Protocol of the Session on December 15, 2004

Ja, Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. Es ist wirklich der letzte Satz. - Sie haben jetzt die Gelegenheit, unserem Antrag, ausgedruckt in der Beschlussempfehlung Drucksache 15/3792 (neu) - Herr Dr. von Hielmcrone hat es gerade vorgelesen -, zuzustimmen.

(Beifall bei der CDU)

Ich erteile dem Herrn Abgeordneten Dr. Höppner das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben am 14. November des letzten Jahres hier in diesem Haus eine - wie ich meine - ausgesprochen differenzierte, sehr sachliche und vor allen Dingen sehr angemessene Diskussion über die Konsequenzen aus dem Kopftuch-Urteil des Bundesverfassungsgerichts geführt. Liebe Kollegin Eisenberg, ich habe jetzt ein bisschen das Gefühl, als seien wir kurz davor, diese Linie zu verlassen.

Wir Schleswig-Holsteiner haben nicht nur jahrzehntelange Erfahrungen im Umgang mit Minderheiten aus der nördlichen Region, sondern wir haben auch durchaus lange Erfahrungen im Zusammenleben mit Menschen, die aus muslimischen Ländern zu uns gekommen sind. Ich denke an ganze Stadtteilbereiche in Kiel oder auch in Neumünster. Wir haben in diesen Stadtteilen Schulen mit mehr als 50 % an muslimischen Schülerinnen und Schülern. Das Kopftuch - das müssen wir heute sagen -, das muslimische Schülerinnen in den Schulen tragen, ist dort durchaus eine Alltagserscheinung.

Es gibt immer wieder Zeiten, in denen die Frage einer deutschen Leitkultur hochgespielt wird, der der Begriff der multikulturellen Gesellschaft entgegengestellt wird. Leider - das sage ich aus persönlicher Sicht - werden diese Diskussionen in unserer Gesellschaft, in unserer sehr medienbetonten Gesellschaft fast immer parallel zu Berichterstattungen über terroristische islamistische Aktivitäten geführt und vielleicht auch im Zusammenhang mit der Debatte über die Beitrittsverhandlungen der Türkei in die EU. Es sind - das ist sehr eindeutig formuliert worden - geglaubte kulturelle Unvereinbarkeiten einer muslimischen Gesellschaft mit der abendländischen christlichen Kultur der übri

(Dr. Henning Höppner)

gen EU-Staaten, die zum Beispiel nach Aussagen der Vorstände von CDU und CSU auch ein wesentlicher Grund für die Versagung einer Vollmitgliedschaft der Türkei in der EU sein sollen. Ich hatte eben allerdings so ein bisschen das Gefühl, als wollten Sie die Türkei im Umgang mit islamischen Symbolen durchaus zum Vorbildstaat machen.

(Vereinzelter Beifall bei SPD und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Kopftuch, wie die Anhörung gezeigt hat, ist eben doch nicht ganz unstrittig ein kulturelles und ein religiöses Symbol einer anderen Gesellschaft. Ich erinnere an die Beispiele, die der Herr Kollege Dr. Klug am 14. September hier in diesem Haus mit unterschiedlichen Interpretationsansätzen dargelegt hat.

Leider ist es im Augenblick so, dass im Zusammenhang mit der relativ breit geführten Diskussion um das Symbol Kopftuch in einer Vielzahl von Fernsehzuschauern die Vorstellung erweckt worden ist, dass es sich bei dieser Diskussion um eine Diskussion um ein Kopftuchverbot im Allgemeinen handelt. Frau Kollegin Eisenberg, Sie haben in der Diskussion vor einem Jahr die richtige Aussage getroffen, indem Sie gesagt haben, dieses Thema sei für Stammtischdiskussionen eigentlich nicht geeignet. Leider - das sage ich ganz ehrlich - sind die Stammtischdiskussionen in den vergangenen 14 Monaten nach dem Urteilsspruch aus Karlsruhe nicht weniger, sondern eher mehr geworden.

Wenn wir über Konsequenzen aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts sprechen, sollten wir einmal auf den Kern des Verfahrens zurückkommen, nämlich auf die Frage der Zulässigkeit des Tragens eines Kopftuchs einer muslimischen Lehrerin in einer öffentlichen Schule im Zusammenhang mit ihrer Einstellung und Verbeamtung. Das sind die Anlässe gewesen.

Das baden-württembergische Gesetz - das können wir heute, nach über einem Jahr sagen - hat uns hier überhaupt nicht weitergebracht.

(Vereinzelter Beifall bei SPD und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Was wir von diesem Gesetz erwartet haben, nämlich Rechtssicherheit, ist in keiner Weise eingetreten. Die Ministerin hat schon vor einem Jahr auf die Problematik des baden-württembergischen Gesetzes hingewiesen. Damals, am 14. November 2003, hat die Ministerin dieses Parlament aufgefordert, ein solches Gesetz, wenn es sich denn auf ein solches verständigen will, doch möglichst aus der Mitte des Parlamentes heraus zu erarbeiten. Das, liebe Kolleginnen und

Kollegen, haben wir leider alle nicht zustande gebracht.

Meine Fraktion sieht daher keine Veranlassung, mit dem alten Antrag oder mit dem im Bildungsausschuss modifizierten Antrag am Ende dieser Legislaturperiode eine Entscheidung zu treffen. Weil die Diskussion weiterläuft und weil sie nicht entschieden ist, werden wir den CDU-Antrag ablehnen, obwohl auch wir uns im Klaren darüber sind - das sage ich ganz deutlich -, dass die Diskussionen weitergehen müssen.

(Beifall bei SPD und FDP)

Ich möchte zunächst auf der Tribüne die nächste Gästegruppe begrüßen, und zwar den CDU-Kreisverband Steinburg. - Herzlich willkommen!

(Beifall)

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Klug.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit dem Thema Kopftuchverbot verbinden sich komplizierte und nicht leicht zu beantwortende verfassungsrechtliche Fragen. Die CDU hat dabei leider ausdrücklich darauf verzichtet, selber einen konkreten Gesetzentwurf vorzulegen. Das ist schade, denn angesichts der schwierigen und teils widersprüchlichen Rechtslage lässt sich eigentlich nur anhand eines konkreten Gesetzestextes eine Entscheidung treffen, ob die vorgeschlagene Regelung wirklich annehmbar ist.

(Beifall der Abgeordneten Jutta Schümann [SPD])

Die Union macht es sich sehr einfach, wenn sie nur einen Entschließungsantrag präsentiert, der für ein gesetzliches Kopftuchverbot plädiert, ohne zu sagen, wie dieser Gesetzentwurf denn aussehen soll.

(Beifall bei FDP und SPD)

Deswegen hat sich meine Fraktion nach den gestrigen Beratungen, die wir dazu geführt haben, entschlossen, den Antrag abzulehnen.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch der Jurist und CDU-Bundestagsabgeordnete Ronald Pofalla - neuerdings Mitglied der Fraktionsspitze der Union - gehört zu denjenigen, die davon ausgehen, dass landesgesetzliche Regelungen in dieser Frage postwendend wieder vor den Richtern in Karlsruhe landen würden. In der Zeitschrift „NJW“, Heft 17, aus 2004, schreibt er - ich zitiere -:

(Dr. Ekkehard Klug)

„Spätestens dann wird es in Karlsruhe erneut darum gehen, ob die neu geschaffenen Gesetze mit dem verfassungsrechtlich garantierten Recht auf Religionsfreiheit in Einklang zu bringen sind. Das Bundesverfassungsgericht wäre in diesem Fall gut beraten, beide Senate als Plenum entscheiden zu lassen, um weitere Widersprüchlichkeiten in der Rechtsprechung zu vermeiden.“

Zu den fachkundigen Gutachtern, die in der Anhörung, die wir als Landtag durchgeführt haben, Stellung genommen haben, gehört die Berliner JuraProfessorin Susanne Baer von der HumboldtUniversität. Frau Baer und ihr Mitarbeiter Michael Wrase gelangen in ihrer Stellungnahme zu dem Fazit, dass dem Landesgesetzgeber nach derzeitiger Verfassungsrechtsprechung zwei Handlungsalternativen prinzipiell offen stünden.

Eine dieser Möglichkeiten ist demnach eine Neutralitätslösung, die darin besteht, dass - ich zitiere - „das Tragen religiöser Kleidungsstücke oder Symbole im Schuldienst oder für Beamte allgemein“ untersagt wird. Das gilt dann eben für alle und kann nicht bloß für ein Kopftuch gelten. Das ist die Option Nummer eins: generelle Neutralität.

Die zweite Möglichkeit - das sagen die Gutachter Frau Professor Baer und ihr Mitarbeiter Herr Wrase - ist eine Toleranz- beziehungsweise Integrationslösung, bei der man solche äußeren Zeichen religiöser Überzeugung - ich zitiere - „in einem vertretbaren Umfang“ zulässt. Es heißt dann weiter - und das finde ich wirklich interessant -:

„Für diesen Fall besteht kein Bedarf für eine gesetzliche Regelung. Das geltende Beamtenrecht genügt, um einer konkreten Gefahr“

(Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

„religiöser Beeinflussung zu begegnen. So kann die Einstellung einer Lehramtsbewerberin, die kein Gewähr für eine jederzeit neutrale und tolerante Haltung während des Unterrichts bietet, aufgrund fehlender Eignung für den öffentlichen Dienst abgelehnt werden. Insbesondere wäre eine Lehrerin, die Frauen als ‚unrein’ erklärt, wenn diese kein Kopftuch tragen, und in ihrer Schule diskriminierende Abgrenzungen zwischen Menschen verschiedener Glaubensrichtungen vornimmt, für den Schuldienst nicht geeignet.“

(Beifall)

Das ist natürlich - wie wir alle wissen - genau auf den Fall Ludin gemünzt.

Ich muss sagen: Nach derzeitigem Diskussionsstand haben ich und meine Fraktion eine Präferenz für die zweite Option. Wir wollen in solchen Fällen sehr wohl von staatlicher Seite auch einschreiten und einschreiten können. Aber wir sagen: Dazu bedarf es nicht unbedingt einer gesetzlichen Regelung - und schon gar nicht einer gesetzlichen Regelung, die dann postwendend in Karlsruhe von den Bundesverfassungsrichtern ausgehebelt würde.

Meine Damen und Herren, ich möchte abschließend darauf hinweisen, dass das, was an Gesetzen in den einzelnen Bundesländern verabschiedet worden ist, von vielen Juristen im Hinblick auf ihre Verfassungskonformität und Kompatibilität mit EU-Recht infrage gestellt wird. Dazu gehört unter anderem auch die Gutachterin Frau Dr. Laskowski von der Universität Hamburg, die auch in unserer Anhörung Stellung genommen hat. Ich finde, dass Frau Laskowski über diese Thematik Kopftuchverbot im engeren Sinne hinaus eine sehr wichtige zusätzliche Anmerkung gemacht hat, die ich zum Abschluss zitieren möchte. Sie sagt nämlich - und das geht wirklich weit über das enge Themenfeld Kopftuchverbot für Lehramtsbewerberinnen hinaus -:

„Der Blick muss sich künftig stärker auf die in Deutschland lebenden Frauen und Mädchen mit Migrationshintergrund richten. In den gesellschafts- und rechtspolitischen Fokus müssen endlich die täglich gegenüber diesen Frauen stattfindenden Repressalien treten, die sich in erzwungenen Kopftüchern, Zwangsheirat, Gewalt etc. ausdrücken und in erster Linie von männlichen Familieangehörigen in den bereits existierenden islamischen Nebengesellschaften mitten in Deutschland ausgeübt werden.“

(Beifall)

Ich denke, hier werden wirklich Fragen an unser Verfassungsverständnis, unser Rechtsverständnis und unser politisches Verständnis aufgeworfen, die viel weitreichender und wichtiger sind als das, was sich mit dem Thema Kopftuchverbot im engeren Sinn verbindet.

(Beifall bei FDP, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich erteile der Frau Abgeordneten Fröhlich das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteil die Gesetzgebungskompetenz zur Frage eines Kopftuchverbotes an die Länder zurückgegeben. Sie können und sie sollen eigenverantwortlich eine politische und moralische Entscheidung nach ausführlicher Abwägung der unterschiedlichen Rechtsgüter treffen, die den jeweiligen landesspezifischen Gegebenheiten Rechnung trägt.

Die CDU hat daraufhin unverzüglich ihren Antrag eingebracht und für Schleswig-Holstein eine gesetzliche Regelung - also ein Verbot des Kopftuches an Schulen - gefordert, allerdings ohne dass es in unserem Land konkreten Handlungsbedarf gäbe. Genau das setzte das Bundesverfassungsgericht aber voraus.

Uns sind von keiner Schule Schwierigkeiten bekannt, die eine gesetzliche Regelung notwendig machen würden. Ganz im Gegenteil: Aus anderen Bundesländern liegen sogar positive Erfahrungen vor. In Nordrhein-Westfalen beispielsweise unterrichten 15 Muslima, von denen sieben verbeamtet sind, ohne dass es zu Beschwerden gekommen wäre. Bundesweit sind es nach Recherche des Zentralrates der Muslime sogar zwischen 30 und 40 Beamtinnen, die Kopftuch tragen.

Die langjährige Erfahrung kopftuchtragender Lehrerinnen an öffentlichen Schulen in mehreren Bundesländern zeigt, dass das Kopftuch allein weder von Schülerinnen und Eltern noch Kolleginnen als Zwangsmissionierung empfunden wird.

Die Gemengelage der durch die Kopftuchfrage betroffenen Rechtsgüter ist überaus komplex. Neben der religiösen Glaubensfreiheit und dem freien und gleichen Zugang zu öffentlichen Ämtern sind die persönliche Freiheit der Lehrkraft sowie die der Schülerinnen berührt. Weitere Rechtsgüter wie der staatliche und der elterliche Erziehungsauftrag, das Neutralitätsgebot des Staates, die Gleichberechtigung von Männern und Frauen und nicht zuletzt die Glaubensfreiheit der Schülerinnen spielen ebenfalls eine wichtige Rolle.

Zudem muss auch das Verhältnis von Schule, Schulunterricht, christlicher Religion und christlichem Religionsunterricht auf Länderebene kritisch betrachtet werden.