Protocol of the Session on March 27, 2019

Dass wir des Redens und des Überzeugens müde sind, dass die Kraft unserer Worte noch zu schwach und die Anzahl der Spender noch zu gering ist, ist kein Argument, gutes Recht zu ändern. Ich sage es noch einmal: Wollen wir mehr Menschen überzeugen, ihre Organe Todkranken zu spenden, damit diese leben können, dann lasst uns sie überzeugen!

Vielen Dank.

(Beifall der CDU, vereinzelt bei der FDP und des Abg. Dr. Bernhard Braun, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Als Nächste spricht Abgeordnete Dr. Anna Köbberling.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Mein Studienfreund Bernd war 29 Jahre alt, als er seinen ersten Herzinfarkt hatte. Mit 42 Jahren hatte er den zweiten und mit knapp 50 Jahren den dritten. Dieser hat sein Herz so weit zerstört, dass er nun als „High Urgent“ auf der Transplantationsliste geführt wird.

Bernds Leben ist auf seine Wohnung beschränkt. Diese kann er außer für Arztbesuche nicht mehr verlassen. Hinzu kommen 14 verschiedene Medikamente am Tag, jede Menge Spritzen und im Durchschnitt jeden Tag einmal ein Kreislaufzusammenbruch. Meistens hat er so wenig Kraft, dass das Ausräumen der Spülmaschine den ganzen Tag dauert.

Für eine Transplantation müsste sich Bernd in ein Transplantationszentrum begeben und jederzeit operationsbereit sein. Dort wartet man durchschnittlich zwischen einem halben und zwei Jahren. Selbst wenn man so wie Bernd auf einen ganz kleinen Radius beschränkt ist, ist es doch die Frage, ob man dieses Leben gegen die möglicherweise letzten Monate auf einer Isolierstation mit ungewissem Ausgang tauschen möchte. Die Quote ist im Moment 1 : 5. Bernd möchte das nicht.

Dass die Chancen so niedrig sind, hat mit dem Mangel an Organen zu tun. Die langen Wartezeiten führen dazu, dass nur die Kränksten der Kranken überhaupt transplantiert werden, und führen wiederum zu einer hohen Rate von Abstoßungen. Die Wartezeit selbst ist leider ein krank machender Faktor.

In anderen europäischen Ländern ist es anders. Dort gibt es eine andere Rechtslage, die dazu führt, dass wesentlich mehr Organe zur Verfügung stehen und die Wartezeiten kürzer werden, weil etwas gesündere Menschen transplantiert werden. In Europa existieren derzeit vier verschiedene Rechtslagen.

In den allermeisten Ländern gibt es die Widerspruchslösung, wie sie nun der Bundesgesundheitsminister einführen will. Ob eine solche Haltung – wer nicht widersprochen hat, ist automatisch einverstanden – mit Artikel 1 der Menschenwürde vereinbar ist, ist aber in Deutschland umstritten. Eine fehlende Entscheidung einfach als Zustimmung zu werten, finde ich höchst problematisch.

Um dem zu entgehen, gibt es in fünf europäischen Ländern die doppelte Widerspruchslösung oder die erweiterte Zustimmungslösung, wie wir sie bis 2012 auch in Deutschland hatten. Diese Lösung verlagert aber leider die Entscheidung faktisch auf die Angehörigen, die nun nach dem mutmaßlichen Willen des Verstorbenen entscheiden müssen. Sie tun dies in einer maximal belastenden Situation. Der Patient ist hirntot, sieht aber aus, als ob er schlafe. Er wird noch beatmet, und der Brustkorb hebt und senkt sich. In diesem Moment eine Entscheidung zu fällen, kann geradezu traumatisierenden Charakter annehmen. Es verwundert nicht, dass sich deshalb viele Angehörige

dagegen aussprechen.

Auch die im Jahr 2012 eingeführte Entscheidungslösung hat daran leider nichts geändert. Die Tatsache, dass die Krankenkassen Informationsmaterial versenden, nutzt wenig, und die Hoffnung, dass damit die Zahl der Spenderausweise zunehmen würde, hat sich kaum bewahrheitet. Wenn mehr Organe zur Verfügung stehen sollten, ist es notwendig, die Entscheidung von den Angehörigen in einen Moment zu verlagern, in dem der Tod noch ganz weit weg ist. Der Einzelne muss in einer unbelasteten Situation selbstbestimmt entscheiden, was nach seinem Tod mit seinen Organen und seinem Körper passieren soll.

Ich trete dafür ein, dass er zu einer solchen Entscheidungslösung mit der notwendigen Zeit, Ruhe und Information verpflichtet wird. Möglich wäre dies bei der Beantragung eines Personalausweises – das haben einige Kolleginnen und Kollegen schon vorgeschlagen –, dass man in dem Moment mit Informationsmaterial versorgt wird und bei der Abholung seine Entscheidung fällen muss inklusive der Möglichkeit zu sagen, ich habe mich noch nicht entschieden, aber zu einem späteren Zeitpunkt daran erinnert wird, dass diese Entscheidung noch aussteht.

Doch auch hier gibt es rechtliche Einwände. Die einen sind datenschutzrechtlicher Natur. Dem könnte man meines Erachtens mit einer Codierung relativ einfach begegnen. Die Entscheidung muss auch jederzeit veränderbar sein. Auch dafür gibt es Lösungen.

Wir müssen uns aber in Deutschland dazu durchringen, die Pflicht zur Befassung mit letzten Fragen und das Fällen einer Entscheidung selbst für zumutbar zu halten. Nicht alle Verfassungsjuristen tun dies. In einem demokratischen Rechtsstaat ist aber die Güterabwägung zwischen der Freiheit des Einzelnen und dem Allgemeinwohl nichts Unübliches. Was wiegt das Recht eines Menschen, nicht mit einer kritischen Fragestellung behelligt zu werden, gegen das Leid von Angehörigen, die entscheiden müssen, ob ein hirntoter Verwandter zum Spender wird?

Für mich ist die Güterabwägung klar. Ich halte eine Entscheidungslösung, bei der die Menschen nicht nur informiert, sondern auch nach ihrer Entscheidung gefragt werden und diese auf dem Personalausweis dokumentiert wird, für eine ethisch vertretbare Lösung.

(Beifall bei SPD, CDU, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Jetzt spricht der Abgeordnete Michael Frisch.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir leben in einer Zeit allgemeiner Entgrenzung. Grenzen verschwimmen, werden bewusst infrage gestellt oder gar vorsätzlich zerstört. Das gilt nicht nur für die Grenzen von Staaten, sondern auch für die Grundlagen und Normen unseres Handelns. Jahrtausendealte Selbstverständlichkeiten gelten plötzlich nicht mehr.

Dass eine Ehe von Mann und Frau geschlossen wird, dass Kinder Vater und Mutter haben, dass Unterschiede zwischen Völkern und Kulturen bestehen, dass bestimmte Dinge gut und andere schlecht sind, ja dass es überhaupt dem Zugriff des Menschen entzogene überzeitlich gültige Prinzipien gibt, scheint nicht mehr klar zu sein.

Auch vor den Lebenswissenschaften hat dieser Prozess nicht halt gemacht. In den vergangenen Jahrzehnten haben wir eine noch nie dagewesene Dynamik im bioethischen Diskurs erlebt, durch die die bisherigen Normen insbesondere am Beginn und am Ende des menschlichen Lebens erschüttert worden sind. Unter den euphemistischen Narrativen von Selbstbestimmung und Ethik des Heilens erodierte der vom Staat zu gewährleistende Schutz des Lebens.

Nicht nur ungewollte, sondern auch behinderte Kinder werden vor der Geburt gesetzeskonform getötet. Sie gelten als unzumutbar für ihre Eltern und sind dank Pränataldiagnostik weitgehend vermeidbar. Embryonale Stammzellen dienen der Behandlung zahlreicher Krankheiten. Dass dafür unzählige Embryonen verbraucht werden, nehmen wir in Kauf. In einigen europäischen Ländern ist aktive Sterbehilfe selbst bei psychisch Kranken, Einwilligungsunfähigen und Kindern längst traurige Realität.

Hat der Psychiater Manfred Lütz womöglich recht, wenn er schreibt, die uralte Sehnsucht des Menschen nach Gott und dem ewigen Leben agiere sich heute beim Thema „Gesundheit“ aus?

Meine Damen und Herren, als im Jahr 1968 mit dem Hirntod-Konzept eine völlig neue Definition des menschlichen Todes an der Harvard-Universität entwickelt wurde, war dies eine Reaktion auf die Fortschritte in der Transplantationsmedizin. Während die zuvor gültigen Todeskriterien irreversibles Erlöschen der Herztätigkeit und dauerhafter Stillstand des Blutkreislaufs eine Verwertung der meisten Organe unmöglich machten, erlaubt die Gleichsetzung des Hirntods mit dem Tod der Person in Kombination mit der Intensivmedizin die nahezu vollständige Verwertung des menschlichen Körpers; denn nur solange die vitalen Grundfunktionen eines Organismus noch bestehen, bleiben seine Einzelteile verwendbar.

Organe spenden seitdem Lebende, die definitionsgemäß eigentlich tot sind. Erst wenn die intensivmedizinischen Maßnahmen nach der Explantation abgebrochen und die künstliche Beatmung beendet werden, können diese Menschen wirklich sterben.

Meine Damen und Herren, die Entscheidung, Organe zu spenden und damit Schwerkranken eine neue Lebensperspektive zu eröffnen, verdient höchsten Respekt. Ich habe aber auch großes Verständnis für diejenigen, die dazu nicht bereit sind. In der Fachwelt gibt es inzwischen erhebliche Zweifel sowohl an der eindeutigen Diagnostizierbarkeit des Hirntods wie auch an der Gleichsetzung von Hirntod und Tod. Allein schon deshalb darf es in dieser Frage keine Regelung geben, die in irgendeiner Weise in die selbstbestimmte Entscheidung möglicher Spender eingreift.

Organspende muss immer ein vollkommen freiwilliger Akt

sein, der mit einer umfassenden Information über alle damit verbundenen medizinischen und ethischen Aspekte verbunden ist. Dem wird die aktuell debattierte Widerspruchslösung nicht gerecht; denn ein unterlassener Widerspruch kann niemals als Zustimmung gewertet werden.

Aber es darf nicht nur keinen gesetzlichen Zwang geben, es darf auch kein moralischer Druck ausgeübt werden. Wer keine Organe spenden möchte, ist nicht am Tod anderer Menschen schuld. Diese Menschen sterben nicht am Fehlen eines Spenderorgans, sondern an ihrer Erkrankung. Deshalb ist es unzulässig, hier eine Verantwortung Dritter zu konstruieren. Auch ein wachsender Bedarf an Organen oder eine sinkende Bereitschaft zur Organspende rechtfertigen es nicht, solche grundsätzlichen Prinzipien aufzugeben. Dies zu tun würde einer folgenschweren Entwicklung Tür und Tor öffnen. Schon jetzt gibt es erste Forderungen von Bioethikern, eine Organspende-Euthanasie einzuführen, um so jährlich Tausenden von Menschen das Leben retten zu können.

(Abg. Alexander Schweitzer, SPD: Unglaublich!)

Meine Damen und Herren, die Transplantationsmedizin ist letzten Endes eine moderne Variante des alten Menschheitstraums von der Überwindung des Todes. Es fällt uns schwer anzuerkennen, dass wir trotz aller medizinischen und technischen Fortschritte immer noch endliche Wesen sind. Aber diese Endlichkeit gehört zu den unveränderlichen Konstanten menschlichen Daseins. Sich dagegen aufzulehnen, ist nicht nur eine Hybris, sondern birgt auch große Gefahren; denn mit jeder neuen Möglichkeit wachsen die Ansprüche des Menschen und sinkt sein Wille, sich zu beschränken.

Je begehrenswerter unsere Ziele sind und je größer unsere Macht wird, desto geringer wird unsere Bereitschaft, ethische Normen zu respektieren, die diesem Streben Grenzen setzen. Um der Würde des Menschen willen sollten wir einer solchen Entgrenzung widerstehen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Es spricht jetzt der Abgeordnete Michael Wäschenbach.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Zuhörerinnen und Zuhörer! Ich bin als Gesundheitspolitiker sehr froh, heute zu diesem äußerst wichtigen Thema sprechen zu dürfen. Es geht um Fragen, die den Sinn des Lebens betreffen. Es geht um Fragen der Menschenwürde, der Brüderlichkeit und der freien Selbstbestimmung und weniger um Fragen der Medizin.

Ich sage es vorweg und klar, ich bin für einen Paradigmenwechsel. Das bedeutet, jeder Mensch ist Organspender, sofern er nicht widerspricht. Konkret bin ich für die doppelte Widerspruchslösung, wobei der Widerspruch durch Angehörige oder gesetzliche Betreuer in einer Vollmacht

klar definiert sein muss. Voraussetzung sind Transparenz, Vertrauen und Aufklärung. Viele Details sind noch zu klären: Wo erfolgt die Speicherung des Widerspruchs? Was gilt in fremden Reiseländern?

Ich möchte meine grundsätzliche Haltung wie folgt begründen. Erstens die Situation der Organempfänger: In der aktuellen Ausgabe einer großen deutschen Illustrierten wird anschaulich verdeutlicht, wie viele Menschen monatelang in einer Klinik auf ein Organ warten. Sie wissen, dass ohne ein Organ ihr Leben bald endet. Sie kennen weder den Zeitpunkt noch die Reihenfolge, in der sie ein neues lebensnotwendiges Organ erhalten. Sie spekulieren: Geht es nach Alter, sozialem Umfeld, gesellschaftlichem Status, oder sind möglicherweise in einer anderen Klinik Patienten, die mehr Geld haben?

Nein, schon heute zählt allein die Wartezeit und die medizinische Kompatibilität zwischen Spendern und Empfängern. Die Wartezeit wird von einem Computer überwacht. Die Wartelisten sind der Versuch, dem ethischen Dilemma zu entkommen. Sie sollen Gerechtigkeit schaffen, wem man hilft und wem nicht. Diese Ungewissheit und das ständige Bangen auf einen möglichen Tod vieler wartender Menschen machen mich tief betroffen und lassen mich sogar schaudern. Es ist ein Leben am Abgrund. Die Wahrscheinlichkeit zu sterben, bis ein neues Organ kommt, liegt bei 20 %.

Zweitens die Situation der Organspender: Die derzeitige Lösung lässt noch deutlich zu viele Menschen sterben. Es gibt zu wenig Organe. Deshalb komme ich zu einer weiteren wichtigen Dimension: Es ist eine moralische, ethische und religiöse Frage. Die Organspende ist für mich auch eine Frage der christlichen Nächstenliebe in Anlehnung an das Jesusbild und seinen Willen, ein Leben für andere herzugeben. So kann der Wille zur Organspende zur Rettung des Lebens anderer Menschen ein tiefer Akt religiöser theologischer Überzeugung sein. Ethiker nennen deshalb die Organspende auch das Verteilen von Lebenschancen.

Der Mensch ist als Individuum unteilbar und einzigartig. Durch den Paradigmenwechsel werden die Freiheits- und Selbstbestimmungsrechte zwar tangiert, aber die Selbstbestimmung bleibt garantiert. Es gibt keinen Automatismus der generellen Organentnahme. Die konkreten medizinischen Voraussetzungen zwischen Spender und Empfänger müssen individuell passen.

Beim Organspender müssten wir eigentlich vom Verstorbenen reden, obwohl der Tod noch nicht festgestellt ist. Es ist ein kurzes Zeitfenster, in dem man Organe entnehmen kann.

Ich möchte noch auf einen bewegenden Aufsatz vom 15. Mai 2014 eingehen, der journalistisch prämiert wurde. In dem Artikel „Herzenssache“ wird der plötzliche Unfalltod, differenziert zwischen Tod und Hirntod, einer 14-Jährigen beschrieben und über die Entscheidung der vom Schmerz getroffenen Eltern berichtet. Sie müssen im Schnelldurchlauf vom einen zum anderen Moment die Entscheidung zur Organspende für ihre 14-jährige Tochter treffen und abwägen, was die hirntote Tochter für ein Leben führt. Ist es noch ein Leben?

Verehrte Zuhörer, die Würde des Menschen besteht über seinen Tod fort. Der Hirntod aber lässt die emotionale, spirituelle und ethische Komponente des endgültigen Todes außer Acht.

Alle bisherigen Versuche, mehr Leben durch Organspende zu erhalten, sind nicht sehr erfolgreich gewesen. Auf 1 Millionen Menschen kommen nur noch 9,7 Spender. Deshalb werbe ich für den von Herrn Spahn angeregten Kurswechsel. Es soll eine neue Normalität werden und das Unbehagen beseitigen.

Es wäre doch schöner, keine jahrelangen Wartelisten zu führen, die Verteilung von unterschiedlichsten Kriterien abhängig machen zu müssen, sondern allen mit einem Organ zu helfen. Für mich ist nach der Apostelgeschichte Geben seliger als Nehmen.

(Beifall der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Es spricht der Justizminister Herbert Mertin.