Protocol of the Session on March 20, 2002

Gesetzentwurf der Fraktion der CDU Drucksache 15/1667

Das Wort zur Begründung wird nicht gewünscht. Ich eröffne die Grundsatzberatung und erteile das Wort Herrn Abgeordneten Geißler.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Herbst des Jahres 2000 wurde in BadenWürttemberg der Straftäter Daniel Z. aus der Haft entlassen, nachdem er zuvor -

(Unruhe - einige Abgeordnete verlassen den Saal)

Ich bitte um etwas mehr Ruhe und etwas weniger Geräusch bei Verlassen des Saales.

Ich glaube, ich fange noch einmal an, Herr Präsident.

Meine Damen und Herren, im Herbst des Jahres 2000 wurde in Baden-Württemberg der Straftäter Daniel Z. aus der Haft entlassen, nachdem er zuvor wegen einer brutalen Vergewaltigung eine achtjährige Haftstrafe verbüßt hatte. Im Laufe seiner Haft war Mitgefangenen, dem Wachpersonal und den Sozialarbeitern klar geworden: Der ist gefährlich! Die Staatsanwaltschaft war sich fast sicher: Der wird rückfällig! Doch tun konnte sie nichts. Der Ersttäter Z. hatte seine Strafe verbüßt. Sicherungsverwahrung konnte nicht angeordnet werden, also öffneten sich die Gefängnistore. Z. kam frei. Innerhalb einer Woche vergewaltigte er drei Frauen und überfiel ein Juweliergeschäft.

„So etwas darf nicht wieder vorkommen“, sagte der der FDP angehörende baden-württembergische Justizminister Goll und entschloss sich, energisch gegen die Schwächen der bestehenden Gesetze vorzugehen. Er legte im Landtag von Baden-Württemberg einen Entwurf für ein Straftäter-Unterbringungsgesetz vor, mit dem die Möglichkeit der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung bei besonders gefährlichen rückfallgefährdeten Straftätern geschaffen wurde. Im Februar 2001 wurde das Gesetz vom Landtag beschlossen.

(Thorsten Geißler)

Meine Damen und Herren, für mich steht fest, FDPJustizminister Goll hat richtig gehandelt.

(Beifall bei der CDU)

Er ist nicht nur ein kompetenter Minister, er hat auch erkannt, dass sich eine liberale Gesellschaft nur dann verwirklichen lässt, wenn die Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger wirksam vor jenen geschützt werden, die entschlossen sind, schwerste Straftaten zu begehen.

Auch in Schleswig-Holstein haben wir Anlass, die bestehende Sicherheitslücke zu schließen, um den Schutz der Allgemeinheit vor hochgefährlichen Straftätern zu verbessern. Daher legt Ihnen meine Fraktion heute einen Gesetzentwurf zur Unterbringung von besonders rückfallgefährdeten und hochgefährlichen Straftätern vor. Die bestehende Gesetzeslage ist unbefriedigend. Bei einem kleinen Teil von Rückfalltätern lässt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit vorhersehen, dass sie nach ihrer Haftentlassung erneut schwerste Straftaten begehen werden. Manche drohen, nach der Strafverbüßung neue Straftaten zu begehen, um sich an einzelnen Personen oder an der Gesellschaft zu rächen. Andere kündigen weiterhin - obgleich HIV-positiv oder AIDS-krank - ungeschützte sexuelle Kontakte mit Frauen, Männern oder Kindern an. Auch kann sich die Gefährlichkeit daraus ergeben, dass zu zeitiger Freiheitsstrafe Verurteilte im Vollzug - obgleich in hohem Maße rückfallgefährdet - beharrlich die Mitwirkung am Erreichen des Vollzugsziels verweigern. Sie lehnen insbesondere eine rückfallvermeidende Sozial- oder Psychotherapie entschieden ab oder brechen sie aus nicht nachvollziehbaren Gründen ab.

(Unruhe)

In solchen Fällen wird die Justizvollzugsanstalt keinen offenen Vollzug, keine Vollzugslockerungen und keinen Hafturlaub gewähren. Die Strafvollstreckungskammer wird eine Strafrestaussetzung ablehnen, sodass der Gefangene die zeitige Freiheitsstrafe bis zum Strafende im geschlossenen Vollzug verbüßen muss. Freiheitsentziehende Maßnahmen der Besserung und Sicherung - vor allem die Sicherungsverwahrung - sind oft nicht angeordnet, weil zum Zeitpunkt des Urteils die Gefährlichkeit des Täters noch nicht sichtbar war. Eine nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung sieht das derzeit geltende Bundesrecht nicht vor. Eine landesrechtliche Unterbringung in einem Krankenhaus greift nur dann, wenn der Betroffene psychisch krank ist. Es bleibt daher bislang bei Straftätern, die nicht im Sinne des Psychisch-KrankenGesetzes psychisch krank sind, nur die Haftentlassung, unter Umständen mit der in solchen Fällen nicht ausreichenden ambulanten Führungsaufsicht.

Hinzu kommt, dass die Gefangenen diese Gesetzeslücke kennen. Sie können daher eine rückfallvermeidende Sozial- oder Psychotherapie verweigern, ohne ihre Entlassung nach dem Strafende zu gefährden. Dies schwächt die Wiedereingliederungsbemühungen im Strafvollzug -

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Herr Abgeordneter, einen Moment bitte. Meine Damen und Herren, der Geräuschpegel ist eindeutig zu hoch!

Danke sehr, Herr Präsident! Dies schwächt die Wiedereingliederungsbemühungen im Strafvollzug, demotiviert die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Justizvollzug und wirkt sich negativ auf resozialisierungsbereite Gefangene aus. Alle Bemühungen um eine Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung im Strafrecht sind bisher gescheitert. Der Bundesrat hat mit Stimmenmehrheit mehrfach die Einbringung eines entsprechenden Gesetzentwurfs in den Bundestag abgelehnt. Teilweise wurden - aus auch aus unserer Sicht unbegründeten rechtsstaatlichen Bedenken - Mehrheiten verweigert. Teilweise verwies die derzeit amtierende Bundesregierung die Bundesländer darauf, ihre Regelungskompetenz für die Gefahrenabwehr im Sinne einer vorbeugenden Verbrechensbekämpfung auszuschöpfen. Dies haben dann auch BadenWürttemberg und kurz darauf Bayern getan. Andere Bundesländer wollen folgen. Auch wir ergreifen mit unserem Gesetzentwurf für unser Bundesland die Initiative.

Dies ist auch weiterhin angebracht, obwohl ich nicht verkenne, dass auf Bundesebene Bewegung ins Spiel gekommen ist. CDU/CSU und FDP haben immer wieder eine bundesrechtliche Regelung über die Möglichkeit der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung angemahnt. Ich nenne hier den besonders nachlesenswerten Beitrag des FDP-Abgeordneten Jörg van Essen aus der Plenardebatte des Deutschen Bundestags vom 21. Februar dieses Jahres. Unter Berufung auf den ebenfalls der FDP angehörenden Justizminister Goll hat er zu Recht darauf hingewiesen, dass es doch nicht angehen könne, dass man, wenn alle Spezialisten und alle Experten, die sich mit einem Strafgefangenen befassen, vorhersagen, dass der zur Entlassung anstehende Straftäter wieder schwerste Straftaten begehen wird, nicht prüfen kann, ob die nachträgliche Sicherungsverwahrung dieses Straftäters

(Thorsten Geißler)

zum Schutze von Opfern ergriffen werden muss. Jörg van Essen hat Recht.

(Beifall bei der CDU)

Nachdem der Bundeskanzler im vergangenen Sommer schon markige Worte gefunden hatte, hat nun auch die Bundesregierung ihre rechtsstaatlichen Bedenken über Bord geworfen und am 13. März einen Gesetzentwurf zur nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung beschlossen. Dieser Entwurf ist aber mängelbehaftet, weil er zum einen die so genannten Altfälle nicht erfasst und zum anderen keine Regelung für diejenigen Straftäter trifft, bei denen sich die Gefährlichkeit erst im Verlauf des Vollzugs herausstellt, bei denen aber keine - nach dem Gesetzentwurf nunmehr mögliche - Anordnung der Sicherungsverwahrung unter Vorbehalt erfolgte.

Ich teile auch nicht den Optimismus des FDPAbgeordneten Jörg van Essen, der in der genannten Bundestagsdebatte erklärte, er hoffe im Interesse der Personen, die nicht Opfer werden, weil jemand in Sicherungsverwahrung genommen wird und darum eine Untat nicht begehen kann, dass der Bundesgesetzgeber schnell zu einer vernünftigen Lösung kommen werde. Es wäre wünschenswert, dass die FDP hier Recht behielte. Das wird aber nicht der Fall sein, denn die Legislaturperiode des Bundestags ist fast zu Ende. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung wird der Diskontinuität zum Opfer fallen. Er ist aus meiner Sicht nicht mehr als ein Wahlkampftrick, mit dem von jahrelangen Versäumnissen abgelenkt werden soll.

(Beifall bei der CDU)

Weil auch die neue Bundesregierung im Anschluss an die Bundestagswahl an Anhörfristen gebunden sein wird, ist mit einer kurzfristigen bundesrechtlichen Regelung nicht zu rechnen. Daher muss auch in Schleswig-Holstein der Landesgesetzgeber tätig werden.

Der Kreis derjenigen, die von diesem Gesetz betroffen sein werden, ist glücklicherweise nicht groß. In BadenWürttemberg sind derzeit zwei Fälle in der gerichtlichen Überprüfung. Ein dritter Fall soll in Kürze folgen. Nach Einschätzung der damit befassten Experten sind es aber schwerste Gefahren, die von diesen Straftätern ausgehen. Daher ist eine gesetzliche Regelung erforderlich. Diejenigen, die sich in unserem Land mit dem Justizvollzug befassen, wissen im Übrigen, dass die Struktur unserer Gefangenschaft immer problematischer wird und dass sich das Gewalt- und Aggressionspotenzial erhöht hat, sodass auch diese Landesregierung unserer Forderung nach Einrichtung einer Hochsicherheitsabteilung für besonders gefährliche

Straftäter nunmehr Rechnung tragen will. Das begrüßen wir ausdrücklich.

(Beifall bei der CDU)

Gestatten Sie einige Anmerkungen zu den einzelnen Regelungen unseres Gesetzentwurfes: Die von uns vorgesehenen Zuständigkeitsund Verfahrensvorschriften sichern ein rechtsstaatliches und faires Anordnungsverfahren. Die zwingende Beiordnung eines Rechtsanwalts und das Kammerprinzip zählen ebenso dazu wie die Vorschrift, dass das Gericht zur Gefährlichkeit des Gefangenen mindestens zwei Gutachten einzuholen hat, wobei einer der Sachverständigen weder mit der Behandlung des Gefangenen befasst sein darf noch regelmäßig in einer Justizvollzugsanstalt beschäftigt sein darf. Der Beschluss des Gerichts ist zu begründen. Er ist rechtsmittelfähig und er ist auf Antrag des Betroffenen jederzeit, unter bestimmten Umständen zumindest jährlich, zu überprüfen.

Der bayerische Landtag hat am 12. Dezember vergangenen Jahres ein entsprechendes Gesetz beschlossen. Der Sprecher der SPD-Fraktion, der Abgeordnete Dr. Jung, erklärte dazu in der Plenardebatte:

„Die übergroße Mehrheit der SPD-Fraktion wird dem Gesetzentwurf zustimmen. Auch wir haben erkannt, dass hier eine Lücke besteht, die zwar nicht viele Fälle betrifft, aber durchaus Fälle, die sehr dramatisch sind. Ich bin davon überzeugt, dass es Fälle gibt, bei denen der Richter nicht von vornherein die Gefährlichkeit eines Täters richtig einschätzen kann, weil sich die Gefährlichkeit eines Täters erst während der Haftzeit herausstellt. In solchen Fällen ist es vernünftig, dass der Staat noch einmal eingreifen kann, um die Bevölkerung vor solchen Straftätern wirksam und effektiv zu schützen.“

Soweit der Abgeordnete Dr. Jung.

(Beifall bei der CDU - Klaus Schlie [CDU]: Guter Mann!)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion: Wenn Sie hier im hohen Hause von ähnlicher Einsichtsfähigkeit geprägt sind wie die bayerischen Sozialdemokraten und wenn die Kolleginnen und Kollegen der FDP-Fraktion - sofern sie es nicht längst getan haben -

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Nein!)

- Das wäre schade, dann müssen Sie es nachholen, Herr Kollege Kubicki!

(Beifall bei der CDU)

(Thorsten Geißler)

Wenn Sie ihren Sachverstand noch einmal im Gespräch mit Ihren Parteifreunden in Baden-Württemberg oder mit dem sehr geschätztem Justizminister der FDP, Goll, oder auch im Gespräch mit Ihren Kolleginnen und Kollegen im Deutschen Bundestag geschärft haben, kann unser Gesetzentwurf mit breiter Mehrheit beschlossen werden.

(Beifall bei der CDU)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Puls das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sicher ist es unser gemeinsames Ziel, die Bevölkerung vor gefährlichen Verbrechen und vor gefährlichen Verbrechern bestmöglichst zu schützen. Die CDU-Landtagsfraktion will mit ihrem Gesetzentwurf den Schutz der Allgemeinheit vor solchen Straftätern verbessern. Für die SPD-Landtagsfraktion will ich hier erklären: Wenn mit einem Landesgesetz zur Unterbringung von besonders rückfallgefährdeten und hochgefährlichen Straftätern auch nur ein einziges Sexualverbrechen oder ein anderes schweres Verbrechen verhindert werden kann, dann sollten wir dieses Landesgesetz machen.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Die Rechtslage ist vom Kollegen Geißler zutreffend beschrieben worden. Seit 1998 kann die Sicherungsverwahrung bereits nach der ersten Rückfalltat zeitlich unbeschränkt neben der Freiheitsstrafe angeordnet werden. Diesen Ausspruch treffen die Gerichte, wenn die künftige Gefährlichkeit des Straftäters für sie bereits zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung mit der erforderlichen Sicherheit feststeht. Genau darin liegt aber auch die Lücke in der bisherigen gesetzlichen Regelung, die uns Herr Geißler zutreffend erklärt hat, denn bislang ist die seltene Konstellation, dass sich die künftige Gefährlichkeit erst aus den Erfahrungen ergibt, die mit dem Straftäter während des Vollzugs der Freiheitsstrafe gemacht werden, nicht geregelt.

(Thorsten Geißler [CDU]: Sehr richtig!)

Hier besteht die Möglichkeit, dass ein hochgefährlicher Straftäter nach Verbüßung seiner Freiheitsstrafe entlassen wird. Durch eine Neuregelung könnte in der Tat auch diese Möglichkeit ausgeschlossen werden.

(Beifall des Abgeordneten Thorsten Geißler [CDU])

Herr Kollege Geißler, nun schreiben Sie in Ihren Gesetzentwurf allerdings auch hinein - Sie sind darauf auch in Ihrer Rede eben eingegangen -, vorzugswürdig

wäre eine bundesweite Regelung für eine nachträglich angeordnete Sicherungsverwahrung. Sie sagen in Ihrem Gesetzentwurf weiter: Ein Tätigwerden des Bundesgesetzgebers sei trotz gegenteiliger Ankündigungen zweifelhaft. Deshalb müsse eine landesrechtliche Regelung her.