Protocol of the Session on April 28, 2004

Die Union will - von einzelnen Meinungsmachern beklatscht - die Zusammenlegung der Verfassungsschutzämter der norddeutschen Länder zu einem gemeinsamen Amt.

Die jetzige Struktur der Verfassungsschutzbehörden sei - Zitat - „zu kleinteilig, um den Herausforderungen des internationalen Terrorismus wirksam begegnen zu können", so die Union beziehungsweise der Kollege Schlie. Herr Kollege Schlie, wie groß muss eine Behörde eigentlich sein, um diesen Gefahren wirksam begegnen zu können?

(Klaus Schlie [CDU]: Ich weiß nicht, ob der eine Islamismus-Experte dafür reicht!)

- Dazu komme ich gleich noch. Wir haben für diesen Kampf beispielsweise das Bundesamt und den BND.

Diese Sicht der Dinge teile ich nicht. Durch die föderale Struktur der Verfassungsschutzämter ist gewährleistet, dass die Zusammenarbeit der Landesbehörden von Verfassungsschutz, Polizei und Justiz optimal funktioniert.

Wenn in der Zukunft regionale Netzwerke terroristischer Organisationen an Bedeutung gewinnen und damit die Bedrohung mehr von Einzelpersonen oder kleinen Personengruppen ausgehen sollte, dann ist eher eine dezentrale Struktur der Landesämter für Verfassungsschutz gefragt.

Wir sollten uns daher fragen, ob es nicht eher sinnvoll wäre, die personelle Stärke unserer Ämter auf den Stand zubringen, den sie zu Zeiten des Kalten Krieges hatten, als sie Spionageabwehr betrieben. Damals war die personelle Stärke doppelt so groß wie die jetzige. Die Frage würde ich so stellen, aber nicht umgekehrt in der Form: Können und müssen wir Ämter aufgrund der personellen Unterbesetzung zusammenlegen?

(Klaus Schlie [CDU]: Das wollen wir nicht!)

Darüber hinaus gibt es bei einer zentralisierten Behördenstruktur, wie sie die CDU will, Probleme mit der parlamentarischen Kontrolle. Denn entweder blähen Sie den von Ihnen beabsichtigen gemeinsamen Kontrollausschuss der norddeutschen Länder gewaltig auf oder Sie schließen potenziell die kleineren Fraktionen der Länderparlamente von der parlamentarischen Kontrolle des Verfassungsschutzes aus. Beides kann nicht gewollt sein.

Letztlich ist der Schritt zu einer Regionalbehörde, Kollege Schlie, nichts anderes als der erste Schritt zu einer zentralen nationalen Verfassungsschutzbehörde, eines Bundesamtes also mit regionalen Ablegern. Erklären Sie doch einmal, warum ein Bundesamt mit regionalen Ablegern im Vergleich zu Ihrer favorisierten gemeinsamen Zusammenlegung nicht die bessere Struktur wäre.

Wenn die Union dies will - und so äußert sich ja auch Kollege Rüttgers in Nordrhein-Westfalen; der will eine Zentrale mit regionalen Ablegern -, soll sie es auch sagen. Eine verbesserte Kooperation der Verfassungsschutzämter braucht nach unserer Auffassung keine neue Behörde. Eine neue Behörde würde nach unserer Auffassung keine Effizienzsteigerung bringen. Deshalb können wir Ihrem Ansinnen auch nicht folgen.

(Beifall bei der FDP)

Das Wort erteile ich Frau Abgeordneter Fröhlich.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Geheimdienste arbeiten - wie es der Name schon sagt - im Geheimen. Wir haben damit eine Behörde, also ein Organ der Exekutive, das der par

(Irene Fröhlich)

lamentarischen Kontrolle nur äußerst beschränkt, im Konkreten quasi nicht zugänglich ist.

Es liegt auf der Hand, dass in einem demokratischen Staat die geheime und damit unkontrollierte Tätigkeit dieser Behörden auf das Notwendigste beschränkt sein muss. Ich möchte dies nicht als Kritik an Herrn Wolff missverstanden wissen. Ich habe den Chef des Landesverfassungsschutzes als jemand kennen gelernt, der so transparent arbeitet, wie es möglich ist.

Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kubicki?

- Nein, denn sonst reicht meine Zeit nicht aus.

Das ändert aber am grundsätzlichen Problem nichts: Es ist für mich nicht einzusehen, warum zum Beispiel die Beobachtung der öffentlich zugänglichen Quellen - wie etwa die Webseiten islamistischer oder rechtsradikaler Organisationen - durch einen Geheimdienst erfolgen muss. Es ist an der Zeit, eine Bestandsaufnahme der heutigen geheimdienstlichen Aufgaben vorzunehmen und anschließend anhand der heutigen Gefahrenlage zu klären, welche Behörden und sonstige Stellen die Aufgaben der Beobachtung, der Vorfeldermittlung und der Gefahrenabwehr am besten unter Wahrung demokratischer Prinzipien erledigen können.

Ich möchte hier nicht missverstanden werden. Dies soll keinerlei Einsparung dienen. Dass die Beobachtung dieser Veröffentlichungen im Internet notwendig, absolut sinnvoll ist und das Gefahrenpotenzial verringert, ist völlig unbestritten.

Die Geheimdienststruktur in ihrer jetzigen Form ist ein Anachronismus; Herr Kubicki hat das auch schon erwähnt. Diese Struktur ist während des Kalten Krieges in einer völlig anderen weltpolitischen Lage entstanden.

Wir haben drei Bundesbehörden und 16 Landesämter. Spätestens das Debakel um das NPD-Verbotsverfahren hat uns gezeigt, dass dies so nicht funktioniert und auch in Zukunft nicht funktionieren kann. Insofern, Herr Kubicki, stimme ich Ihrer Formulierung, die föderale Struktur fördere die Zusammenarbeit, nicht zu.

(Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Bei der Betrachtung der Bedrohung durch international agierende islamistische Terroristen sagt uns ei

gentlich schon der gesunde Menschenverstand, dass selbst eine nationale Behörde hier an ihre Grenzen stößt - von Länderbehörden ganz zu schweigen. Das gilt selbst dann, wenn sich drei oder vielleicht vier Bundesländer zusammenschließen.

Langfristig kann der internationale Terrorismus sicherlich am besten durch eine europäische Stelle bekämpft werden. Das ist jedoch Zukunftsmusik, solange wir auf europäischer Ebene keine Stelle haben, die eine demokratische Kontrollfunktion ausüben kann.

Zum aktuellen Verfassungsschutzbericht! Der jährliche Verfassungsschutzbericht ist aus unserer Sicht ein Stück Ritual, das uns meistens keine besonders überraschenden Erkenntnisse liefert. Dennoch wird die Hauptbotschaft dieses Berichts - wie alle sicherheitsrelevanten Äußerungen der Regierung - sehr genau zur Kenntnis genommen.

Der Verfassungsschutzbericht ist auch eine Art Gutachten, das den Menschen sagen soll, welche Gefahren dem Einzelnen oder der Gesellschaft aus dem Verborgenen heraus drohen. Dass die erste Botschaft der Pressemitteilung des Herrn Innenminister auf den islamistischen Terror als stärkste Bedrohung hinweist, erschreckt zunächst. Aber laut Bericht gibt es gar keine islamistischen Terrorstrukturen - jedenfalls nicht in Schleswig-Holstein -, und sogar die Mitgliederentwicklung bei extremistischen Ausländerorganisationen zeigt nach unten.

Ich denke, alle Stellen des Landes sollten bei der Vermittlung von Botschaften in Sicherheitsfragen eine besondere Sensibilität an den Tag legen.

(Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ich erteile Frau Abgeordneter Hinrichsen das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst einmal möchte ich mich für den Verfassungsschutzbericht bedanken. Wie immer ist er äußerst aufschlussreich, obwohl er auch dieses Mal wieder nicht alle Beobachtungsobjekte und -ereignisse des Jahres 2003 beinhaltet, wie es in der Vorbemerkung erwähnt wird. Ich hoffe, es stimmt: Es ist erfreulich, zu lesen, dass die Aktivität sowohl bei den Rechtsextremisten als auch bei den Linksextremisten und den ausländischen Extremisten geringer ist als im Vorjahr. Die Kollegin Fröhlich hat es erwähnt. Gut ist auch, dass die Mitgliederentwicklung stagniert, be

(Silke Hinrichsen)

ziehungsweise leicht rückläufig ist. Wir wollen hoffen, dass das hier in Schleswig-Holstein so weitergeht.

(Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Den Antrag der CDU, der darauf gerichtet ist, einen norddeutschen Verfassungsschutz ins Leben zu rufen, hält der SSW für wenig sinnvoll. Wir bezweifeln, dass die Zusammenlegung des Verfassungsschutzes der norddeutschen Länder die Lösung der Probleme ist. Durch das NPD-Verbotsverfahren ist deutlich geworden, dass es Probleme bei den Zuständigkeiten und der Arbeit zwischen Bund und Ländern gibt. Unsere Zweifel bestehen dahingehend, dass diese Probleme durch einen norddeutschen Verfassungsschutz zu beheben wären. Es würde nur eine andere Ebene geschaffen.

Vielmehr sollte man sich mit Blick auf den vorliegenden Bericht fragen, ob es nicht sinnvoller wäre, die Aufgaben des Landesverfassungsschutzes auf das Bundesamt zu übertragen. Im Gegenzug müsste es auf Länderebene weiterhin Dependancen geben, um die Nähe vor Ort zu gewährleisten. Diese wären dann aber direkt dem Bundesamt unterstellt.

Die Angst vor terroristischen Anschlägen - egal aus welcher Richtung - ist zwar groß, doch gibt es laut des vorliegenden Berichtes zurzeit keine eindeutigen Anzeichen dafür hier in Schleswig-Holstein. Die Aufgabe des Verfassungsschutzes ist es, die Landesregierung und andere zuständige Stellen über Gefahren für die freiheitlich-demokratische Grundordnung und für den Bestand und die Sicherheit des Bundes oder der Länder zu unterrichten. Es stellt sich angesichts dieser Aufgabenstellung die Frage, ob es weiterhin sinnvoll ist, einen ländereigenen Verfassungsschutz zu haben. Ich habe die Argumente der anderen Kollegen hierzu aber sehr wohl gehört.

Im März dieses Jahres wagte das Bundesamt für Verfassungsschutz einen solchen Vorstoß, und zwar mit Blick auf den islamistischen Terrorismus. Der Vorschlag, die Koordination der Terrorabwehr beim Bund anzusiedeln, stieß hier aber auf erhebliche Gegenwehr einiger CDU-regierter Länder. Möglicherweise geschah dies aus Furcht vor eventuellem Machtverlust.

Der SSW ist nun nicht gerade dafür bekannt, Aufgaben an die Bundesebene abgeben zu wollen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund der laufenden Föderalismusdebatte. Hier wäre jedoch eine Überlegung notwendig. Voraussetzung für eine andere Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern ist jedoch, dass dabei generell die Aufgaben des Verfas

sungsschutzes erörtert werden müssen. Es müssen nämlich gleichzeitig mit einer möglichen neuen Zuständigkeitsregelung die bisherige Doppelarbeit und das Zuständigkeitsgerangel, das es zwischen Bund und Ländern gibt, vermieden werden. Das gilt im Übrigen auch für die mögliche Überschneidung mit der Polizeiarbeit. Es wäre somit bei einer Verfassungsschutzreform wichtig, sich auch die Aufgabenzuständigkeit und Aufgabenwahrnehmung genauer anzusehen, um dann darüber zu entscheiden. Es muss eine kritische Bestandsaufnahme der bisherigen Arbeit und eine Diskussion um die Notwendigkeit, die Aufgaben und die Befugnisse eines Inlandsgeheimdienstes geben. Insbesondere ist auch die von allen erwähnte parlamentarische Kontrolle genau zu überdenken und besser, sinnvoller und effektiv zu platzieren.

(Beifall des SSW)

Zu einem Kurzbeitrag nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung erteile ich Herrn Abgeordneten Kubicki das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bedauerlicherweise ist der Herr Innenminister nicht da, sonst hätte er es wahrscheinlich gesagt: Die einleitenden Ausführungen der Kollegin Fröhlich geben mir Veranlassung, darauf hinzuweisen, dass weder der Verfassungsschutz in Schleswig-Holstein oder anderswo, weder der MAD oder ein anderer Geheimdienst außerhalb parlamentarischer Kontrolle tätig ist. Im Gegenteil: Er wird sehr intensiv parlamentarisch kontrolliert, nur eben nicht öffentlich. Sie meinten möglicherweise, dass er nicht transparent arbeitet. Es ist natürlich widersinnig, dass der Verfassungsschutz - oder ein Nachrichtendienst - transparent arbeitet und alles veröffentlicht oder breit diskutiert. Das ist widersinnig. In Ihrer Zeit, als Sie noch selbst Fraktionsvorsitzende waren, haben Sie selbst an einer sehr intensiven und verfassungsmäßig gewollten parlamentarischen Kontrolle mitgewirkt. Ich würde mich massiv dagegen verwahren, dass wir zulassen würden, dass es überhaupt eine Exekutivbehörde gibt, die außerhalb parlamentarischer Kontrollen tätig wird. Das als einleitende Bemerkung.

(Beifall bei FDP, CDU und SSW)

Als weitere Bemerkung in dieser Debatte ein Hinweis darauf, dass man darüber nachdenken muss, ob Zentralisierung tatsächlich immer zu einer Effizienzsteigerung führt. Wir haben im Bereich der PC

(Wolfgang Kubicki)

Kommunikation festgestellt, dass die Zentralisierung zu zentralen Fehlern führen kann. Deshalb sind wir zu dezentralen Einrichtungen und einer Vernetzung der dezentralen Einrichtungen übergegangen. Wir haben in den Vereinigten Staaten - gerade im Zuge der Aufarbeitung der Ereignisse des 11. Septembers - die Erkenntnis, dass es bei sehr straff geführten zentralen Behörden wie CIA, NSA und FBI auch zu einer sehr strengen zentralen falschen Lageeinschätzung kommen kann.

(Klaus Schlie [CDU]: Wir wollen auch keine Zentrale!)

- Herr Kollege Schlie! Das bedeutet, dass man vielleicht darüber nachdenken muss, ob man diese zentrale falsche Lageeinschätzung, die sich von oben nach unten durchfrisst, möglicherweise dadurch vermeiden kann, dass man es bei den dezentralen Einrichtungen, die wir haben, belässt, und diese nur verstärkt; denn das eröffnet jeweils die Chancen, von solchen falschen zentralen Lagebeurteilungen abzukommen beziehungsweise davon nicht auszugehen, das heißt, Erkenntnisse anders einzusortieren, als die Zentrale es uns normalerweise vorgeben würde.