Protocol of the Session on July 12, 2001

Ich rufe Tagesordnungspunkt 30 auf:

Entschließungsantrag zur Präimplantationsdiagnostik

Antrag der Fraktion der FDP Drucksache 15/1084

Antrag der Fraktion der CDU Drucksache 15/1110

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Happach-Kasan.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir alle erinnern uns daran, dass dem Ethikrat der Medizinischen Universität Lübeck vor mehreren Jahren das Anliegen eines Paares vorgetragen worden ist, das sich mithilfe der Präimplantationsdiagnostik ein gesundes Kind gewünscht hat. Beide Elternteile waren Überträger von Mukoviszidose, einer sehr schweren Krankheit; ein Kind war im Alter von vier Jahren an Mukoviszidose gestorben und die Mutter hatte nach einer Pränataldiagnostik ein Kind, bei dem das Mukoviszidosegen nachgewiesen worden war, abgetrieben. Der Leidensweg dieses Paares ist wahrlich lang gewesen. Es fällt auf, dass in der Diskussion um die Zulassung der Präimplantationsdiagnostik die Wünsche betroffener Eltern, die Leiden von Kindern an Erbkrankheiten wie Mukoviszidose so wenig einbezogen werden. Ihr Lebens- und Leidensweg wird ausgeblendet.

Die Deutsche Mukoviszidose-Vereinigung hat in ihrer Erklärung vom 24. September 2000 ihre Position zur Präimplantationsdiagnostik zum Ausdruck gebracht. Dort heißt es:

„Betroffene Eltern, die einen Schwangerschaftsabbruch ablehnen, haben nur mit der PID die Chance auf ein weiteres Kind ohne diese Erkrankung. Der Verein will diese Eltern mit ihren Sorgen nicht durch ein Verbot der PID allein gelassen sehen.“

Die Bioethik-Kommission des Landes Rheinland-Pfalz führt in ihrer Stellungnahme vom 20. Juni 1999 zum Verhältnis von Pränatal- und Präimplantationsdiagnostik aus:

„Es wäre ein Wertungswiderspruch, den Paaren, bei denen das Risiko der Übertragung eines Gendefekts festgestellt wurde, die Präimplantationsdiagnostik aus Rechtsgründen zu verwehren und dann diesen Paaren gleichwohl die Durchführung der Pränataldiagno

(Dr. Christel Happach-Kasan)

stik zu erlauben, die im Fall einer festgestellten Indikationslage zum Schwangerschaftsabbruch führen kann. Der Mutter kann das Risiko des Transfers eines geschädigten Embryos dann nicht zugemutet werden, wenn dieser später straflos abgetrieben werden kann. Der Schutz der Mutter muss auch hier Vorrang haben.“

(Beifall bei der FDP)

Nach derzeit geltendem Recht darf ein geschädigter Embryo unter bestimmten Voraussetzungen während der ganzen Schwangerschaft abgetrieben werden. Gleichzeitig verbietet das Embryonenschutzgesetz, dass bei einer künstlichen Befruchtung bereits vor dem Einpflanzen von Embryonen diese auf genetische oder chromosomale Defekte untersucht werden, auch wenn bei Vorhandensein der Defekte eine Abtreibung auch nach der Frist zugelassen würde.

Es gibt keinen Grund dafür, dass der Gesetzgeber auf solch einem sich widersprechenden Regelwerk beharrt, und wir als FDP sprechen uns dafür aus, dass die Regelungen zur Präimplantationsdiagnostik wie auch zur Pränataldiagnostik in nachvollziehbare Beziehung zueinander gesetzt werden. Auch dazu ist eine Änderung des Embryonenschutzgesetzes erforderlich. Ich will hinzufügen, dass ich persönlich auch eine Änderung des § 218 für erforderlich halte.

Wir müssen darüber Klarheit gewinnen und ehrlich mit uns selber sein, dass beide Untersuchungsmethoden Selektion ermöglichen und ihre Begründung im Wunsch nach Selektion haben - beide Methoden in gleicher Weise. Es ist erkennbar, dass die Pränataldiagnostik mit diesem Ziel angewandt wird. Im Jahr 2000 sind mehr als 2000 Föten nach der Zwölf-WochenFrist abgetrieben worden, 154 noch nach der 23. Woche.

Der Vorwurf der Euthanasie trifft gleichwohl nicht zu. Euthanasie war ein staatliches Programm, das das abstrakte Ziel der so genannten „Erbgesundheit“ zum Ziel hatte - grausam! Bei Präimplantations- und Pränataldiagnostik geht es darum, den Eltern, die für das Kind Verantwortung tragen, die es gegebenenfalls bis zu ihrem eigenen Lebensende pflegen müssen, die inzwischen gegebenen Möglichkeiten vorgeburtlicher Untersuchungen des Embryos auf genetische und chromosomale Störungen zu eröffnen.

Es wird argumentiert, das Grundgesetz schließe durch seine Garantie der Würde des Menschen und des Lebensschutzes die Präimplantationsdiagnostik aus. Dabei wird oftmals auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Schwangerschaftsabbruch verwiesen. Doch die Urteile des Bundesverfassungs

gerichts bezogen sich auf Embryonen im Mutterleib. Die argumentative Gleichsetzung von Embryonen außerhalb und innerhalb des Mutterleibes verdrängt die Bedeutung der Mutter für die Entwicklung zum Menschen. Sie wird dem Phänomen der Menschwerdung und der Individualität nicht gerecht.

Die Würde des Menschen ist unantastbar, aber der Schutz menschlichen Lebens wird sehr wohl in Abwägung gestellt. Das ist ein Unterschied und wir dürfen das nicht gleichsetzen.

Die FDP spricht sich für eine Präimplantationsdiagnostik aus, die Familien mit hohen genetischen Risikofaktoren die Möglichkeit bietet, ein Kind zu bekommen, das die Erbkrankheit nicht hat.

(Beifall bei der FDP sowie der Abgeordneten Brita Schmitz-Hübsch [CDU] und Thomas Stritzl [CDU])

Niemand hat „Anspruch“ auf ein gesundes Kind, aber Kinder brauchen Eltern, die sie aufziehen. Es ist nicht unmoralisch, wenn sich Eltern in ihrer konkreten Lebenssituation überfordert fühlen, ein krankes Kind zu erziehen.

Die Furcht von Menschen mit Behinderungen, dass sie durch die Möglichkeiten der genetischen Diagnostik zu Menschen zweiter Klasse werden, muss ernst genommen werden, aber das Verbieten von Gendiagnosen bei Embryonen und Föten ist kein Weg. Nur mit der weiteren Verbesserung der Möglichkeiten für Menschen mit Behinderungen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, macht die Gesellschaft deutlich, dass sie Menschen mit Behinderungen als gleichberechtigte Menschen anerkennt. Dafür haben wir einen weiten Weg zu gehen.

Ich beantrage für meine Fraktion, dass auch über diesen Antrag nach der Mittagspause abgestimmt wird.

(Beifall bei der FDP und des Abgeordneten Günter Neugebauer [SPD])

Das Wort hat Herr Abgeordneter Beran.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Bei meinen Vorbereitungen zum Thema ist mir eines aufgefallen: Alle gesellschaftsrelevanten Parteien üben beim Thema Präimplantationsdiagnostik - kurz genannt PID - starke Zurückhaltung und stehen dem Thema eher ablehnend gegenüber.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Was? Wir haben doch gerade das Gegenteil gehört!)

(Andreas Beran)

Alle diese Parteien sind der Auffassung, dass das hohe Schutzniveau des Embryonenschutzgesetzes zu erhalten ist. - So bisher auch Sie, Frau Happach-Kasan, wie es im Bericht der Enquetekommission „Chancen und Risiken der Gentechnologie“ aus der 14. Wahlperiode des Schleswig-Holsteinischen Landtages vom 8. September 1999 nachzulesen ist.

Das Embryonenschutzgesetz erlaubt die PID nicht und ich gehe davon aus, dass dies auch Ihnen, meine Damen und Herren von der FDP, bekannt sein dürfte.

(Zuruf von der FDP: Deshalb wollen wir es ja ändern!)

Die SPD zumindest hält daran fest, dass die PID auf der rechtlichen Basis des Embryonenschutzgesetzes nicht erlaubt ist.

Übrigens habe ich mir die Frage gestellt, warum die FDP ihre Position nicht erst in die Enquetekommission des Deutschen Bundestages einbringt. Dort wird darüber noch diskutiert. Empfehlungen gibt es noch nicht. Es ist verwunderlich, wie schnell die FDP bei einem solch umfassenden Thema ihre Position neu bestimmt hat und nun Landesparlament und Bundestag mit gleich lautenden Anträgen überzieht, in der Hoffnung, vielleicht doch irgendwo eine Mehrheit für ihren Antrag zu finden.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Sie haben doch gerade erklärt, dass wir in den Bundestag nichts eingebracht haben! - Glocke der Präsi- dentin)

Herr Abgeordneter Beran, lassen Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Dr. Happach-Kasan zu?

Meine Rede ist länger als die vorgesehene Redezeit; ich möchte sie gern zu Ende führen.

Sehr geehrte Damen und Herren, auch beim Thema Präimplantationsdiagnostik stellt sich die Frage: Wann entsteht Leben? Entsteht Leben in dem Augenblick, in dem sich Ei- und Samenzelle vereinen? Beginnt damit nicht auch die Würde des Lebens beziehungsweise des Menschen? Wie können wir in diesem Fall damit umgehen?

(Brita Schmitz-Hübsch [CDU]: Was ist denn mit den Abtreibungsregeln? Wie rechtfertigen Sie die denn?)

Wenn wir diese Fragen bejahen sollten. stellt sich die Frage: Ist es nicht trotzdem gerechtfertigt, PID durch

zuführen, weil Paare den Wunsch nach einem eigenen Kind ohne Krankheiten und Behinderungen haben?

Lassen Sie mich eine Zwischenbemerkung machen. Beim Schwangerschaftsabbruch ist eine Entscheidung darüber zu treffen, ob man ein Kind will oder nicht. Hingegen ist bei der PID darüber zu entscheiden, ob man ein behindertes Kind haben will oder nicht.

(Unruhe - Wolfgang Kubicki [FDP]: Die eu- genische Indikation ist bis zum neunten Mo- nat zulässig!)

Wir müssen wissen, dass bei der Methode der Präimplantationsdiagnostik dem aus acht Zellen bestehenden Embryo - in dem Stadium Morula genannt - eine Zelle entnommen wird, um sie zum Beispiel auf Erbkrankheiten hin zu untersuchen. Jede dieser acht Zellen ist aber in diesem Augenblick noch in der Lage, ein eigenständiger Mensch zu werden. Nach der Untersuchung der achten Zelle wird diese vernichtet. Bei einem Befund wird der untersuchte Embryo ebenso vernichtet. Erlauben Sie mir erneut die Frage: Ist das ein würdiger Umgang mit Leben? Ich meine, nein, und kann allein schon aus diesem Grund dem FDP-Antrag nicht zustimmen.

Es gibt einen weiteren Umstand, weshalb ich diesem Verfahren nicht zustimmen kann. Die Präimplantationsdiagnostik dient ausschließlich dem Zweck, zwischen lebenswertem und lebensunwertem Leben zu unterscheiden.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Nein, das ist Quatsch!)

Doch wer ist hier berufen, die Grenzen zwischen lebenswertem und lebensunwertem Leben zu ziehen?

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Das ist unglaub- lich!)

Was ist mit denen, die trotz PID behindert zur Welt kommen?

(Brita Schmitz-Hübsch [CDU]: Ja, eben!)