Protocol of the Session on March 10, 2004

Das hat sie jedenfalls versucht. Aber Sie gehen dann hinterher ans Pult und sagen mit einem Federstrich, es sei alles Mist, was da in unserem „Kasperleantrag“ stehe. Das disqualifiziert Ihren gesamten Redebeitrag.

(Beifall bei FDP und CDU)

Im Übrigen zeigt das im Zusammenhang mit den zwei inhaltlichen Punkten, die Sie angeführt haben, dass Sie von der Materie offensichtlich herzlich wenig Ahnung haben. Denn es besteht ein Riesenunterschied zwischen der deutschen Exportwirtschaft und dem Export von Arbeitsplätzen. Es gibt noch etwas

anderes als die deutsche Exportwirtschaft. Es gibt die so genannte Binnennachfrage, sehr geehrter Herr Kollege Hentschel. Es ist mitnichten so, dass der Zusammenhang, den Sie hier versucht haben darzustellen, sich unmittelbar auf das Lohngefüge auswirkt. Vielleicht sollten Sie sich da noch einmal schlau machen.

Frau Kollegin Hinrichsen, die Beispiele, die Sie genannt haben - Beispiele für Länder, die einen Mindestlohn hätten, also USA, Frankreich, Spanien -, hat auch der Kollege Hentschel genannt; vielleicht war es auch die Kollegin Herdejürgen; ich weiß nicht mehr genau, wer es war. Ich würde mir an Ihrer Stelle jedenfalls einmal angucken, was diese Länder eigentlich für ein Sozialleistungssystem haben. Die haben nämlich allesamt keine deutsche Sozialhilfe, die faktisch wie ein Mindestlohn wirkt. Deswegen funktionieren Lohn- und Preisbildung in diesen Ländern auf dem Arbeitsmarkt eben anders als in der Bundesrepublik, wo, wie gesagt, die Sozialhilfe faktisch wie ein Mindestlohn wirkt. Deswegen haben wir ganz andere Probleme bei der Definition des Mindestlohns. Es geht also um die Frage, wie wir Missständen entgegenwirken können.

Ich trage noch einen abschließenden Gedanken vor. Ich habe mich über Ihren Beitrag, Herr Kollege Hentschel, wirklich gewundert. Denn die Kollegin Herdejürgen hat genau das Stichwort genannt, das in dieser Debatte notwendig ist. Wenn wir es nicht zulassen wollen - und man kann es natürlich nicht zulassen wollen; ich saß lange genug im Sozialausschuss -, dass man unter bestimmten Umständen mit Erwerbstätigkeit weniger verdient als das Sozialhilfeniveau, dann entsteht die Frage nach den diskutierten Kombilöhnen. Das ist nämlich genau die richtige Frage, die wir möglicherweise zu einer Beantwortung bringen müssen. Man muss bestimmte sozialpolitische Entwicklungen, die nicht erwünscht sind, vermeiden. Aber es ist falsch, nach Mindestlöhnen zu rufen, die wie eine doppelte Bremse im Vergleich zur Sozialhilfe wirken. Das wäre mit Sicherheit nicht die richtige Lösung.

Deswegen, Herr Kollege Hentschel, wäre ich ganz froh, wenn Sie in Zukunft insbesondere bei der Kollegin Aschmoneit-Lücke, die - ich sage es noch einmal - sehr sachlich und sehr ruhig erklärt hat, warum wir diesen Antrag gestellt haben, was wir mit diesem Antrag bewirken wollen, zuhören und nicht in Bausch und Bogen hier irgendwelche Schimpfkanonaden ausschütten würden. Das würde ich mir an Ihrer Stelle für andere Gelegenheiten aufbewahren.

(Beifall bei der FDP)

Ich erteile Herrn Minister Professor Bernd Rohwer das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Debatte hat mir deutlich gemacht - insofern finde ich sie hilfreich -, dass das Thema Mindestlöhne ein bisschen komplizierter ist, als es der Sieben-Worte-Antrag der Freien Demokraten suggeriert. Es ist nicht nur so, dass wir aus einem Ländervergleich nicht unmittelbar lernen können, was richtig und was falsch ist. Es gibt durchaus marktwirtschaftlich orientierte Länder mit niedrigerer Arbeitslosigkeit, die Mindestlöhne und übrigens auch soziale Mindeststandards haben. Man muss sich das einmal genau angucken. Das kann man nicht so einfach über den Tisch machen, Herr Dr. Garg. Darüber muss man sich auch nicht gleich aufregen. Darüber muss man in Ruhe sprechen. Das können wir im Wirtschaftsausschuss gern machen.

Es wäre ganz interessant, durch einen Vergleich zu untersuchen, wie die Systeme national aufgestellt sind. Damit will ich Sie auch durchaus ein bisschen beruhigen. Es ist richtig, dass man die Dinge nur im Zusammenhang betrachten kann. Man kann über Mindestlöhne nicht sprechen, wenn man nicht gleichzeitig über die Quasi-Mindestlöhne der Sozialsysteme spricht. Darüber haben wir in diesem hohen Hause mehrfach diskutiert.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Es ist auch richtig, dass das etwas mit dem alten Gedanken der Kombilöhne zu tun hat.

Aber ich bitte Sie, auch die Freien Demokraten, zur Kenntnis zu nehmen, dass wir natürlich Lohndumping haben. Nur ziehen wir unterschiedliche Konsequenzen daraus. Darauf komme ich gleich zurück. Wir haben natürlich Lohndumping. Sonst hätten wir hier nicht vor einigen Monaten über das Tariftreuegesetz reden müssen, sonst hätten wir auch nicht die Frage der Arbeitnehmerüberlassung zu diskutieren, die dazu geführt hat, dass wir in einigen Bereichen Probleme haben. Sie wissen das.

Gemeinsam wissen wir auch, meine Damen und Herren, dass die EU-Osterweiterung dieses Problem nicht mindern, sondern eher verschärfen wird. Die Frage ist nur, wie wir darauf reagieren. Ich mache kein Hehl daraus, dass ich sehr vorsichtig wäre, aus diesem Grunde Mindestlöhne zu fordern.

Vorrang vor allen Lösungen muss zunächst die Tarifautonomie haben, die wir ja auch an anderer Stelle immer fordern. Dann müssten wir aber auch - so verstehe ich die Einlassungen des Deutschen Gewerkschaftsbundes - überprüfen, ob die jetzigen Tarifverträge, für die wir, wohlgemerkt, nicht verantwortlich sind, sondern die Tarifpartner, dem Problem, das ich eben nur kurz angeschnitten habe, adäquat Rechnung tragen. Dies ist die erste Aufgabe. Darüber kann man nicht einfach im Plenum über den Tisch sprechen. Wir müssen uns die Dinge einmal genauer anschauen. Sicherlich lohnt es sich auch, darüber mit den Tarifpartnern ein Gespräch zu führen. Es gibt durchaus unterschiedliche Positionen auf der Gewerkschafts- und der Arbeitgeberseite.

In den Tarifverträgen gibt es, wie Sie wissen, Mindestlöhne. Die sind dann tariflich verankert, nicht gesetzlich. Der tariflichen Verankerung würde ich immer den Vorrang geben. Außerdem gibt es innerhalb der Tarifverträge Flexibilität, mehr Flexibilität, als manche von uns wahrhaben wollen. Deswegen plädiere ich zunächst sehr dezidiert dafür, das Kind nicht mit dem Bade auszuschütten, sondern zu sagen: Wir haben aus guten Gründen Tarifautonomie. Die Tarifpartner sind gefordert, auf dieses Thema zu reagieren.

Aber dann, wenn die Probleme nicht gelöst werden - da argumentiere ich subsidiär -, hat der Gesetzgeber eine Pflicht, Mindestlöhne festzusetzen. Diese Pflicht wird aber nur dann wirksam, wenn es auf andere Weise nicht klappt.

In diesem Sinne finde ich, es ist ein guter Vorschlag, wenn wir heute nicht so einfach über den Tisch sagen, das sei prima, sondern wenn wir uns dafür etwas mehr Zeit nähmen.

Ich kann für unsere Seite, das heißt für die Regierung erklären - so glaube ich -, dass wir bereit sind, über die Modalitäten und die anderen Einzelheiten zu reden. Das sollten wir im Wirtschaftsausschuss machen, wo die Sache hingehört. Die Mitberatung kann dann ja woanders stattfinden.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung.

Es ist beantragt worden, den Antrag zur Federführung dem Wirtschaftsausschuss und zur Mitberatung dem Sozialausschuss zu überweisen. Es ist aber auch der umgekehrte Antrag gestellt worden. Ich lasse zu

(Vizepräsidentin Dr. Gabriele Kötschau)

nächst über den Antrag abstimmen, die Überweisung zur Federführung an den Wirtschaftsausschuss und zur Mitberatung an den Sozialausschuss vorzunehmen. Wer dafür ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen! - Enthaltungen? - Das ist einstimmig.

(Lars Harms [SSW]: Was ist das für eine Vorgehensweise?)

- Das kann ich Ihnen sagen, was das für eine Vorgehensweise ist, Herr Abgeordneter Harms. Es ist beantragt worden, die Überweisung zur Federführung an den Wirtschaftsausschuss und zur Mitberatung an den Sozialausschuss vorzunehmen. Von einer anderen Fraktion ist dies anders herum beantragt worden. Ich lasse über beides abstimmen. Diese Abstimmung eben hat die Mehrheit ergeben. Daher wird dieser Antrag federführend im Wirtschaftsausschuss und mitberatend im Sozialausschuss behandelt.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dies ist - bei Enthaltung der Stimmen der Fraktion des SSW - so angenommen. Ist das richtig so? - Wunderbar.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 14 auf:

Umsetzung von „Hartz IV“ darf kommunale Finanzen nicht belasten

Antrag der Abgeordneten des SSW Drucksache 15/3275 Antrag der Fraktionen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 15/3292

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache und erteile Frau Abgeordneter Hinrichsen das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Obwohl sich Bundestag, Bundesrat und Länder das ganze Jahr 2003 intensiv mit der schlechten kommunalen Finanzlage beschäftigt haben, ist das Ergebnis, das jetzt im Vermittlungsausschuss zur Gemeindefinanzreform erreicht wurde, völlig ungenügend. Die von den Städten so lange ersehnte Gemeindefinanzreform ist beim Verhandlungspoker von Bund und Ländern leider unter den Tisch gefallen.

Für die schleswig-holsteinischen Kommunen bedeutete dieses Vermittlungsergebnis mit den beschlossenen Änderungen bei der Gewerbesteuer für 2004 eine finanzielle Entlastung von zirka 100 Millionen €. Für 2005 sind es zirka 135 Millionen € an zusätzlichen

Einnahmen. Aber auch diese positiven Zahlen sind angesichts der verheerenden Situation der kommunalen Finanzen leider nur ein kleiner Schritt nach vorn. Auch bei der Umsetzung der geplanten Zusammenführung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe, dem „Hartz IV“, befürchten die Kommunen weitere negative finanzielle Folgen. Der Bund soll den Kommunen die vollen Unterkunftskosten für alle Langzeitarbeitslosen, Sozialhilfe- und Grundsicherungsempfängern als neue Aufgabe übertragen. So wird die Entlastung durch die Kostenübernahme des Bundes für die erwerbsfähigen Sozialhilfeempfänger wieder zunichte gemacht.

Regierung und Opposition hatten den Kommunen bei der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe ein Einsparvolumen von 2,5 Milliarden € zugesagt. Diese Berechnungen beruhen auf dem Ansatz, dass die Kommunen durch den Wegfall der Sozialhilfeausgaben für Erwerbsfähige in Höhe von zirka 11,5 Milliarden € entlastet und durch die Verpflichtung zum Tragen von Unterhaltskosten in Höhe von 9,7 Milliarden € belastet werden. Erste Berechnungen vieler Städte haben allerdings ergeben, dass die angegebene Entlastung überhaupt nicht erreicht wird. Gerade die größeren Städte mit vielen Sozialhilfe- und Arbeitslosenhilfeempfängern rechnen mit einer starken zusätzlichen finanziellen Belastung. So rechnen die kreisfreien Städte Kiel, Lübeck und Neumünster mit zusätzlichen Millionen Euro an Ausgaben. Auch die Stadt Flensburg fürchtet zusätzliche Belastungen.

Der Deutsche Städtetag und der Deutsche Landkreistag warnen beide vor einer ungesicherten Finanzierung von Hartz IV. Es gibt jetzt eine Auseinandersetzung darüber, ob die Städte und Kommunen alle Entlastungen - zum Beispiel bei den möglichen Personaleinsparungen und bei der Weitergabe des Wohngeldes - vom Land mitgerechnet haben. Hier muss man sich sicherlich auf ein einheitliches Raster bei der Berechnung der Be- und Entlastungen einigen.

Bundeswirtschaftsminister Clement hat bereits am Montag dieser Woche den Kommunalverbänden eine Prüfung der finanziellen Folgen der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zugesagt. Daher muss an der Kritik der Kommunen etwas Substanzielles dran sein. Zwischenzeitlich ergibt sich aus dem Ergänzungsantrag zu unserem Antrag, dass die Bundesregierung aufgefordert wird, neues Zahlenmaterial zu erstellen. Nach unserer Kenntnis geschieht dies schon. Zwischenzeitlich sollen der Bundesrechnungshof und das Bundesamt für Statistik neue Berechnungsgrundlagen erstellen, sodass man sich zumindest mit den kommunalen Landesverbänden erst ein

(Silke Hinrichsen)

mal auf Berechnungsgrundlagen einigen kann. Die Zahlen 11,5 Milliarden € - beziehungsweise 9,7 Milliarden € - werden von den kommunalen Landesverbänden schon bezweifelt. Ebenso wird bezweifelt, dass diese Berechnungsgrundlage der Bundesregierung richtig ist.

Der SSW fordert die Landesregierung daher auf, sich auf Bundesebene dafür einzusetzen, die Kommunen bei der konkreten Umsetzung von Hartz IV nicht zusätzlich finanziell zu belasten. Konkret bietet sich eine Korrektur der Finanzierung von Hartz IV bei dem anstehenden Gesetzgebungsverfahren zum Optionsmodell für eine kommunale Trägerschaft der Vermittlung und Betreuung von Langzeitarbeitslosen an, das nunmehr beschlossen werden soll. Dabei ist es aus unserer Sicht sinnvoll, wenn geprüft wird, ob nicht sowohl Bund als auch Länder die Entlastung beim Wohngeld vollständig an die Kommunen weitergeben könnten.

Auch andere Kostenersparnisse des Bundes bei Hartz IV sollten an die Kommunen weitergegeben werden. Wenn wir einen finanziellen Kollaps der Kommunen verhindern wollen, dürfen wir keine weiteren Belastungen der Kommunen seitens des Bundes zulassen.

(Beifall bei SSW und FDP)

Bund und Bundesrat sind in dieser Frage in der Pflicht, eine Lösung im Sinne der Kommunen zu finden. Wir würden es begrüßen, wenn wir beide Anträge im Ausschuss beraten können. Hintergrund ist, dass die Diskussion darüber zeitlich weiter weg geschoben wurde. Eigentlich sollte der Gesetzentwurf bis spätestens Ende April vorliegen. Inzwischen ist klar, dass dies erst im Mai der Fall sein soll. Vor diesem Hintergrund befürworten wir eine Ausschussüberweisung beider Anträge.

(Beifall bei SSW und FDP)

Herr Abgeordneter Baasch hat das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Vierten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt, Hartz IV, das am 19. Dezember 2003 beschlossen worden ist, wird die gesetzliche Grundsicherung für Arbeitsuchende im Sozialgesetzbuch II, festgelegt. Als Ergebnis des Vermittlungsausschusses wurde ein komplexes Paket von Gesetzesvorhaben beschlossen. Hierzu gehören die steuerlichen Regelungen des Haushaltsbegleitgesetzes

2004, die Reform der Gewerbesteuer, die Wohngeldreform und die Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe.

Mit diesem Gesetzpaket verbindet der Bundesgesetzgeber - in dem Fall die Bundesregierung und die Opposition - eine finanzielle Entlastung von Kommunen. Kollege Stritzl, deswegen darf es dort auch bekannt sein. Im Vordergrund des Gesetzwerkes SGB II steht natürlich die gesamtgesellschaftliche Aufgabe, Arbeitslosigkeit zu überwinden und dauernde Hilfebedürftigkeit von arbeitslosen Menschen zu vermeiden. Vorgesehen ist es, die Kommunen von den Kosten der Sozialhilfe für Arbeitssuchende zu entlasten. In diesem Bereich übernimmt der Bund die Leistungen nach dem Arbeitslosengeld II und dem Sozialgeld und ist im Übrigen verantwortlich für aktivierende Hilfen zur Eingliederung.

Die Kommunen sollen die Unterkunftskosten für die Bezieher von Leistungen nach dem SGB II übernehmen sowie die Unterkunftskosten für die Bezieher von Sozialhilfe im Bereich der Grundsicherung im Alter. Das bisher gemeinsam von Bund und Ländern finanzierte Wohngeld entfällt. Die Bundesländer werden durch den teilweisen Wegfall des Wohngeldes sowie durch den Wegfall der bisherigen Eingliederungsleistungen für Sozialhilfeberechtigte entlastet. Die anfallenden Einsparungen sollen an die Kreise und kreisfreien Städte weitergegeben werden. So lautet in kurzen Worten das Ergebnis des Vermittlungsausschusses vom Dezember 2003.