Protocol of the Session on September 28, 2000

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Ich eröffne die Aussprache.

Herr Abgeordneter Lehnert hat das Wort, es sein denn, Sie haben sich anders geeinigt. - Es ist guter Brauch, nach dem Bericht der Landesregierung zunächst die

(Vizepräsidentin Dr. Gabriele Kötschau)

Opposition zu Wort kommen zu lassen. - Herr Lehnert, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die politische und wirtschaftliche Einigung Europas ist das erfolgreichste politische Projekt in der Geschichte unseres Kontinents. Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus können wir Europa zur größten Zone der Stabilität, der Sicherheit und des Wohlstands auf der Welt machen und so Arbeitsplätze und Wettbewerbsfähigkeit sichern. Die CDU hat diesen Prozess wesentlich mit in Gang gesetzt

(Beifall bei der CDU)

und es bleibt unser Ziel, die Einheit Europas zu vollenden.

Die ursprüngliche Idee der Friedenssicherung wurde durch wirtschaftliche Integration weitgehend erreicht. Heute steht die Europäische Union vor neuen wichtigen Herausforderungen. Unser Ziel ist es dabei, ein Europa zu schaffen, in dem Frieden und Freiheit sowie Sicherheit und Chancengleichheit für alle Bürgerinnen und Bürger erreichbar wird. Wir geben mit unserer Entscheidung für ein friedliches und geeintes Europa unseren Kindern und Enkeln die Chance auf ein Leben in einer besseren Zukunft. Die Fähigkeiten in der Europäischen Union, zügig zu entscheiden und zu handeln, müssen allerdings wesentlich verbessert werden. Es fehlt teilweise an politischem Willen, teilweise an angemessenen Strukturen. Die EU muss schlanker und weniger bürokratisch werden.

(Beifall bei der CDU)

Wenn man die Chancen nicht schnell und entschlossen genug nutzt, können daraus auch Risiken erwachsen. In der Zeit der Globalisierung und des Internets wird jede Verzögerung oder Fehlentscheidung schneller und nachhaltiger bestraft als früher. Durch die Erweiterung der Europäischen Union lassen sich Rechtsstaat, Demokratie und soziale Marktwirtschaft auch in Mittelund Osteuropa dauerhaft verankern. Die enormen politischen und wirtschaftlichen Vorteile der Erweiterung für ganz Europa - auch für Deutschland und Schleswig-Holstein - überwiegen deutlich die möglichen Risiken. Die EU selbst muss sich institutionell und durch eine klare Kompetenzabgrenzung zügig reformieren, damit sie möglichst rasch weitere Staaten aufnehmen kann.

Dabei beeinflussen die Kandidatenländer den Zeitpunkt des Beitritts durch ihre eigenen Anstrengungen im Wesentlichen selbst. Eine Aufweichung der vereinbarten politischen und wirtschaftlichen Kriterien darf

es nicht geben. Allerdings sollten sie eine konkrete Beitrittsperspektive bekommen.

Europa wird auch in Zukunft auf Nationalstaaten aufbauen. In ihnen spielen die Regionen zur Wahrung der gewachsenen Vielfalt und der Bürgernähe eine wichtige Rolle. Europa muss von Eigenverantwortung, Wettbewerb, Vielfalt und einer klaren Aufgabenverteilung geprägt sein. In einem erheblich vergrößerten Europa muss sich die Europäische Union auf die Aufgaben beschränken, die nur gemeinschaftlich bewältigt werden können. Für eine solche Neubestimmung europäischer Aufgaben nach dem Subsidiaritätsprinzip sind Zuständigkeitsübertragungen auf die europäischen Ebenen ebenso notwendig wie Rückverlagerungen auf die Mitgliedstaaten und Regionen.

Regionalpolitik und Ausbau der Infrastruktur nehmen dabei Schlüsselpositionen für die künftige Entwicklung unseres Landes ein. Ich zitiere dazu aus dem Bericht der Ministerpräsidentin:

„Deshalb muss vor Beitritt auf beiden Seiten dem Ausbau der Infrastruktur als wichtigem Standortfaktor für den gemeinsamen Binnenmarkt hohe Priorität zukommen.“

Der ehemalige Europaminister Gerd Walter führt Folgendes aus:

„Jetzt müssen wir vor allem Angefangenes auf dem Gebiet der Infrastruktur weiter voranbringen.... Bei der Verkehrsinfrastruktur heißen die bekannten Stichworte: Querung von Øresund und Fehmarnbelt. Da geht es um die zentrale Entwicklungsachse des südlichen Ostseeraums Hamburg - Schleswig-Holstein Kopenhagen - Malmö, A 20, die Öffnung des Verkehrsnadelöhrs Hamburg.“

Beide Aussagen sind richtig. Das Problem liegt allerdings darin, dass die Rede von Minister Walter vor fast sechs Jahren gehalten wurde und SchleswigHolstein seitdem wenig vorangekommen ist.

(Beifall bei CDU und F.D.P.)

Mit dieser Umsetzungsgeschwindigkeit mag die rotgrüne Landesregierung politisch leben können, die Menschen und die Märkte in Schleswig-Holstein können das jedoch nicht. Da überrascht es dann auch nicht mehr, wenn in dem Bericht der Ministerpräsidentin, der insgesamt 31 Seiten umfasst, dem Thema Handlungsbedarf für Schleswig-Holstein nur eine Seite gewidmet ist.

(Peter Lehnert)

Frau Ministerpräsidentin, wirklich beunruhigend ist allerdings folgender Satz in Ihrem Bericht:

„Deshalb wird die Landesregierung künftig im regionalen Strukturwandel stärker die Rolle des Initiators, Moderators und Mediators übernehmen.“

Damit werden die drängenden Probleme unseres Landes sicherlich nicht gelöst. Die Landesregierung ist vielmehr in der Verantwortung, endlich zu handeln, um Schleswig-Holstein in seinen Strukturen für die anstehende Osterweiterung der Europäischen Union fit zu machen.

(Beifall bei CDU und F.D.P.)

In der Presseerklärung der Ministerpräsidentin vom 21. September dieses Jahres lese ich:

„Deutschland wird von der Osterweiterung profitieren. Diese Chance müssen wir in Schleswig-Holstein nutzen. Dazu gehört aber auch, in Zukunft noch sorgfältiger zu prüfen, wie die verschiedenen EU-Förderprogramme durch die Landesregierung genutzt werden können.“

Das kann doch nicht ernsthaft die Perspektive schleswig-holsteinischer Europapolitik sein! Vielmehr ist es unsere Aufgabe, mutig alle Strukturen zu überprüfen und das Land in den wichtigen und zukunftsweisenden Bereichen endlich voranzubringen. Unsere skandinavischen Partner machen uns das in der Region Malmö/Kopenhagen täglich vor.

Außerdem ergeben sich aus meiner Sicht in Ihrem Bericht, Frau Ministerpräsidentin, zwei gravierende Punkte, die ich anders beurteile.

Erstens. Eine Mitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Union ist für uns auf absehbare Zeit nicht vorstellbar. Deshalb war es ein Fehler, der Türkei zum jetzigen Zeitpunkt den Beitrittskandidatenstatus zu verleihen. Wir unterstützen allerdings alle Anstrengungen, dieses Land in seiner europäischen Orientierung zu stärken sowie wirtschaftlich, politisch und institutionell enger an uns zu binden.

Zweitens. Ich halte die Vorbereitungen SchleswigHolsteins auf die direkten Auswirkungen der EUOsterweiterung für unser Land nicht nur für nicht ausreichend. Vielmehr sind sie im Hinblick auf künftige Entwicklungschancen fahrlässig ungenügend.

Eine uns bevorstehende Erweiterung der Europäischen Union in dem bisher vorgesehen Umfang stellt nämlich nicht nur Anforderungen an die Beitrittskandidaten, sondern natürlich auch an die bisherigen Mitgliedstaaten.

(Beifall der Abgeordneten Brita Schmitz- Hübsch [CDU])

Wer hierbei nicht bereit oder in der Lage ist, alte politische Denk- und Handlungsstrukturen zu überwinden, wird die Menschen in unserem Land nicht für die Zukunft gewinnen.

(Beifall bei CDU und F.D.P.)

Erlauben Sie mir noch zwei kurze Bemerkungen zu dem Bericht der Landesregierung über die Sicherheitskooperation im Ostseeraum - Antrag der CDU und zur 9. Ostseeparlamentarierkonferenz in Malmö. Die polizeiliche Zusammenarbeit - gerade bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität im Ostseeraum - muss weiter verbessert werden. Dabei muss dem Ausbau der konkreten täglichen polizeilichen Zusammenarbeit absoluter Vorrang eingeräumt werden. Gemeinsame Ermittlungsgruppen und Aktionen gegen die organisierte Kriminalität sind neben dem ständigen Austausch von Lagebildern und Informationen über kriminelle Aktivitäten von entscheidender Bedeutung für den Erfolg der Arbeit.

Die Landesregierung muss dafür die Grundlagen legen, indem sie die notwendigen gesetzlichen und personellen Rahmenbedingungen schafft. Nur so werden wir die Menschen in unserem Land überzeugen können, dass eine wirksame Bekämpfung der Kriminalität im Ostseeraum möglich ist.

Das Ergebnis der 9. Ostseeparlamentarierkonferenz wird in der abschließenden Resolution zum Ausdruck gebracht. Als besonders erfreulich empfinde ich die Tatsache, dass die dabei aufgestellten Forderungen an die Parlamente und Regierungen fast deckungsgleich sind mit unserem Antrag zur Ostseekooperation. Ob nun die Forderung des Jugendaustauschs, enge Zusammenarbeit auf dem Gebiet von Ausbildung und Forschung, Entwicklung einer effizienten ITInfrastruktur, Verbesserung der Transportsysteme, Weiterentwicklung des Handelsaustauschs, Kampf gegen organisierte Kriminalität und eine Perspektive zur EU-Erweiterung - alles sind wichtige Eckpfeiler zur Weiterentwicklung der Ostseekooperation.

Um Schleswig-Holstein allerdings eine erfolgreiche Zukunft in der Ostseeregion zu sichern, halten wir es für unverzichtbar, dass ein klarer Handlungsrahmen entwickelt wird und die erforderlichen Schritte im eigenen Land schnell eingeleitet werden. Dazu fordere ich die Landesregierung nachdrücklich auf.

Wenn wir dies gemeinsam entschlossen anpacken, haben wir auch die Chance, wieder zum Motor der Ostseekooperation zu werden. Lassen Sie uns gemein

(Peter Lehnert)

sam die Zukunft Schleswig-Holsteins in diesem Sinne für Europa gestalten.

(Beifall bei CDU und F.D.P.)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Fischer das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die vorliegenden Berichte geben umfassend und eindrucksvoll Auskunft über die Leistungen und die Perspektiven. Sie werden Grundlage der weiteren Arbeit für Europa und den Ostseeraum sein. Was den klaren Rahmen angeht, den Sie Herr Lehnert, einfordern, so sage ich: Lesen Sie die Berichte; es ist ein ganz klarer und eindeutiger Rahmen und wir werden dies umsetzen.

(Beifall bei der SPD)

Ich bitte um Verständnis, wenn ich etwas schneller rede, weil ich mir die Redezeit mit dem Kollegen Thomas Rother, der zum Thema Sicherheitskooperation sprechen wird, teilen muss.

Mehr Kooperation im Ostseeraum, größeres Selbstbewusstsein gegenüber Europa und der Aufruf, stärker als bisher über die Rolle und Integration Russlands zu diskutieren - das waren die Eckpunkte einer herausragenden Rede des ehemaligen dänischen Außenministers Uffe Ellemann-Jensen auf der 9. Parlamentarierkonferenz.

(Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: Ein Liberaler!)

In diesen Punkten spiegelt sich tatsächlich der Geist dieser Konferenz wider, nicht zuletzt angeregt und provoziert durch eine ebenso offene wie pragmatische Rede des russischen Duma-Abgeordneten; der Präsident hat darauf hingewiesen.