Protocol of the Session on June 13, 2019

(Vizepräsidentin Astrid Schmitt übernimmt den Vorsitz)

Wer meint, Schreibschrift sei im Zeitalter von Computer und Digitalisierung eher nebensächlich, der irrt; denn mit der Hand schreiben fördert die Merkfähigkeit, das inhaltliche Verständnis und die Kreativität.

(Beifall der CDU und bei der AfD)

Meine Damen und Herren, das sind Eigenschaften, die auch im Zeitalter der Digitalisierung weiter gefragt sind. Hirnforscher haben herausgefunden, dass das Handschreiben gegenüber dem Tippen am Computer einzigartige Vorteile für die kognitive Entwicklung der Kinder bietet. Auch Lehrkräfte stellen einen signifikanten Zusammenhang zwischen dem Handschreiben, einer flüssigen Schreibschrift und den schulischen Leistungen fest.

Wenn diese Erkenntnisse sowohl in der Forschung als auch in der Praxis feststehen, dann ist die Feststellung von Grundschullehrkräften, dass über ein Drittel der Kinder Probleme hat, eine gute, lesbare und flüssige Handschrift zu entwickeln, ein Alarmsignal.

(Beifall der CDU und bei der AfD)

In der STEP-Studie des Schreibmotorik Instituts haben 86 % der Lehrkräfte angegeben, dass sich die Handschrift der Schüler im Durchschnitt verschlechtert oder sogar sehr verschlechtert habe. Jeder zweite Junge und jedes dritte Mädchen hat Probleme mit der Handschrift. Nur noch zwei von fünf Schülern können 30 Minuten lang beschwerdefrei schreiben.

Andererseits sind Lehrkräfte zu 84 % davon überzeugt, dass sich Handschreiben positiv auf die Rechtschreibung auswirkt. Ähnliche Größenordnungen gelten im Übrigen für das Textverständnis, das Lesen und die schulischen Leistungen insgesamt. Deswegen sind wir der Überzeugung, die Entwicklung einer flüssigen Schreibschrift ist gleichzeitig ein Baustein, den es anzupacken gilt, wenn es darum geht, den schlechten Ergebnissen von VERA und der IQB-Studie zu begegnen.

(Beifall der CDU und bei der AfD)

Nach dieser Studie kann am Ende der 4. Klasse fast ein Viertel der rheinland-pfälzischen Grundschülerinnen und Grundschüler nicht den Mindeststandard in der Orthographie erfüllen, fast 14 % nicht den Mindeststandard beim Lesen erreichen. Deswegen sagen wir, um diesem unhaltbaren Zustand zu begegnen, brauchen wir dringend eine Qualitätsdebatte in der Bildungspolitik von Rheinland-Pfalz, und zwar eine solche, die nachhaltig alle Bausteine in Betracht zieht, die hier zu einer Besserung führen könnten.

(Beifall der CDU)

In eine solche Qualitätsdebatte gehört der Aspekt einer flüssigen Schreibschrift.

Der Teilrahmenplan Deutsch für die Grundschulen in Rheinland-Pfalz legt lediglich das Ziel fest, dass alle Kinder bis zum Ende der Grundschulzeit eine lesbare und flüssige Handschrift entwickeln sollen. In der Praxis ist es dann aber so, dass verschiedene Ausgangsschriften zur Anwendung kommen, die lateinische, die vereinfachte und auch die Schulausgangsschrift. Seit einigen Jahren gibt es daneben noch die sogenannte neu entwickelte Grundschrift. Die Schulen entscheiden selbst in der Gesamtkonferenz, welche Methode sie anwenden möchten.

Unsere Große Anfrage zeigt, es ist ein Wandel erkennbar. An 20 Grundschulen im Land wird aktuell die Einführung der Grundschrift als Ausgangsschrift geplant. Grundschrift ist mehr oder weniger eine Druckschrift, die die Buchstaben mit nicht fest normierten Schwüngen so, wie es der einzelne Schüler irgendwie hinbekommt, miteinander verbindet. Man geht davon aus, dass sich da irgendwann eine individuelle Schrift entwickelt.

Wir halten das insgesamt für problematisch, weil es nicht zu dieser flüssigen Schrift kommt, und haben uns mit der Frage beschäftigt, warum man diesen Weg geht. Es war durchaus interessant, den Blick hinter die Kulissen zu werfen und festzustellen, was eigentlich die Ursache ist.

Wir haben mit Lehrerinnen und Lehrern gesprochen. Die Aussagen waren ziemlich gleichlautend, und zwar gleichlautend fatal. Zwar ist es richtig, dass die Kinder zunächst mit der Druckschrift eher Verbindungen zu anderen gedruckten Werken herstellen können. Aber das wäre nicht die eigentliche Ursache. Die eigentliche ist vielmehr die, dass die Kinder heutzutage mit deutlich größeren motorischen Defiziten in die Schule kommen. Genau das bestätigt im Übrigen auch die STEP-Studie, in der 89 % der Lehrer sagen, dass sich die Kompetenzen, die die Schüler zu Beginn der Grundschulzeit mitbringen, verschlechtert oder sogar sehr verschlechtert hätten.

(Abg. Michael Frisch, AfD: Katastrophe!)

Die Formung dieser wichtigen motorischen Vorläuferfähigkeiten von Kinderhänden sollte in der vorschulischen Zeit stattfinden.

Da kommen wir zu einem anderen Punkt. Wir reden gerne von Kitas als Einrichtungen, die nicht nur betreuen, sondern Bildungseinrichtungen sind. Deswegen müssen wir an der Stelle einen Blick in die Bildungs- und Erziehungsempfehlungen werfen. Zurzeit ist es so, dass dort eine

große Freiheit dahin gehend besteht, was Kinder in der Kita können, sollen, dürfen, müssen. Es soll alles möglichst innendrin motiviert sein, das heißt, was Kind nicht will, das muss Kind auch nicht.

Das sieht dann in der Realität so aus, dass man nicht unbedingt kneten, malen oder Mandalas ausmalen muss, wenn man sich mit anderen Dingen beschäftigen möchte. Dabei ist ganz klar, diese notwendigen Fertigkeiten auch für die Finger bleiben auf der Strecke.

Wir haben Aussagen von Lehrerinnen und Lehrern gehabt, die tatsächlich sagten, wir haben Kinder, die kommen in die Schule und haben noch nicht ein einziges Mal einen Stift in der Hand gehalten.

(Abg. Michael Frisch, AfD: Was?)

Deswegen stellt sich doch hier die logische Frage: Ist es die richtige Antwort, einfach zu sagen, wir gehen über in eine Grundschrift, oder muss die Antwort nicht sein, wir brauchen mehr Verbindlichkeit, und zwar von Anfang an, beginnend in der Kita?

Jetzt gehe ich noch einen kleinen Schritt weiter. Wir haben derzeit die Kita-Novelle. Wir müssen überlegen, ob der Personalschlüssel genügt, ob das richtig ist, ob die Erzieherinnen und Erzieher nicht nur den Kleinkindern gerecht werden sollen, sondern auch den großen, die andere Ansprüche haben.

(Beifall bei der CDU und bei der AfD – Glocke der Präsidentin)

Wir gehen weiter in der Schulzeit. Hier brauchen wir mehr Ressourcen, mehr Zeit zum Üben und mehr Lehrkräfte. Deswegen sagen wir, wenn wir dauerhaft bessere Ergebnisse für unsere Grundschülerinnen und -schüler haben wollen, dann müssen wir hier beginnen, und zwar mit einer inhaltlichen Bildungsdebatte.

(Glocke der Präsidentin)

Vielen Dank.

(Beifall der CDU und bei der AfD)

Für die SPD-Fraktion spricht die Abgeordnete KazunguHaß.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Nicht zum ersten Mal stehe ich hier vorne und muss feststellen, die CDU vertraut unseren Lehrerinnen und Lehrern in RheinlandPfalz einfach nicht.

(Vereinzelt Beifall bei SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU und der AfD: Oh!)

Grundsätzlich ist es so, Lehrerinnen und Lehrer sind Profis der Weitergabe von Wissen. Es steht ihnen frei, die ge

eignete Methode zu wählen. Diese orientiert sich – das schreibt das Schulgesetz vor – an der Maßgabe der individuellen Förderung eines jeden Schülers und einer jeden Schülerin.

Wir sprechen heute eine Große Anfrage aus, die tief in fachdidaktische und grafomotorische Fragestellungen hineingeht, wenn man das Thema ernst nehmen möchte. Das Parlament ist dafür in Fünfminutenbeiträgen eigentlich kein wirklich geeigneter Ort. Vielmehr ist es so, dass diese Diskussionen in Fachkonferenzen und Studienseminare gehören und dort geführt werden.

Aber nun ist das Thema aufgerufen, und dies ist der Ort der Auseinandersetzung, wie man bei mir Zuhause sagt, alla hopp.

Vorneweg sei festgestellt, dass es keine belastbare Studie gibt, die eine bestimmte Handschrift – darum geht es in Ihrer Anfrage – als didaktisch zwingend beschreibt. Deswegen ist auch in unserem Lehrplan das Ziel einer flüssigen Handschrift formuliert, angelehnt an die Empfehlungen der Kultusministerkonferenz, also keine Festlegung auf eine bestimmte Schrift.

Hand aufs Herz, wie schreiben Sie, Frau Beilstein? In lateinischer Ausgangsschrift oder in vereinfachter Ausgangsschrift?

(Abg. Anke Beilstein, CDU: Keine Druckschrift und keine Grundschrift! – Abg. Dr. Jan Bollinger, AfD: Sütterlin!)

Sie schreiben in Sütterlin, das war mir klar.

(Abg. Michael Frisch, AfD: Sie können das gar nicht!)

Das wundert hier niemanden.

Wie lange haben Sie überhaupt diese Schrift genutzt, die Sie gelernt haben? Darüber reden wir nämlich.

Schon in der 5. Klasse ist kaum noch etwas davon zu erkennen. Für uns Lehrerinnen und Lehrer der weiterführenden Schulen ist Lesbarkeit das oberste Kriterium.

Die verbundene Druckschrift, oder auch Grundschrift genannt, ist als Methode nichts weiter, als der direkte Weg zu einer persönlichen Handschrift.

(Abg. Gerd Schreiner, CDU: Nein!)

Das kann und sollte man immer kontrovers diskutieren. Die Herausforderung, die Grundschrift zu lehren, erscheint mir tatsächlich höher, da der methodische Ansatz sehr individuell ist. Eigentlich ist es das, was wir wollen. Ich erwähnte es eben.

Hierzu müssen sich dann aber alle Kolleginnen und Kollegen mit allen Konsequenzen innerhalb ihrer Fachkonferenz selbst entscheiden; denn das bedeutet erst einmal mehr Arbeit.

Schrift und Orthografie haben erst einmal keinen direkten Zusammenhang, allerdings bremst eine unsichere Hand

schrift Kinder aus. Sie sind zu langsam, werden schnell verunsichert, produzieren Fehler aufgrund falsch geschriebener Buchstaben. Der Grund allerdings – das haben Sie selbst ausgeführt – für eine unsichere Handschrift liegt viel tiefer. Es sind oft oder meistens grafomotorische Problemstellungen, die es zu beheben gilt.