Protocol of the Session on January 30, 2013

mündlichen Antragsbegründungen bekennen Sie sich zu einem zentralen Grundsatz der Europäischen Union, nämlich genau diesem.

(Zurufe von der AfD)

Weil es damit eine Asymmetrie der Vorteile und Belastungen im Verhältnis der Europäischen Union zu Großbritannien aber nicht geben darf, lehnen wir Ihren Antrag ab. Ihr eigentliches Ziel wird in einer Aussage des europapolitischen Sprechers der AfD-Fraktion im Brandenburger Landtag deutlich.

Ich zitiere:

„Nächstes Jahr sitzt die AfD im Deutschen Bundestag. Der DExit wird ganz oben auf unserer Agenda stehen.“

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das Referendum im Vereinigten Königreich ist ein Weckruf, genau dies zu verhindern.

(Beifall der CDU, der SPD, der FDP, des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der AfD)

Ein ehrlicher Diskussionsprozess wird notwendiger denn je; Europa braucht jetzt eine Konsolidierungsphase. Hierauf und nicht auf weitere bürokratische Belastungen müssen sich EU-Kommission, Rat und EU-Parlament jetzt konzentrieren. Strukturen und Entscheidungsprozesse müssen überprüft werden und Handlungsprioritäten nachjustiert und neu gesetzt werden. Die EU muss stark bei den Aufgaben sein, welche die einzelnen Mitgliedsstaaten alleine nicht lösen können, meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn Sie sich Abkommensverhandlungen auch über Europa hinaus vor Augen führen.

(Glocke des Präsidenten)

Ich komme zum Schluss. Nur eine starke EU stärkt den rheinland-pfälzischen Wirtschaftsstandort. Sie wollen genau dies nicht, und deshalb lehnen wir Ihren Antrag ab.

Herzlichen Dank.

(Beifall der CDU, der SPD, der FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. – Doch, der Minister möchte noch reden. Ich erteile Herrn Staatsminister Wissing das Wort.

(Abg. Julia Klöckner, CDU: Dann nehmen wir den auch noch!)

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal möchte ich für die Landesregierung sagen, dass uns nicht klar ist, was mit dem AfD-Antrag eigentlich bezweckt werden soll.

Sie schreiben, der Landtag soll die Landesregierung damit beauftragen, sich dafür einzusetzen, „dass kurzfristig sichergestellt wird, dass Großbritannien im gemeinsamen Binnenmarkt verbleibt und keinerlei Handelshemmnisse aufgebaut werden.“

Dazu darf ich festhalten, die Forderung, kurzfristig sicherzustellen, dass Großbritannien im gemeinsamen Binnenmarkt verbleibt, ist gegenstandslos; denn genau das ist sichergestellt.

Das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland, um den offiziellen Namen noch einmal zu nennen, wird zunächst im gemeinsamen Binnenmarkt verbleiben. Die europäischen Verträge sehen nur ein Verfahren für den ordnungsgemäßen Austritt aus der Europäischen Union vor, nämlich das Verfahren nach Artikel 50 des Vertrages über die Europäische Union. Demnach verbleibt ein Land, das den Antrag zum Austritt stellt, für zwei Jahre volles Mitglied der Union mit allen Rechten und Pflichten und ist damit natürlich auch volles Mitglied des Europäischen Binnenmarktes.

(Abg. Dr. Jan Bollinger, AfD: Zwei Jahre!)

Die Zwei-Jahres-Frist kann sogar einstimmig durch den Europäischen Rat verlängert werden. Also kurzfristig ändert sich gar nichts.

(Abg. Dr. Jan Bollinger, AfD: Planungssicherheit!)

Die Frage ist, was mittel- und langfristig passiert.

(Abg. Christian Baldauf, CDU: Das haben wir nicht in der Hand!)

Das ist alles offen. Wir haben in Rheinland-Pfalz gehört, es gibt zunächst besonnene Reaktionen der Unternehmen. Es gab negative Auswirkungen durch den Absturz des britischen Pfundes. Das, was auch Ihre UKIP-Freunde in England als große Errungenschaft propagiert haben, wofür sie gekämpft haben, hat zunächst einmal 15 % der Währung der Briten vernichtet und das Land vor erhebliche Probleme gestellt.

Langfristig kann das die Beschäftigung in Großbritannien massiv negativ beeinflussen. Die Wirtschaftsverbände dort rechnen im Falle des Austritts aus dem Binnenmarkt mit dem Verlust von 950.000 Arbeitsplätzen. Das muss man sich einmal vergegenwärtigen, was das für ein Land bedeutet.

Ich muss schon sagen, es ist bemerkenswert, dass diejenigen, die den Mund voll genommen und den Menschen Tolles versprochen haben,

(Abg. Christian Baldauf, CDU: Abgetaucht!)

sich nach dem Austritt aus der Europäischen Union erst einmal vom Acker gemacht haben, als Ihnen die Verantwortung für die weiteren Schritte angeboten worden ist.

(Starker Beifall der FDP, der SPD, der CDU und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der AfD)

Das finde ich schon bemerkenswert. Das ist auch eine verachtenswerte Form, wie man eine Demokratie missbrauchen kann, Verantwortung für sich zu reklamieren und dann vor ihr davonzulaufen.

(Abg. Uwe Junge, AfD: Da gebe ich Ihnen recht, aber jetzt ist der Außenminister!)

So etwas darf nicht Schule machen.

(Beifall der FDP, der SPD, des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der CDU)

Fast 50 % der Unternehmen aus Rheinland-Pfalz rechnen mit negativen Auswirkungen des Brexits. Importe werden zurückgehen. Exporte nach Großbritannien werden zurückgehen. Die Umfrage zeigt auch, dass viele Unternehmen ihre Investitionen äußerst zurückhaltend angehen. Es ist natürlich klar, die Unsicherheitsphase, die jetzt entstanden ist, führt dazu, dass jede Investition in UK ein großes Risiko darstellt. Also wird man sich zurückhalten. Das ist auch ganz normal.

Was Sie aber mit Ihrem Antrag bezwecken, ist eine politische Botschaft. Sie wollen erklären, dass es doch eine gute Lösung für Europa sei, wenn man die Verantwortung stärker wieder renationalisiert und einfach nur miteinander Handel in offenen Märkten betreibt.

(Zuruf des Abg. Jan Bollinger, AfD)

Das ist so Ihre Vorstellung, Europa ein Geschäftsmodell für Nationalstaaten. Das ist das, was UKIP in Großbritannien verbreitet hat als Heilslösung. Das erklären Sie auch hier in Deutschland, das wäre doch ein tolles Modell. Wir machen die Grenzen dicht für die Bürger, und wir machen freien Handel, eine Art Freihandelszone, und nicht mehr und nicht weniger.

Ich muss Ihnen ehrlich sagen, das ist eine Art, in die man sich erst einmal hineindenken muss. Das hat mit europäischem Denken überhaupt nichts mehr zu tun. Sie denken ganz Europa nur aus der Sicht von Nationalstaaten. Ich muss Ihnen sagen, wir denken Europa aus europäischer Sicht.

(Beifall der FDP, der SPD, der CDU und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir wollen Europa so fortsetzen und erhalten, wie es geschaffen worden ist von Menschen wie Monnet, Schuman

(Abg. Christian Baldauf, CDU: Adenauer!)

auch Adenauer –, die erkannt haben, dass Europa ein Raum der Freiheit und des Rechts werden muss, der von Europa aus gedacht werden muss. Wenn Sie die Frage stellen, ob es nicht eine Zugehörigkeit zum Binnenmarkt geben kann ohne die Personenfreizügigkeit, dann muss ich Ihnen klar antworten: Das ist für die Landesregierung nicht vorstellbar.

Es macht auch keinen Sinn, wenn man von Europa aus denkt. Die Freizügigkeit der Bürgerinnen und Bürger ist eine Voraussetzung dafür, dass man mehr als eine Freihandelszone ist und das enorme Potenzial an Wohlfahrtsgewinnen nutzen kann, nämlich die Gewinne, die daraus

resultieren, dass wir eine Mobilität der Produktionsfaktoren haben.

Wer wirklich verstanden hat, was Europa ist, und wer verstanden hat, was der Erfolg und der Motor, auch der wirtschaftliche Motor Europas ist, der kann nicht ernsthaft auf die Idee kommen, den Binnenmarkt von der Freizügigkeit trennen zu wollen. Meine Damen und Herren, das macht überhaupt keinen Sinn.

(Beifall der FDP, der SPD, der CDU und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen unterstützen wir das auch ausdrücklich nicht. Wir wollen bei den vier Pfeilern bleiben. Für uns gehört das alles eng zusammen. Deswegen denkt die Landesregierung auch strikt europäisch und wirbt dafür, dass das Modell Großbritanniens keine Schule macht. Selbstverständlich wollen wir die Krise nicht verschärfen. Wir stellen uns schützend vor die rheinland-pfälzischen Unternehmen. Wir schützen die Arbeitsplätze in diesem Land. Wir haben sofort Gespräche geführt, die Ministerpräsidentin, der Wirtschaftsminister, die Finanzministerin. Wir haben sofort den Gesprächsfaden aufgenommen und haben gesagt, insbesondere den kleinen und mittleren Unternehmen, die nicht die großen Abteilungen haben, um die rechtlichen Veränderungen jetzt durchzuführen, sich an das anzupassen, was passiert, denen wollen wir Unterstützung, Beratung und auch Hilfe bieten.

Aber wir wollen auch gleichzeitig jede Gelegenheit nutzen, um für Europa zu sprechen. Das ist ein Motor der Friedenssicherung, der Völkerverständigung und auch der Wohlstandssicherung und der Stabilisierung der Sozialstaaten in Europa.

Sie haben sich hingestellt und den Menschen erzählt – das machen Sie in Deutschland, das machen Ihre Freunde von UKIP –, man könne ruhig abbiegen auf einen der unplanierten Feldwege. Da würde man auch glücklich werden. Es gibt eine ganz einfache Alternative, einfach weg von Europa, da führen sichere Pfade.

Jetzt haben Ihre Freunde von UKIP die Briten auf einen Stolperpfad geführt. Da sind nur Steine auf diesem Weg. Da ist nichts geebnet. Jetzt stellen Sie sich hierhin und sagen, die Landesregierung, die anderen sollen dafür sorgen, dass diese Pfade, diese Abwege, auf die Ihresgleichen die Völker in Europa führen wollen, geebnet und planiert werden. Das ist nicht unser Weg.

Wir wollen, dass unser Land auf dem richtigen Weg bleibt, auf dem europäischen Weg, den Weg des Binnenmarktes, den Weg eines Europas, eines Raums der Freiheit und des Rechts, das Wohlstand sichert, das Frieden in Europa sichert.