Protocol of the Session on February 21, 2002

Der Anteil der Arbeitslosen an allen Leistungsempfängern der Bundesanstalt für Arbeit, die Arbeitslosenhilfe erhalten, beträgt in Westdeutschland 44,4 % und in den neuen Bundesländern 48,2 %. Die Kommunen wären von Leistungseinschnitten bei der Arbeitslosenhilfe stark betroffen, weil dieser Personenkreis nahezu unmittelbar auf die Sozialhilfe zurückgreifen müsste. Deshalb muss man sich bei der Arbeitslosenhilfe und der Sozialhilfe aufeinander zubewegen. Aber es muss ein Weg gefunden werden, der nicht dazu führt, dass Arbeitlosenhilfeempfänger und ihre Familien automatisch mit Kürzungen in eine Armutsspirale getrieben werden

(Vereinzelter Beifall bei der SPD und Beifall beim SSW)

und die finanziellen Lasten über die Sozialhilfe auf die Kommunen übertragen werden, in Schleswig-Holstein übrigens mit einer Landesbeteiligung von 39 %.

Es bleibt festzuhalten: Der jetzt aufgedeckte Missstand hat den Ruf der Arbeitsverwaltung erheblich geschädigt. In ihrer wichtigsten Kernkompetenz, der Vermittlung, besteht ein ernsthafter Grund für die Annahme erheblicher Mängel. Hier gilt es, neues Vertrauen zu gewinnen. In diesem Prozess wird auch über die Struktur und Dienstleistungsorientierung sowie den Namen der Arbeitsvermittlung offen zu diskutieren sein. Ob dabei am Ende ein Job-Center, eine Personalagentur oder eine Dienstleistungsagentur herauskommt, ist gleich. Völlig klar ist aber, dass am Ende des Beratungsprozesses eine neue Organisation mit Qualität bei der Arbeitsvermittlung und der Betreuung von Arbeitslosen mit neuem Namen und neuer Identität stehen muss.

Die Anträge der FDP und den Änderungsantrag der Fraktion der CDU wollen wir in den Sozialausschuss überweisen und dort mit der Diskussion die notwendigen Reformschritte der Bundesanstalt für Arbeit begleiten.

(Beifall bei SPD und SSW)

Ich erteile dem Herrn Abgeordneten Geerdts das Wort.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die vom Bundesrechnungshof aufgedeckten Mängel bei der Bundesanstalt für Arbeit belegen überdeutlich, dass die politisch Verantwortlichen einen Handlungsbedarf nicht erkannt haben und untätig geblieben sind. Angesichts von 4,3 Millionen Arbeitslosen - um die geht es in dieser Debatte wirklich - ist ein solches Versäumnis skandalös.

(Beifall bei CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Es zeigt sich immer deutlicher, dass Bundesarbeitsminister Riester nur ein geringes Interesse zeigt, Konsequenzen aus den skandalösen Vorkommnissen in der Bundesanstalt für Arbeit zu ziehen.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU - Günter Neugebauer [SPD]: Oh!)

Statt sich um die Aufklärung der Missstände zu kümmern, duckt sich Riester lieber hinter dem Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit weg, um ja nicht in eine weitere Schusslinie zu geraten.

(Beifall bei der CDU)

Es geht jetzt darum, dafür zu sorgen, dass die bekanntgewordenen Mängel umgehend beseitigt werden. Dazu brauchen wir eine umfassende Reform der Arbeitsverwaltung. Die CDU-Landtagsfraktion legt dazu heute einen Antrag vor. Die öffentliche Arbeitsverwaltung mit den Aufgaben Vermittlung von Arbeitsplätzen, Qualifizierung von Arbeitssuchenden und präventiver Bekämpfung von Arbeitslosigkeit soll bestehen bleiben. Tabula rasa, wie es die FDP vorschlägt, werden wir nicht mitmachen.

(Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Unser Ziel ist es aber, die Bundesanstalt für Arbeit zum einen deutlich zu verschlanken, sie unbürokratischer zu gestalten, kundenorientierter auszulegen und sie zu einem effizienten Dienstleister für Arbeitslose, Arbeitnehmer und Arbeitgeber gleichermaßen fortzuentwickeln.

(Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Um dieses Ziel zu erreichen, werden wir einen Zeitraum von mehr als einer Wahlperiode benötigen. Umso wichtiger ist es, dass wir damit jetzt anfangen. Da

(Torsten Geerdts)

her finde ich es gut, dass wir die heutige Debatte führen.

(Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Anke Spoorendonk [SSW])

Ein Bauernopfer Jagoda reicht allerdings insgesamt nicht aus. Wir brauchen eine Reorganisation der Bundesanstalt für Arbeit. Vermitteln muss Vorrang vor Verwalten haben.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW sowie vereinzelt bei der CDU)

Daher müssen wir uns auf die Kernaufgaben konzentrieren und die Bundesanstalt für Arbeit von sachfremden Aufgaben entlasten. Diese Behörde hat aus unserer Sicht folgende Kernaufgaben: Arbeitslose auf offene Stellen vermitteln, Arbeitslose aktivieren und die Arbeitslosenversicherung durchführen. Die Bundesanstalt für Arbeit muss beispielsweise von Aufgaben, wie der Durchführung des steuerlichen Familienlastenausgleichs und des Kindergeldgesetzes befreit werden. Auch das gehört zu einer ehrlichen Debatte dazu.

(Beifall bei CDU und SSW sowie der Abge- ordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wir müssen uns überlegen, ob es richtig ist, bei der Bundesanstalt für Arbeit Kontrollfunktionen zur Bekämpfung der Schwarzarbeit anzusiedeln und gleichzeitig zu sagen, da sei zu viel Personal. Wir müssen dann auch Beispiele dafür nennen, wo wir ausgliedern können.

(Beifall bei der CDU und der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN])

Die in der Arbeitsvermittlung tätigen Mitarbeiter haben die problematische Aufgabe, eine passgenaue persönliche Beratung zu leisten und individuelle Anforderungsprofile zu erstellen. Diese Aufgabe kann überhaupt nicht zufriedenstellend erfüllt werden, wenn ein einzelner Arbeitsvermittler bis zu 1.000 Arbeitslose zu betreuen hat. Das aber ist zurzeit die Realität.

(Beifall bei CDU und FDP)

Wir müssen durch die Konzentration auf Kernaufgaben und die Verschlankung der Strukturen dazu kommen, einen deutlich größeren Teil der über 90.000 bei der Bundesanstalt für Arbeit Beschäftigten für direkte Vermittlungstätigkeit einzusetzen. Wir formulieren es ziemlich deutlich: Wir wollen die Zahl der derzeit 8.500 Arbeitsvermittler auf mindestens 20.000 Arbeitsvermittler aufstocken, damit die Kernaufgabe

auch wahrgenommen werden kann. In Dänemark - das habe ich gestern von der Kollegin Hinrichsen erfahren - sind 60 % der Mitarbeiter der Arbeitsämter in der Vermittlung tätig. Das ist ein vernünftiger Ansatz. Von daher sagt die CDU, daran müssen wir uns auch orientieren.

(Beifall bei CDU und SSW und des Abge- ordneten Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ich bin allerdings auch der Überzeugung, dass man durch eine deutliche Aufgabenreduzierung zu einer Personalreduzierung bei der Bundesanstalt für Arbeit kommen muss. Der Tanker Bundesanstalt für Arbeit ist zu behäbig geworden und kann nicht schnell genug auf Probleme reagieren.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Wenn die Arbeitsmarktpolitik in Deutschland erfolgreicher sein soll, müssen wir sie auch dezentralisieren. Die Bundesanstalt für Arbeit muss sich auf ihre wesentlichen Aufgaben konzentrieren. Dazu gehört, positive lokale und regionale Ansätze der Vermittlung in Arbeit zu bündeln, zu verbreiten und weiter zu entwickeln. Dafür leisten wir uns an der Spitze diese Behörde in Nürnberg.

Außerdem müssen wir von dieser Bundesbehörde Vorschläge zur Entbürokratisierung der Verwaltungsund Vermittlungstätigkeit erhalten. Wir müssen uns aber genauso kritisch mit der Funktion von Landesarbeitsämtern auseinander setzen. Aus unserer Sicht sind sie personell aufgebläht und tragen eher zu einer Bürokratisierung bei.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Die Zweistufigkeit muss ernsthaft geprüft werden und ich persönlich bin heue schon fest davon überzeugt, dass sich der Wegfall von Landesarbeitsämtern nicht negativ bemerkbar machen würde.

(Beifall der Abgeordneten Roswitha Strauß [CDU])

Wir brauchen mehr Wettbewerb der Arbeitsämter mit privaten Arbeitsvermittlern. Es waren übrigens die Sozialdemokraten, die 1994 das Vermittlungsmonopol der Bundesanstalt für Arbeit erhalten und damit private Arbeitsvermittlung verhindern wollten. Wir wollen, nachdem die Union dieses Monopol auf Bundesebene gemeinsam mit der FDP aufgehoben und Wettbewerb zugelassen hat, eine weitere Stärkung der privaten Vermittlung herbeiführen.

(Christel Aschmoneit-Lücke [FDP]: Das war unsere Initiative!)

(Torsten Geerdts)

- Das mag ja eine Initiative von der FDP gewesen sein. Ohne die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wären Sie an der Stelle allerdings auch aufgeschmissen gewesen.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Wir schlagen vor, dass Arbeitslose künftig Vermittlungsgutscheine erhalten, wenn das Arbeitsamt nicht sofort einen freien Arbeitsplatz nachweisen kann. Mit diesem Gutschein sollen Arbeitssuchende berechtigt sein, Vermittlungsunterstützung auch durch private Anbieter zu erhalten oder Trainingsmaßnahmen in Anspruch nehmen zu können.

Wir wollen außerdem den Unfug beenden, dass nur die Bundesanstalt für Arbeit berechtigt ist, private Arbeitsvermittler oder Zeitarbeitsfirmen zuzulassen. Wer genehmigt eigentlich gern seine eigene Konkurrenz? Hier besteht politischer Handlungsbedarf!

(Beifall bei CDU und FDP und der Abgeord- neten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wir sind der Überzeugung, dass wir eine aussagekräftigere Arbeitslosenstatistik benötigen, aus der umgehend der arbeitsmarktund wirtschaftspolitische Handlungsbedarf abzulesen ist. Manchmal ist weniger einfach mehr.

Wir wollen auf Landesebene sowie auf Bundesebene eine bessere Überprüfung von arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen. Wir müssen immer wieder die Wirksamkeit, das Kosten-Nutzen-Verhältnis, Mitnahme- und Verdrängungseffekte unserer Politik auf dem zweiten Arbeitsmarkt hinterfragen. An mancher Stelle wäre es mittelfristig aus unserer Sicht sinnvoller, weniger Geld für ABM zur Verfügung zu stellen und stattdessen mehr Haushaltsmittel für Investitionen bereitzuhalten.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Damit stärken und fördern wir konkret Beschäftigung im ersten Arbeitsmarkt.