Protocol of the Session on March 28, 2000

Meine Herren und Damen! In der konstituierenden Sitzung des Landtages führt die Alterspräsidentin den Vorsitz, bis durch Wahl über die Besetzung des Präsidentenamtes entschieden worden ist.

Ich gehöre dem Landtag seit der 8. Wahlperiode, die am 26. Mai 1975 begonnen hat, ununterbrochen an. Ich frage, ob ein Mitglied des hohen Hauses dem Landtag länger angehört.

(Heiterkeit)

Ich sehe keine Wortmeldungen und übernehme mit Ihrer Zustimmung die Aufgaben der Alterspräsidentin.

Ich bin die bisher jüngste Alterspräsidentin in der Geschichte des Landes Schleswig-Holstein und begrüße Sie alle sehr herzlich.

(Lebhafter Beifall)

Ich hoffe, dass sich die Parteien verstärkt für die Jugend öffnen mögen, damit ich nicht als jüngste Alterspräsidentin aller Zeiten in die Geschichte eingehe.

(Heiterkeit)

Ein besonderer Gruß gilt den ehemaligen Kolleginnen und Kollegen des Landtages. Ich nenne stellvertretend für alle Gert Börnsen, mit dem ich vor 25 Jahren

hinten links in der letzten Reihe meinen Platz unter dem wachsamen Auge des Präsidenten Lemke eingenommen habe.

Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:

Eröffnung der Sitzung durch die Alterspräsidentin

Ich eröffne die erste Sitzung der 15. Wahlperiode des Schleswig-Holsteinischen Landtages und stelle die ordnungsgemäße Einberufung nach Artikel 13 Abs. 4 der Verfassung des Landes Schleswig-Holstein fest.

Da wir nicht ohne Schriftführer auskommen, ernenne ich Frau Abgeordnete Herdejürgen und Frau Abgeordnete Eisenberg zu vorläufigen Schriftführerinnen. Ich bitte Sie, neben mir Ihre Plätze einzunehmen.

Damit ist das vorläufige Sitzungspräsidium gebildet.

Meine Herren und Damen, der Landeswahlleiter hat die Wahl von 89 Abgeordneten festgestellt. Nach dem Wahlergebnis verteilen sich die Mandate wie folgt: SPD 41, CDU 33, F.D.P. 7, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 5, SSW 3 Sitze.

Die Wahlprüfung durch den Landtag wird noch erfolgen. Die vom Landeswahlleiter als gewählt festgestellten Abgeordneten sind zu dieser Sitzung geladen worden. Ich kann damit die Beschlussfähigkeit des hohen Hauses feststellen.

Meine Herren und Damen, dieser Landtag ist der Erste im neuen Jahrhundert. Er ist der Erste im neuen Jahrtausend. Wir Abgeordneten nehmen unsere Arbeit in gewohnter Weise auf. Die Welt aber, in der wir leben, ist in einem radikalen Umbruch begriffen. Das Zeitalter der neuen Informationstechnologien zieht tiefgreifende, bislang ungeahnte Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft nach sich, vermutlich auch der Politik. Die Auswirkungen dieses Umbruchs sind wohl nur mit jenen vergleichbar, die die Erfindung des Buchdruckes auslöste.

Es geschieht eine rasante Veränderung, die unsere Köpfe erst zögerlich wahrzunehmen beginnen. Durch Mausklick sind innerhalb von Sekunden Finanzmittel, Maschinenbaupläne, Problemlösungsvorschläge und die Debatten darüber an jedem Punkt der Welt. Während wir hier um die Wirtschaftspolitik und Arbeitsplätze des Landes ringen, fusionieren Banken und Wirtschaftsunternehmen zu Megakonzernen, um als sogenannte Global Players die Märkte zu erobern. Während wir hier den Landtag in gewohnter Art und Weise eröffnen, fragt sich die Angestellte der

(Alterspräsidentin Gisela Böhrk)

Deutschen Bank gleich um die Ecke, ob es ihre Filiale im nächsten Jahr noch geben wird, und der Chef der Lübecker Commerzbank kann nicht sicher sein, ob sein Arbeitsplatz nicht heute schon der HongkongShanghai-Bank gehört.

Wir werden hier demnächst vielleicht um 50.000 DM für die Unterstützung eines für die regionale Beschäftigungspolitik wichtigen Betriebes ringen. Mit dem Börsenwert von Vodafone/Mannesmann könnten alle Kosten des Landeshaushalts 20 Jahre lang übernommen werden.

Während Firmen und ihre Arbeitsplätze quasi online verkauft und gekauft werden - ohne irgendeine Rücksicht auf regionale, nationale und kontinentale Grenzen und ihre traditionellen Regeln und Institutionen -, wird die Opposition die Regierung auffordern, endlich im Lande Schleswig-Holstein etwas für die Rettung der Arbeitsplätze zu tun, und die Regierung wird diese Aufforderung nicht von sich weisen können.

Wenn Geld und Märkte so weltumspannend tätig und so mächtig sind, was kann, was soll Landespolitik da noch ausrichten? Sind wir in den Parlamentsdebatten und in den Ausschüssen wie die Fliegenden Holländer, die unablässig dieselben Bewegungen machen und nie mehr ans Ziel kommen können? Sind wir die Artisten in der Zirkuskuppel, ratlos, aber rastlos und immer rastloser, je ratloser wir sind?

Was die Menschen von uns verlangen - zu Recht verlangen -, ist wenigstens ein Quäntchen Orientierung in der Unübersichtlichkeit. Gleichwohl müssen wir uns und ihnen gegenüber eingestehen, dass unsere traditionellen Instrumente weder regional noch national in gewohnter Weise wirksam sind. Wir müssen vor allem eines eingestehen: Auch die politische Klasse selbst ist noch dabei herauszufinden, wie die Gestaltung des Gemeinwesens im Zeitalter der Globalisierung denn funktionieren könne.

Wichtig ist aber eines. Wir müssen unbeirrt und mit noch größerer Macht als jemals zuvor daran festhalten: Die globalisierte Ökonomie darf die Politik nicht auf den Beifahrersitz der gesellschaftlichen Gestaltung verdrängen.

(Beifall bei der SPD und der Abgeordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN])

Wenn die Kräfte des Marktes auf das konzentriert sind, was der Markt am besten kann, die Menschen mit Gütern und Dienstleistungen versorgen, Eigeninitiative und Leistung fördern, wenn das Gemeinwesen nach gemeinsamen Werten von Mitmenschlichkeit, Freiheit und Gleichheit gestaltet wird, dann wird die Marktwirtschaft nicht zur Marktgesellschaft.

Nicht Alles und Jedes darf wie eine Ware behandelt werden, vor allem nicht Menschen, ihre Arbeit, ihre Gesundheit, ihre Erbanlagen oder ihre Bildung und Kultur. Unsere Politik darf den Anspruch nicht aufgeben, eine Gesellschaft zu gestalten, in der die Menschen gern leben und die den Kindern Zukunft gibt. Wir haben als gewählte Abgeordnete, als Parlament und Regierung den Auftrag dazu. Wir haben aber keine probaten Rezepte, wie dies gelingen kann. Sicher gelingt es nicht mit den Denkgewohnheiten und Arbeitsmustern der Vergangenheit.

Der Weg zu einer gestaltenden Politik in diesen Zeiten ist durchaus mühsam und frustrierend - nicht allein für die Akteure, sondern auch für das Publikum und die Vermittlungsinstanzen, die Medien. Die Verlockung, die Gefahr ist groß, dass die Politik aus dem Gestaltungsdilemma flieht - zur Unterhaltungsshow, zur täglichen „soap opera“. Dafür gibt es Gründe. Die öffentliche Wertschätzung folgt gern und häufig der ansprechenden Oberfläche. In der Unübersichtlichkeit des Umbruchs gibt es eine Tendenz weg von den Inhalten hin zu Marketingstrategien. Image bildet sich auch in der Politik nicht mehr zuerst über die Biographie, auch nicht mehr allein über Leistung, sondern über den schönen Schein, den Event, die Inszenierung. Was sich gut verkaufen läßt, ist gut. Was sich gut verkaufen läßt, ist erfolgreich. Das Sperrige, das Differenzierte, das, was sich nicht in 0:30 „rüberbringen“ läßt, hat es dagegen schwer.

Wenn Politik entgegen allen Trends zu ihrer besonderen Verantwortung steht, dann darf sie nicht aus der unübersichtlichen Realität in den schönen Schein und damit aus der Verantwortung fliehen. Sie muss - gerade weil wir in den Zeiten des schnellen Profits, des kurzfristigen Erfolges, der Kurzfristigkeit insgesamt leben - eine Kultur der Langfristigkeit entwickeln. Das ist im Übrigen nicht nur die Aufgabe der Politik, das gilt auch für Unternehmen und für gesellschaftliche Institutionen. Das bedeutet, für richtig gehaltene Ziele langfristig auch dann zu verfolgen, wenn es keine täglichen News, keine medialen Streicheleinheiten dafür gibt. Die Kultur der Langfristigkeit bedeutet im Übrigen auch ganz praktisch, das Know-how und die Erfahrungen der ausgeschiedenen Kolleginnen und Kollegen systematisch in unsere Arbeit einzubeziehen.

Wenn wir ein Bewusstsein für die besonderen Schwierigkeiten politischer Gestaltung in Zeiten des

(Alterspräsidentin Gisela Böhrk)

Umbruchs entwickeln, wird vielleicht mehr Offenheit möglich. Es wird vielleicht möglich, mehr und mehr auf die gängigen Pawlowschen Reflexe in der Politik zu verzichten, durch die so gut wie jeder Vorschlag des politischen Gegners zurückgewiesen wird. In einigen Bereichen ist uns das in den letzten Jahren ganz gut gelungen, zum Beispiel in der Minderheitenpolitik und bei der Ostseekooperation. Die Sicherung der Zukunft der jungen Generation könnte eine weitere gemeinsame Zielsetzung sein.

In diesem Sinne wünsche ich uns allen gute Arbeit in den nächsten fünf Jahren.

(Anhaltender Beifall)

Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:

Wahl und Vereidigung der Landtagspräsidentin oder des Landtagspräsidenten

Wahlvorschlag der Fraktion der SPD Drucksache 15/1

Die Präsidentin oder der Präsident ist in geheimer Wahl für die Dauer der Wahlperiode zu wählen. Als gewählt gilt, wer mehr als die Hälfte der abgegebenen Stimmen erhält.

Wir treten in die Wahlhandlung ein. Mir liegt hierzu die Drucksache 15/1, der Wahlvorschlag der Fraktion der SPD, vor. Es wird vorgeschlagen, den Abgeordneten Heinz-Werner Arens zum Landtagspräsidenten zu wählen. Ich frage, ob weitere Vorschläge gemacht werden. - Das ist nicht der Fall.

Ich bitte Sie, auf dem Stimmzettel, der Ihnen auf dem Weg zur Wahlkabine ausgehändigt wird, in der Wahlkabine und mit dem dort liegenden Bleistift - und nur mit diesem Bleistift - Ja, Nein oder Enthaltung anzukreuzen. Und ich bitte Sie, den gefalteten Stimmzettel anschließend in die Wahlurne zu werfen.

Ich eröffne den Wahlakt und bitte die Schriftführerinnen, die Namen aufzurufen.

(Namensaufruf und Stimmzettelabgabe)

Meine Herren und Damen, der Wahlakt ist beendet. Ich unterbreche die Sitzung zur Auszählung der Stimmen für zehn Minuten.

(Unterbrechnung: 11:38 bis 11:49 Uhr)

Die Sitzung ist wieder eröffnet.

Ich gebe das Ergebnis der Wahl bekannt: Der Wahlvorschlag, den Abgeordneten Heinz-Werner Arens

zum Landtagspräsidenten zu wählen, erhielt bei 89 abgegebenen gültigen Stimmen 84 Jastimmen,

(Anhaltender Beifall)

vier Neinstimmen, eine Stimmenthaltung. Damit ist der Abgeordnete Heinz-Werner Arens zum Präsidenten des Schleswig-Holsteinischen Landtages gewählt. Herr Abgeordneter Arens, ich frage Sie, ob Sie die Wahl annehmen.