Protocol of the Session on January 30, 2019

Der Sozialkundeunterricht soll künftig ein Jahr früher mit einer Stunde einsetzen, in der Regel also in der 8. Klasse, und er soll in der letzten Klassenstufe, also der 9. oder 10. Klasse, künftig mit zwei statt einer Stunde unterrichtet werden.

Entsprechend werden wir auch im Fach Gesellschaftslehre den Anteil der politischen Bildung stärken. Wir werden außerdem sicherstellen, dass auch in der Oberstufe alle Schülerinnen und Schüler das Fach Sozialkunde belegen.

(Beifall der SPD, der FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Damit weiten wir die Demokratiebildung in der Schulzeit deutlich aus. Jede Schülerin und jeder Schüler in Rheinland-Pfalz wird dann im Laufe der Sekundarstufe I rund 70 Stunden Sozialkunde zusätzlich haben. Rund 50 Planstellen werden wir dafür zur Verfügung stellen.

(Abg. Christian Baldauf, CDU: Das dürfte kein Thema sein, das müsste selbstverständlich sein!)

Zweitens werden wir die bestehenden Lehrpläne in der Sekundarstufe I anpassen und die Lehrpläne aller gesellschaftswissenschaftlichen Fächer in der Oberstufe grundlegend überarbeiten und modernisieren. Auch hier ist mehr Demokratiebildung der Grundsatz.

Die neue Servicestelle für Zeitzeugen- und Gedenkarbeit am Pädagogischen Landesinstitut, von der ich vorhin schon sprach, ergänzen wir um eine Servicestelle für Demokratiebildung. Sie ist der zentrale Ansprechpartner für unsere Lehrkräfte zu allen Fragen rund um Fördermöglichkeiten, Fortbildungen, Beratung, für neue Unterrichtsmaterialien und die Vernetzung mit außerschulischen Partnern, wie etwa der Landeszentrale für politische Bildung.

Weil Demokratiebildung sich nicht allein im Wissen erschöpft, tragen wir in Rheinland-Pfalz dafür Sorge, dass sie von Anfang an immer auch Persönlichkeitsentwicklung ist. Wir werden deshalb in einer weiteren Maßnahme die vielfältigen und erfolgreichen Präventionsprogramme, die es heute schon gibt, beispielsweise zu Extremismus, Gewalt und Antisemitismus, intensivieren.

Diese Programme stärken die allgemeine Demokratiekompetenz und die Persönlichkeit der Schülerinnen und Schüler. Sie helfen ihnen dabei, resilient und selbstbewusst gegen Extremismus und Populismus zu werden.

Meine Damen und Herren, um der Frage vorzugreifen: Diese Programme dienen, wie alles, was ich Ihnen heute vorstelle, nicht nur der Prävention von Rechtsextremismus, sondern jeder Form von Radikalismus, auch religiösem oder linkem Extremismus. Keine Form des Extremismus ist mit unserem Grundgesetz vereinbar.

(Beifall der SPD, FDP, des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der CDU – Abg. Alexander Schweitzer, SPD: Sehr richtig!)

Aber gerade an diesem geschichtsträchtigen Tag gilt mein ganz besonderer Dank den Menschen in unserem Land, die sich gegen Rechtsextremismus einsetzen. Allein den Titel „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ tragen bei uns heute schon 140 Schulen, über 100 mehr als vor zehn Jahren, und in diesem Jahr kommen noch weitere dazu.

Über diese Entwicklung freue ich mich außerordentlich, und ich danke der Landeszentrale für politische Bildung sehr herzlich, dass sie diese Schulen betreut. Ich bin stolz, selbst Patin einer Schule ohne Rassismus und mit sehr viel Courage zu sein, nämlich des Kant-Gymnasiums in Boppard.

Meine Damen und Herren, wir werden auch die Partizipationsmöglichkeiten von Schülerinnen und Schülern noch einmal deutlich stärken. Demokratie muss in der Schule nicht nur gelernt, sondern auch von Anfang an gelebt werden.

Das geschieht nicht nur in unseren 39 Modellschulen für

Partizipation und Demokratie, sondern überall, zum Beispiel in Klassenräten und Schülerparlamenten und durch die Schülervertreterinnen und -vertreter.

Die Mitbestimmungsrechte der Schülerinnen und Schüler werden wir in einer Schulgesetznovelle, die wir noch in diesem Jahr in den Landtag einbringen werden, ausweiten.

(Beifall der SPD, der FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Weil bei all dem unsere Lehrerinnen und Lehrer die wichtigsten Botschafterinnen und Botschafter unserer Demokratie sind, ist es selbstverständlich entscheidend, sie durch Aus-, Fort- und Weiterbildung optimal zu unterstützen. Die Studienseminare arbeiten aktuell an einem Maßnahmenpaket für eine verstärkte Demokratiebildung, und das Pädagogische Landesinstitut hat als einen Schwerpunkt des Fortbildungsprogramms auch die Demokratiebildung gewählt.

Meine Damen und Herren Abgeordnete, diese Maßnahmen sind für mich die bildungspolitischen Antworten auf den wachsenden Extremismus, Populismus und Nationalismus. Aber noch etwas ist für mich von entscheidender Bedeutung: dass wir für unsere Kinder und Jugendlichen konkret bewusst und erfahrbar machen, welch unschätzbaren Wert Europa darstellt.

(Beifall der SPD, der FDP, des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der CDU)

Ich werde deshalb meine KMK-Präsidentschaft im nächsten Jahr unter das Leitthema „Europa“ stellen.

Seit sieben Jahrzehnten leben wir dank der Idee Europa in Frieden, Freiheit und Wohlstand, und Europa hat uns nach dem furchtbaren Zivilisationsbruch wieder in die Weltgemeinschaft aufgenommen. Damit hat Europa schon ganz an seinem Anfang mehr für uns getan, als wir jemals für Europa tun können.

Das europäische Miteinander ist seit jeher eine der Grundfesten der Bundesrepublik und unseres Bundeslandes an der Grenze zu Frankreich, Belgien und Luxemburg. Wir verstehen es als inklusiv, nicht als exklusiv: Man kann Rheinland-Pfälzerin sein und Deutsche und Europäerin – so formuliert es immer unsere Ministerpräsidentin.

(Präsident Hendrik Hering übernimmt den Vorsitz)

Schon heute nehmen Rheinland-Pfalz und unsere Partnerregion Bourgogne-Franche-Comté in der Bildungskooperation eine Vorreiterrolle im deutsch-französischen Tandem ein. Auch bei der gemeinsamen Lehrkräfteausbildung mit unserer Partnerregion in Frankreich, beim Programm wie „Lerne die Sprache des Nachbarn“, Projekten der Großregion wie SESAM’GR und vielen mehr steht das europäische Miteinander während der gesamten Bildungskette in Rheinland-Pfalz im Fokus von der Kita bis in den Beruf.

So steigt die Zahl der Schulen in Rheinland-Pfalz, die Begegnungen im Rahmen von Erasmus+ organisieren, seit Jahren an. Rheinland-Pfalz gehört schon heute zu den

Spitzenreitern im Ländervergleich, und das wollen wir fördern und ausbauen.

(Beifall der SPD, der FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Abg. Alexander Schweitzer, SPD: So machen wir das!)

Deshalb erhöhen wir, erstens, die Mittel für den Schüleraustausch. Unser Ziel ist es, dass es jedem rheinlandpfälzischen Schüler und jeder rheinland-pfälzischen Schülerin mindestens einmal im Schulleben ermöglicht wird, Gleichaltrigen im Ausland zu begegnen oder sie hier kennenzulernen.

Auch die EU stellt Mittel in ihrem Erasmus+-Programm zur Verfügung. Die Antragstellung ist für die Schulen oft aufwendig. Deshalb werden wir sie, zweitens, gemeinsam mit dem Pädagogischen Austauschdienst und dem Bundesinstitut für Berufsbildung bei der Antragstellung ganz gezielt beraten und unterstützen.

Wir werden, drittens, anknüpfend an das deutschfranzösische Doppelabitur AbiBac, das AzubiBacPro für die berufsbildenden Schulen einführen.

(Beifall der SPD, der FDP, des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der AfD – Abg. Alexander Schweitzer, SPD: Sehr gut!)

Dieses Zertifikat wird sowohl berufsbezogene französische Sprachkenntnisse als auch den interkulturellen Kompetenzerwerb während der beruflichen Ausbildung bestätigen und setzt neue Anreize zur deutsch-französischen Begegnung gerade auch für Auszubildende.

(Abg. Alexander Schweitzer, SPD: Sehr gute Idee!)

Viertens werden wir das Netzwerk der Europaschulen von derzeit 55 in unserem Land weiter ausbauen. Fünftens wird es eine neue Koordinierungsstelle „Europa“ im Europahaus Bad Marienberg geben. Sie wird sowohl zentrale Servicestelle für die Netzwerkschulen als auch für alle anderen am Thema „Europa“ interessierten Schulen sein – mit dem Ziel, den Austausch weiter zu intensivieren und stärker zu vernetzen.

(Beifall der SPD, der FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren Abgeordnete, das ist unser Maßnahmenpaket für die Demokratiebildung in unseren Schulen. Mir ist wichtig, dass alle Kinder und Jugendlichen durch unmittelbares Erleben die Bedeutung unserer Demokratie verstehen – an Gedenkorten oder mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, beim Schüleraustausch, in Schülervertretungen oder Klassenräten. Für das Verstehen brauchen sie ein Fundament an Wissen, das durch eine Ausweitung des Sozialkundeunterrichts gestärkt wird.

Die Lehrerinnen und Lehrer wollen wir bei ihrer wichtigen Aufgabe unterstützen: In der Ausbildung, indem sie künftig alle einen Gedenkort besuchen und erleben; bei ihrer Arbeit durch neues Unterrichtsmaterial und Fortbildungen sowie durch drei zentrale Service- und Anlaufstellen, die

für alle Schwerpunkte unseres Gesamtkonzepts – das Erinnern, die Demokratiebildung und Europa – neu eingerichtet werden.

Alle diese Überlegungen bauen auf den bisher schon erfolgreichen Maßnahmen auf, natürlich auch auf der Demokratiepädagogik in unseren Kitas, die die Erzieherinnen und Erzieher dort ebenfalls mit großem Engagement leben und die ich deshalb nicht unerwähnt lassen möchte.

Hervorragend ist auch die außerschulische Kinder- und Jugendarbeit zur Demokratiebildung. Auch sie befähigt junge Menschen zu Selbstbestimmung, verantwortlichem Handeln und sozialem Engagement.

Meine Damen und Herren, der heutige Tag mahnt und erinnert uns daran, die Demokratie nicht für selbstverständlich zu halten. Jede Generation muss sich neu darauf vereinbaren, sie neu erlernen, leben und verteidigen. Kaum ein anderer Tag könnte uns deutlicher daran erinnern, dass gerade die Länder es sind, die mit der Bildungshoheit, die ihnen das Grundgesetz aus gutem Grund zuschreibt, hier in besonderer Verantwortung stehen; denn der 30. Januar ist auch der Tag, an dem die Nationalsozialisten ein Jahr nach der Machtübernahme die Landesparlamente abgeschafft und die Gleichschaltung der Länder vollzogen haben.

Wenn heute manche die Vergangenheit relativieren und demokratische Werte untergraben und das europäische Friedensprojekt von Nationalismus bedroht wird, müssen wir dem mit wachsamem Blick und klarem Handeln begegnen. Unsere Antwort darauf muss mehr Demokratiebildung sein, die das bestehende große Engagement unterstützt und wachsen lässt.

Das tun wir mit unserem Gesamtkonzept. Wir tun dies zusammen und mit der breiten Unterstützung vieler Partner in unserem Land und mit der Unterstützung dieses Parlaments, das sich mit seinen eigenen erfolgreichen Projekten und in Kooperation mit den Schulen für die Demokratiebildung stark macht.

Ich möchte deshalb zum Abschluss dem Landtag, dem Landtagspräsidenten und allen Rheinland-Pfälzerinnen und Rheinland-Pfälzern ganz herzlich danken, die sich in unseren Schulen und außerhalb, ehrenamtlich oder beruflich, aber immer aus tiefer Überzeugung für die Demokratie engagieren. Wegen all dieses Engagements sind wir heute zuversichtlich.

Vielen Dank.

(Anhaltend Beifall der SPD, der FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, es ist uns allen eine besondere Freude und Ehre, dass wir heute die Zeitzeugin unserer Gedenkveranstaltung vom 27. Januar, Frau Henriette Kretz, erneut bei uns begrüßen dürfen.

(Beifall im Hause)

Frau Kretz, Ihre eindrucksvolle und bewegende Rede ist uns allen unvergessen. Sie sind ein sehr eindrucksvoller Beleg dafür gewesen, wie wichtig Zeitzeugen sind. Für Ihre außergewöhnliche Persönlichkeit spricht auch, dass Sie spontan gesagt haben, einer Debatte, in der es um Erinnerungskultur geht, will ich beiwohnen und sie mir anhören.