Protocol of the Session on February 18, 2004

(Beifall bei der FDP)

Es ist, liebe Kolleginnen und Kollegen, schwer vermittelbar, dass ein deutscher Staatsangehöriger zum Beispiel zur Untersuchungshaft nach Spanien ausgeliefert wird, während heute noch Auslieferungshaft in spanischen Gefängnissen bei der Strafzumessung in Deutschland mit dem 2,5fachen Zeitwert bemessen wird.

Wir haben den Auftrag als Gesetzgeber, alles zu tun, damit der Grundrechtsschutz unserer Staatsbürger nicht eingeschränkt oder gar ausgehöhlt wird. Daher darf zum gegenwärtigen Zeitpunkt - ich betone ausdrücklich: zum gegenwärtigen Zeitpunkt - der EUHaftbefehl in der vorliegenden Form nicht umgesetzt werden. Ich bitte darum, dass Sie unserem Antrag zustimmen.

(Beifall bei FDP und SSW)

Das Wort hat Frau Abgeordnete Franzen.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mehr Sicherheit steht nicht nur in Deutschland bei den Bürgerinnen und Bürgern hoch im Kurs. Das gilt sicher genauso in ganz Europa, insbesondere auch in dem ab Juni 2004 erweiterten Europa. Dabei ist der Maßstab Europa eher noch zu klein gegriffen, denn nicht nur die Wirtschaft arbeitet zunehmend global. Das Verbrechen hat diese Dimension schon viel länger entdeckt und leider sehr erfolgreich zulasten unserer Sicherheit betrieben.

So viel einleitend und als nicht zu vernachlässigender Maßstab zu diesem sperrigen Thema; ich wiederhole die Überschrift nicht, die Herr Kubicki hier zu Recht genannt hat.

Zum Verfahren im Landtag lassen Sie mich gleich zu Beginn sagen: Die SPD-Fraktion wird dem Antrag der FDP hier und heute nicht zustimmen. Ich beantrage die Überweisung dieses komplexen Themas, das in fünf Minuten für keinen von uns abhandelbar ist, in den Innen- und Rechtsausschuss federführend und in den Europaausschuss mitberatend.

Zur Sache! Im Grundsatz ist der europäische Haftbefehl zu begrüßen. Herr Kubicki, das schien mir auch bei Ihnen noch möglich zu sein. Er ist der erste

(Ingrid Franzen)

konkrete Schritt zur Verwirklichung der vom Europäischen Rat gewollten justiziellen Zusammenarbeit. Auch in einer europäischen Verfassung, die leider noch nicht beschlossen ist, würde das ein Kapitel sein. Er hat eine längere Entstehungsgeschichte, die sich nach dem 11. September 2001 beschleunigt hat. Eine größere Öffentlichkeit hat das Thema allerdings erst erlangt, als der italienische Präsident Berlusconi die geplanten 32 Straftaten auf sechs reduzieren wollte. Insbesondere wollte er die Aufnahme von Wirtschaftsstraftaten verhindern. Das ist zum Glück abgewendet worden.

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

Denn, Herr Kubicki, der Rahmenbeschluss des Rates vom 13. Juni 2002 ist natürlich einstimmig erfolgt und ist damit auch für die Bundesrepublik rechtsverbindlich. Das ist mein Rechtsverständnis; Sie dürfen es gern anders sehen.

Auch im Europäischen Parlament haben am 6. Februar 2004 414 von 626 Abgeordneten dem Rahmenbeschluss zugestimmt bei vorheriger gründlicher Untersuchung grundrechtsrelevanter Fragen, auch unter Beteiligung von Grünen und Liberalen.

Zum Inhalt! Der europäische Haftbefehl wird an die Stelle aller bisherigen Übereinkommen über die Auslieferung treten und die Verfahren effizienter und schneller gestalten. Das ist doch eigentlich das, was auch wir wollen! Wenigstens höre ich das hier ununterbrochen.

(Beifall der Abgeordneten Rolf Fischer [SPD] und Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Der Haftbefehl soll - Sie haben darauf hingewiesen - für 32 Straftaten gelten, für die eine so genannte Positivliste erstellt wurde. Das bedeutet, dass in diesen Fällen die ausländischen strafrechtlichen Entscheidungen anerkannt werden, und zwar ohne die Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit. Das ist doch ein Geben und Nehmen. Deutschland ist nicht das Nonplusultra, auch wenn wir auf unsere Strafgesetze materiell und formell stolz sein können, sondern es ist ein Geben und Nehmen. Jeder muss das andere anerkennen. So ist das Abkommen geschlossen worden.

Wichtig ist für mich, dass der Haftbefehl die europäische Menschrechtskonvention und die Charta der Grundrechte der EU respektiert. Eine Auslieferung darf zum Beispiel bei drohender Folter nicht erfolgen.

Selbstverständlich hat es während des gesamten Verfahrens kritische Punkte gegeben. Man muss nur in die Anhörungen schauen. Beispielhaft verweise ich

hier auf die Forderungen der Bundesrechtsanwaltskammer aus dem Jahr 2001. Selbstverständlich wird es immer wieder Beispiele geben, wo einem die Haare zu Berge stehen und man sagt: Dafür haben wir es ja auch nicht gewollt.

Lassen Sie mich abschließend Folgendes sagen: Ich glaube, dass uns der europäische Haftbefehl in den Fachausschüssen Europa sowie Innen und Recht Anlass sein sollte, uns grundsätzlich mit dem Thema justizieller Zusammenarbeit in Europa zu beschäftigen. Dabei muss man diskutieren, was wir wollen. Sie, Herr Kubicki, haben gesagt: gleiche Maßstäbe und vielleicht später. Aus meiner dreijährigen Erfahrung in einem Ministerium, das sehr stark harmonisiert war - um es einmal vorsichtig auszudrücken; kein Bauer würde das unterschreiben -, warne ich davor, sich von einer zu großen Rechtsharmonisierung mehr Rechtsfrieden zu versprechen. Mögen wir liberal sein in unseren Anwendungen, aber dann müssen wir auch die Systeme in den anderen Staaten anerkennen.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Geißler das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit dem Rahmenbeschluss über den europäischen Haftbefehl wurde erstmals ein Rechtsinstrument beschlossen, das auf dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung strafrechtlicher Entscheidungen gründet. Die gegenseitige Anerkennung justizieller Entscheidungen war bereits vom Europäischen Rat anlässlich einer Sondertagung über die Schaffung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts in der Europäischen Union im Oktober 1999 als ein Eckstein der zukünftigen justiziellen Zusammenarbeit in Zivil- und Strafsachen bezeichnet worden. Der Europäische Rat hatte die Mitgliedstaaten aufgefordert, das bisherige Auslieferungsverfahren durch ein vereinfachtes System der Überstellung zu ersetzen.

Das tut der europäische Haftbefehl. Er wäre bis zum 31. Dezember vergangenen Jahres in nationales Recht umzusetzen gewesen. Im Gegensatz zu anderen Mitgliedstaaten hat die Bundesrepublik Deutschland diesen Zeitplan nicht eingehalten. Das Gesetz ist noch in der Beratung. Aber - insofern stimme ich der Kollegin Franzen zu - wir sind verpflichtet, diesen euro

(Thorsten Geißler)

päischen Beschluss in nationales Recht zu transformieren.

Meine Damen und Herren, vom Grundsatz her ist es wünschenswert, einen solchen europäischen Rechtsraum zu schaffen, vom Grundsatz her ist es auch wünschenswert, schneller und einfacher zu überstellen und auszuliefern unter Wahrung rechtsstaatlicher Garantien, damit schneller Prozesse geführt werden können, Täter abgeurteilt werden, Unschuldige wieder auf freien Fuß gesetzt werden können. Das ist rechtsstaatlich nicht zu beanstanden.

Nun gibt es in der Tat einen Problemkomplex. Wir haben bereits eine weitgehende Harmonisierung der europäischen Strafrechtsvorschriften, aber es gibt - das verkenne ich nicht - natürlich auch Unterschiede, gewachsen aufgrund unterschiedlicher historischer Traditionen und Wertvorstellungen. Es bleibt beim Grundsatz der Prüfung der Strafbarkeit im jeweiligen Land, im begehrenden und im ersuchten Land. Das ist der Grundsatz; Kollege Kubicki, Sie haben das zu Recht dargestellt. Bei 32 Delikten wird dieser Grundsatz aufgehoben. Da bestimmt allein das Land, das das Ersuchen stellt, ob eine Strafbarkeit für gegeben erachtet wird oder nicht.

Bei 28 oder 29 Delikten sind die Vorschriften so weit harmonisiert, dass ich keine rechtsstaatlichen Bedenken hegen kann. Bei zwei oder drei kann man in der Tat nachdenklich werden. Das sind Rassismus, Cyber-Kriminalität, Sabotage. Da muss auch ich meine ganze Phantasie anstrengen, um festzustellen, was im Ausland strafbar sein könnte. Aber die Problematik reduziert sich doch ein Stück weit.

Wo können Probleme auftreten? Bestimmt nicht bei von Deutschen in Deutschland begangenen Straftaten. Hier darf keine französische Staatsanwaltschaft ermitteln. Sie wird das auch nicht tun. Da treten keine Probleme auf. Auch nicht, wenn das Ausland die Auslieferung eines Ausländers begehrt. Er ist der ausländischen Rechtsordnung unterworfen. Da können sich keine Probleme ergeben. Auch nicht, wenn ein deutscher Staatsangehöriger wegen einer Tat im Ausland ausgeliefert werden soll. Es gibt keinen Anspruch auf Mitwirkung an der jeweiligen Strafgesetzgebung mit der Folge, dass man nur dieser unterworfen ist. Ich bin vielmehr der ausländischen Rechtsordnung unterworfen, wenn ich mich im Ausland aufhalte. Dementsprechend gibt es da keine rechtsstaatlichen Bedenken.

Rechtsstaatliche Bedenken können bei den so genannten Inlandsdistanzdelikten bestehen, also dann, wenn Tat-, Handlungs- und Erfolgsort nicht übereinstimmen. Denn wir haben die Ubiquitätstheorie: Tat

ort ist sowohl der Handlungsort als auch der Erfolgsort. Da kann es in der Tat ein paar Probleme geben. Dazu gibt es auch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Ein Deutscher begeht in Deutschland eine Tat, die hier straffrei ist; in Frankreich tritt der Taterfolg ein, beispielsweise im Bereich der InternetKriminalität; die französische Staatsanwaltschaft ermittelt und begehrt die Auslieferung. In einem solchen Fall sehe auch ich ein gewisses Problem. Das wird natürlich durch das Prinzip verstärkt, dass die europäischen Staaten die Geltung nationalen Rechts für Auslandsstraftaten begehren. § 6 Strafgesetzbuch, Weltrechtsprinzip, das alles brauche ich Ihnen nicht zu erläutern.

Aber das sind Konstellationen, die wirklich nur einen Randbereich des insgesamt zu begrüßenden Regelwerks betreffen. Mir liegt die Originalstellungnahme des Strafrechtsausschusses des Deutschen Anwaltsvereins vor. Er hat das im Grundsatz begrüßt.

(Zurufe)

- Doch, Herr Kubicki, ich habe das wörtlich hier. Ich kann Ihnen das zeigen; ich kann es Ihnen auch zur Verfügung stellen.

Er hat darüber hinaus lediglich gesagt: Nur weil es in einigen Fällen Schwierigkeiten der Abgrenzung geben kann, brauchen wir anwaltlichen Beistand verpflichtend in allen Verfahren. Das ist keine originelle Forderung für einen Anwaltsverein, aber dem kann man in der Tat etwas abgewinnen.

Aber grundsätzlich gilt: Wir haben Rechtssicherheit auch unter den besonderen Bedingungen, die im Strafrecht gelten. Stichwort: Analogieverbot. Hier brauchen wir in der Tat besonders klare Maßstäbe. Das ist bei der Mehrzahl der Katalogstrafen unzweifelhaft der Fall. Hier können keine rechtsstaatlichen Bedenken auftreten. In den wenigen Punkten, die ich genannt habe, hätte ich mir gewünscht, dass vielleicht andere Regelungen zustande gekommen wären. Nur, da sind wir reichlich spät dran. Sie hätten Ihre Bedenken im europäischen Rechtsetzungsverfahren geltend machen müssen. Das aber liegt lange Zeit zurück

(Beifall der Abgeordneten Ingrid Franzen [SPD] und Rolf Fischer [SPD])

und die ersten kritischen Veröffentlichungen in Deutschland sind auch erst im Sommer vergangenen Jahres aufgetreten, als das Ausführungsgesetz der Bundesregierung auf dem Tisch lag. Den Schünemann-Aufsatz werden Sie gelesen haben. Das hätte

(Thorsten Geißler)

man übrigens damals auch schon thematisieren können. Das haben Sie nicht getan.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Moment! Das habe ich getan!)

Jedenfalls: Der Antrag ist heute zu debattieren.

(Glocke der Präsidentin)

Herr Abgeordneter, kommen Sie bitte zum Schluss!

Ich muss leider zum Schluss kommen. Es ist ein außerordentlich spannendes Thema, wie ich finde. - Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist gut, dass wir einmal darüber reden.

(Heiterkeit)

Hätten wir es wesentlich früher getan, hätte man noch etwas bewirken können. So, denke ich, haben wir alle etwas dazu beigetragen, dass wir gegenseitig unseren Sachverstand erhöhen. Ich habe aufgrund Ihres Antrages viele Veröffentlichungen gelesen

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Hoffentlich mei- ne auch!)

und glaube, dass ich persönlich davon auch ein Stück weit profitiere. Insofern bedanke ich mich herzlich bei der FDP.