls daran erinnern. Wir hoffen, dass das nicht eintreten wird. Aber wenn es eintritt, müssen Sie sich dafür rechtfertigen, wie Sie heute abstimmen.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Puls.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Angesichts einer Reihe schwerer und schwerster Sexualgewalttaten in der jüngeren Vergangenheit auch, aber nicht nur in Schleswig-Holstein mischen sich sicherlich auch bei vielen von uns Zorn und Trauer. Wir versuchen durch öffentliche Erklärungen die Opfer, wenn sie denn nicht gänzlich ihres meist noch jungen Lebens gewaltsam und brutal beraubt wurden, zu trösten und ihnen Hilfen anzubieten. Wir äußern unser Mitgefühl gegenüber den Angehörigen und Familien und wissen doch, dass wir durch nachträgliche Hilfe nicht wirklich helfen können. Das Leid kann nicht ungeschehen gemacht werden. Vor einem solchen aktuellen Hintergrund ist die Politik zu Recht gefordert, alles im Rahmen ihrer Möglichkeiten Liegende zu tun, um den Schutz vor gefährlichen Straftätern, insbesondere Sexualgewalttätern, zu verbessern, wenn es denn konkrete Verbesserungsmöglichkeiten gibt.

In unserer politischen Verantwortung sind wir allerdings auch gefordert, Herr Kollege Geißler, ohne Aktionismus, ohne Populismus, ohne öffentliche Effekthascherei gerade in einer öffentlich aufgeheizten Diskussion ruhig, sachlich und seriös zu beraten, was im Rahmen unserer verfassungsmäßigen Ordnung möglich ist.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, FDP und SSW)

Der Vorsitzende des deutschen Richterbundes, Herr Mackenroth, den Sie eben zitiert haben, hat in den „Lübecker Nachrichten“ von heute zu Recht eine seriöse Debatte über die Sicherungsverwahrung von Rückfalltätern angemahnt.

(Thorsten Geißler [CDU]: Er hat auch Lö- sungen vorgeschlagen!)

Nicht seriös, Herr Kollege Geißler, ist die offenbar von Ihnen initiierte Berichterstattung in den „Lübecker Nachrichten“ vom 27. September 2002. Es heißt darin: Vor dem Hintergrund des Falles Sabasch will die CDU-Fraktion einen besseren Schutz vor besonders gefährlichen Straftätern erreichen. Deshalb bringt sie einen Gesetzentwurf in die Oktobersitzung des Kieler Landtages ein. Es muss eine Regelung für Täter geben, deren Gefährlichkeit sich erst bei der Haft oder bei der Unterbringung herausstellt, forderte der Lübecker Unions-Abgeordnete Thorsten Geißler. In Bezug auf diesen Fall sagen Sie dann: Wenn der Landtag unser Gesetz annimmt, ist das Problem gelöst. Herr Kollege Geißler, es ist eine Irreführung der Bevölkerung,

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, FDP und SSW)

wenn Sie mit Ihren Äußerungen assoziieren wollen, die Vergewaltigung der jungen Frau in Ütersen durch den Herrn Sabasch hätte durch Ihr Gesetz verhindert werden können. Der Gesetzentwurf, der heute in zweiter Lesung beraten wird und den Sie vorgelegt haben, richtet sich gegen Strafgefangene, die in einer Justizvollzugsanstalt des Landes eine Freiheitsstrafe verbüßen. Das Gesetz wäre auf Herrn Sabasch gar nicht anwendbar gewesen,

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, FDP und SSW - Wolfgang Kubicki [FDP]: Das weiß er aber gar nicht!)

Herr Kollege, weil dieser wegen Schuldunfähigkeit nie zu einer Strafe verurteilt worden ist und nicht in einer Justizvollzugsanstalt, sondern von Beginn an in der Fachklinik Neustadt untergebracht gewesen ist. Auch ob Ihr Gesetz auf den Mordfall Jennifer anwendbar wäre, steht nicht fest, Herr Kollege Geißler, weil es bisher zwar einen Verdächtigen, aber keinen Verurteilten gibt. Was hier von Ihrer Seite für die Vergangenheit und für eine mögliche Verurteilung in der Zukunft spekuliert wird, Herr Kollege Geißler, widerspricht allen rechtsstaatlichen Prinzipien.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, FDP und SSW)