Auch wenn die schleswig-holsteinische Landesregierung ihre Aufgaben von Information und Konsultation gegenüber dem Parlament bisher immer nachgekommen ist, ist es nicht dasselbe, ob ein Landtag selbst gestalten kann oder ob Regierungen eines Landes weitgehend ohne jede Möglichkeit der parlamentarischen Einflussnahme auf deren Willensbildung - die Entscheidungen der Bundesrepublik mit formen, denn sie - und leider nicht die Landesparlamente - bilden den Bundesrat.
Wir wollen dies mit unserem Antrag bewegen. Wenn die Landesparlamente nicht endlich ihre Mitwirkungsrechte mit Nachdruck einfordern, haben wir, die gesetzgebenden Körperschaften der Länder, verloren. Damit hätte allerdings vor allem aber die parlamentarische Demokratie verloren. Dies gilt für die Entwicklung in Deutschland und in Zukunft noch mehr für die Entwicklung in Europa, wo mehr und mehr gemeinschaftliche Rechtsregelungen die nationale Gesetzgebung ersetzen. Wir als Landtage schauen dabei fast ohnmächtig zu. Das ist ein Grund mehr für mich, der Arbeitsgruppe Föderalismus vorgeschlagen zu haben, dass es dann, wenn immer häufiger vom Europa der Regionen die Rede ist, es unabdingbar auch ein Klagerecht der Länder und der Regionen vor dem Europäischen Gerichtshof zur Wahrung ihrer verfassungsmäßigen Rechte und Zuständigkeiten geben muss.
Ein solches Klagerecht stellt ein wichtiges Instrument zur Stärkung von Bürgernähe dar, wirkt zentralistischen Tendenzen entgegen und erhöht die Akzeptanz und Identifikation der Bürgerinnen und Bürger gegenüber der EU. Die Bundesregierung - das galt übrigens auch für die schwarz-gelbe Bundesregierung - stritt und streitet mit der EU um Politikbereiche, die sie ohne die Länder - teilweise sogar ohne die Kommunen - gar nicht bestimmen kann. Wenn die Länder im Wettbewerb europäischer Regionen bestehen sollen, muss das Gestrüpp entwirrt und muss eigener politi
scher Spielraum geschaffen werden. Wenn der Herr Bundeskanzler zu Recht von der Bürgergesellschaft als normativem Bezugsrahmen für die Bundesrepublik gesprochen hat, dann ist es höchste Eisenbahn, den Landesparlamenten ihre Mitwirkungsrechte nicht länger vorzuenthalten, denn auch das wird die Identifikation der Bürgerinnen und Bürger mit ihrem Bundesland sowie mit Europa stärken.
Und niemand, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, niemand wird an dieser Entscheidung vorbeikommen können. Irgendwann werden uns die Wähler fragen: Wofür wähle ich eigentlich ein Landesparlament, wenn ich von euch immer öfter hören muss: „Wir würden ja gern, aber die vom Bund oder die in Brüssel haben uns nicht gelassen“?
In diesem Zusammenhang sollte überprüft werden, ob und inwieweit bei der Umsetzung von EU-Recht in innerstaatliches Recht die Gesetzgebungskompetenz der Länder durch Ausschluss einer weiteren Regelungskompetenz des Bundes vor allem im Hinblick auf die Rahmengesetzgebung des Artikels 75 GG gestärkt werden kann, sodass die innerstaatliche Umsetzung in diesen Bereichen künftig durch die Länder erfolgen soll.
Diese Überprüfung ist auch im Kontext der Kompetenzabgrenzung zwischen den EU-Mitgliedstaaten und den Regionen im Rahmen des Post-Nizza-Prozesses zu sehen.
Ich möchte heute nicht noch einmal auf die ganz konkreten Forderungen dieses Antrages eingehen, weil sie bereits unter anderem Bestandteil unserer Debattenbeiträge vom Juni 2000 waren und von allen Fraktionen mehr oder weniger betont akzeptiert worden sind. Wir alle miteinander müssen uns entscheiden, was wir im Europa der Zukunft sein wollen.
Meine Fraktion entscheidet sich für die Mitgestaltung der Landesparlamente, um im Europa der Regionen bestehen zu können, ohne dass die Bevölkerung den Bezug zum eigenen Bundesland verliert. Wir wollen Steuermann auf See und nicht Kapitän an Land oder Kapitän a.D. sein, der nur noch zuschauen darf, wie die größten Pötte an ihm vorbeiziehen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich halte diesen Antrag deshalb für unendlich wichtig, weil sich andere Landesparlamente eher wenig bis gar nicht damit beschäftigen und es an der Zeit ist, dass wir gemeinsam auch die anderen Landesparlamente auffordern, diesen Anspruch der Landesparlamente, der ihnen verfassungsmäßig zugestanden ist, auch einzufordern.
Wir sollten diesen Antrag sowohl an unsere Kolleginnen und Kollegen der anderen Landesparlamente senden als auch an die Kolleginnen und Kollegen der Bundestagsfraktionen und natürlich auch an die Bundesregierung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch die Stärkung des Föderalismus ist eine der Aufgaben der Zukunftsgestaltung, die der Präsident heute Morgen angesprochen hat. Die Ministerpräsidenten der Länder haben auf ihrer Jahreskonferenz 1998 in Potsdam beschlossen, „die bundesstaatliche Aufgaben-, Ausgaben- und Einnahmenverteilung einschließlich der bestehenden Regelungen der Finanzverfassung und des Länderfinanzausgleichs... einer kritischen Überprüfung mit dem Ziel der Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung zu unterziehen“. Hierzu wurde dann eine Bund-Länder-Kommission sowie eine entsprechende Arbeitsgruppe eingerichtet.
Das bedeutet im Klartext: Seit 1998 diskutieren die Regierungen über die Reform des Föderalismus. Aber, lieber Kolleginnen und Kollegen, wir dürfen diese Föderalismusdebatte nicht den Regierungen allein überlassen;
denn es geht eben nicht nur um die Administration und den Ausgleich zwischen den Ländern, es geht vielmehr auch um unser Selbstverständnis als Parlament. Es geht darum, wie wir künftig in unseren Ländern, in den politischen Einheiten und in den Regionen unsere Aufgaben wahrnehmen wollen und können und welchen Gestaltungsspielraum wir beanspruchen wollen. Es liegt letztlich in unserer Verantwortung, unsere Kompetenzen wirksam zu vertreten, Kompetenzabgrenzun
(Beifall der Abgeordneten Heinz Maurus [CDU], Klaus Schlie [CDU], Christel Aschmoneit-Lücke [FDP] und Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Derzeit, so glaube ich, laufen wir Gefahr, diese wichtigste Aufgabe der Parlamente durch die Regierungen allein wahrnehmen zu lassen. Damit können wir gestalterisch nicht mehr eingreifen, sondern nur noch die Ergebnisse nachträglich „abnicken“. Das entspricht zumindest nicht meinem Parlamentsverständnis und wie ich denke - nach dem gemeinsamen Antrag auch nicht dem Parlamentsverständnis des hohen Hauses. Ich glaube vielmehr, dass unser gemeinsamer Antrag beweist, dass wir als Parlament die Demokratie verantwortungsbewusst zu gestalten wissen.
Auch wenn die Öffentlichkeit die Diskussion um die Reform des Föderalismus kaum wahrnimmt, so gibt es dennoch kaum ein Thema von gleich gravierender Bedeutung für die Entwicklung und die Zukunftsfähigkeit unserer Länder und Regionen. Dies gilt vor allem auch im Rahmen des europäischen Integrationsprozesses; denn mit dem Maastrichter Vertrag, dem Amsterdamer Vertrag und den damit verbundenen Kompetenzübertragungen sowie auch mit der Festlegung der endgültigen Entscheidung für die Europäische Währungsunion ist uns allen doch erst bewusst geworden, wie viel Souveränität und wie viel Handlungsspielräume wir aufgeben und wie wenig sich noch für uns ergibt. Hinzu kommt die fortschreitende Globalisierung, die auch von den Ländern und den Regionen verlangt, schneller und flexibler zu reagieren als bisher.
Für uns muss diese Entwicklung Anlass sein, uns intensiv für eine Neuorientierung des Föderalismus im Sinne einer Stärkung der Entscheidungskompetenzen und der Eigenverantwortung auszusprechen. Wir beobachten mit Sorge den Kompetenzzuwachs des Bundes in fast allen Politikbereichen. Für die Länder bleiben nur noch geringe Gestaltungsspielräume offen. Die bundesrechtlichen Regelungen im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung werden immer zahlreicher und im Bereich der Rahmengesetzgebung immer detaillierter.
Das schlimme Ergebnis ist: Die Reaktionszeit der Politik auf die gesellschaftliche und die europäische Entwicklung wird viel zu langsam und immer komplizierter und überregulierte Entscheidungsprozesse kennzeichnen unsere politische Wirklichkeit. Entscheidungen werden aufgeschoben oder gar nicht getroffen. Wir, die gewählten Volksvertreter, werden damit dem durch die Wähler erteilten Auftrag nicht
mehr gerecht, auf ökonomische, ökologische und soziale Herausforderungen in angemessener Zeit zu reagieren.
Ich frage mich manchmal, ob wir überhaupt den Mut haben, das komplizierte Dickicht von Interessen und Besitzständen wirklich wirksam zu beschneiden.
Jedenfalls kann ich nicht erkennen, dass dies die Absicht der Väter und Mütter des Grundgesetzes war, als sie den Föderalismus zum Grundprinzip unseres Staatswesens definierten.
Der föderale Grundgedanke geht doch davon aus, dass der Gesamtstaat für die Dinge zuständig ist, die im Interesse eines Volkes einheitlich geordnet werden müssen. Die übrigen Angelegenheiten regeln die Gliedstaaten. Gegen diese Grundidee glaube ich, dass der Artikel 72 Abs. 2 dazu geführt hat, dass wir die beschriebene Entwicklung feststellen mussten, darin ist die Wahrung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse über das Gebiet eines Landes hinaus geregelt.
Bei der Revision des Grundgesetzes hat man dann allerdings mit dem Beitritt der neuen Bundesländer die Formulierung gewählt, die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse sicherzustellen. Nur: Mit der langen Geschichte, die sich mit unserem Grundgesetz und unserer Entwicklung verbindet, hat sich in fast allen Lebensbereichen das Streben nach Einheitlichkeit bei uns und in unserem Denken verankert. Die Tendenz zu bundesweit einheitlichen Regelungen von Sachverhalten war und ist nach wie vor die Regel. Ich glaube, dieses unitarische Denken erschwert eine ergebnisoffene zukunftsgerichtete Föderalismusdebatte.
(Beifall bei CDU und FDP sowie der Abge- ordneten Ursula Kähler [SPD] und Anna Schlosser-Keichel [SPD])
Von diesem Denken müssen wir aber abrücken, wenn wir die Potenziale, die uns der Föderalismus bietet, wirklich erschließen wollen. Es geht doch darum, die positiven Wirkungen des föderalen Systems zu erschließen, und zwar im Interesse der Bürger und im eigenen Interesse der Länder selbst. Es geht im Wesentlichen darum, uns wieder stärker am Prinzip der Subsidiarität und Dezentralität unserer Entscheidungsstrukturen auszurichten. Es geht um mehr Bürgernähe. Es geht um regionale Gegebenheiten und Präferenzen, bei denen wir den Bürgern und den Wünschen der Bürger besser Rechnung tragen wollen. Es geht um effizientere Entscheidungsverfahren. Es geht um mehr Ideenwettbewerb, es geht um die besten politischen Lösungsalternativen.
Schließlich geht es darum, den Ländern als autonomen Entscheidungsträgern künftig mehr Eigenständigkeit und Eigenverantwortung einzuräumen und einen konstruktiven Wettstreit der Ideen zu ermöglichen.
Die Forderungen an einen modernen Föderalismus lassen sich meiner Meinung nach wie folgt zusammenfassen:
Die Gesetzgebungsbefugnisse der Länder müssen gestärkt werden. Die Möglichkeiten der Rückübertragung von Regelungskompetenzen auf die Länder sind zu nutzen. Der Bund muss sich aus dem Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung zurückziehen.
Im Bereich der Rahmengesetzgebung werden bundesrechtliche Regelungen künftig auf unverzichtbare Eckpunkte konzentriert. Einzel- und Detailregelungen müssen den Ländern vorbehalten bleiben. Die Mischfinanzierungen zwischen Bund und Ländern werden abgebaut.
An die Stelle der von Bund und Ländern gemeinsam finanzierten Aufgaben muss zukünftig eine klare Zuweisung der jeweiligen Aufgaben entweder an die Länder oder den Bund treten. Dabei ist natürlich das Prinzip der Konnexität in jedem Fall zu beachten. Das heißt, dass bei einer Aufgabenübertragung auf die Länder auch die dafür erforderlichen Mittel, und zwar dynamisiert, vom Bund zur Verfügung gestellt werden müssen.
Die Länder sollten künftig eine eigene Steuerautonomie erhalten; denn unter dem Gesichtspunkt der Stärkung der Eigenverantwortung ist es wichtig, dass die Länder wirtschaftliche Gegebenheiten mit eigenen Regelungen gestalten können. Darin liegt die eigentlich große Chance des föderativen Systems.
Schließlich muss der Länderfinanzausgleich weiterentwickelt werden. Er muss so gestaltet sein, dass er die Anstrengungen der Länder fördert und auch belohnt.