Protocol of the Session on September 13, 2002

Für die Fraktion der FDP erteile ich jetzt Herrn Abgeordneten Dr. Heiner Garg das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Ihre heute vorgetragene Entschlossenheit kommt reichlich spät. Um es genau zu sagen: Sie kommt vier Jahre zu spät.

(Beifall bei FDP und CDU - Lachen bei der SPD)

Kurz vor der Bundestagswahl werden wir jetzt von allen möglichen Seiten Ihrer Fraktion darauf eingeschworen, die Vorschläge der Hartz-Kommission zum Wohle der Menschen nicht zu zerreden. Zum Wohle der Menschen, liebe Kolleginnen und Kollegen, hätten Sie vielleicht in den vergangenen vier Jahren irgendetwas von dem umsetzen können, was Sie sich da zum Schluss der Legislaturperiode so fleißig haben aufschreiben lassen.

(Beifall bei FDP und CDU - Zurufe von der SPD)

Frau Ministerin Moser, mit Ausnahme Ihres heutigen Beitrages haben wir bislang auch in dieser Plenarsitzung von Ihnen immer nur gehört, dass alle anderen die Schuld an allen möglichen Problemen auf dem Arbeitsmarkt tragen, nie aber Sie selbst.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug [FDP])

Ich frage Sie: Wer ist vor vier Jahren angetreten, vieles besser, aber nicht alles anders zu machen? - Sie! Wer ist angetreten, die Arbeitslosenzahl mindestens auf 3,5 Millionen zu senken? - Sie!

(Konrad Nabel [SPD]: Das hatten wir alles schon! Wahlkampf wird hier gemacht! Quatsch!)

Wer ist angetreten, die Kosten der Arbeit durch strukturelle Reformen in den Sozialversicherungssystemen zu senken? - Sie! Und wer sitzt heute auf einem arbeitsmarktpolitischen Trümmerhaufen? - Auch Sie!

(Lebhafter Beifall bei FDP und CDU)

Steigende Rentenversicherungsbeiträge trotz Mineralölsteuererhöhung für die Rentenkasse, demnächst steigende Krankenversicherungsbeiträge und über 4 Millionen offiziell gemeldete Arbeitslose - herzlichen Glückwunsch zu dieser miserablen Leistungsbilanz am Ende Ihrer Legislaturperiode!

(Beifall bei FDP und CDU)

In der Arbeitsmarktpolitik haben Sie überhaupt nichts besser, aber sehr vieles schlechter gemacht, meine sehr verehrten Damen und Herren. Rot-Grün war in Berlin noch nicht einmal in der Lage, den für Sie sprechenden demographischen Trend zu nutzen, nämlich die Tatsache, dass über 200.000 Personen mehr aus dem Erwerbsleben ausscheiden als in das Erwerbsleben eintreten. Sie haben es noch nicht einmal geschafft, dies zu nutzen, um Ihr selbst angepeiltes Minimalziel, diese 3,5 Millionen, zu erreichen. Und Sie haben es deswegen nicht erreicht, weil Ihre konzertierte Aktion zur Arbeitsplatzvernichtung in der ersten Hälfte Ihrer Legislaturperiode kräftig gewirkt hat. Herzlichen Glückwunsch dazu!

Meine Damen und Herren, am Mittwoch haben wir eine nationalökonomische Märchenstunde der Frau Ministerpräsidentin im Rahmen der Haushaltsplanberatungen erlebt. Wir haben daraus Folgendes gelernt:

Erstens ist die Weltkonjunktur immer an allem schuld. Ich will Ihnen einmal ganz deutlich sagen: Die Weltkonjunktur hat mit den strukturellen Problemen am Arbeitsmarkt nicht das Geringste zu tun.

(Beifall bei FDP und CDU)

„Strukturell“ - ich übersetze es Ihnen einmal - kommt von „Struktur“ und das heißt: hausgemacht. Es sind hausgemachte Probleme.

(Zurufe von der SPD)

Zweitens. In dem Wort „Weltkonjunktur“ steckt das Wort „Konjunktur“. Davon können Sie „konjunktu

(Dr. Heiner Garg)

rell“ ableiten und überhaupt nur auf die konjunkturell bedingte Arbeitslosigkeit - -

(Zurufe des Abgeordneten Konrad Nabel [SPD] - Demonstrativer Beifall des Abge- ordneten Klaus-Peter Puls [SPD])

- Herr Nabel, dass Sie das nicht verstehen, ist mir schon klar. Aber vielleicht versteht es ja der eine oder andere aus Ihrer Fraktion: Nur auf den konjunkturell bedingten Anteil der Arbeitslosigkeit hat die Weltkonjunktur überhaupt einen Einfluss.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn das mit der Weltkonjunktur so wäre, wie Sie das immer gerne darstellen, dann müssten sich ja 15 europäische Mitgliedsländer um den letzten Platz innerhalb Europas prügeln. Komisch nur, dass auf diesem letzten Platz nur ein einziges steht, nämlich die Bundesrepublik Deutschland.

(Zurufe von der SPD)

Und wenn das mit der Weltkonjunktur so wäre, wie Sie das gerne hätten, dann müssten sich elf westliche Bundesländer um den letzten Platz innerhalb Deutschlands prügeln. Komisch, dass da auch nur eines steht, nämlich Schleswig-Holstein. - Bei RotGrün sind immer die anderen schuld.

Meine Damen und Herren, ich will Ihnen aber auch sagen: Für Sie ist es jetzt Zeit, eine Entscheidung zu treffen. Entweder Sie entscheiden sich weiterhin für den Unsinn und schieben alle Schuld auf die Weltkonjunktur. Dann, sehr geehrter Herr Kollege Baasch, können Sie getrost sämtliche Hartz-Vorschläge in den Papierkorb werfen; denn die Hartz-Vorschläge haben nicht den geringsten Einfluss auf die Weltkonjunktur, die Sie immer dafür verantwortlich machen.

(Beifall bei FDP und CDU)

Oder Sie übernehmen endlich die Verantwortung für den Mist, den Sie fabriziert haben. Dann kann man auch über den einen oder anderen Vorschlag der Hartz-Kommission reden.

(Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn Sie das auch für das FDP- Programm empfehlen!)

- Aber, Frau Heinold, ich weiß: Mit einem Märchen gibt sich Rot-Grün nicht zufrieden. Ein zweites Märchen kommt hinzu, nämlich die Exportorientiertheit der deutschen Wirtschaft.

(Martin Kayenburg [CDU]: Ja!)

- Herr Kollege Kayenburg, ich finde, man muss schon dankbar dafür sein, dass wir in den vergangenen Tagen nicht gehört haben, dass alle anderen Länder

dieser Welt autark geblieben sind und nur die Bundesrepublik Deutschland Außenhandel betreibt.

Ich will Ihnen einmal ein Beispiel geben. Großbritannien, das ähnlich stark mit der Weltwirtschaft verbunden ist wie Deutschland und das sogar sozialdemokratisch regiert wird, hat eine nur halb so hohe Arbeitslosenquote wie die Bundesrepublik Deutschland. In Großbritannien sank die Arbeitslosenquote im August 2002 auf 5,1 %. Damit stieg gleichzeitig die Erwerbsquote auf einen noch nie erreichten Stand, nämlich auf fast 75 %.

(Zuruf der Abgeordneten Anke Spoorendonk [SSW])

Die im Vergleich noch halb so hohe Arbeitslosenquote führt Ihre Behauptung, die Weltwirtschaft sei an allem schuld, völlig ad absurdum. Begreifen Sie das doch endlich!

(Beifall bei FDP und CDU)

Jetzt kommen wir einmal zu den Hartz-Vorschlägen im Einzelnen. Die sollen wir alle beklatschen und bejubeln, haben Sie gefordert. Warum soll ich mich eigentlich darüber freuen, dass Sie vier Jahre gebraucht haben, sich von einer Kommission aufschreiben zu lassen, dass Sie in den vergangenen vier Jahren in Berlin ein beschäftigungsvernichtendes Gesetz nach dem anderen verabschiedet haben. Warum sollen wir darüber klatschen?

(Beifall bei FDP und CDU)

Das sind vier Jahre vergeudete Zeit,

(Konrad Nabel [SPD]: Nur Wahlkampf)

vier Jahre, in denen Beschäftigungsmöglichkeiten beschränkt, erschwert und abgebaut wurden.

(Jutta Schümann [SPD]: Gehen Sie doch einmal auf den Bericht ein!)

- Sehr geehrte Frau Kollegin Schümann, Hartz 1: Umbau der Arbeitsämter zu Beschäftigungsagenturen mit dem Ziel der Privatisierung. Das entspricht dem Antrag der FDP-Bundestagsfraktion vom 20. Februar 2002 - abgelehnt von Rot-Grün.

Hartz 2: Einführung einer beitragsfinanzierten Grundsicherung mit ergänzenden Wahltarifen. Das entspricht dem Antrag der FDP-Bundestagsfraktion vom 4. Juli 2001 - abgelehnt von Rot-Grün.

(Beifall des Abgeordneten Martin Kayenburg [CDU] - Konrad Nabel [SPD]: Hören Sie auf, das vorzulesen! Unterstützen Sie uns doch endlich!)

(Dr. Heiner Garg)

Hartz 3: Verschärfung der Zumutbarkeit für die Annahme einer Arbeit für jüngere, ungebundene Arbeitnehmer und Beweislastumkehr für die Zumutbarkeit einer angebotenen Arbeit. Das entspricht dem Antrag der FDP-Bundestagsfraktion vom 4. Juli 2001 - abgelehnt von Rot-Grün. Und so geht das immer weiter.

(Beifall bei FDP und CDU - Zurufe von der SPD)