Protocol of the Session on February 21, 2002

Wer so beschließen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? Dann haben wir einstimmig so beschlossen.

Ich unterbreche die Sitzung bis 15:00 Uhr.

(Unterbrechung: 13:25 bis 15:01 Uhr)

Meine Damen und Herren, die Sitzung ist wieder eröffnet. Bevor wir in der Tagesordnung fortfahren, bitte ich Sie, sich von Ihren Plätzen zu erheben.

Am 19. Februar starb im Alter von 88 Jahren der ehemalige Landtagsabgeordnete und Minister des Landes Schleswig-Holstein Otto Eisenmann. Herr Otto Eisenmann hat den Schleswig-Holsteinischen Landtag in den Jahren 1954 bis 1957 als Abgeordneter des SHB sowie in den Jahren 1967 bis 1968 als Abgeordneter der FDP angehört. Überdies gehörte Herr Eisenmann der Landesregierung von 1967 bis 1969 als Minister für Arbeit, Soziales und Vertriebene an. Die hohe Sachkompetenz, Fairness und Integrität Herrn Eisenmanns haben allseits Anerkennung und Respekt in der

(Präsident Heinz-Werner Arens)

Politik und bei den Bürgerinnen und Bürgern erfahren. Wir trauern um einen Mann, der sich um das Land Schleswig-Holstein in hohem Maße verdient gemacht hat.

Sie haben sich zu Ehren des Verstorbenen erhoben. Ich danke Ihnen.

Meine Damen und Herren, bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe, möchte ich Gäste begrüßen. Auf der Besuchertribüne haben sich Schülerinnen und Schüler und Lehrkräften der Heinrich-HertzRealschule Quickborn und Mitglieder des Landfrauenvereins Schmalfeld eingefunden. - Herzlich willkommen!

(Beifall)

Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 19 auf:

NPD-Verbotsverfahren

Antrag der Fraktion der FDP Drucksache 15/1571

Das Wort zur Begründung wird nicht gewünscht. Ich eröffne die Aussprache und erteile Herrn Abgeordneten Kubicki das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Anfang des NPD-Verbotsverfahrens stand der gut gemeinte Kampf gegen rechte Gewalt. In den Sommermonaten des Jahres 2000 fanden mehrere schwere Verbrechen mit nachgewiesenem oder vermutetem rechtsextremistischen Hintergrund statt: Mitte Juni 2000 der Mord an einem mosambiquanischen Staatsbürger in Dessau, im Juli 2000 der Brandanschlag auf ein Asylbewerberheim in Ludwigshafen und im August 2000 der bis heute unaufgeklärte Rohrbombenanschlag auf eine Gruppe jüdischer Emigranten aus Düsseldorf.

Aufgrund der daraus resultierenden öffentlichen Erregung ergriff am 5. August 2000 Innenminister Beckstein aus Bayern die Initiative und schlug ein Verbot der NPD vor.

Zunächst waren die Reaktionen von Innenminister Schily zurückhaltend. Er sah die Gefahr, dass sich die NPD-Anhänger durch ein Verbot im Untergrund radikalisieren könnten. Diese Gefahr schätzte er zunächst höher ein als die Gefahren, die von einer militanten, aber geduldeten NPD ausgingen. Er gestand im Bundestag ein, dass die Erkenntnisse des Bundesamtes für Verfassungsschutz über die Umtriebe der NPD äußerst lückenhaft seien. Aber alles, was gut gemeint ist, muss auf den Weg gebracht werden.

Insbesondere der moralische Druck, nicht zurückstehen zu wollen, das Gesicht gegenüber dem Ausland wahren zu wollen, und innenpolitische Beweggründe nach der Devise: „Wer grenzt sich am stärksten von Rechts ab“, bestimmten die Szene. Diejenigen, die bereits damals vor einem NPD-Verbotsverfahren warnten und dies politisch und juristisch begründeten, setzten sich der Gefahr aus, als Unterstützer oder Wegbereiter des Bösen gebrandmarkt zu werden.

Aus heutiger Sicht gibt es kaum noch rationale Gründe, das NPD-Verbotsverfahren jedenfalls auf der Grundlage der gestellten Anträge aufrechtzuerhalten. Seine Fortsetzung wird darüber hinaus politisch äußerst gefährlich.

(Beifall bei FDP und SSW)

Zu den juristischen Fragen nur Folgendes! Es besteht in diesem Hause mit Sicherheit Einigkeit darüber, dass die NPD verfassungsfeindlich ist, dass sie in ihrer ganzen weltanschaulichen Untermauerung unser Gemeinwesen so zu organisieren trachtet, dass es mit der Achtung der Menschenwürde, der Menschenrechte und einer offenen, toleranten und rationalen Gesellschaft nicht mehr in Übereinstimmung zu bringen ist. Aber verfassungsfeindlich ist nicht per se verfassungswidrig.

In einer parlamentarischen Demokratie, in der die Parteien als Organisationsformen des politischen Willens eines ihrer Begründungselemente sind, ist ein Parteiverbot ein Widerspruch in sich. Lediglich die Erfahrungen Deutschlands mit der Weimarer Republik und dem daran anschließenden Nationalsozialismus haben von Verfassungs wegen für das Bundesverfassungsgericht - und nur für dieses - die Möglichkeit eröffnet, Parteien für verfassungswidrig zu erklären, die nicht nur verfassungsfeindliche Ziele verfolgen, sondern darüber hinaus - so hat es das Bundesverfassungsgericht judiziert - aktiv, kämpferisch die freiheitlich-demokratische Grundordnung beeinträchtigen.

Seit den beiden Parteiverbotsverfahren in den 50erJahren des letzten Jahrhunderts hat sich verfassungsrechtlich immer stärker der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als verfassungsgemäßes Interpretationsprinzip herausgebildet, nach der eine anzuordnende staatliche Maßnahme geeignet und erforderlich sein muss, um eine bestehende Gefahr abzuwenden. Um es zu übersetzen: Je stärker die parlamentarische Demokratie in Deutschland gefestigt ist, je weiter wir vom Ende des Nationalsozialismus entfernt sind, desto höher müssen die Anforderungen an die Kriterien eines Parteiverbotes sein, um dieses als Ultima Ratio rechtfertigen zu können.

(Wolfgang Kubicki)

Welche Gefahr für den Bestand der freiheitlichdemokratischen Grundordnung geht von der NPD eigentlich aus? - Schauen wir auf Wahlen, dann offensichtlich keine, denn bei Wahlen erreicht sie zwischen 0 und 1 %.

Die NPD ist - so wird unwidersprochen vorgetragen mit mehr als 100 V-Leuten in Führungsgremien der Partei durchsetzt, sodass den staatlichen Organen nichts, aber auch gar nichts hinsichtlich der politischen Ausrichtung und Planung entgehen kann. Ein jederzeitiges - auch strafrechtliches - Eingreifen ist gewährleistet.

Ich werde das Gefühl nicht los, als wolle der Staat hier eine politische Mücke mit einer Haubitze bekämpfen, damit sich politische Kräfte dieses Landes selbst oder anderen versichern können, mit welcher Entschlossenheit und Stärke der Kampf gegen Rechts geführt wird.

Politisch hat uns das gesamte Verfahren bereits jetzt in eine Situation gebracht, die an Peinlichkeit kaum zu überbieten ist.

(Beifall bei FDP und SSW)

Unser Gemeinwesen gibt sich der Lächerlichkeit preis und verschafft der NPD und ihren Protagonisten eine Bühne, die sie im normalen Leben nie erhalten hätten. Die Affäre um die V-Leute, von denen es zunächst keinen und jetzt zehn gibt, auf deren unmittelbare Aussagen in den Antragsschriften Bezug genommen wird, hat zu einer innenpolitischen Krise geführt. Nicht mehr das NPD-Verbotsverfahren steht im Vordergrund der öffentlichen Diskussion, sondern die Arbeit und mangelnde Kontrolle unserer Geheimdienste.

Es handelt sich dabei keinesfalls nur um Informanten, die nicht in Führungsfunktionen sitzen. Man wird schwerlich argumentieren können, dass Mitglieder des Bundesvorstandes einer Partei, Landesvorsitzende und deren Stellvertreter, die über Jahre oder Jahrzehnte mit beachtlichen Summen finanziert wurden, keine Führungspersönlichkeiten innerhalb der NPD sind.

Das Mitglied des Bundesvorstandes der Deutschen Polizeigewerkschaft Dieter Berberich hat die deutsche Öffentlichkeit mit bisher unwidersprochen gebliebenen Erklärungen konfrontiert: Es habe NPD-Versammlungen gegeben, in denen die Mehrzahl der Anwesenden V-Leute gewesen seien; einige der auch in den Verbotsanträgen zitierten Passagen aus Reden von NPD-Funktionären seien von Beamten des Verfassungsschutzes geschrieben worden, weil NPD-Funktionäre damit intellektuell überfordert gewesen seien, und in vielen Bundesländern sei die NPD in den letzten Jahren massiv und gezielt mit jungen Beamten aus der Bereitschaftspolizei unterwandert worden, die

auch verfassungsfeindliche Symbole in Umlauf gebracht hätten, um sie anschließend wieder einzusammeln und als Beweise zu verwenden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, in allem Ernst, muss sich eine Partei Ansichten, Reden oder Aktionen in einem Parteiverbotsverfahren zurechnen lassen, die von Staats wegen in dieser Form organisiert wurden? Hat ein Staat überhaupt einen Anspruch darauf, sich auf Zeugen und Beweismittel zu stützen, die er selbst geschaffen hat? Ich will die Frage gar nicht beantwortet haben. Mir reicht es, wenn Sie alle dabei ein mulmiges Gefühl haben.

(Beifall der Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug [FDP], Günther Hildebrand [FDP] und Lars Harms [SSW])

Aber ich will deutlich machen, dass das NPDVerbotsverfahren bereits jetzt erheblichen Schaden im Verhältnis der Demokraten zueinander angerichtet hat. Und ich sage Ihnen voraus, das wird sich noch verstärken, je länger das Verbotsverfahren mit noch weiteren peinlichen Enthüllungen andauert, die auf die Sicherheitsorgane unseres Staates zurückfallen werden.

Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD im Deutschen Bundestag Stiegler hat sich zu der Aussage verstiegen, Vorläuferparteien von CDU und FDP hätten an der Machtergreifung Hitlers mitgewirkt und deshalb eine besondere Verantwortung, den Anfängen - welchen auch immer - besonders zu wehren. Diese Äußerungen von Herrn Stiegler sind in einer freiheitlichen Demokratie mit Meinungsfreiheit legitim, wenn auch dumm und unhistorisch.

(Beifall bei FDP und CDU sowie des Abge- ordneten Lars Harms [SSW])

Niemand würde doch ernsthaft behaupten wollen, die SPD hätte eine Mitschuld an Mauerbau und Stacheldraht sowie den vielen Toten, weil sie sich nach dem Krieg mit der KPD zur SED, jetzt PDS, vereinigt hatte. Dass aber Herr Stiegler mit der Erklärung fortfährt, man solle nicht so zimperlich mit dem Rechtsstaat sein, unterscheidet ihn in meinen Augen kaum noch von denjenigen, die er zu verbieten trachtet.

(Beifall bei der FDP)

Nicht so zimperlich sein mit dem Rechtsstaat ist der Beginn jeder Willkür. Diesen Anfängen müssen wir wehren.

(Beifall bei der FDP)

Gerade in einem Verbotsverfahren mit den Feinden des Rechtsstaates muss der Rechtsstaat, müssen wir die Regeln, die wir für allgemein verbindlich erklärt haben, penibel und sorgfältig einhalten. Denn sonst

(Wolfgang Kubicki)

wird uns die Grundlage und die Berechtigung entzogen, über die Feinde der Freiheit zu richten. Und eben diese Grundlagen des Rechtsstaates, der Anspruch auf ein faires Verfahren, der Anspruch darauf, dass Beweismittel nicht getürkt, produziert und auch nicht unrechtmäßig erworben werden dürfen, um sie verdeckt oder offen zu verwenden, müssen auch und gerade gegenüber denjenigen gelten, die diesen Rechtsstaat bekämpfen. Das gilt für Strafverfahren, das gilt in besonderer Weise aber auch für Parteiverbotsverfahren.

Es wäre eine erneute Bestätigung unserer verfassungsmäßigen Ordnung und der vom Verfassungsgericht verteidigten rechtsstaatlichen Prinzipien, wenn die Antragsteller in dem Parteiverbotsverfahren hierauf durch das Bundesverfassungsgericht in einem ablehnenden Urteil hingewiesen würden. Aber dies wäre eine schwere Schlappe für die antragstellenden Verfassungsorgane, denen damit gleichzeitig bescheinigt würde, dass der Rechtsstaat bei ihnen nicht in guten Händen ist. Angesichts der vielen Unzulänglichkeiten, der kaum noch zu ertragenden Peinlichkeiten sollten wir als aufrechte Demokraten das absehbar hohe Risiko ausschließen, das in dem anhängigen Verfahren liegt. Wir sollten den Mut haben, die Anträge zurückzunehmen - und wir sollten ihn jetzt haben, bevor es zu spät ist.

(Anhaltender Beifall bei der FDP)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Rother das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In dieser Plenartagung beschäftigt uns ein FDP-Antrag zum Thema Rechtsextremismus. Die ständige Beschäftigung mit diesem Thema hat Herr Kubicki ja putzigerweise in der vergangenen Tagung, vor vier Wochen, in diesem Haus noch beklagt. Von daher ist es schon ein bisschen seltsam. Weiter sollte man auch auf seine eigene Wortwahl achten, Herr Kubicki. Sie haben Herrn Stiegler eine falsche Wortwahl vorgeworfen. Ich teile da sogar Ihre Ansicht, auch ich halte seine Aussage für ahistorisch, das stimmt ganz einfach nicht. Aber man sollte nicht im gleichen Wortbeitrag hier sagen, dass Beweismittel „getürkt“ worden seien. Ich möchte nicht wissen, was dann „gedeutschte“ Beweismittel sind.

(Beifall bei der SPD und des Abgeordneten Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Aber nun zur Sache: Durch die letzten zehn Jahre der Geschichte unserer Republik zieht sich eine Blutspur, eine Blutspur, deren Ursache die Gewalt von Rechts außen ist. Genau darüber haben wir in den letzten Tagungen auch zu Recht geredet. Genau das hat Herr Kubicki auch zu Recht eingangs seiner Rede betont. Nun gibt es keine rechtsextreme braune Armeefraktion oder so etwas, die organisiert Gewalttaten begeht. Diese Taten geschehen oft spontan und unvorbereitet. Und vielleicht auch deshalb geschehen sie mit brutaler Härte. Allen diesen Taten gemeinsam ist ein ähnlicher ideologischer Hintergrund. Dieser Ideologiebedarf wird aus verschiedenen Quellen des rechtsextremen Spektrums gespeist.