Protocol of the Session on March 20, 2002

Das Damoklesschwert der nachträglichen Sicherungsverwahrung könnte ebenso geeignet sein, jegliche Motivation zur Veränderung zu nehmen oder die gefährlichen Täter zum Bluffen zu verleiten.

Der Verweis auf die Resozialisierung ist also falsch.

Bei der nachträglichen Sicherungsverwahrung geht es allein um ein präventives Wegsperren, das lediglich der psychischen Verhinderung von vermuteter Kriminalität dienen soll. Dies steht in deutlichem Widerspruch zu unseren rechtsstaatlichen Werten.

Die nachträgliche Sicherungsverwahrung vermag zwar die Stimmung zu beruhigen, aber es wird eigentlich auch eine Scheinsicherheit suggeriert.

Die Regelungen zur Verhängung von Sicherungsverwahrung wurden bereits 1998 deutlich verschärft. Außerdem ermöglichen die Unterbringungsgesetze der Länder gegebenenfalls - nach dem PsychKG - bereits die zwangsweise Unterbringung von gefährlichen psychisch Kranken, ohne dass bereits eine Straftat begangen wurde.

Ich darf in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass leider schon deshalb in der Problemschilderung des Gesetzentwurfs nach meiner Ansicht ein ganz eklatanter Fehler steht. Darin steht nämlich, dass nach dem so genannten PsychKG nur eingegriffen werden kann, wenn die Gefahr von einem psychisch kranken Rechtsbrecher ausgeht. Es handelt sich - um Ihnen das noch einmal zu sagen - bei Untergebrachten nicht um Rechtsbrecher in irgendeiner Form, sondern es sind Menschen, die aufgrund einer Erkrankung möglicherweise für sich oder für andere eine Gefahr bedeuten.

(Beifall der Abgeordneten Anke Spoorendonk [SSW] und Wolfgang Kubicki [FDP])

Das halte ich für ganz wichtig, weil sonst der Eindruck in der Öffentlichkeit entstehen kann, dass jemand, der nach dem PsychKG untergebracht worden ist - gegen oder ohne seinen Willen -, immer ein Rechtsbrecher ist.

Ich bin gespannt, wenn jetzt möglicherweise ein solches Gesetz in einigen Bundesländern erlassen wird, ob noch weitere Verschärfungen gefordert werden.

Es wird vorgegaukelt, man könne durch Gesetze Verbrechen verhindern. Leider wissen wir alle, dass das nicht geschieht. Es ist doch unredlich, wenn man unterschlägt, dass auf diese Weise - das halte ich für eines der für bedenkenswertesten Argumente - auch Unschuldige für ewig eingesperrt werden können, die nie etwas begangen hätten. Diese Entscheidung zu treffen, halte ich für außerordentlich schwierig.

(Beifall bei SSW, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelter Beifall bei der SPD)

Nach § 56 Abs. 4 unsrer Geschäftsordnung erteile ich Herrn Abgeordneten Geißler das Wort zu einem Kurzbeitrag.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte dem Kollegen Puls ausdrücklich für seinen sehr sachkundigen Beitrag danken.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD und Beifall des Abgeordneten Klaus Schlie [CDU])

Ich gebe ihm völlig Recht. Wenn durch ein solches Gesetz auch nur eine einzige Sexualstraftat von Bedeutung verhindert werden kann, sollten wir gemeinsam so beschließen, Herr Kollege Puls. Ich freue mich über Ihre konstruktive Haltung.

(Beifall bei der CDU)

Wir können in der Ausschussberatung, die wir zügig vorantreiben sollten, gern gucken, was parallel dazu im Bund passiert, aber Sie werden dann mit uns gemeinsam feststellen: Die bisherigen Vorschläge der Koalition in Berlin sind mängelbehaftet. Ich glaube auch nicht, dass sie zum Abschluss gebracht werden. Es wird Spielraum verbleiben. Wenn wir zügig beraten, werden wir den Bundesgesetzgeber allemal überholen und werden dann gemeinsam eine vernünftige Lösung beschließen können.

Selbstverständlich sind Straftäter Träger von Grundrechten. Wenn Sie sich angucken, welche Detailregelungen wir im Gesetzentwurf vorgesehen haben, dann werden Sie feststellen, dass wir hohe rechtsstaatliche Sicherungshürden eingebaut haben, damit gerade dieser Grundsatz nicht aus den Augen verloren wird.

(Dr. Johann Wadephul [CDU]: Sehr richtig!)

Aber manche der so genannten rechtsstaatlich angeführten Bedenken sind schlichtweg nicht stichhaltig. Wenn immer wieder von einer Doppelbestrafung geredet wird, dann kann ich nur sagen, der Gesetzentwurf ist das Gegenteil.

(Klaus Schlie [CDU]: So ist das!)

Die Unterbringung erfolgt ja gerade nicht in Anknüpfung an eine zuvor begangene Straftat

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Sondern?)

die ist abgeurteilt worden -, sondern in Anknüpfung an Tatsachen die die Gefährlichkeit des Täters erst während der Verbüßung der Straftat herausgestellt haben. Das ist die Lücke, die wir schließen müssen. Dabei geht es um diesen Gesetzentwurf.

(Beifall bei der CDU)

Das ist rechtsstaatlich auch nicht bedenklich.

Nach dem PsychKG werden Menschen untergebracht übrigens durch amtsrichterlichen Beschluss, nicht

durch Kammerbeschluss -, obwohl sie keine einzige Straftat begangen haben, sondern weil durch Gutachten ihre Gefährlichkeit aufgrund einer psychischen Erkrankung nachgewiesen ist. Genauso verfahren wir hier bei einem anderen Kreis von Personen, deren Gefährlichkeit sich aus ihrem Verhalten während der Strafhaft ergibt.

Wenn eine Therapie unter Zwang nicht hilft - das kann ja eintreten -, dann muss man in eine Gefährlichkeitsprognose eintreten. Wenn man der Überzeugung ist, dass eine Unterbringung nicht zu rechtfertigen ist, weil die Gefährlichkeit des Täters dafür nicht ausreicht, wird man entsprechende Anträge nicht stellen. Wenn man der Auffassung ist, dass der Täter so gefährlich ist, stellt man entsprechende Anträge und geht dann in ein rechtsstaatliches Anordnungsverfahren.

Mängel im Erkenntnisverfahren, Herr Kollege Kubikki, werden wir nie vollständig beheben können, auch wenn wir es wollen. Deshalb müssen wir eine Lücke, die gegenwärtig besteht, schließen, nämlich die, dass die Gefährlichkeit eines Täters sich manchmal eben nicht im Erkenntnisverfahren herausstellt, sondern erst während der Verbüßung der Haft. Dann muss der Staat ein Instrument in der Hand haben, um die Öffentlichkeit vor solchen Tätern schützen zu können. Darum geht es hier.

(Beifall bei der CDU - Zuruf des Abgeord- neten Wolfgang Kubicki [FDP])

Frau Kollegin Hinrichsen, ich habe angesichts der hohen rechtsstaatlichen Hürden keine Angst - das belegt auch die zurückhaltende Praxis der Anwendung des Gesetzes in Baden-Württemberg -, dass auch nur ein unschuldiger Straftäter durch ein solches Gesetz dauerhaft in Haft genommen wird. Aber ich habe die große Angst, dass dann, wenn wir dieses Gesetz nicht beschließen, Unschuldige zu Opfern schwerster Straftaten werden. Das gilt es zu verhindern, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der CDU - Glocke des Präsiden- ten)

- Ich komme zum Schluss, Herr Präsident.

Nun habe ich die große Hoffnung, angesichts des Beitrages des Kollegen Puls, dass die Sozialdemokraten hier im hohen Hause weiter sind als die kleineren Fraktionen. Wenn sich das im Verlaufe der Ausschussberatungen bestätigen sollte, könnten wir hier auch mit breiter Mehrheit beschließen. Ich freue mich jedenfalls auf die konstruktive Beratung mit Ihnen, Herr Kollege.

(Beifall bei der CDU)

Mir liegen noch mehrere Wortmeldungen zu Kurzbeiträgen vor. Ich erteile aber zunächst der Ministerin Lütkes das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt keine Zuständigkeit des Landesgesetzgebers wegen möglicher Schnelligkeit. Das führt nicht dazu, dass sich die Bundesverfassung ändert oder die Landesverfassung anders ist, Herr Abgeordneter.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Sie müssen jetzt den Namen nennen: Geißler!)

- Danke, Herr Kubicki.

Ich habe wirklich die Verpflichtung, darauf hinzuweisen: Sie sind für das, was Sie hier vorschlagen, nicht zuständig. Sie sind aus gutem Grund nicht zuständig. Der Gesetzentwurf zur Unterbringung, den Sie hier vorschlagen, ist aus meiner Sicht, wenn er denn Gesetz würde, verfassungswidrig.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, FDP und SSW)

Aus verfassungsrechtlichen Gründen gebietet es sich - danke schön; ich freue mich, dass wir uns in diesem Punkt einig sind, aber davon war ich überzeugt -, die Bundeskompetenz zu achten.

Richtig ist - das ist hier schon mehrfach diskutiert worden -, dass es in Einzelfällen ein Problem gibt. In den sehr seltenen Fällen, in denen sich im Rahmen des Strafvollzuges herausstellt, dass hochgefährliche Täter bei der Entlassung aus einer verbüßten Freiheitsstrafe eine Gefährlichkeit in sich bergen, möglicherweise zur Gefährdung für die Allgemeinheit werden und die Voraussetzungen einer Sicherungsverwahrung zum Zeitpunkt der Entlassung aus der Freiheitsstrafe erfüllen könnten. Aber - das ist hier schon mehrfach gesagt worden -: Das ist ein bundesweites und insbesondere ein bundesgesetzliches Problem, das nicht über ein Landesgesetz geregelt werden darf.

Damit hier kein Missverständnis entsteht: Natürlich bekennt sich die Landesregierung zu ihrer Verantwortung für den Schutz der Bevölkerung gerade vor gefährlichen Straftätern. Diese Verantwortung ist uns wohl bewusst. Wir haben deshalb in den vergangenen Diskussionen insbesondere auf der Ebene der Justizministerkonferenz die Debatte unterstützt, rechtsstaatlich mit dem Problem der möglichen nachträglichen Sicherungsverwahrung umzugehen. Bereits im letzten Mai habe ich auf der Justizministerkonferenz deutlich erklärt, dass Schleswig-Holstein einen Gesetzentwurf,

der die so genannte vorbehaltende Sicherungsverwahrung rechtsstaatlich korrekt formuliert, unterstützen würde, nicht aber eine nachträgliche Sicherungsverwahrung, die ohne ein Urteil des erkennenden Gerichts verhängt werden würde, wie es unter anderem vorgeschlagen wurde.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, FDP und SSW)

Es ist ganz entscheidend - deshalb unterstützen wir den Gesetzentwurf der Bundesregierung -, dass sich das erkennende Gericht, wie es eben gesagt worden ist, bei der Aufklärung des Sachverhaltes, der zur Aburteilung steht, nämlich des einen Sachverhaltes, der einen Tat, ausführlich mit den notwendigen Sanktionen beschäftigt und gegebenenfalls vorbehaltlich erklärt, dass möglicherweise eine Sicherungsverwahrung nach Verbüßung der Strafhaft oder nach Teilen der Strafhaft zu verhängen wäre.

Ich halte den Begriff des Vorbehalturteils, der dem Zivilrecht entnommen ist - obwohl es ihn im Strafrecht, § 59 und so weiter, auch gibt -, für etwas, das einer Problemlösung näher kommt. Richtig ist, dass man die vorliegenden Gesetzentwürfe - wir wissen, es gibt auch einen aus Hessen - sehr genau hinterfragen muss. Aus meiner Sicht muss eine solche Veränderung des Strafgesetzbuchs, und darum geht es, deutlich machen, dass die Zuständigkeit für eine solches Grundurteil - um es einmal so zu nennen - beim erkennenden Gericht liegen muss. Alle anderen Möglichkeiten, alle anderen Vorschläge halte ich - das wiederhole ich - für verfassungswidrig. Es führt zu dem hier bereits erwähnten Verstoß gegen den Grundsatz „ne bis in idem“, nicht zweimal für das Gleiche. Das ist eine ganz grundsätzliche Regelung unseres Gesetzes, unserer Verfassung.

(Thorsten Geißler [CDU]: Das wird wider besseres Wissen behauptet!)

Herr Geißler, so, wie Sie Ihren Gesetzentwurf formuliert haben, erweckt es den Eindruck, dass er möglicherweise etwas mehr in die Gefahrenabwehr hinein tendiert und als Polizeirecht daherkommt.