Protocol of the Session on November 13, 2019

(Zuruf des Staatsministers Roger Lewentz)

und wir in der nächsten Legislaturperiode Expertinnen und Experten haben werden, die das können. Ich denke, da können wir darüber beraten, ob wir eine Anhörung machen oder mit eigenen Mitteln – natürlich intensiv – darüber diskutieren. Es wäre mir wichtig, dass das tatsächlich so durchgeführt wird. Ich wäre froh, wenn wir dafür die Zustimmung bekämen.

(Beifall der CDU, der SPD, der FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die AfD-Fraktion spricht der Fraktionsvorsitzende Uwe Junge.

Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen! Der Verfassungsschutz (VS) in Bund und Land ist eine der wichtigsten und schärfsten Klingen des demokratischen Rechtsstaats zur Sicherung von Freiheit, der Grundrechte und der politischen Vielfalt. Unser aktuelles Verfassungsschutzgesetz ist mittlerweile über 20 Jahre alt und wird inhaltlich den neuen Erfordernissen nicht ausreichend gerecht. Ob es nun die Anforderungen des Datenschutzes, rechter oder linker Extremismus, religiöser Fanatismus oder andere staatsgefährdende Aktivitäten sind, es herrscht in der Tat Handlungsbedarf.

Bei erster und oberflächlicher Betrachtung wird die hier besprochene Novellierung diesem Anspruch durchaus gerecht. Auch eine erweiterte parlamentarische Kontrolle durch die Parlamentarische Kontrollkommission ist durchaus sinnvoll und richtig.

Bei genauer Betrachtung fallen jedoch einige juristische Auffälligkeiten ins Auge. Formulierungen, die bei aller Anerkennung über die besseren Möglichkeiten zur Extremismus- und Terrorismusbekämpfung mehr Fragen aufwerfen, als für mich im Moment Antworten geliefert werden. Warum ist beispielsweise der Verfassungsschutz noch immer eine Abteilung des Innenministeriums, also aus meiner Sicht nicht wirklich unabhängig?

Warum wird der sinnvolle § 4 Abs. 2 des noch gültigen Verfassungsschutzgesetzes praktisch ersatzlos gestrichen? Dieser Absatz listet nämlich ganz konkret auf, was zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung im Sinne des Gesetzes zählt. Er wird durch den neuen Absatz 3 ersetzt, der sich nur noch auf die Garantie der Menschenwürde,

das Demokratieprinzip und das Rechtsstaatsprinzip beruft. Nicht schlecht! Diese Begriffe sind im Verhältnis sehr unkonkret und bieten viel Interpretationsspielraum, meine Damen und Herren. Welche Absicht steckt dahinter?

Warum wird im § 5 Abs. 4 beim Schutz der Völkerverständigung und des friedlichen Zusammenlebens der Völker der Verweis zum Grundgesetz gestrichen? Werden hier künftig andere Werte oder gar haltungsbezogene Maßstäbe angelegt?

Warum wird im § 8 der neuen Fassung der erste Absatz ersatzlos gestrichen? In ihm heißt es aktuell noch: „Die Verfassungsschutzbehörde ist an Gesetz und Recht gebunden (...).“ Ist das künftig nicht mehr der Fall?

In den jeweiligen Änderungsbegründungen finden sich zwar die Hinweise, dass die weggestrichenen Punkte quasi obligatorisch seien, aber sie finden sich nicht mehr im Gesetz wieder. Gesetze sollten aber nach unserem Dafürhalten Rechtssicherheit schaffen und keinen Raum für Interpretationen eröffnen. Es entsteht der fatale Eindruck, dass hier bewusst auslegungsfähige Rechtsbegriffe verwendet werden, weil man sich den klaren rechtlichen Definitionen nicht mehr unterwerfen will. Warum eigentlich nicht?

Nicht weniger interessant ist auch die erweiterte parlamentarische Kontrolle durch die PKK. Grundsätzlich ist gegen eine strengere Kontrolle des Verfassungsschutzes durch demokratisch gewählte Repräsentanten gar nichts einzuwenden, solange auch die kontrollierenden Repräsentanten einen Querschnitt des Parlaments darstellen. Aktuell ist dieses Kontrollgremium mit drei Abgeordneten jeweils vonseiten der größten regierungsbildenden Fraktion und der größten Oppositionspartei relativ ausgeglichen besetzt. Künftig soll die PKK ohne feste Mitgliederbegrenzung aus der Mitte des Parlaments mit den Stimmen der Mehrheit zu Beginn der Legislaturperiode neu bestimmt werden. Nicht nur die Presse spottet schon über diese Regelung, mit der man ganz offensichtlich einen Weg eröffnen möchte, um missliebige Parteien auszugrenzen. Ich sage nur einmal: Achtung, Mehrheiten können sich auch ändern!

(Abg. Martin Haller, SPD: Ach, Sie mit Ihren Behauptungen!)

Das kann manchmal ein Eigentor werden, Herr Haller.

(Abg. Martin Haller, SPD: Ach je!)

Die gezielte Ausgrenzung einer demokratisch gewählten Opposition kann und darf in einer Demokratie niemals Inhalt einer gesetzlichen Regelung sein, weder direkt noch optional. Sie haben die Gelegenheit, das noch zu ändern.

Besonders bedenklich wird dieser Versuch dann, wenn künftig die PKK die Arbeit des VS auch öffentlich bewerten darf. Was also als Kontrollfunktion an sich gedacht ist, kann auch indirekt zur Instrumentalisierung des VS zu politischen Zwecken missbraucht werden. Das sollte jedem guten Demokraten übel aufstoßen. Meine Damen und Herren, der Verfassungsschutz dient dem Land und der Demokratie und keinen wechselnden Mehrheiten.

(Beifall der AfD)

Wenn aber die Unterzeichner, die kein Problem damit haben, sich mit Organisationen gemein zu machen, die vom Verfassungsschutz durchaus beobachtet werden, dann erscheint eine Instrumentalisierung des VS gegen die jeweilige Opposition alles andere als abwegig, ja, sie erscheint beabsichtigt.

An dieser Stelle sei an ein Selfie der Abgeordneten Schellhammer erinnert, das in seinem Mittelpunkt ein oranges Banner mit der Aufschrift „Weg mit dem Verfassungsschmutz“ präsentiert, oder an die Aussage des Abgeordneten Schwarz im letzten Innenausschuss, dass er alles unternehmen werde, damit meine Partei und ich wieder in der Versenkung verschwinden werden.

(Beifall bei SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Abg. Martin Haller, SPD: Das ist doch gut! – Zuruf von der SPD: Gut! – Unruhe bei der AfD)

Ich wollte noch einmal Beifall von Ihnen provozieren, aber wie ich sehe, arbeiten Sie daran.

(Zuruf des Abg. Michael Frisch, AfD)

Meine Damen und Herren, bei solchen Botschaften von den Urhebern der Novellierung braucht es nicht viel Fantasie, um zu erkennen, wohin die Reise gehen soll.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Verfassungsschutzgesetz gehört natürlich überarbeitet, weil es in der vorgelegten Fassung Möglichkeiten eröffnet, die Ideale von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie zu unterlaufen. Hier fordern wir klare Begriffsbestimmungen und Definitionen und eine dauerhafte Festlegung der PKK-Besetzung. Den Entwurf in der jetzigen Form können wir natürlich so nicht mittragen, freuen uns aber auf eine sachliche Diskussion und Beratung im Ausschuss.

Vielen Dank.

(Beifall der AfD)

Für die FDP-Fraktion spricht die Abgeordnete Monika Becker.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Marlies Kohnle-Gros, zunächst einmal ganz herzlichen Dank! Das war ein sehr konstruktiver Beitrag im Gegensatz zu dem, was wir gerade eben gehört haben.

(Vereinzelt Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Selbstverständlich denke ich – ich spreche jetzt für die FDP-Fraktion, aber ich glaube, da sind wir uns in der Koalition einig –, dass wir diesen Weg, den Du vorgeschla

gen hast, gemeinsam gehen, im Innenausschuss und im Rechtsausschuss über dieses wichtige Gesetz zu debattieren. Es ist in der Tat ein wichtiges Gesetz, über das wir gemeinsam reden.

Meine Damen und Herren, der Anschlag in Halle und der Mord an Walter Lübcke waren eine Zäsur in unserer Sicherheitspolitik. Sie haben eines verdeutlicht: Wir stehen im gesamten Bundesgebiet vor neuen sicherheitspolitischen Herausforderungen. Die Gefährdungslage insbesondere durch politischen Extremismus ist hoch. Rechte und linke Extremisten sowie Islamisten setzen unsere liberale Demokratie und den Rechtsstaat stark unter Druck. Sie zielen auf die Beseitigung der grundlegenden Werteprinzipien unserer Verfassung ab.

Die Opfer sind dabei nicht nur Einzelpersonen wie Polizisten, Politiker und Menschen mit oder ohne Migrationshintergrund. Nein, es ist auch unsere gesamte Zivilgesellschaft gefordert.

Meine Damen und Herren, jeder einzelne Bürger muss sich gegen Extremisten positionieren und sich davor schützen, von ihnen vereinnahmt zu werden. Wir müssen unseren Blick schärfen; denn Rechtsextremisten haben ihren Weg von den Stammtischen hin zu einem Habitus einer geistigen und intellektuellen Elite gefunden.

(Beifall der FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir müssen als Zivilgesellschaft zusammenrücken, damit Mauern nicht nur auf den Straßen, sondern auch in den Köpfen eingerissen werden.

(Abg. Cornelia Willius-Senzer, FDP: Ja!)

Nur gemeinsam können wir die Erosion von Grundrechten aufhalten und unsere Freiheit dauerhaft verteidigen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, umso wichtiger ist es vor diesem Hintergrund, dem Verfassungsschutz als tragende Säule unserer Sicherheitsarchitektur rechtssichere und zeitgemäße Leitlinien für seine bedeutsame Arbeit zu geben. Ich wiederhole gerne Deine Begriffe, die Du verwendet hast.

(Beifall der Abg. Cornelia Willius-Senzer, FDP)

Deshalb erweitert die Ampelkoalition mit der heutigen Novelle mit Maß die Befugnisse des Verfassungsschutzes. So können wir auch für die Zukunft gewährleisten, dass der Verfassungsschutz die Freiheitsordnung unserer pluralen Demokratie bestmöglich verteidigen wird.

Meine Damen und Herren, Verfassungsfeinde sind heute hoch agil und digital vernetzt. Auch die Aktivitäten an allen Rändern unserer Gesellschaft haben insbesondere auf digitalen Plattformen zugenommen. Die Zeiten, in denen sich Extremisten in vereinsartigen Strukturen bewegen und organisieren, sind weitestgehend vorbei. Social Media-Plattformen schaffen eine Gegenöffentlichkeit zu etablierten Medien. Extremisten nutzen diese Plattformen als Echoräume, in denen eine kritische und sachliche Auseinandersetzung fehlt.

Insbesondere im Bereich des Islamismus konnte festgestellt werden, dass verschlüsselte Bereiche auf sozialen Plattformen für die Radikalisierung und Rekrutierung von häufig jungen Menschen genutzt werden. Meine Damen und Herren, deshalb ist es gut, dass wir mit dieser Novelle in diese Bereiche vordringen können.

Mit § 24 schaffen wir für den Verfassungsschutz eine spezifische Rechtsgrundlage, die es zukünftig Ermittlern ermöglicht, in geschlossenen Chat-Gruppen mitzulesen und über extremistische Bestrebungen aufzuklären. So können wir Rückzugsbereiche von sozialen Plattformen beobachten und digitale Mauern einreißen.

Meine Damen und Herren, um hierbei allerdings stets den Datenschutz der Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten, führen wir ein Update bei den Datenschutzstandards durch; denn der Datenschutz wird in Anlehnung an die Rechtsprechung zur Antiterrordatei, an das Urteil zur Onlinedurchsuchung sowie an die Entscheidung zum BKAGesetz gesetzlich fortgeschrieben. So wird die Verarbeitung personenbezogener Daten zukünftig nur im Einzelfall und zum Schutz höchster Rechtsgüter unter Beachtung von Prüfungs- und Löschfristen erlaubt sein.

Sehr geehrte Damen und Herren, denn für uns Freie Demokraten ist und bleiben eine wehrhafte Demokratie und starke Bürgerrechte zwei Seiten einer einzigen gleichen Medaille. Deshalb hat auch weder die Onlinedurchsuchung, die Quellen-Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) noch die Vorratsdatenspeicherung Eingang in den Entwurf gefunden.

Allerdings, liebe Kolleginnen und Kollegen,

(Glocke der Präsidentin)