Protocol of the Session on December 12, 2001

(Anhaltender Beifall bei der CDU und Beifall bei der FDP)

Ich erteile jetzt das Wort dem Vorsitzenden der Fraktion der FDP, Wolfgang Kubicki.

(Peter Jensen-Nissen [CDU]: Nun bestätige mal, dass wir Rot-Grün ablösen wollen!)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrter Kollege Jensen-Nissen, meine Mitarbeiter haben mich angesichts der Pisa-Studie davor gewarnt, meine Rede so zu beginnen, wie ich es vorgesehen habe. Aber ich will es trotzdem tun.

(Zuruf)

- Ich hoffe, Sie wissen, um was es geht.

(Heiterkeit)

Die Landesfinanzen gleichen dem Stall des Augias in der griechischen Herkulessage: Ein Stall, in dem Müll und Mist so hoch aufgetürmt sind, dass vernünftiges Arbeiten in der Gegenwart kaum noch möglich ist und in dem die zukünftige Ertragskraft heute verspielt wird.

In der Sage spült Herkules den Stall mit brachialer Wassergewalt durch und löst das Problem damit in einem Tag. Das würde bei den Landesfinanzen nicht einmal der FDP gelingen, das gebe ich zu; denn wir müssen nicht nur reinigen, sondern auch umbauen.

(Beifall bei der FDP)

Das darf uns aber nicht davon abhalten, sofort mit der Sanierung zu beginnen. Je weiter wir die Konsolidierung des Haushalts auf die lange Bank schieben, desto schmerzhafter wird sie. Seit Jahren bemängeln wir die wirklichkeitsfremde Regierungspolitik und weisen auf die kaum zu verantwortenden Risiken hin. Die Landesregierung baut politische Luftschlösser und finanzwirtschaftliche Wolkenkuckucksheime. Das Ergebnis ist eine finanzpolitische Bruchbude. Wir warnen seit Jahren davor, dass diese Bruchbude in der nächsten Konjunkturkrise zusammenbrechen wird. Die Leidtragenden sind die Menschen, die das alles bezahlen müssen. Wir sind selbstverständlich nicht die einzigen Warner. Es gibt auch die eine oder andere Stimme aus den Reihen der Union. Vor allem der Landesrechnungshof zeigt stetig vornehm, aber unmissverständlich die Probleme auf.

Aber Propheten gelten bekanntlich im eigenen Lande wenig, auch nicht während der Adventszeit, wenngleich ich die netten Worte des Kollegen Lothar Hay zur Weihnachtszeit vernommen habe. Allerdings spreche ich die unangenehmen Wahrheiten heute wieder an, weil die Probleme nicht dadurch verschwinden, dass man über sie nicht redet. Lothar Hay, das gilt übrigens auch für die Probleme der Zuwanderung. Wenn wir Themen tabuisieren, überlassen wir die Felder den anderen. Ich warne davor zu erklären, wir sollten etwas im Wahlkampf nicht ansprechen. Wir müssen es ansprechen, damit wir die Herrschaft über die Themen behalten und sich nicht andere dieser Themen bemächtigen.

(Beifall bei FDP, CDU und des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

Die Frage ist, wie man sie vernünftigerweise ansprechen sollte. Aber dass wir sie ansprechen müssen, liegt für mich auf der Hand.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, zunächst möchte ich Ihnen die wirtschaftliche und finanzpolitische Lage Schleswig-Holsteins am Ende des Jahres 2001 noch einmal darlegen, damit uns allen bewusst wird, wie die

(Wolfgang Kubicki)

jetzige Haushaltsbruchbude aussieht und wie verheerend die gegenwärtige Politik von SPD und Grünen auf Schleswig-Holstein wirkt. Hierzu ein längeres, höchst aktuelles Zitat:

„Weltweit vollzieht sich... ein rasanter ökonomischer Strukturwandelungsprozess. Neue Produktionstechnologien wurden entwickelt, neue Produktionskonzepte sind entstanden. Marktlagen haben sich verschoben und die verstärkte internationale Konkurrenz führte zu einer Beschleunigung des wirtschaftlichen Konzentrationsprozesses. Wir befinden uns... inmitten eines Prozesses der Verschiebung ganzer Branchen- und Unternehmensstrukturen in Europa und weit darüber hinaus. Heute wird... über die ökonomische Zukunft... des beginnenden Jahrtausends... entschieden.

Unser Land ist für die Herausforderungen... nicht... gerüstet. Während andere Bundesländer längst dabei sind, den ökonomischen und gesellschaftlichen Strukturwandel zu gestalten, wurde bei uns wirtschafts- und strukturpolitische Abstinenz geübt und durch fleißige PR-Arbeit versucht, den Menschen bittere Wahrheiten vorzuenthalten.“

(Beifall bei FDP und CDU)

- Ich sage rein vorsorglich: Ich bin immer noch beim Zitat.

„Am Beginn eines politischen Neuanfangs in diesem Land muss zuallererst eine schonungslose Bestandsaufnahme stehen. Das Ergebnis... ist... erschütternd. Es liegt kein Konzept vor, wie unser Land angesichts der dargestellten ökonomischen Entwicklung neue Produktionsbereiche und neue Zukunftsmärkte erschließen kann. Es liegt... keine Analyse der Produktionspotenziale des Landes und ihrer möglichen Entwicklungsfähigkeit vor.

... Statt über zukunftsorientierte Qualifikationsprofile nachzudenken... wurde Bildungspolitik... mit ideologischen Waffen geführt. Welche Zukunftsaufgaben den Hochschulen bei der Verbesserung der technologischen Basis unseres Landes, beim Transfer von Wissen aus den Hochschulen in die Betriebe zukommen, wurde nie systematisch analysiert; eine langfristige, den ökonomischen Bedürfnissen angepasste forschungs- und technologiepolitische Planung existiert nicht.

... In der Regionalpolitik gibt es weder für die Westküste noch für den Landesteil Schleswig

Konzepte, wie die regionale Wirtschaftsstruktur dort verbessert, die Ansiedlungsattraktivität erhöht und Unternehmensgründungen stimuliert werden können.“

(Beifall der Abgeordneten Heinz Maurus [CDU] und Lars Harms [SSW])

„... Die finanzpolitische Bilanz korrespondiert mit der wirtschafts- und strukturpolitischen. Die... Schulden [sind]... eine Katastrophe... Dahinter stehen horrende jährliche Neuverschuldungen... Damit hat uns die... [Landes]regierung in die Nähe des § 18 Landeshaushaltsordnung gebracht: die Nettokreditaufnahme droht die Investitionen zu übersteigen - das Absolute an jeder Bewegungsfähigkeit.“

(Claus Ehlers [CDU]: Das ist eine Bankrott- erklärung!)

„Die Dramatik dieser Entwicklung wird besonders deutlich, vergleicht man die ProKopf-Verschuldung der Flächenländer; hier liegt Schleswig-Holstein... bereits höher... [als die anderen] Länder. Die... [Landes]regierung hat mit dieser Verschuldung einen Treibsatz gelegt, der sich für unsere wirtschaftliche Zukunft als bösartiger Sprengsatz erweist... Das ‘Hauptbuch der Nation’ wird der Haushalt genannt. Die... [Landes]regierung und die Mehrheitsfraktion[en] haben daraus eine Schülerkladde gemacht:... Die... [Landes]regierung hat eine Haushaltspolitik betrieben, die jeder Beschreibung spottet. Sie hat den Handlungsspielraum des Landes wie durch eine Garotte eingeschnürt.... Angesichts dieser desolaten Finanzlage hat uns die... [Landes]regierung eine Haushaltskonsolidierung auch bei äußerster Sparsamkeit auf längere Zeit unmöglich gemacht.“

Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Beschreibung der verheerenden Wirkungen von über einem Jahrzehnt verfehlter Regierungspolitik trifft die heutige Situation Schleswig-Holsteins genau. Sollten Sie glauben, das Zitat sei jüngst entstanden, muss ich Sie enttäuschen. Abgeliefert wurde diese Beschreibung vor über 13 Jahren. Sie stammt aus der Antrittsregierungserklärung des damaligen Ministerpräsidenten Björn Engholm vom 28. Juni 1988.

Seitdem hat sich einiges geändert und einiges ist gleich geblieben. Geändert haben sich die Zahlen: Sie sind noch schlimmer geworden. Nicht verändert haben sich die grundlegenden Erkenntnisse: Die Finanzpolitik gleicht einer Bruchbude und keinem soliden Gebäude.

(Wolfgang Kubicki)

Deshalb ist das Zitat höchst aktuell. 13 Jahre sozialdemokratische Regierung und fünf Jahre partielles Mitwirken der Grünen: 13 politisch verschenkte Jahre für unser Land und die Menschen, die hier leben.

(Beifall bei FDP und CDU)

Das geringste Wirtschaftswachstum aller westdeutschen Flächenländer, dafür die höchste Pro-KopfVerschuldung, überdurchschnittliche Arbeitslosigkeit, finanzpolitisches Chaos und bei der Landesregierung kein politisches Konzept, wie man der Probleme Herr oder Frau werden könnte - das ist die Lage, in der wir heute über den Haushalt 2002 diskutieren.

Dazu kommt die Rezession. Lieber Kollege Hay, die Rezession ist da, sie zeichnet sich seit einem halben Jahr ab und wurde durch die psychologischen Wirkungen der Anschläge des 11. September nur verstärkt. Sie wird tiefer und länger sein, als viele Hoffnungsträger mit Blick auf die USA heute glauben wollen. Diese Rezession begrenzt die finanziellen Handlungsspielräume zusätzlich. Das trifft Schleswig-Holstein besonders schlimm, weil die Landesregierung in den vergleichsweise besseren Jahren nicht vorgesorgt hat. Damit hat die sozialdemokratische Wirtschafts- und Finanzpolitik wahrlich die eigene strategische Zukunftsunfähigkeit eindeutig unter Beweis gestellt. Angeblich soziale Erfolge unterstützen diese These, so zum Beispiel die geplante Kürzung des Landesblindengeldes. Ich werde hier noch auf einen Punkt zurückkommen, der mich in diesem Zusammenhang wirklich bewegt, nicht nur wegen der Blinden, sondern wegen der Disparität in der Frage, wie Ausgaben getätigt werden.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, einige kurze Zitate der Hauptverantwortlichen für diese Misere führen uns das zentrale Dilemma der Regierungspolitik deutlich vor Augen. Am 10. Mai 2000 erklärte Ministerpräsidentin Simonis hier im Landtag - - Man kriegt hier nicht einmal mehr Wasser.

(Lothar Hay [SPD]: Das hat sie nicht er- klärt! - Heiterkeit)

- Nein, das hat sie nicht erklärt. Ich höre vom Präsidenten, links sei das Wasser.

(Unruhe)

Die Ministerpräsidentin erklärte am 10 Mai 2000:

„Auf dem Weg in die globale Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft machen wir Schleswig-Holstein stark für den Wettbewerb in Deutschland, Europa und in der Welt. Wir

werden die Chancen des Strukturwandels offensiv nutzen und die Stärken unseres Landes weiter ausbauen.“

Die wirtschafts- und finanzpolitische Lage war Anfang 2000 konjunkturell zwar besser als heute, aber im Vergleich zu den westdeutschen Flächenländern standen wir im mittelfristigen Vergleich genauso schlecht da wie jetzt. Das übersah die Ministerpräsidentin geflissentlich.

Am 12. Januar 2001 erklärte Heide Simonis zum Jahresauftakt:

„Dabei wird die Landesregierung auf die Stärken des Landes und seiner Menschen setzen und damit die Chancen für SchleswigHolstein weiter ausbauen.“

Die tatsächliche wirtschaftliche Lage im Land beschrieben die „Kieler Nachrichten“ am 2. Januar 2001 mit der Überschrift: „Der Norden hält nur mühsam mit“.

Im Mai 2000 wollte die Landesregierung das Land noch stärken, im Januar 2001 verabschiedete sich die Ministerpräsidentin aus der Verantwortung und reichte die Aufgabe an die Bürgerinnen und Bürger weiter, ohne allerdings die regierungsbedingten Hindernisse aus dem Weg zu räumen.

Vergleichen wir die Erklärungen von Björn Engholm und Heide Simonis: Björn Engholm erkannte die Wirklichkeit und zog logisch und empirisch begründete Schlüsse, über deren Details sich selbstverständlich trefflich streiten ließ, aber das ist das Wesen der Demokratie. Die Ministerpräsidentin verkennt die Wirklichkeit bis heute, beschreibt ihre Wunschwelt in allgemeinen Phrasen und handelt mit Volldampf an der Wirklichkeit vorbei.

(Beifall bei FDP und CDU)