Protocol of the Session on June 19, 2018

So 1902 der preußische Innenminister Hans von Hammerstein. Darüber sind wir heute hinweg, bekanntlich durften nach langem Kampf 1919 das erste Mal Frauen wählen. Ich zolle den mutigen Frauen von damals hohen Respekt!

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der FDP – Abg. Alexander Schweitzer, SPD: Den Sozialdemokraten!)

Der Sozialdemokratie, die war da ganz vorne.

Ich will jetzt nicht alle Eckdaten aufzählen, die sind nachzulesen. Ich will heute die Frage stellen, wie weit wir denn in 100 Jahren nach Einführung des Frauenwahlrechts tatsächlich mit der Gleichstellung der Frau in Parlament und Gesellschaft gekommen sind.

Der knapp 9 %ige Frauenanteil im Parlament von 1919 wurde erst 1983 übertroffen. Damals zogen die Grünen das erste Mal in den Bundestag ein, schon damals mit einer paritätisch besetzten Liste. Mit dem grünen Frauenstatut und der grünen Frauenquote schrieb unsere Partei Geschichte, auch Frauengeschichte.

Wie sieht es heute, 36 Jahre später, aus? Der Anteil der Frauen im aktuellen Bundestag ist mit 30,9 % niedriger als vor 20 Jahren.

(Abg. Martin Haller, SPD: Das liegt an einer Partei!)

Die bei vielen unbeliebte Quote sorgt – zumindest bei den Parteien, die sie haben und nutzen – für bessere Chancen bei Frauen. Alle Parteien, die sich aktuell selbst Quotenregelungen für ihre Wahllisten gegeben haben, verfügen über einen hohen Frauenanteil in den Parlamenten. Parteien ohne eine solche Selbstverpflichtung fallen durch ihre starke Männerdominanz auf.

(Abg. Alexander Schweitzer, SPD: Und durch andere Dinge!)

Im Grunde halte ich es für einen Skandal, dass Frauen noch immer darum kämpfen müssen: um Quoten, um paritätische Besetzung von Ämtern – nicht nur in der Politik – und um Gleichstellung. Frauen stellen die Hälfte der Bevölkerung, und – verdammt noch mal – ich will auch die Hälfte vom Kuchen!

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der Abg. Cornelia Willius-Senzer, FDP)

100 Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechts wollen wir Frauen nicht noch einmal 100 Jahre warten, bis die Parität umgesetzt ist. Ich will mich auch nicht mit einer Frau Bundeskanzlerin abspeisen lassen. Im Übrigen hat Angela Merkel selbst im November 2017 gesagt, dass die Parität her muss.

Mit welcher Arroganz glauben viele Männer eigentlich immer noch, sie wären die geborenen Besseren? Nein, natürlich würde sich kein Mann oder kaum einer trauen, das in der Öffentlichkeit zu sagen. Aber Fakt ist doch, dass nur wenige aktiv etwas dafür tun, Frauen zu unterstützen.

(Abg. Alexander Schweitzer, SPD: Das stimmt nicht!)

Mehr Mädchen machen Abitur als Jungs, mehr junge Frauen beginnen ein Studium, und die Abschlüsse von Frauen sind besser. Und plötzlich sind sie wieder weg. Je höher die Statusgruppe, desto geringer der Frauenanteil. Der Professorinnenanteil lag 2017 an rheinland-pfälzischen Hochschulen bei 20,7 %. Zugegeben, bei Juniorprofessuren und Habilitanten liegt der Frauenanteil höher. Ich bin

es aber leid, dass ich mich immer noch über den viel zu langsamen Anstieg des Frauenanteils in vielen Berufen freuen soll. Ich will das, was uns zusteht: die Hälfte von allem!

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Martin Haller, SPD)

In Sonntagsreden werden die starken Frauen von früher von Männern von heute gerne gelobt. Das kann ich nicht mehr hören! Ich sage daher: Platz für mehr Frauen, jetzt! Beispielsweise in den kommunalen Räten, in denen ein Frauenanteil von 18,7 % in Rheinland-Pfalz zu verzeichnen ist. Ehrlich gesagt, finde ich das zum Fremdschämen! Da sind sich alle Frauenaktivistinnen einig, von den Grünen bis zu den Landfrauen.

Der Deutsche Frauenrat fordert angesichts der ernüchternd ungleichen Verhältnisse in der deutschen Politik: mehr Frauen in die Parlamente. Der Deutsche schlechthin regelt gerne alles per Gesetz, aber ein Parité-Gesetz scheuen vor allem die Konservativen und die rechten Populisten – die sowieso zurück wollen, nach ganz zurück – wie der Teufel das Weihwasser.

Angebliche Verfassungsbedenken lasse ich nicht gelten, vor allem nicht von männerdominierten Gerichten. Im Grundgesetz steht, Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Es hat Jahrzehnte gedauert,

(Abg. Dr. Jan Bollinger, AfD: Männergerichte können kein Recht sprechen!)

bis zumindest die Gesetze so angeglichen waren, dass Frauen und Männer in der Ehe und im Familienrecht gleichgestellt sind. Bis 1977 durfte die Frau nur dann berufstätig sein, wenn das mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar war. Bis 1997 war die Vergewaltigung in der Ehe straffrei. Da sind wir heute ein paar Schritte weiter,

(Glocke der Präsidentin)

aber noch nicht am Ende. Ich auch noch nicht, bis gleich.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der FDP)

Für die CDU-Fraktion erteile ich der Abgeordneten Demuth das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Frau Blatzheim-Roegler, liebe Grünen-Fraktion! Wir freuen uns außerordentlich, dass Sie das Thema heute als Aktuelle Stunde auf die Tagesordnung gesetzt haben.

Auch für uns als CDU-Fraktion sind 100 Jahre Frauenwahlrecht ein großes Jubiläum, das es zu feiern lohnt und das es wert ist, heute darüber zu sprechen und es heute auf die Tagesordnung zu setzen.

(Beifall der CDU, der SPD, der FDP, des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Dr. Sylvia Groß, AfD – Abg. Dr. Bernhard Braun, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Bei der AfD klatscht nur die Frau Groß! Nur die Frau klatscht!)

Wir haben in den letzten 100 Jahren viel erreicht. Das gilt es zu würdigen. Seitdem waren Frauen in fast allen politischen Ämtern aktiv, auch gesellschaftlich, nur die Bundespräsidentin fehlt noch. Sicherlich wird früher oder später auch das Amt des Bundespräsidenten von einer Frau besetzt werden.

Meine Damen und Herren, seitdem gibt es aber immer noch Dinge, die Frauen nicht erreicht haben. So wissen wir aus der Wirtschaft – Frau Blatzheim-Roegler hat es bereits eindringlich geschildert, ich will das nicht alles wiederholen –, dass zum Beispiel in unseren DAX-geführten Unternehmen der Frauenanteil in den Vorständen bei 8 % liegt. Das sind in Zahlen 61 Frauen und 650 Männer. Wir wissen, dass von den insgesamt 692 seit 1949 ernannten Staatssekretären im Bundestag 19 Frauen waren und 668 Männer. Das entspricht 3 %.

Sicherlich gibt es bei diesen Quoten in der Wirtschaft, aber auch in der Regierung und in den Parteien, noch Ausbaubedarf. Ich glaube aber, dass es mit einer Quote allein nicht getan sein wird, um diesen Bedarf zu decken; denn es ist so – das sagen uns Männer immer wieder, und es ist leider nicht von der Hand zu weisen –, dass Frauen händeringend gesucht werden, aber leider für diese politischen Ämter nicht zu finden sind, sowohl in den Parteien als auch in vielen Punkten in der Wirtschaft.

(Abg. Alexander Schweitzer, SPD: Das eine kommt aber nicht vom anderen! – Abg. Martin Haller, SPD: Da gilt der alte Spruch: Was sich sucht, das lässt sich finden!)

An dieser Stelle möchte ich die Frage stellen, warum das so ist. Wir haben gut ausgebildete junge Frauen und Frauen jeden Alters. Wir haben Frauen, die eigentlich in der Schule eine vollkommene Gleichberechtigung erfahren haben, dann aber im weiteren Leben – Sie sagten es eben bereits – in den Führungspositionen nicht mehr zu finden sind.

Ich glaube, das ist schon dem geschuldet, wie wir als Frauen sozialisiert sind und wie männerdominierte Systeme geführt werden. Da spreche ich über mikropolitische Spielregeln, die sowohl in der Wirtschaft als auch in der Politik vorherrschen. Es ist nicht verwunderlich, wenn viele Männer dort zusammentreffen und aus ihrer Sozialisation heraus anders agieren als Frauen. Es ist eine zukünftige Aufgabe, dass ein Frauenanteil bei einer Reform des Wahlrechts in irgendeiner Weise als Säule berücksichtigt werden könnte oder sollte.

Darüber hinaus muss es eine zweite Säule sein, dass besonders Frauen und Mädchen die Gleichberechtigung nicht nur in der Schule lernen, sondern in der Oberstufe und besonders im Studium, in der akademischen Ausbildung, auch geschult werden, diese mikropolitischen Spiel

regeln zu beherrschen, auf diesen mikropolitischen Spielfeldern besser zu agieren, sich dort zurechtzufinden, die Systeme zu verstehen und auch mitspielen zu wollen.

Das nimmt Angst, das nimmt Bedenken. Man lernt, sich mit Machtdynamiken zu beschäftigen und auch auszukennen. Man weiß das besser einzuordnen. Ich glaube, das wäre ein Weg, vielen jungen Frauen eher den Zugang zu ermöglichen, dass sie sich dort wiederfinden und sich dort vorstellen können.

(Beifall der CDU und bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In diesem Sinne sind wir dafür, verschiedene Säulen weiterzuentwickeln. Ich freue mich auf die zweite Runde, um noch einige weitere Ausführungen dazu zu machen.

Herzlichen Dank.

(Beifall der CDU und vereinzelt bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die SPD-Fraktion spricht die Abgeordnete Rauschkolb.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Auch wir freuen uns, dass wir heute das Thema „100 Jahre Frauenwahlrecht“ auf der Tagesordnung haben. Ich weiß, wenn es um Frauenpolitik geht, sagen die einen, ach ja, es ist nett, dass ihr darüber redet, aber eigentlich haben wir viel Wichtigeres zu tun. Die Straßen und alles andere sind viel wichtiger.

(Abg. Martin Haller, SPD: Das stimmt doch gar nicht!)

Ich bekomme es aber oft entgegnet, wenn ich sage, ich bin mit für Frauen zuständig. Ich finde es eigentlich sehr schade, weil es ein Thema ist, das uns alle gemeinsam angeht.

Wenn es um 100 Jahre Frauenwahlrecht geht, kommt man nicht umhin, an die zu erinnern, die die Vorkämpferinnen waren. Das möchte ich heute machen und anfangen zu zitieren, was Marie Juchacz gesagt hat, eine Sozialdemokratin, die Gründerin der AWO, die damals als erste Frau im Reichstag gesprochen hat. Das, was sie damals vor 100 Jahren gesagt hat, gilt leider heute auch noch. Das ist für uns alle beschämend, wo man sich hinterfragen soll in dem, was wir alle machen, ob wir nicht alle gemeinsam doch ein bisschen mehr tun könnten.

Sie hat gesagt – ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin –: „Wir Frauen sind uns sehr bewußt, daß in zivilrechtlicher wie auch in wirtschaftlicher Beziehung die Frauen noch lange nicht die Gleichberechtigten sind. Wie wissen, daß hier noch mit sehr vielen Dingen der Vergangenheit aufzuräumen ist, die nicht von heute auf morgen aus der Welt zu schaffen sind. Es wird hier angestrengtester und zielbewußter Arbeit bedürfen, um den Frauen im staatsrechtlichen und im wirtschaftlichen Leben zu der Stellung zu verhelfen, die ihnen zukommt.“

Das könnte leider heute noch jemand gesagt haben. Wenn man überlegt, dass es 1919 war, also vor 100 Jahren, dann glaube ich schon, dass wir einiges zu tun haben.

Wir haben auf einer Veranstaltung mit der Bundesfrauenministerin festgestellt, dass es viel zu tun gibt. Wir sind hier im Parlament einigermaßen gut vertreten. Im Bundestag sind die Frauen wieder auf dem Rückschritt mit 31 %. Unser Partnerland Ruanda ist viel weiter, als wir es sind. Viele afrikanische Länder sind viel weiter, als wir es sind.

Heute wird im brandenburgischen Landtag auch darüber geredet, wie man die Repräsentation verbessern kann. Ich denke, wir wären alle froh, wir hätten ein Patentrezept, wie wir unsere Listen so aufstellen können und auch genug Frauen finden, die bereit sind, auf die Listen zu gehen. Ich glaube aber auch, dass es wichtig ist, dass die Frauen, die schon in der Politik sind, Vorbilder sind und sagen, wir kümmern uns um jemanden aus der Familie. Wir haben vielleicht Kinder, aber es geht alles, es macht Spaß, und es ist wichtig, dass wir dabei sind.