Protocol of the Session on June 1, 2001

Die Ministerpräsidentin redet ständig in allen Bereichen von Nachhaltigkeitsoffensiven. Wie gesagt, sie redet davon; verwirklicht wird nichts, am wenigsten in der Finanzpolitik. Nachhaltigkeit ist ein schwammiger Begriff, aber eine einfache Definition lernt man in der Grundschule: Man soll das Fell des Bären nicht verkaufen, bevor man den Bären erlegt hat. Aufgrund der Innovationen im Finanzwesen der letzten 200 Jahre sollte man diese Erkenntnis etwas abwandeln: Man soll das Fell des Bären nicht auf Termin verkaufen, bevor man nicht sicher ist, ein Bärenfell auch termingerecht liefern zu können.

(Beifall bei FDP und CDU)

Analog auf die Haushaltspolitik angewandt heißt das dann: Man soll keine Einnahmen verplanen, von denen man weiß, dass man sie nicht bekommt. So einfach kann Finanzwirtschaft sein, aber - wie gesagt - es sollte uns eigentlich nicht wundern, dass die Landesregierung diese einfachen Wahrheiten nicht beherzigt.

(Wolfgang Kubicki)

Täte sie es, dann hätte sie schon lange Konkurs anmelden müssen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Haushalt 2001 sind aus zwei Gründen Einnahmen eingeplant, von denen die Landesregierung zu unterschiedlichen Zeitpunkten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wissen musste, dass sie sie nicht bekommt. Erstens entfallen Einnahmen aufgrund der Steuerreform; der Minister hat das vorhin noch einmal erklärt. Die Steuerreform wurde im Sommer 2000 vom Bundesrat verabschiedet. Die Bundesregierung hat uns diese Reform als die vermeintlich größte Steuerreform in der Geschichte der Republik verkauft. Das ganze Jahr 2000 waren die Zeitungen voll von den Milliarden, um die die Bürgerinnen und Bürger und Unternehmen entlastet werden sollten. Die Landesregierung war im Bundesrat selbst daran beteiligt. Da musste sie doch auch auf die Idee kommen, dass die Steuereinnahmen sinken könnten. Das ist Grundschulmathematik: Weniger Steuerzahlungen gleich weniger Steuereinnahmen!

(Zuruf des Abgeordneten Günter Neugebauer [SPD])

Zweitens entfallen Einnahmen aufgrund der konjunkturellen Entwicklung. Seit Anfang März haben die Forschungsinstitute ihre Wachstumsprognosen reihum gesenkt. - Kollege Neugebauer, ich komme auf Sie zurück. Ich habe schon einmal gesagt: Sie waren Kleinbetriebsprüfer und wir reden hier über volkswirtschaftliche Daten.

(Beifall der Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP] und Frauke Tengler [CDU] - Zuruf des Abgeordneten Günter Neugebauer [SPD])

Die Bundesregierung wehrte sich bis zum 27. April, weil sich Bundeskanzler Schröder seinen realitätsfernen Konjunkturoptimismus nicht vermiesen lassen wollte; dann durfte auch Hans Eichel die Prognose von 2,75 % auf 2 % senken.

Das Wirtschaftswachstum fällt, folglich sinken Einkommen, Umsätze und Gewinne. Folglich sinken auch die Steuerzahlungen auf Einkommen, Umsätze und Gewinne. Da musste die Landesregierung doch wieder auf die Idee kommen, dass die Steuereinnahmen sinken könnten. Das ist schon wieder Grundschulmathematik: Weniger Steuerzahlungen gleich weniger Steuereinnahmen!

Kollege Neugebauer, damit Sie nicht wieder überrascht werden, empfehle ich Ihnen einmal, zur Kenntnis zu nehmen, was das Statistische Landesamt uns heute für das erste Quartal des Jahres 2001 überreicht hat. Vielleicht können Sie das trotz Altersschwäche noch aus der Entfernung sehen:

(Zurufe von der SPD)

Alles was auf den beiden Seiten rot ist, ist eine Verschlechterung der Situation, die wir im letzten Quartal des letzten Jahres haben, und zwar eine deutliche Verschlechterung, die uns auch im laufenden Jahr weiter begleitet.

(Zurufe)

Spätestens am 27. April lagen also alle Karten auf dem Tisch. Gleichwohl hat das Kabinett erst am 15. Mai eine Haushaltssperre erlassen, 18 Tage, nachdem die Bundesregierung die offizielle Wachstumsprognose gesenkt hatte.

Im Finanzausschuss erklärte Minister Möller am 24. Mai, man habe sich zu einer Haushaltssperre entschlossen, als die ersten Signale über sinkende Steuereinnahmen kamen. Herr Minister, wann haben Sie sich denn dazu entschlossen, im Juni 2000 oder am 27. April 2001? Denn das waren die Zeitpunkte, zu denen nicht nur die ersten Signale kamen, sondern Gewissheit bestand. Und warum haben Sie nach dem Entschluss dann noch mindestens 18 Tage mit dem Erlass gezögert?

Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder haben Sie die Signale und die Lage der Dinge nicht begriffen oder Sie haben die Haushaltssperre absichtlich verzögert. Obwohl ich Erstes nicht ausschließen kann, neige ich zu letzter Erklärung.

(Widerspruch bei der SPD - Konrad Nabel [SPD]: Dümmliches Geschwätz!)

Hier wurde den Ministerien eine nachhaltige Frist eingeräumt, Geld auszugeben. Im Finanzausschuss erklärte der Finanzminister, er hätte dem Dezemberfieber im Mai vorbeugen wollen; in Wirklichkeit hat er nachhaltig abgewartet, bis das Fieber abgeklungen war. Schließlich waren 18 Tage Zeit, Geld zu verpulvern.

(Beifall bei FDP und CDU)

In seiner Presseerklärung vom 16. Mai verkündete Claus Möller, er erwarte als Ergebnis der Steuerschätzung für 2001 Mindereinnahmen von bis zu 100 Millionen DM. Herausgekommen sind gut 62 Millionen DM Mindereinnahmen. Hierzu muss man wissen, dass die Regierungen mit eigenen Schätzvorschlägen in die Steuerschätzung hineingehen. Bei den mangelnden Rechenfähigkeiten, die uns der Finanzminister ständig demonstriert, ist ein Schätzfehler in Höhe von fast 40 % selbstverständlich nicht auszu

(Wolfgang Kubicki)

schließen, aber es gibt auch eine andere mögliche Erklärung.

(Günter Neugebauer [SPD]: Dümmliche Ar- roganz! - Jutta Schümann [SPD]: Weit unter Ihrem Niveau!)

62 plus 35 sind 97! - Herr Kollege Neugebauer, es adelt mich geradezu, von Ihnen zu hören, dass meine Erklärungen dümmliche Arroganz seien. Ich freue mich und bedanke mich dafür recht herzlich.

(Beifall bei der FDP - Konrad Nabel [SPD]: Sie sind einfach nur arrogant! Das ist alles!)

Kurz vor dieser Debatte um die Haushaltssperre fehlen plötzlich 35 Millionen DM im Bildungshaushalt. In der Pressekonferenz zu diesem Debakel am Dienstag hat die Landesregierung erklärt, dass die 35 Millionen DM plötzlich gar nicht fehlen, sondern dass diese Unregelmäßigkeit schon im März auffiel und im April Gewissheit wurde. 62 Millionen DM plus 35 Millionen DM sind 97 Millionen DM, nah an 100 Millionen DM.

(Beifall bei der FDP)

Hier ist die Erklärung, weshalb für 62 Millionen DM Steuermindereinnahmen ein Nachtragshaushalt aufgelegt wird, ein Nachtragshaushalt, der jetzt schon überholt wäre, wenn sich der Finanzminister nur auf die 97 Millionen DM Fehlbetrag einstellte, die bis jetzt bekannt sind. Der Grund dafür ist einfach und heißt Stagflation.

Wir erleben im Moment in der wirtschaftlichen Entwicklung genau das Gleiche wie in den beiden Ölkrisen der 70er-Jahre. Dazu kommt, dass die Kursblase der New Economy geplatzt und das Wachstum der USA eingebrochen sind und damit deren Importnachfrage. Der Anstieg der Öl- und anderer Energiepreise ist ein transitorischer, adverser gesamtwirtschaftlicher Angebotsschock, der direkt die Kosten der Produktion erhöht und auf das Preisniveau durchschlägt. Deshalb sinkt die gesamtwirtschaftliche Nachfrage an Gütern und Dienstleistungen. Zusätzlich verlangsamt sich das Exportwachstum wegen der Entwicklung in den USA.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Ich weiß das!)

- Ich weiß das auch, aber der Kollege Neugebauer weiß das nicht; deswegen erkläre ich das. - Wirtschafts- und Beschäftigungswachstum gehen zurück und die Inflation steigt. Das ist seit 25 Jahren volkswirtschaftliches Lehrbuchwissen fürs Grundstudium. Vielleicht kann Umweltminister Müller dazu einiges erklären.

Die Daten bestätigen diese Entwicklung. Die Forschungsinstitute haben ihre Wachstumserwartung am

Dienstag vor dem Haushaltsausschuss des Bundestages wieder gesenkt, diesmal signifikant unter 2 %. Im Mai erwarten wir eine Inflationsrate von über 3 % im Vergleich zum Vorjahr. Die Ökonomen von Goldman Sachs gehen sogar davon aus, dass wir realistischerweise nur noch mit einem Wirtschaftswachstum von 1,3 % im Jahresdurchschnitt werden rechnen können.

Seit Januar sinkt die saisonbereinigte Arbeitslosenzahl nicht mehr, im April ist sie gestiegen und sie wird im Mai weiter saisonbereinigt steigen.

In Deutschland liegt die Beschäftigungsschwelle bei ungefähr 1,8 % Wachstum. Wächst die Wirtschaft mit einer geringeren Rate, werden netto keine zusätzlichen Arbeitsplätze mehr geschaffen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, vergessen Sie diesmal nicht die Grundschulmathematik: Sinkendes Wirtschaftswachstum bedeutet sinkende Steuerzahlungen und weniger Steuerzahlungen bedeuten weniger Steuereinnahmen. Die Steuerschätzung im November wird es Ihnen wieder beweisen.

Dieses gesamtwirtschaftliche Szenario ist der Hintergrund, vor dem sich die finanzpolitische Tragödie in Schleswig-Holstein beschleunigen wird. Denn die Landesregierung ersetzt zielgerichtete Politik zunehmend durch PR-Maßnahmen - und zwar schlechte PRMaßnahmen - und sie glaubt diesen Unsinn anscheinend auch noch.

Das neueste Beispiel ist die Studie der BertelsmannStiftung zum Standortwettbewerb zwischen den Bundesländern. Ich finde es schade, dass Herr Minister Rohwer nicht anwesend ist. Sonst hätten wir mit einigen - man muss es wirklich so sagen - Lügen, die verbreitet worden sind, aufräumen können.

(Beifall bei der FDP sowie des Abgeordneten Martin Kayenburg [CDU])

Die Ergebnisse der Studie und die Interpretation durch die Ministerpräsidentin machen das Dilemma unseres Landes so deutlich, dass ich diese ausführlich darstellen muss.

In dieser Studie werden Aktivitäten und Erfolge der Bundesländer in den Bereichen Beschäftigung, Wirtschaftsleistung sowie soziale und innere Sicherheit bewertet. Dabei wurden die Zeiträume 1991 bis 1995 und 1996 bis 1998 betrachtet. Das Datum 1998 ist hierbei besonders wichtig. Schleswig-Holstein erreichte im Zeitraum 1996 bis 1998 im Erfolgsindex Platz acht. Hinter Schleswig-Holstein lagen die fünf ostdeutschen Länder plus Berlin sowie RheinlandPfalz und das Saarland. Schleswig-Holstein lag damit auf dem drittletzten Platz der relevanten Vergleichsgruppe. Denn für Schleswig-Holstein kann nur der

(Wolfgang Kubicki)

Vergleich mit den westdeutschen Ländern interessant sein. Ostdeutschland liegt, was das Produktivitätsniveau angeht, bei zwei Dritteln des Ergebnisses der westdeutschen Länder, die Arbeitslosigkeit ist im Schnitt doppelt so hoch wie im Westen, die Spuren des Sozialismus wirken gnadenlos nach. Und dies wird noch Jahrzehnte andauern. Also: Platz acht von zehn für Schleswig-Holstein.

Wie interpretiert die Landesregierung dieses Ergebnis? Schleswig-Holstein ist Spitze. In ihrer Presseerklärung vom 22. Mai heißt es:

„Das Land ist Spitzenreiter, wenn es um die Entfaltung von Aktivitäten zur Erreichung eines höheren Bruttoinlandsproduktes pro Kopf der Bevölkerung und um höheres Wachstum geht.“

Dabei bezieht sich die Ministerpräsidentin allerdings auf den Teilbereich „Wirtschaftsleistung der Aktivitäten“. Dort erreicht Schleswig-Holstein Platz eins. Im Erfolgsindex liegen wir auch in dieser Kategorie auf Platz acht. Dabei stellen die Forscher allerdings fest, dass Schleswig-Holstein von 1991 bis 1998 ein überdurchschnittliches Wirtschaftswachstum aufwies. - Bis 1998!

Vergleichen wir dies mit dem neuesten Wirtschaftsbericht der Landesregierung! Dort wird gezeigt, dass das Wirtschaftswachstum in Schleswig-Holstein von 1991 bis zum Jahr 2000 unterdurchschnittlich war: Deutschland 14,8 %, Westdeutschland 11,2 % und Schleswig-Holstein 9,4 %.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, unterstellen wir, dass zumindest im Wirtschaftsministerium gerechnet werden kann, heißt das eindeutig: Schleswig-Holstein fällt massiv zurück.

(Martin Kayenburg [CDU]: So ist das! Ge- nau!)