Protocol of the Session on November 16, 2000

Wir sind an der Stelle - das ist ein Erfolg unserer Leitkulturdiskussion - ein Stück weiter.

(Zurufe von der SPD: Oh, oh!)

Dafür danke ich der linken Seite dieses hohen Hauses sehr herzlich.

(Beifall bei der CDU - Konrad Nabel [SPD]: Ja, ja, Ihre Leitkultur! - Friedrich-Carl Wo- darz [SPD]: Leithammel wäre sicherlich bes- ser! - Weitere Zurufe und Unruhe)

Deswegen, Frau Simonis, bringt es uns überhaupt nicht weiter, wenn Sie an dieser Stelle den Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion beschuldigen, er würde damit Ausländerfeindlichkeit in Deutschland schüren. Das ist infam.

(Beifall bei der CDU)

Nehmen Sie diese Entgleisung zurück.

(Glocke der Präsidentin)

Herr Abgeordneter, kommen Sie bitte zum Schluss!

Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin!

Wir sind zu einer Gemeinschaft der Demokraten bereit. Die Werte unseres Grundgesetzes müssen von jedem respektiert und eingehalten werden. Unsere christlich-abendländische Kultur ist das Fundament unserer Gesellschaft und unseres Zusammenlebens.

Der Bericht zeigt die Probleme auf. Der Bericht zeigt auch, dass wir weiterhin zu einer Gemeinsamkeit aufgefordert sind. Aber wir müssen auch die Kraft zu einer ehrlichen Debatte über Probleme miteinander haben. Ich sage Ihnen insgesamt: Wir stehen zusam

(Dr. Johann Wadephul)

men im Kampf gegen Extremismus von links und rechts.

(Lebhafter Beifall bei CDU und F.D.P.)

Ich erteile das Wort Herrn Abgeordneten Thomas Rother.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Antwort der Landesregierung auf unsere Große Anfrage „Rechtsextremismus und Ausländerfeindlichkeit in Schleswig-Holstein“ macht deutlich, dass in diesem Land mehr passiert als nur die Reaktion auf den Knüller des diesjährigen Sommerlochs. Die Antwort ist umfassend, informativ und bleibt - wie die Antwort auf unsere Große Anfrage aus dem Jahr 1990 - immer noch sehr bedrückend - bedrückend vor allen Dingen auch deswegen, weil trotz der Gegenstrategien, die 1990 entwickelt wurden, der Einzug der DVU in den Landtag 1992 nicht verhindert werden konnte.

(Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: Das haben wir geändert!)

Ich möchte einige Anmerkungen zu den Teilen des Berichts machen, die Fragen offen lassen und politische Entscheidung erfordern. Ich möchte mich nicht auf irgendwelche Spitzfindigkeiten oder politische Nebenkriegsschauplätze wie Herr Wadephul einlassen,

(Beifall bei SPD und SSW)

sondern das, was er am Ende seiner Rede betont hat, nämlich die Gemeinsamkeit der Demokraten im Kampf gegen den Rechtsextremismus herausstellen und tatsächlich etwas zum Bericht der Landesregierung sagen.

(Lothar Hay [SPD]: Sehr gut!)

Wir müssen uns in Sachen Rechtsextremismus auf eine neue Situation einstellen. Ging es dieser Szene früher vor allem um die Verharmlosung und damit um die Rehabilitation der Akteure der NS-Zeit und des Zweiten Weltkriegs, so ist mit der immer stärkeren Orientierung an so genanntem nationalrevolutionärem Gedankengut und dem Zentralthema Ausländer eine neue Qualität entstanden. Es ist sogar eine populäre rechtsextreme Kultur entstanden - mit Musik, Mode, neuheidnischer Esoterik -, die sich mitten in unserer Alltagskultur bewegt und jederzeit über das Internet erreichbar ist. Dies zur Kenntnis zu nehmen ist wichtig, vor allem wenn man unter dem Punkt „Gegen

strategien“ immer noch mehr auf die Auseinandersetzung mit dem historischen Faschismus verweist.

Das rechtsextremistische Einstellungspotenzial in der Bevölkerung liegt seit den Erkenntnissen der SINUS-Studie von 1979/80 bei fast unverändert 12 % bis 15 %, nach Studien mit weiterer Differenzierung sinkt dieser Anteil. Langzeitstudien über die Dauerhaftigkeit entsprechender Einstellungen gerade von Jugendlichen liegen nicht vor. Das muss nachgearbeitet werden. Schockermeldungen wie zum Beispiel, wie wenig Jugendliche sich in Brandenburg einen jüdischen Freund vorstellen können, sind wohl ein wichtiges Indiz für den Zustand der Gesellschaft, helfen aber in der Regel nicht weiter.

So stellt sich die Frage, ob wir immer mit einem gewissen Prozentsatz von Menschen, die eine solche Einstellung haben, leben müssen. Im gleichen Zusammenhang stellt sich die Frage, die Herr Kubicki aufgeworfen hat, ob nicht überreagiert wird, denn die Zahl der eingeleiteten Ermittlungs- und Strafverfahren mit einem rechtsextremen oder fremdenfeindlichen Hintergrund ist eher rückläufig und unsere Demokratie ist immer noch sehr stabil.

Auch hier gibt die Antwort der Landesregierung klare Hinweise: Die Bereitschaft, rechtsextreme Ansichten öffentlich zu äußern, ist gestiegen. Der offene Beifall aus der Szene für einzelne Aktivisten - und sei es ein Polizistenmörder - steigt. Es ist eine neue, ernste Bedrohungslage entstanden. Die Grundstimmung in der Szene ist deutlich aggressiver. Die Wahlbereitschaft zugunsten rechtsextremistischer Parteien wächst mit der Unzufriedenheit mit der Demokratie. Das haben wir in Schleswig-Holstein leider schon erlebt.

Daher war unsere Positionsbestimmung im September notwendig und richtig. Weitere Konsequenzen bleiben jedoch erforderlich: Das NPD-Verbot muss auf den Weg gebracht werden. Die Diskussion über das Verbot hat die NPD nicht gestärkt, sondern in eine Krise gestürzt. Wie nachhaltig ein Verbot wirken kann, haben Sie, Herr Wadephul, in einer Presseerklärung vom Oktober deutlich gemacht. Danke dafür! Es ist klar, wenn ein Verbot erfolgt, muss es konsequent umgesetzt werden und es müssen auch Nachfolgeorganisationen und Ähnliches konsequent bekämpft werden.

Das staatliche Gewaltmonopol muss zur Abwehr rechtsextremistischer Gewalt durchgesetzt werden. Wir stehen ganz eindeutig an der Seite der Polizei, die zum Beispiel bei Demonstrationen nicht die Faschisten schützt, sondern die Grundlagen unserer Demokratie.

(Beifall bei der SPD)

(Thomas Rother)

Aber auch Faschisten haben Grund- und Menschenrechte. Wenn sie diese jedoch für ihre menschenverachtenden Ziele missbrauchen, ist der repressive und wehrhafte Staat gefordert. Die rechtlichen Grundlagen sind dafür vorhanden. Sie müssen klug - wie zum Beispiel beim NPD-Verbot - und konsequent eingesetzt werden. Wir stehen damit an der Seite der Stadt Neumünster und ihres Bürgermeisters bei der Durchsetzung der Schließung des Club 88.

Ich habe viel Verständnis für Unmutsäußerungen darüber, dass dem Szenekommerz - in welcher Form er auch immer auftritt - nur mit großen Mühen - auch rechtlichen Mühen - beigekommen werden kann. Genauso ist es für mich unfassbar - die Ministerpräsidentin hat es angesprochen -, dass Jugendliche, die einen Ausländer in Guben zu Tode hetzen, mit einer gerichtlichen Verwarnung davonkommen. Präventionsarbeit - das ist wichtig - muss fortgeführt und stetig fortentwickelt werden. Nur auf diesem Weg können wir die Zahl dieser 10 % bis 15 % der Menschen mit rechtsextremem Weltbild langfristig reduzieren. Ein Abfinden mit dieser Situation darf es nicht geben. Das käme einer Kapitulation gleich.

(Beifall bei SPD und SSW)

Wir müssen uns als demokratische, solidarische und weltoffene Gesellschaft kenntlich machen. Das betrifft viele Bereiche und reicht vom Abgewöhnen dummer sprachlicher Gewohnheiten bis zur Förderung von Integrationsarbeit für Ausländerinnen und Ausländer. Für das Beispiel der Sprache ist der Begriff „Deutsche Leitkultur“ ein sehr gutes schlechtes Beispiel.

(Beifall des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

Setzen Sie doch einmal „Demokratische Leitkultur“ dagegen, dann merken Sie vielleicht, worum es bei der Kritik dieses Begriffs geht. Ich möchte mir gar nicht vorstellen, was sich so mancher vielleicht bei einem Begriff wie „Polnische Leitkultur“ denken würde.

Wir können die zwölf Jahre faschistischer Herrschaft in Deutschland nicht ignorieren, ganz einfach ignorieren. Wir tragen auch als Generation, die sich vielleicht nicht mit Schuld beladen hat, natürlich Verantwortung für die deutsche Geschichte. Das muss bei all diesen Äußerungen immer und immer wieder bedacht werden.

(Beifall bei SPD und SSW - Zuruf des Abge- ordneten Wolfgang Kubicki [F.D.P.])

Wir als Parlamentarier selbst müssen besondere Verantwortung tragen, indem wir dafür sorgen, dass unsere Demokratie funktioniert, Probleme gelöst, die Sorgen der Menschen ernst genommen, Chancen und

Perspektiven für alle - wirklich alle - geboten werden. Ich bin dankbar dafür, dass die Ministerpräsidentin ein „Bündnis gegen Rechts“ - so heißt die Überschrift tatsächlich; „Rechtsextremismus“ hat sie in ihrer Rede gesagt - gemeinsam mit anderen initiiert hat. Ich halte - wie Herr Wadephul - diesen Begriff für etwas unglücklich, da es auch unter den Rechten sehr anständige Leute gibt. Eine Vermengung mit Rechtsextremismus herbeizuführen, ist wirklich unglücklich. Da erledigen wir unbewusst das Geschäft für Leute, mit denen wir eigentlich gar nichts zu tun haben wollen.

(Beifall bei der CDU und der Abgeordneten Anke Spoorendonk [SSW])

Besonders hervorheben möchte ich das Engagement der Wirtschaft. Einzelne Betriebe und Unternehmensverbände haben ganz deutlich Stellung gegen Rechts außen bezogen. Das ist bei diesem Thema nicht alltäglich, da es bislang eher vom linken politischen Spektrum besetzt war.

So ein wichtiges Zeichen wurde auch von den über 300.000 Menschen gesetzt, die am Jahrestag der Reichspogromnacht in diesem Jahr der Opfer der alten und neuen Nazis gedachten.

Genauso ein wichtiges Zeichen werden die Aktionen der Landesschülervertretungen am 27. Januar des kommenden Jahres sein, dem Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz. Schülerinnen und Schüler werden im ganzen Land ein Zeichen der Solidarität mit all denen setzen, die wegen ihrer Hautfarbe, Herkunft, Nationalität oder Religion verfolgt oder ausgegrenzt werden. Die Ansätze des Kultusministeriums - auch im Bericht aufgezeigt und durch die letzten Presseveröffentlichungen bekannt - sind gut, richtig und wichtig. Zusammenwirken von Schule und Jugendarbeit, Lehrerfortbildung, Projektarbeit, Elternarbeit und verbesserte Unterrichtsmaterialien können als Beispiel genannt werden. Die Tagung des IPTS zum Thema „Rechtsextremismus - was kann Schule tun?“ hat weitere konkrete Hinweise gegeben.

Auf keine andere Weise als über die Schule können so viele Jugendliche mit dem Thema konfrontiert werden, können so viele Konflikte ausgetragen werden. Die Schule setzt sich nicht nur mit dem historischen Faschismus auseinander, sondern die eingangs von mir genannten Themen Rassismus und rechtsextreme Kultur sind Gegenstand der vielfältigen Aktivitäten. Gerade die letzten Themen sollten noch stärker in den Vordergrund gerückt werden. Es würde mich freuen, wenn den Schulen nicht nur das Buch „Erzählt es euren Kindern“ - wie Sie vielleicht aus der Presse

(Thomas Rother)

erfahren haben -, sondern auch das Buch „Papa, was ist ein Fremder?“ zur Verfügung gestellt würde.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Wichtig bleibt auch die Zivilcourage eines jeden Einzelnen, Gewalt und Extremismus entgegenzutreten, zu handeln und nicht wegzuschauen. Zivilcourage muss gewürdigt und gefördert werden. Vorfälle wie in Braunschweig, wo ein Behinderter vor den Augen hunderter Passanten von Jugendlichen bedroht, beworfen, bespuckt und gedemütigt werden konnte, ohne dass jemand eingriff, ohne dass jemand hinterher überhaupt etwas gesehen haben wollte, sind das traurige Ergebnis einer Einstellung der Gleichgültigkeit und der heimlichen Kumpanei. Das müssen wir leider zur Kenntnis nehmen.

(Beifall im ganzen Haus)