Protocol of the Session on June 18, 2004

dahindämmert. Ich sage Dornröschen, weil auch Märchen Kultur sind.

Gott sei Dank gibt es ja im Handlungsfeld Kultur und Tourismus schon erste Aktivitäten, die in die richtige Richtung gehen. Da allerdings von Meilensteinen zu sprechen, die die Landesregierung hier gesetzt haben will, wie es auf Seite vier des Berichts steht, halte ich doch - mit Verlaub gesagt - für ziemlich übertrieben. Wenn es so wäre, warum hinkt Schleswig-Holstein dann so hinter Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Bayern hinterher? Die Vergleichszahlen stehen im Bericht.

Die Einsicht, dass

„im Wettbewerb der touristischen Angebote dem Kulturtourismus eine zunehmend stärkere Bedeutung zukommt“,

ist vorhanden, genauso wie die Tatsache, dass

„Schleswig-Holstein bislang kein typisches Kulturreiseland ist, das die Gäste bevorzugt wegen distinktiver Kulturangebote besuchen.“

Dabei haben wir genug von distinktiven Kulturangeboten, die wir alle - hoffentlich - kennen und die ich an dieser Stelle nicht einzeln aufzuzählen brauche.

Daher ist es ein hoffnungsvoller Ansatz, dass zusammen mit der Tourismusagentur und dem Landeskulturverband die Kulturtouristische Marketinginitiative ins Leben gerufen wurde, um Schleswig-Holstein professionell als Kulturreiseland zu vermarkten. Dazu gehört auch und ganz besonders, dass neue Märkte erschlossen werden. Die Ministerpräsidentin, die heute auch wieder unterwegs ist, reist genug in der Welt herum. Ich hätte sie jetzt gern angesprochen, aber sie ist nicht da. Hoffentlich klingeln ihr jetzt die Ohren. Frau Ministerpräsidentin, verkaufen Sie Schleswig-Holstein dort, wo Sie hinreisen. Sie reisen - wie gesagt - genug in der Welt herum. Frau Ministerpräsidentin, verkaufen Sie SchleswigHolstein auch als Kulturreiseland. China ist zum Beispiel gerade für Kulturreisende ein riesengroßer Zukunftsmarkt. In diese Richtung zu arbeiten, ist übrigens leider nicht meine Idee, sondern der Vorschlag kommt vom Landeskulturverband. So verrückt sich der Vorschlag beim ersten Zuhören auch anhört, er ist einfach gut. Wir erobern jetzt China für die Kulturreisen! Leider wurde diese eben erwähnte kulturtouristische Marketinginitiative erst im letzten Jahr geboren, als im August das Kabinett auf Schloss Gottorf tagte und die kulturtouristischen Leitlinien verabschiedete. Spät - aber hoffentlich nicht zu spät - ist man regierungsseitig zur Einsicht gekommen, dass es

(Caroline Schwarz)

gilt, „dieses zurzeit noch geringe touristische Potenzial … deutlich zu stärken.“

Zu dieser Einsicht sind die neuen Bundesländer Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern - wie gesagt - schon sehr viel früher gekommen. Große Chancen liegen auch in anderen Segmenten der Kulturwirtschaft, die schon jetzt gut dastehen und es weiterhin verdienen, gefördert und unterstützt zu werden. Ich möchte nur exemplarisch den Buch- und Literaturmarkt nennen, der mehr Menschen Arbeit bringt als der klassische Wirtschaftsbereich der Werftindustrie.

(Roswitha Strauß [CDU]: Das ist aber keine Entweder-oder-Frage!)

- Nein, es ist aber interessant, diesen Vergleich zu haben. Diese Aussage im Bericht war für mich neu und außerordentlich erfreulich. Nehmen wir den Musikmarkt, mit dessen Wirtschaftskraft SchleswigHolstein immerhin nach den starken Musik- und Medienregionen Bayern, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg im Ländervergleich an achter Stelle liegt. Das ist wirklich respektabel! Neugierig gemacht hat mich die Schlussfolgerung im Bericht, zu der man nach einem Vergleich der Anzahl der Komponisten und Komponistinnen in unserem Land mit ihrem erzielten Umsatz kommt. Die Schlussfolgerung ist nämlich: Es müssen in Schleswig-Holstein ein paar Hitproduzenten leben, die offensichtlich sehr gut verdienen. Ich möchte sie gern kennen lernen. Wo sind sie?

(Ministerin Ute Erdsiek-Rave: Das sage ich Ihnen!)

- Ist in Ordnung.

Im Bericht wird an verschiedenen Stellen mit unterschiedlichen Formulierungen auf eins ganz deutlich hingewiesen - Frau Ministerin, Sie haben das auch gesagt – und ich verstehe diese Hinweise fast als einen mahnenden Zeigefinger: Die Förderung der öffentlichen Hand ist für die Kulturwirtschaft überlebensnotwendig. Sie darf sich aus der Kulturförderung nicht immer mehr zurückziehen. So steht auf Seite 6:

„Ohne die traditionell von den öffentlichen Händen finanzierte kulturelle Grundversorgung und die damit verbundene kulturelle Infrastruktur kann eine private Kulturwirtschaft nicht entstehen, denn unternehmerisches Handeln in der Kulturwirtschaft setzt eine kulturelle Sozialisation voraus, um sich auf den entsprechenden Märkten zu behaupten. Die kulturwirtschaftlichen Märkte wie

derum sind ihrerseits abhängig von einer kulturellen Infrastruktur.“

Was heißt das auf deutsch? - Geld der öffentlichen Hand muss immer da sein. Solche oder ähnliche deutliche Hinweise finden sich an mehreren Stellen im Bericht wieder. Zu Recht! Gerade in Zeiten leerer öffentlicher Kassen sollte die Erkenntnis für uns von großer Bedeutung sein, dass schon geringe Investitionen an der richtigen Stelle große wirtschaftliche Effekte erzielen können. Die Schlussfolgerung, die wir daraus ziehen müssen, ist: ohne öffentliche Förderung keine lebendige, erfolgreiche Kulturwirtschaft, keine Arbeitsplätze und kein Umsatz in dieser zukunftsorientierten Branche! Das sollten wir bei allem, was wir im Bereich Kultur beschließen oder auch nicht beschließen, immer bedenken.

Was hätte ein „Haus der Geschichte“ für Impulse in die Kulturwirtschaft hineingeben können!

(Beifall der Abgeordneten Dr. Ulf von Hielmcrone [SPD] und Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wie wird Lübeck, wenn denn die Bewerbung zur Kulturhauptstadt Europas von Erfolg gekrönt sein wird, wirtschaftlich profitieren!

Bislang hat Kultur in der öffentlichen Wahrnehmung als Wirtschaftsfaktor kaum stattgefunden, höchstens als weicher Standortfaktor, mit dem man bestenfalls zusätzlich werben kann. Dass Kulturwirtschaft aber mehr ist, sehr viel mehr, dass Kultur einen Motor für Wachstum und Beschäftigung darstellt, neben seiner Bedeutung im internationalen Standortwettbewerb der Städte und Regionen, und dass daher die öffentliche Förderung notwendiger ist denn je, das zeigt der vorliegende sehr ehrliche Bericht eindeutig auf.

Ich bedanke mich noch einmal für den Bericht und beantrage die Überweisung an den Bildungsausschuss, mitberatend an den Wirtschaftsausschuss.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Dr. von Hielmcrone das Wort.

Danke schön, für die korrekte Aussprache, Frau Präsidentin. - Meine Damen und Herren! Liebe Caroline, zunächst einmal herzlichen Dank dafür, dass du sei

(Dr. Ulf von Hielmcrone)

nerzeit den Antrag gestellt hast. Ich stehe nicht an, mich dafür zu bedanken.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Nun zum Bericht! Wir alle wissen, Kultur ist ein so genannter weicher Standortfaktor. Da weich bekanntlich das Gegenteil von hart ist, soll das ja wohl bedeuten: Kultur ist eben kein harter Faktor, damit irgendwie unbedeutend und zu vernachlässigen, nicht belastbar, etwa im Gegensatz zum Faktor Verkehrsinfrastruktur. Aber dennoch ist jeder Euro, der in und mit der Kultur verdient wird, ein harter Euro wie jeder andere Euro auch. Die Frage ist nur: Wie viele Euros können verdient werden und wie viele werden verdient?

Hier gibt der Bericht über die Kulturwirtschaft Auskunft. Ich möchte mich zunächst bei all denjenigen bedanken, die diesen sehr sorgfältigen Bericht zusammengestellt haben. Er ist wirklich eine Fundgrube.

(Vereinzelter Beifall bei SPD und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Einige Fakten: Im Jahr 2001 arbeiteten in der Kulturwirtschaft 5.319 umsatzsteuerpflichtige Personen, die immerhin einen Umsatz von fast 3 Milliarden Euro tätigten. Insgesamt waren mehr Personen in der Kulturwirtschaft beschäftigt als beispielsweise in der Landwirtschaft, nämlich 29.000 zu 28.000. Es handelt es sich also nicht um Peanuts.

1,5 Milliarden € setzte der Literatur- und Büchermarkt mit 17.500 Beschäftigten um; 600.000 Besucher zählten die öffentlichen Mehrspartentheater inklusive der Konzerte und 120.000 Eintrittskarten wurden für das SHMF verkauft, bei einem Budget von 7,5 Millionen €. Auch die Karl-May-Festspiele in Bad Segeberg - darauf wollte ich heute Morgen unbedingt hinweisen, das habe ich hiermit jetzt getan -, sind ein wichtiger Faktor für diese Stadt. 4,5 Millionen Besucher besuchen unsere Museen, zehn Institutionen haben mehr als 100.000 Besucher jährlich und acht über 50.000 Besucher. Wenn man von den zusätzlichen Ausgaben von zehn Euro pro Besucher ausgeht - andere Schätzungen liegen höher -, ergibt sich ein Umsatzvolumen von 45.000 Millionen €.

Alles in allem stellt die Kulturwirtschaft einen beachtlichen Faktor der schleswig-holsteinischen Wirtschaft dar, ein weicher Faktor ist sie nicht. Es wird hartes Geld verdient, auch wenn Bereiche ohne staatliche Hilfe nicht auskommen können. Das ist eben die Injektion, die benötigt wird, um den Kulturbetrieb aufrechtzuerhalten.

Wir haben im Übrigen nicht die Kulturwirtschaft entdeckt, Nordrhein-Westfalen ist auf diesem Gebiet Vorreiter gewesen und das bezeichnenderweise, nachdem die alte Montanindustrie, das frühere Rückgrad zwischen Rhein und Ruhr, dramatisch an Bedeutung verlor.

Kultur und Wirtschaft führen uns aber zu einem weiteren Aspekt: Kultur und Tourismus. Der Tourismus ist ein anerkannt wichtiger Faktor in der Wirtschaft des Landes. Welche Rolle spielt die Kultur? Unser Land wird - so der Bericht - bei den Touristen durch die naturräumlichen Gegebenheiten wahrgenommen: Meer und Naturnähe. Das Kultursegment ist gering vertreten, nur 1,3 % aller Reisen in unser Land sind Kulturreisen und nur 0,4 % der Besucher reisen mit Kulturmotiv. Das ist allerdings erschütternd wenig und wäre nur dann zu verstehen, wenn es in unserem Land tatsächlich kein nennenswertes Kulturangebot gäbe. Aber: Wir haben Schlösser, Herrenhäuser, Kirchen, Dome, alte Städte, ein reiches literarisches Erbe und eine reiche Musiküberlieferung. Nur: Das ist uns allen nicht hinreichend bekannt, geschweige denn, dass wir es vermarkten.

(Beifall der Abgeordneten Dr. Gabriele Köt- schau [SPD] und Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Jahrzehntelang seit 1945 hieß es, dass sich in Schleswig-Holstein die Musen hinterm Knick oder hinterm Deich versteckten. Darauf war man hierzulande auch noch Stolz.

Kultur ist ein weicher Faktor. Wir selber wissen zu wenig über unsere Kultur, wir selbst tun zu wenig, wir, die gesamte Gesellschaft. Das ist nicht die Schuld der Regierung, dass ist auch eine Schuld aller Beteiligten, unter anderem der Kommunen. Wir alle müssen selbstbewusster sein, was unsere Kultur anbelangt. Da liegt das Problem.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Und es ist diese Regierung, die dieses kulturelle Erbe erschließen will und aufbereitet. Zwei Punkte sind wesentlich: Die Potentiale zu identifizieren, zu erschließen und sie bekannt zu machen und die Verbesserung der Kooperation von Tourismus und Kultur.

Im Jahr 2003 interessierten sich 12 % der Deutschen für eine Kulturreise, 2000 waren es nur 10 %. Offenbach werden die 68er kulturbeflissen. Davon kommen aber nur sehr wenige in unserem Land an. Bereits heute werden Themenreisen nachgefragt: Backsteingotik und Reisen zu den literarischen Städten: Storm, Lenz, die Manns, Grass oder zu den Expressionisten:

(Dr. Ulf von Hielmcrone)

Nolde, Barlach, das Barlachhaus in Wedel - auch darauf wollte ich heute hinweisen. Eine Kulturhauptstadt Lübeck wird weitere Impulse geben,

(Beifall der Abgeordneten Renate Gröpel [SPD])

auch wenn diese Stadt sich im Augenblick wohl eher als NATURA-Hauptstadt fühlen mag.

(Beifall des Abgeordneten Joachim Behm [FDP])

Warum aber keine Fahrten zu den Denkmälern der Renaissance: Wilster, Krempe, Gottorf, Husum, Seedorf; warum keine Reisen zu den Orten des Klassizismus und der Aufklärung: Quickborn, Neumünster, Emkendorf und Eutin? Oder warum machen wir unsere Verbindung zu Russland nicht bekannter: Kiel, Gottorf und andere Orte? Wer weiß, dass das Haus Romanow eigentliche Holstein-Gottorf-Romanow heißt?

(Brita Schmitz-Hübsch [CDU]: Viele!)