Protocol of the Session on November 14, 2019

(Beifall der SPD, der FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Abg. Martin Haller, SPD: So ist das nämlich! – Abg. Dr. Jan Bollinger, AfD: Was ist das für ein Umgang? „Von sich gelassen“! Abwertend!)

Lassen Sie mich als Historikerin gleich einmal in die Zeit zu

rückgehen und noch einmal ein paar Zahlen wiederholen, weil ich finde, dass man die nicht oft genug wiederholen kann.

3,8 Millionen Menschen sind geflohen von 1949 bis in den Sommer 1990. 3,8 Millionen Menschen, die ihre Heimat hinter sich gelassen haben, die alles hinter sich gelassen haben, unter der Bedrohung ihres eigenen Lebens. Wenn sie auf dieser Flucht erwischt wurden, dann drohten ihnen acht Jahre Haft für das, was die SED-Diktatur „Republikflucht“ nannte.

Diese Menschen haben alles hinter sich gelassen, in der festen Hoffnung auf eine Zukunft, auf Demokratie und auf Freiheit – auch die 167.233 Menschen, die zwischen 1950 und 1989 nach Rheinland-Pfalz kamen. Sie flohen in der Hoffnung auf ein anderes Leben, auf Demokratie und auf Freiheit. Hinter diesen Menschen stehen individuelle Schicksale, Familientrennungen, Verlust, Unsicherheit, das Wissen, einen Teil seines Lebens unwiderruflich zurücklassen zu müssen, aber auch Hoffnung und Zuversicht.

Diesen mutigen Menschen gilt unsere Anerkennung, unsere Empathie und unser Respekt.

(Beifall der SPD, bei der FDP und Beifall des Abg. Daniel Köbler, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was ihnen nicht widerfahren darf, ist eine Instrumentalisierung. Was ihnen nicht widerfahren darf, ist, dass ihr Leid für kruden ideologischen Sermon missbraucht wird. Das ist es, was Sie – noch deutlicher in der letzten Plenarsitzung – hier getan haben.

(Beifall bei der SPD und bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie behaupten in Ihrer Anfrage – ich zitiere –, seitens der Landesregierung bestünde ein Desinteresse an den Opfern des Kommunismus. – Festgemacht an was? An dem Fehlen einer zentralen Gedenkveranstaltung zum Mauerfall. Sie behaupten – ich zitiere weiter –, es paare sich Unwissen mit Unwillen. – Herr Kollege, dieses Unwissen kann ich zurückgeben; denn Sie scheinen nicht zu wissen, was dieses und übrigens jedes Jahr in diesem Land an Gedenkarbeit und Erinnerungskultur geleistet wird.

(Beifall der SPD, der FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Lassen Sie mich diese Wissenslücke ein wenig auffüllen. Ihre Anfrage zu den Zeitzeugengesprächen kam während der letzten Plenarsitzung. Ein Antrag nach der GOLT im Wissenschaftsausschuss kam auch erst nach der Plenarsitzung, als Sie Ihre Rede schon gehalten hatten. Natürlich ist diese Thematik in den Lehrplänen des Landes Rheinland-Pfalz verankert.

(Abg. Michael Frisch, AfD: Darum geht es doch gar nicht!)

Das hier sagen zu müssen, sagt mehr als alles andere. Es gibt zudem für Lehrerinnen und Lehrer Begegnungsseminare für den Austausch mit SED-Opfern, mit Kollegen aus dem Osten der Republik, und es erfolgt eine Demokratie

bildung.

(Abg. Michael Frisch, AfD: Wann war denn die Gedenkveranstaltung?)

Eines davon fand vor vier Tagen in Sachsen statt. Das rheinland-pfälzische Bildungsministerium kooperiert seit Jahren mit der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SEDDiktatur, und seit Jahren nutzen wir Zeitzeugengespräche, damit das, was die Menschen erlebt haben, was ihnen widerfahren ist, der Geschichte ein menschliches Antlitz geben kann.

(Abg. Michael Frisch, AfD: Wann war nochmal die Gedenkveranstaltung in Mainz?)

Außerdem gibt es zahlreiche Angebote der Landeszentrale für politische Bildung. Ich weiß, mit der haben Sie es nicht so. Es gibt Veranstaltungen mit Zeitzeugen, Konzertlesungen – auch in Zusammenarbeit mit dem Landtag –, es gibt Vortragsreihen, die den Mauerfall in den europäischen Kontext einordnen, es gibt Projekte des Volkshochschulverbands unter den innovativen Weiterbildungsmaßnahmen, es gibt Projekte der evangelischen Erwachsenenbildung, es gibt das Projekt der Martin-Görlitz-Stiftung und für 2020, den Jahrestag der Wiedervereinigung, steht schon einiges in der Pipeline.

Es wird erinnert. Wir erinnern mit den Opfern gemeinsam an alle Unrechtsregime in dem festen Glauben daran, dass die kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit unsere Demokratie auf festere Beine stellt, dass sich nicht wiederholen möge, was passiert ist, und im konkreten Fall auch daran, dass der Ruf „Wir sind das Volk“ als ein Ruf nach Freiheit und Demokratie in Erinnerung bleibt und nicht als dumpfe Parole, die seit 2015 missbraucht wird.

(Beifall der SPD, der FDP, des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der CDU – Abg. Martin Haller, SPD: Sehr gut Nina!)

Wir wollen daran erinnern, dass der Mauerfall ein Schritt in eine gemeinsame demokratische Zukunft war, dass die Wende als positives Ereignis in Erinnerung bleibt und nicht mit „Wende 2.0“ verunglimpft wird,

(Beifall der SPD, der FDP, des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der CDU – Abg. Alexander Schweitzer, SPD: So ist es! – Abg. Michael Frisch, AfD: Das sehen die Ossis ganz anders!)

wodurch der Rechtsstaat unserer Bundesrepublik, in dessen freiheitlichen Grundgedanken auch der Sehnsuchtsort jener Geflohenen, die jetzt Rheinland-Pfälzer sind,

(Abg. Michael Frisch, AfD: Wie viel Prozent hat die SPD nochmal im Osten? – Abg. Dr. Jan Bollinger, AfD: 8 %!)

mit der SED-Diktatur gleichgesetzt wird. Übrigens von Ihrer Partei, also ersparen Sie uns bitte Ihre Belehrungen in Sachen „Gedenken“.

(Beifall der SPD, der FDP, des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der CDU – Zurufe von der AfD)

Zu einer Kurzintervention hat der Abgeordnete Schmidt das Wort.

(Abg. Michael Frisch, AfD: Die nächsten Wahlen im Osten kommen! – Abg. Kathrin Anklam-Trapp, SPD: Das ist so! Alle fünf Jahre! – Abg. Michael Frisch, AfD: Sie können die Koffer schon packen!)

Sehr geehrte Frau Klinkel, Sie bauen hier Potemkinsche Dörfer auf. Wir sind uns bewusst, es gab in diesem Jahr ein paar spärliche Veranstaltungen der Landeszentrale für politische Bildung zu diesem Themenbereich.

(Abg. Martin Haller, SPD: Erzählen Sie doch nicht das Gegenteil! – Glocke des Präsidenten)

Hören Sie doch zu, Herr Haller.

(Abg. Martin Haller, SPD: Ihnen doch nicht!)

„Ihnen doch nicht“, wunderbar, sehr demokratische Einstellung.

Ende Oktober, Anfang November war ich mit der Familie im Harz, im Westharz, im Ostharz, an der Grenze zwischen den drei Bundesländern Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Hessen unterwegs. Dort hat es allerorten Gedenkveranstaltungen rund um den 9. November gegeben.

(Zuruf der Abg. Marlies Kohnle-Gros, CDU)

Das war in einer derart markanten Weise präsent. Hier bin ich seit Monaten herumgelaufen und habe so gut wie nichts gesehen. Sie können mir glauben, ich bin auch Historiker,

(Abg. Alexander Schweitzer, SPD: Aber was für einer!)

ich habe genau drauf geachtet. Es geht darum, dass dieses historisch bedeutende Ereignis hier extrem tiefgehängt wurde und noch nicht einmal die Staatskanzlei etwas gemacht hat. Sie können jetzt auf andere Veranstaltungen hinweisen und den Eindruck erwecken, es wäre erinnert worden. Nein,

(Abg. Giorgina Kazungu-Haß, SPD: Woher wissen Sie das überhaupt?)

es ist viel zu wenig an diese Thematik erinnert worden. Das ist ein Skandal.

(Beifall bei der AfD – Abg. Jens Guth, SPD: Schulbesuchstag, wo Sie nicht da waren!)

Zur Erwiderung hat die Abgeordnete Klinkel das Wort.

Ich weiß nicht, wo Sie unterwegs waren. Aber wenn Sie einmal in unseren Kommunen waren und sich die Gedenkveranstaltungen zum 9. November angeschaut und angehört haben, hätten Sie feststellen können, dass dabei auch an den Mauerfall erinnert wurde.

(Abg. Alexander Schweitzer, SPD: So ist es!)

Wenn Sie dort nicht anwesend sind, wie Sie auch zahlreich nicht beim Schulbesuchstag am 9. November anwesend waren, dann ist das in erster Linie Ihr Problem.

(Beifall der SPD, der FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Abg. Jens Guth, SPD: So sieht es aus! Unentschuldigt gefehlt! – Abg. Michael Frisch, AfD: Es wird immer peinlicher! – Abg. Dr. Jan Bollinger, AfD: Das war ein intellektueller Offenbarungseid! – Abg. Alexander Schweitzer, SPD: Sie sind der dackelpolitische Sprecher! – Abg. Dr. Jan Bollinger, AfD: Ihr Gegenstück! – Glocke des Präsidenten)

Jetzt kehrt erst einmal Ruhe ein. Wenn Bedarf an Gesprächen untereinander besteht, können diese im Innenhof geführt werden. Das trägt dann vielleicht zur Ruhe bei.

Für die CDU-Fraktion hat die Abgeordnete Demuth das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr geehrten Damen und Herren! In der vergangenen Woche jährte sich der Mauerfall zum dreißigsten Mal. Es ist ohne Zweifel das schönste und glücklichste Jubiläum unserer deutschen Geschichte.

(Beifall des Abg. Martin Louis Schmidt, AfD)