Protocol of the Session on April 29, 2004

Das Lob und die Anerkennung kann ich leider nicht auf den Inhalt des Antrages beziehen, bei aller positiven Einschätzung des Kollegen Rother im Vorfeld. Ich formuliere es einmal höflich, lieber Thorsten: Wir stehen dem Anliegen der Union, die Befugnisse der Polizei bezüglich Internetdaten auszuweiten, zurückhaltend gegenüber. Der Antrag ist aus unserer Sicht kognitiv suboptimiert. Ich bin es langsam leid, immer wieder die gleichen Grundsatzreden zu Anträgen aus Wadephuls Law-and-Order-Stübchen, Geißlers Gemischtwarenladen für Sicherheitsbedarf, Lehnerts Boutique für Ordnungsartikel oder Schlies Security-Shop zu halten. Aber es geht wohl nicht anders.

Alle Anträge, die aus den Reihen der Union zum Thema „Innen“ kommen, zielen darauf ab, die Eingriffsbefugnisse staatlicher Ermittlungsorgane gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern zu erweitern. Wenn die Union dies mit der Absicht betreibt, den Innenminister des Landes vor sich herzutreiben, und den Eindruck kann man ja nach der gestrigen Debatte zum Ausländerrecht bekommen, dann lassen Sie sich gesagt sein, dass die Themen Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und auch Sicherheit zu wichtig sind, um damit politische Ränkespielchen zu betreiben.

(Beifall bei der FDP)

Wir werden auf jeden Fall nicht zulassen, dass die Bürgerinnen und Bürger mit ihren Grundrechten für ein paar Wahlprozente bei der Union bezahlen.

Wir stimmen mit der Union darin überein, dass der Bereich der Internetkriminalität immer bedeutender wird und sich auch die Strafverfolgungsbehörden dieses Problems immer intensiver annehmen müssen. Die Union fordert von der Landesregierung eine Initiative zur Änderung des Telekommunikationsgesetzes und der Strafprozessordnung. Die Union will, dass künftig die Polizei in die Lage versetzt wird, Internetprovidern die Löschung bereits gespeicherter Verbindungsdaten zu untersagen beziehungsweise die Speicherung künftiger Verbindungsdaten anzuordnen. Das soll die Polizei dann dürfen, wenn Tatsachen den Verdacht begründen, dass jemand Täter oder Teilnehmer an einer Straftat im Sinne des § 100 a der Strafprozessordnung ist. Gleichzeitig wird der genannte § 100 a der Strafprozessordnung um die genannten fünf Punkte erweitert, die im Antrag stehen, und fertig ist die Reform.

Auch hier ist die Erweiterung von Ermittlungsmöglichkeiten keine Lösung des eigentlichen Problems, Kollege Geißler. Das Problem - da muss ich mich auch ständig wiederholen - liegt in der mangelnden Sach- und Personalausstattung der Polizei. Zwar hat sich die vor einigen Jahren noch katastrophale Ausstattung der Polizei mit Rechnern insbesondere durch das Sicherheitspaket ein wenig verbessert, die Lage ist aber auch heute noch alles andere als rosig. Es fehlt beispielsweise an den so genannten Standalone-PCs in den Dienststellen. In ganz SchleswigHolstein haben wir ganze vier deliktübergreifende Datenverarbeitungsgruppen oder die DüDVGs.

Es kann auch nicht sein, und das ist ein Appell an die Landesregierung, dass bisher nur Bayern das einzige Bundesland ist, welches das Internet von Polizeibeamten nach strafrechtsrelevanten Inhalten durchsuchen lässt. Bei uns gibt es nach Auskünften aus der Polizei solche Internetstreifen jedenfalls nicht. Wir sind vielmehr davon abhängig, dass die bayerischen Beamten ihre Kollegen in Schleswig-Holstein informieren, wenn sie entsprechende Inhalte gefunden haben und die Zuständigkeit in Schleswig-Holstein liegt. Das alles sind Zeit verzögernde Faktoren, die dazu führen können, dass entsprechende Anordnungen im Ermittlungsverfahren zu spät erfolgen und so Erfolge verhindern. Es ist kein Begründungselement, warum wir die Anordnungsbefugnis von der Staatsanwaltschaft beziehungsweise von den Richtern auf Polizeibeamte übertragen müssen. Dort, Kollege Geißler, bei der Ausstattung müssen wir ansetzen und nicht im Gesetzestext, obwohl es nach unserer Auf

(Wolfgang Kubicki)

fassung durchaus Ergänzungsbedarf zum § 100 a StPO gibt.

So haben die Strafverteidigerverbände in einer gemeinsamen Stellungnahme vom März 2004 zu Recht festgestellt, dass bei der Telefonüberwachung nach § 100 a StPO eine Ausnahmeregelung für die Zeugnisverweigerungsberechtigten völlig fehlt. Dort besteht in der Tat Regelungsbedarf. Durch die Gesetzeshektik des Bundesinnenministers und entsprechender ihn unterstützender Kräfte kommen wir aber immer mehr zu unausgewogenen Regelungen im Verhältnis Verfolgungsmöglichkeiten und der Abwehrrechte der Bürgerinnen und Bürger, die in einem Rechtsstaat unabdingbar sind.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, kümmern Sie sich mit uns lieber darum, dass Polizei und Justiz ordentlich ausgestattet werden, dann sind Sie auf der richtigen Seite. Wir werden selbstverständlich, Kollege Geißler, deinen Antrag sehr sorgfältig beraten, unser Fachwissen einbringen. Vielleicht kommen wir doch zu einer Lösung, die deinen datenschutzrechtlichen Überlegungen entspricht und gleichzeitig das Gewicht zwischen Verfolgungsbehörde und Justiz in dem Lot belässt, in dem es sich gegenwärtig befindet.

(Beifall bei der FDP)

Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich jetzt Frau Abgeordneter Irene Fröhlich.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Geißler! Das Internet hat uns bekanntermaßen nicht nur den Segen der vereinfachten Kommunikation, sondern auch neue Formen der Kriminalität gebracht. Mittlerweile sind Internetkriminalität, Computerkriminalität oder auch Cybercrime allgemein gebräuchliche Begriffe in der Sicherheitsdebatte. Das Internet ist dennoch kein Hort des Verbrechens. Der Computer ist nicht bereits als solcher ein Medium, das stärker als andere Kriminalität begünstigt.

Die Tatsache, dass es in Computernetzen auf Grund der ohnehin anfallenden Datenspuren leichter ist, umfangreiche personenbezogene Informationen zu erheben, darf nicht zur Folge haben, dass dort die Schwelle für Eingriffe in Rechte von Unbescholtenen insgesamt sinkt. Dennoch können und sollen die Datenspuren selbstverständlich zur Strafverfolgung genutzt werden, wenn konkrete Hinweise auf eine Straf

tat vorliegen. Insofern halte ich den ersten Teil des CDU-Antrages für einen bedenkenswerten Vorschlag. Der so genannte „Quick Freeze“, das schnelle Einfrieren von Verbindungsdaten, kann der Strafverfolgung dienlich sein. Die nachträglicher richterliche Anordnung ist geeignet, missbräuchlicher Anwendung dieses Instruments vorzubeugen. So weit so gut.

Der zweite Teil des Antrages allerdings, die Erweiterung des Deliktkatalogs in § 100 a Strafprozessordnung hat dann allerdings nicht mehr nur mit Internetkriminalität zu tun, wie uns die Überschrift des Antrages glauben machen will. Es wird hier vielmehr ein ganz neues Fass aufgemacht. Die Befugnis des § 100 a umfasst nämlich nicht nur die Überwachung des Internetverkehrs, sondern die gesamte Telekommunikationsüberwachung, sprich, insbesondere auch das Abhören von Telefonen, das ja dann schon eine ganz andere Eingriffsqualität hat als die Speicherung von Internetverbindungsdaten.

Deutschland - das will ich bei dieser Gelegenheit sagen - ist unter den Spitzenreitern der Telefonüberwachung. In kaum einem anderen demokratischen Staat wird so viel mitgelauscht wie bei uns. Hierbei werden die gesetzlichen Rechte der Betroffenen, und das sind ja nicht nur die Verdächtigen, sondern auch die Familienangehörigen und andere, häufig nicht gewahrt. Statistiken und Untersuchungen wie jüngst die Studie des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht zeigen dies immer wieder auf.

Vor diesem Hintergrund stehe ich einer Erweiterung des Deliktkatalogs skeptisch bis ablehnend gegenüber. Eine Ausweitung des Deliktkatalogs lediglich im Hinblick auf das Einfrieren von Internetverbindungsdaten könnte sinnvoll sein. Dazu müssten dann natürlich die §§ 100 a ff. ganz neu gefasst werden. Wir werden sicherlich in den Ausschussberatungen ausführlich darüber sprechen. Möglicherweise kommen wir ja zu dem Schluss, dass wir künftig dann auch Innensenatoren oder Dezernenten aus anderen Kreisen für die Anhörung brauchen und um Stellungnahme bitten werden. Ich bin gespannt, was die uns für eine Stellungnahme schicken werden.

Ich will jedenfalls die letzten mir noch verbleibenden Sekunden nutzen, um, Herr Geißler, mich bei Ihnen persönlich ganz herzlich zu bedanken für eine jederzeit faire, freundliche, manchmal streitbare, aber immer gute Zusammenarbeit. Vielen Dank und alles Gute für Sie.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort für den SSW im Schleswig-Holsteinischen Landtag erteile ich jetzt der Frau Abgeordneten Silke Hinrichsen.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag der CDU beschäftigt sich zunächst mit der Ausweitung der Katalogstraftaten des § 100 a Strafprozessordnung und mit der Ausweitung der Befugnisse der Staatsanwaltschaft auf die Polizei bei Gefahr im Verzug.

Die Erweiterung der Katalogstraftaten des § 100 a StPO bedeuten, dass die für die Telekommunikationsüberwachung erforderlichen Ermittlungsverfahren wegen bestimmter Strafverfahren meiner Ansicht nach immer unklarer werden.

§ 100 a StPO enthält heute bereits viele Straftaten, bei denen es nicht ersichtlich ist, warum sie gerade in diesen Katalog aufgenommen wurden. Nach unserer Ansicht wäre es sicherlich wünschenswert, im Bereich des sexuellen Missbrauchs und der Kinderpornographie den Katalog zu erweitern. Der schwere Menschenhandel, der in Ihrem Antrag ebenfalls angesprochen wurde, ist aber bereits heute im Katalog genannt. Es gibt noch einen Paragraphen des StGB, den ich leider gar nicht finden konnte, der aber laut Ihres Antrags auch aufgenommen werden sollte. Deshalb ist die Liste der Erweiterungen genau zu überprüfen.

Ich vermisse - das will ich hier auch sagen - eine Begründung dafür, warum gerade diese in Ihrem Antrag genannten Taten dringend zum Bereich des 100 a StPO hinzugefügt werden müssten. Nach unserer Ansicht wäre es sinnvoller, den gesamten § 100 a StPO einer Revision zu unterziehen. dann müsste geschaut werden, welche Straftaten dazugehören und ob die Verhältnismäßigkeit der danach erlaubten Eingriffe für bestimmte Straftaten überprüft ist.

Sie wissen vielleicht auch, dass gerade die Einfügung der Geldwäsche in den Katalog sehr umstritten war, da dieser Straftatverdacht der Eingang für Ermittlungen zu nicht im Katalog genannter Straftaten sein kann.

Ein weiterer Punkt des Antrages erfasst die Ausweitung der Befugnisse der Polizei bei Gefahr im Verzug. Hier frage ich mich, ob dieser Schritt erforderlich ist. Zurzeit darf nach § 100 b StPO die Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation nur

durch einen Richter angeordnet werden; auf den Richtervorbehalt lege ich weiterhin Wert.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Sehr gut!)

Bei Gefahr im Verzug kann diese Anordnung auch durch den Staatsanwalt erfolgen. Dies muss dann hinterher aber richterlich bestätigt werden. Das gilt - das hatten Sie auch in Ihrem Antrag ausgeführt - gegebenenfalls auch für die Polizei.

(Beifall bei SSW und FDP)

Kollegin Fröhlich hatte schon die Untersuchung des Max-Planck-Institutes Freiburg genannt. Aus dieser Untersuchung ergibt sich nicht, warum eine Ausweitung der Befugnisse auf die Polizei erforderlich sein soll.

Ich gehe davon aus, dass die Justizministerin dazu gleich Stellung nehmen wird. Denn ich meine, dass es jederzeit für die Polizei in Schleswig-Holstein möglich ist, einen Staatsanwalt zu erreichen, der sehr kurzfristig diese Anordnung erteilen kann.

Ich sehe folgendes Problem: Wenn die Polizei diese Ermittlungen führt, muss sie trotzdem die Anforderungen nach § 100 b StPO genau prüfen. Die Überwachungsanordnung muss die Telekommunikation betreffen, der Tatverdacht muss aufgrund bestimmter Tatsachen belegt werden, der Verdacht muss sich auf eine Katalogstraftat beziehen und andere Aufklärungsmittel dürfen nicht vorliegen oder nicht ausreichend erfolgversprechend sein. Hier werden also sehr hohe Anforderungen an die Qualität der Überprüfung durch die Polizei gestellt. Das halte ich für sehr schwierig, wenn die Polizei in diesen Ermittlungen steckt. Wenn der Staatsanwalt aber eingeschaltet wird, kann spätestens er die Anforderungen nach § 100 b StPO prüfen.

Deshalb habe ich im Moment Bedenken gegen diesen Antrag. Wir werden uns im Ausschuss darüber unterhalten.

An dieser Stelle möchte ich mich bei dir, lieber Torsten, bedanken. Ich darf darauf hinweisen, dass ich in diesem Fall keinerlei datenschutzrechtlichen Bedenken äußern konnte, was auch nicht so angebracht wäre. Denn gerade im Bereich des Datenschutzes bist du fit. Aber hier sind es mehr die rechtsstaatlichen Bedenken, die ich habe. Vielen Dank für die streitbare Kultur mit dir und viel Erfolg für die Zukunft!

(Beifall im ganzen Haus)

Das Wort für die Landesregierung erteile ich Frau Justizministerin Lütkes.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unstreitig hat die Internet-Kriminalität mit der immer stärkeren Nutzung des Internets eine sehr große Bedeutung erlangt. Unstreitig ist, dass diese Form der OnlineKriminalität wegen der nur telekommunikativen Verbindung zwischen Täter und Opfer ein anderes Herangehen durch die Strafverfolger notwendig macht als die so genannte körperliche Kriminalität. Unstreitig ist auch, dass die bisherigen strafprozessualen Befugnisse immer wieder auf den Prüfstand müssen, um die Effektivität der Strafverfolgung auch für die Zukunft zu sichern.

Die rot-grüne Bundesregierung ist sich dieser Herausforderung bewusst und sie handelt bei der Bekämpfung der Internet-Kriminalität bewusst und zieht die nötigen politischen Konsequenzen, insbesondere auf internationaler Ebene, zum Beispiel bei der Aushandlung der so genannten Cyber-Crime-Convention, bei den Verhandlungen auf G8-Ebene, im Europa-Rat und insbesondere in der Europäischen Union.

Diese Art der Kriminalität ist nicht allein im nationalen Rahmen zu bekämpfen. Die Landesregierung unterstützt deshalb die Intentionen der Bundesregierung, ein globales Netz der Kontaktstellen der Strafverfolgungsbehörden herzustellen. Aber auch im nationalen Rahmen bedarf es der Neuordnung; ich verweise auf die Neuordnung der Überwachung der Telekommunikationsmöglichkeiten.

Durch das bereits erwähnte Gutachten des MaxPlanck-Instituts in Freiburg ist ein Novellierungsprozess in Gang gesetzt worden, der aus meiner Sicht durch die Bundesregierung in verfassungsrechtlich sehr sorgfältiger Weise geführt wird. Er wird unter anderem durch ein sehr bemerkenswertes Gutachten des Strafrechtsausschusses des Deutschen Richterbundes unterstützt.

Diese Debatte ist zu führen. Allerdings geht es hierbei darum, Ermittlungsbefugnisse zu garantieren, die auch mit den Grundrechten und mit unserer demokratischen Rechtsordnung im Einklang stehen.

Die Urteile des Bundesverfassungsgerichts zum großen Lauschangriff und zur präventiven Telekommunikationsüberwachung vom 3. März dieses Jahres müssen Mahnung sein, dass bei allen Sicherheitsbestrebungen nicht die konstituierenden Bedingungen unseres Rechtsstaats aus dem Auge verloren werden.

Die Landesregierung verfolgt auf dieser Basis sehr intensiv problemorientierte Initiativen, die der CDU

Antrag überhaupt nicht erahnen lässt. So hat Innenminister Buß als Vorsitzender der Innenministerkonferenz eine Vielzahl von Prüfaufträgen vergeben, die zum Teil auch öffentlich diskutiert werden. Er hat für Schleswig-Holstein gemeinsam mit dem unabhängigen Datenschützer die Initiative übernommen und veranstaltet beispielsweise in zwei Wochen einen bundesweiten Workshop, bei dem Strafverfolger, Provider und Datenschützer gemeinsam einen adäquaten Ausgleich der Interessen unter Berücksichtigung der aktuellsten Entwicklungen im Bereich der Technik, aber auch im Bereich der Kriminalität diskutieren.

(Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Tatsächlich bringt uns der Vorschlag - so Leid es mit tut, Herr Geißler - in der Sache wenig weiter. Nur der Ordnung halber: Die Vorratsdatenspeicherung sehe ich nach wie vor kritisch. Richtig und wichtig ist es, im konkreten Fall - wenn ein Straftatverdacht vorliegt - ein schnelles Einfrieren - „Quick Freeze“ - möglich zu machen.

Allerdings: Die Ermittlung von Internetnutzern ist für die Staatsanwaltschaft möglich.

(Beifall bei der FDP)